Basler Mehrfamilienhaus wird mit Abwärme von dezentralen Inhouse-Rechnern beheizt

Wer rechnen lässt, kann heizen

Ein Pilotprojekt in Basel geht neue Wege: Ein Minirechenzentrum im Keller eines älteren Wohnhauses liefert viel Abwärme. Diese dient als Quelle für Raumwärme und Warmwasser. Bestehende Heizkörper können weiter genutzt werden.

Von Michael Staub | Bilder: IWB, Michael Staub | Oktober 2020

Rund fünf Prozent des Stromverbrauchs in der Schweiz entfällt auf die IT-Branche. Ungefähr die Hälfte davon wird für den Betrieb und die Kühlung von Rechenzentren und Serverräumen benötigt. Denn dort, wo die Rechner dicht an dicht stehen, entsteht beträchtliche Abwärme. In der Regel fällt sie als warme bis heisse Luft an, die mit Lüftungs- oder Klimaanlagen abgeführt wird. Lange Zeit wurde diese Abluft ungenutzt in die Umwelt geblasen (siehe Box «Viel verpuffte Wärme»). Seit einigen Jahren besinnt man sich nun eines Besseren. In Zürich Albisrieden zum Beispiel profitiert die Genossenschaft Gewobag von der Abwärme eines städtischen Datencenters. Eine zentrale Ammoniakwärmepumpe nutzt die Abwärme und versorgt über Fernleitungen über 600 Wohnungen CO₂-neutral mit Raumwärme und Warmwasser.
Diese Abwärmenutzung funktioniert auch im kleineren Massstab. Der deutsche Anbieter Cloud & Heat verbindet seit 2013 die Bedürfnisse zweier Kundengruppen: Mieterinnen und Mieter wollen eine sichere und günstige Wärmeversorgung. Und viele Unternehmen legen Wert auf dezentralisierte, zuverlässige und sichere Rechenleistung und Datenspeicherung. Cloud & Heat stellt deshalb in Wohn- und Geschäftshäusern dezentrale Server auf. Die Abwärme dieser Rechenzentren wird über Wärmetauscher vom Heizsystem des Gebäudes abgenommen. Eine Wärmepumpe ist nicht notwendig. So heizen die Rechenoperationen der einen die Räume und das Warmwasser der anderen. Diese Kombination funktioniert gut und ist heute beliebig skalierbar. Die installierte Leistung kann von wenigen Kilowatt bis hin zu mehreren hundert Kilowatt gewählt werden. Dabei bieten sich vor allem Gebäude oder Quartiere mit Gewerbeeinheiten an, da hier die Rechenzentren vor Ort genutzt werden können. «Im Zusammenhang mit einer angepassten IT-Auslastung können im Prinzip beliebige Wohn- oder Gewerbeeinheiten versorgt werden», sagt Andreas Hantsch, Senior Technology Advisor bei Cloud & Heat.

Digitale Heizung
Ein Beispiel dafür ist ein Mehrfamilienhaus in Dresden (D) mit 56 Wohnungen. Seit 2014 wird darin von Cloud & Heat und dem örtlichen Energieversorger Drewag gemeinsam ein Cloud-Rechenzentrum betrieben. Dank wassergekühlten Servern und einem speziellen System zur Abwärmenutzung können fünfzig Prozent des jährlichen Warmwasserbedarfs im Gebäudekomplex gedeckt werden. «So sparen wir jährlich bis zu 5,8 Tonnen CO₂ ein», erläutert Andreas Hantsch. Für die Cloud-Kunden ist diese Reduktion des CO₂-Ausstosses ein gutes Argument, ebenso die tieferen Energiekosten durch die effiziente Kühlung. Wichtige Bauteile dieser Heizungen sind redundant, also mehrfach vorhanden. Zudem werden die Anlagen überwacht, und der technische Support steht rund um die Uhr bereit. So könne man drohende Probleme rasch erkennen und beheben, sagt Andreas Hantsch: «Weder die Wärmeverteilung noch die Serverfunktionen werden beeinträchtigt.»
Die Verbindung von Rechnen und Heizen testet nun auch die Basler Energieversorgerin IWB. Ein 1932 erbautes Mehrfamilienhaus mit sechs Mietwohnungen wird seit kurzem von einem Minirechenzentrum beheizt. Die alte Gasheizung dient nur noch als Backup und zur Abdeckung von Spitzenlasten an kalten Wintertagen. Die neue Heizung, geliefert von der französischen Neutral IT, sieht unscheinbar aus. Und doch markiert die kompakte Chromstahlkiste eine Zäsur. Denn auf dem Gehäuse steht «Chaudière numérique» – digitale Heizung. Weder Gas noch Holz, weder Umgebungswärme noch eine ferne Kehrichtverbrennung sorgen für die Wärme im Haus, sondern die Abwärme von Rechenoperationen.

Im Wohnhaus von 1932 in Basel läuft das vielversprechende Pilotprojekt der Industriewerke Basel (IWB). Es konnte rasch und einfach umgerüstet werden; die bisherige Wärme­verteilung samt Heizkörpern ist weiter nutzbar.

Kompakte Technik
Im Inneren des Chromstahlgehäuses befinden sich bis zu einem Dutzend «Blades». So nennt man die Module, auf denen beispielsweise ein Server oder ein Switch (Netzwerkverteiler) sitzt. Die Blades sind von einem Ölbad umgeben. Dessen Wärme wird über Wärmetauscher zu einem Kombispeicher im Nebenraum geleitet. Dieser heizt das Heizungswasser auf und speist zusätzlich eine Frischwasserstation. Sie nutzt das heisse Wasser des Speichers, um kaltes Wasser im Durchlaufprinzip aufzuheizen. So kann man das Warmwasser genau nach Bedarf und höchst effizient aufbereiten, statt es stundenlang in einem grossen Speicher vor­zuheizen. Die Wärmeverteilung inklusive Heizkörpern wurde belassen. Die Umbauarbeiten beschränkten sich vorerst auf die Technik­räume im Keller. Die Mieterinnen und Mieter werden nur durch die Entfernung der alten Etagen-Elektroboiler tangiert.
Der Umbau des Heizsystems war dank der grosszügigen Platzverhältnisse einfach. Denn noch vor der Gasheizung war im Gebäude einmal eine Ölheizung installiert. «Den alten Tank hatte man nie angerührt. Wir haben ihn zurückgebaut und können damit den alten Tankraum für die Serverheizung nutzen», erläutert Stephan Février, verantwortlicher Projektleiter bei IWB. Der neue Speicher und die Frisch­wasserstation fanden problemlos im Nebenraum Platz. Für die Mieterinnen und Mieter werde der Komfort zunehmen, meint Stephan Février: «Sie werden mehr Platz im Badezimmer haben, weil die alten Boiler entfernt werden.» Für den Hauseigentümer lohnt sich das Pilotprojekt ebenfalls. Er muss für die Serverheizung keinen Investitionsbeitrag leisten und sich nicht um Betrieb und Auslastung der Server kümmern.

Neue Alternative?
Das Potenzial von IT-Abwärmenutzungen im Kleinformat sieht man auch beim Gebäudetechnik-Branchenverband suissetec. Robert Diana, Leiter Fachbereich Heizungen, gibt jedoch einige Punkte zu bedenken: «Bei Wohngebäuden rechnet man mit einer Lebensdauer von mindestens 50 Jahren. Ein klassischer Wärmeerzeuger sollte es deshalb auf mindestens 15 Jahre bringen. Falls die Technik für eine Insellösung wie Miniserverheizungen in 5 oder 10 Jah­ren nicht mehr verfügbar sein sollte, kann ein Versorger wie IWB sicher eine Alternative finden. Jedoch könnten private Eigentümer in Schwierigkeiten geraten, falls die Lebensdauer der Komponenten zu kurz ist.»
Welche Rolle die Serverheizungen in einigen Jahren spielen werden, kann noch niemand sagen. Stephan Février von IWB ist jedoch vom Potenzial der Technik überzeugt: «Serverheizungen sind eine tolle Alternative zu Pelletheizungen oder Wärmepumpen. Gerade in Quartieren, die nicht am Fernwärmenetz hängen, ist das interessant.» Obwohl der Pilotversuch im urbanen Gebiet läuft, soll die Technik nicht
nur in der Stadt Basel angeboten werden. «Wir erhalten schon heute viele Anfragen aus der ganzen Schweiz», berichtet Stephan Février, «deshalb möchten wir das Produkt landesweit anbieten.» Vorgesehen sind einerseits ein Contracting, also die «Flatrate-Heizung» inklusive Betrieb und Wartung, aber auch Anlagen, die vom Gebäudeeigentümer betrieben werden. Von daher müssen Baugenossenschaften nicht unbedingt warten, bis in ihrer Nähe ein Rechenzentrum entsteht – vielleicht können sie es auch ins eigene Haus holen.

Viel verpuffte Wärme

In den meisten Serverräumen und ­Rechenzentren ist es ohrenbetäubend laut. Der Grund sind die unzähligen Lüfter und Ventilatoren, welche die Abwärme von Computern und Netzwerkkomponenten abführen müssen. Denn die Luftkühlung galt in der IT-Branche lange Zeit als wenig hinterfragter ­Standard. Die immer grösseren Datencenter und höheren Stromrechnungen führten zu einem langsamen Umdenken. Inzwischen gilt auch die Flüssigkeitskühlung als interessant. Je nach Temperatur der Computer, Server oder Komponenten kommt dafür Wasser oder Öl in Frage. Flüssigkeiten sind wesentlich bessere Wärmeleiter als Luft, weshalb die Abwärme bei solchen Systemen auch besser genutzt werden kann.
Nach wie vor wächst der Strom-verbrauch der IT-Branche von Jahr zu Jahr.

Ein Grund dafür ist die Cloud: Immer mehr Websites, Apps und Dienstleistungen benötigen viel Rechenleistung und Speicherplatz. Dieser wird nur noch selten an einem einzigen Ort konzentriert, sondern meistens auf viele verschiedene, geographisch oft weit entfernte Rechenzentren verteilt. Cloud-Server unterstehen der Gesetzgebung des Landes, in dem sie stehen. Das macht den Datenschutz ausgesprochen löchrig und bewegt deshalb immer mehr Unternehmen und Behörden dazu, auf «nationale» Clouds mit Datenverarbeitung und -speicherung im eigenen Land umzusteigen.
Bis jetzt steht jedenfalls eines fest: Die Nachfrage nach Clouds wird nicht so rasch zurück­gehen, hingegen dürften immer differenziertere Angebote entstehen, zum Beispiel 100% Hosting in der Schweiz mit Ökostrom.