Auf dem Vetropack-Areal in Bülach (ZH) entsteht ein neues Quartier

Ziel: hohe Dichte

Elf Architektenteams entwarfen Vorschläge für das Stadtquartier der Zukunft. Es entsteht beim Bahnhof Bülach, wo die gemeinnützigen Bauträgerinnen Logis Suisse AG und Baugenossenschaft Glattal Zürich (BGZ) zusammen mit der Projektentwicklerin Steiner AG rund 600 Wohnungen und 20 000 Quadratmeter Gewerbe- und Dienstleistungsflächen planen.

Von Richard Liechti | Bild: Wohnen | Mai 2016

Kurz nach der Jahrtausendwende erlebte das Städtchen Bülach, einst schweizweit bekannt wegen der dort produzierten Einmachgläser, seinen Industrie- GAU. Gleich drei grosse Unternehmen schlossen ihre Pforten für immer. «Fast innert Monatsfrist war der Industriestandort Bülach am Ende», erinnert sich Stadtrat Hanspeter Lienhart. Plötzlich mussten gleich mehrere Fabrikareale, darunter dasjenige der traditionsreichen Glashütte, neu genutzt werden. Zuerst habe man zwar auf eine Wiederbelebung des Werkplatzes gehofft, doch der Bedarf sei schlicht nicht da gewesen, erklärt Hanspeter Lienhart. Bald erkannte man im nunmehr rasch wachsenden Bülach, dass eine Mischnutzung von Wohnen, Dienstleistung und Gewerbe der Entwicklung als Regionalzentrum förderlicher wäre.

Gemeinnützige Bauträger willkommen

Nun ging es darum, sich vom bisherigen Prinzip der Trennung von Industrie- und Wohnzonen zu lösen. Ein langwieriger politischer Prozess setzte ein, in dessen Zuge auch knifflige Fragen um die Verkehrsplanung oder das Raumplanungsrecht zu lösen waren. Eine Testplanung bildete die Grundlage, um schliesslich einen öffentlichen Gestaltungsplan aufzulegen. Sechzig bis siebzig Prozent Wohnanteil sah dieser nun vor, um den städtischen, aber auch den regionalen Bedürfnissen gerecht zu werden. Und noch eine Einsicht setzte sich durch. Durchmischung brauche es auch bei der künftigen Eigentümerschaft der vielen neuen Wohnungen. «Gemeinnützige Bauträger», so Hanspeter Lienhart, «sind deshalb in Bülach herzlich willkommen.» Die Industriebauten auf dem Vetropack-Areal sind längst abgebrochen. In Bülach Nord entsteht nun Wohnraum für zweitausend Menschen und Gewerbefläche für einige hundert Arbeitsplätze. Bild: Wohnen Dies sind keine leeren Worte. Dank der Vermittlung des Regionalverbands Zürich von Wohnbaugenossenschaften Schweiz kamen auf dem Glashütte-Areal nämlich zwei gemeinnützige Wohnbauträger zum Zug. 2012 erwarben die Logis Suisse AG und die Baugenossenschaft Glattal Zürich 40 000 Quadratmeter Land von der Vetropack AG. Für die Projektentwicklung und Ausführung schlossen die beiden Bauträgerinnen einen Vertrag mit der Zürcher Totalunternehmung Steiner AG. Dabei werden BGZ und Logis Suisse rund 400 kostengünstige Mietwohnungen mit öffentlicher Sockelnutzung anbieten. Logis Suisse und Steiner erstellen zudem 150 Eigentumswohnungen. Auf einem Drittel des Areals sind Gewerbekomplexe vorgesehen. Insgesamt sollen rund 96 000 Quadratmeter Geschossfläche entstehen.

Die Zürcher Duplex Architekten vermochten sich gegen nationale und internationale Konkurrenz durchzusetzen.

Das zweite Projekt in der Endrunde stammt vom dänischen Büro BIG Bjarke Ingels Group.

Dichter als Hunziker-Areal

Wie das künftige Stadtquartier aussehen soll, liess Steiner mittels eines einstufigen städtebaulichen Studienauftrags ermitteln, zu dem neben hiesigen Architekturbüros auch internationale Grössen eingeladen waren. Nachdem der Gestaltungsplan im Dezember 2015 Rechtskraft erlangte, präsentierte man die Beiträge der elf Architektenteams der Öffentlichkeit. Dabei ging Jurypräsident Stefan Cadosch auf ein besonderes Merkmal der Wettbewerbsaufgabe ein. Gefordert war nämlich explizit eine hohe Dichte. Nur so ist gewährleistet, dass keine weitere Schlafstadt, sondern das von der Stadt geforderte «lebensfähige» Quartier entsteht. Die maximale Ausnützungsziffer – sie bezeichnet das Verhältnis der Bruttogeschossfläche zur Grundstücksfläche – soll hier bei 2,3 liegen. Zum Vergleich: Auf dem Hunziker-Areal in Zürich Leutschenbach (Leitspruch: «Wir bauen ein Quartier, keine Siedlung») beträgt sie nur 1,4. Das Glashütte-Areal ist denn auch das einzige der vier neuen Baugebiete, wo der Gestaltungsplan den Bau von Hochhäusern vorsieht – eine Möglichkeit, die die meisten Wettbewerbsteilnehmer nutzten. Stefan Cadosch brach denn auch eine Lanze für die Dichte und gegen den unseligen Begriff «Dichtestress», der derzeit grassiert. Zum einen hätten in unse rem Land noch nie so wenige Menschen pro Quadratmeter Fläche gelebt wie heute, so dass zumindest in den eigenen vier Wänden kaum von mehr Stress zu reden sei. Zum andern sei es heute wieder attraktiv, in belebten Zentren mit ihrem grossen Angebot und den kurzen Wegen zu leben. Kurz: Gut gestaltete und wohnliche Dichte sei gefragt wie nie. Effiziente Verkehrssysteme, genügend öffentliche Räume, aber auch ökonomisch vertretbare Miet- und Eigentumsformen seien weitere Erfolgsfaktoren für funktionierende Ballungszentren. Diese Ansprüche seien nur mit richtungsweisenden architektonischen Konzepten zu erreichen.

Viel Lob erhielt auch das Projekt von Pool Architekten, Zürich, dessen klar gefasste Blockrandüberbauungen einen Stadtteil mit eigenständigem Charakter bilden.

Zweifellos der spektakulärste Entwurf stammt vom Rotterdamer Büro MVRDV Architekten. Sie gruppieren einen Kreis von Bauten um ein «grünes Herz», so dass mitten in der Siedlung ein Stück Wald entsteht, und knüpfen so an die beiden grossen Waldflächen in der Umgebung an.

Knapkiewicz Fickert Architekten kommen ganz ohne Hochhaus aus und entwerfen dafür ein «kompromissloses, dichtes Stadtmodell» (Jury), das im orthogonalen Raster über die Topographie gelegt ist.

Mit einer Abfolge von grossen Höfen will das Projekt von Ernst Niklaus Fausch Architekten ein neues Stück Stadt schaffen.

Schwierige, aber typische Lage

Dabei bedeutete die Lage des Vetropack- Areals einen weiteren Stolperstein. Es liegt zwar nahe beim Bahnhof Bülach, aber eben auch direkt an den Geleisen, wo nicht nur die Personenzüge, sondern auch die scheinbar endlosen Güterwagen mit dem Weiacher Kies vorbeidonnern. Eine vielbefahrene Strasse führt an einem Teil des Geländes vorbei, ebenso eine Autobahnbrücke. Solche nicht ganz einfachen Entwicklungsgebiete gebe es in der Schweiz noch viele, hielt Stefan Cadosch fest. Dem Studienauftrag misst der Jurypräsident deshalb umso grösseren Modellcharakter bei. Der Strauss von Ansprüchen habe denn auch überraschende und faszinierende Vorschläge hervorgebracht. Wohnen stellt deshalb hier für einmal nicht nur das Siegerprojekt, sondern eine Auswahl der Wettbewerbsbeiträge vor.