WBG Bümpliz kleidet Hochhaus mit Photovoltaikmodulen ein

54 Meter hohes Solarkraftwerk

Die Wohnbaugenossenschaft Bümpliz nahm eine bauliche Erneuerung zum Anlass, ihr Hochhaus Stapfenstrasse 45 mit 1200 Photovoltaikmodulen auszustatten. Damit deckt sie rund einen Drittel des Strombedarfs von Gebäude und Bewohnerschaft. Dank dicker Dämmung, neuem Blockheizkraftwerk und dem Einbau einer kontrollierten Lüftung erreicht der mehr als vierzigjährige Bau Minergie-P-Werte.

Von Paul Knüsel | Bilder: Martin Bichsel, zVg | April 2017

Der Westen von Bern ist die Vorstadtempore der Schweiz. Nirgends sonst häufen sich die Wohnblocks mit einem Panoramablick aus fünfzig bis sechzig Metern Höhe. Fast vierzig Hochhäuser, mehrheitlich zwischen 1960 und 1980 erbaut, füllen den Raum Bümpliz–Bethlehem. Bei manchen passt allerdings der Wohnraum kaum mehr zur privilegierten Aussicht. Nicht so das zuletzt erstellte Hochhaus, das im Fellergut an der Stapfenstrasse 45 steht. Ein grosser Teil der 134 Wohnungen im 54 Meter hohen Gebäude sind grosszügig, mit vielen Zimmern und sogar auf zwei Etagen angeordnet. Der zwanzigstöckige Plattenbau wurde 1973 in der Nähe des S-Bahnhofs ausschliesslich für Mitarbeiter der Bundesverwaltung erstellt.

95 Prozent für Eigenbedarf
Inzwischen ist die Wohnbaugenossenschaft Bümpliz Besitzerin dieser Immobilie, die für gemeinnützigen, grosszügigen und preisgünstigen Wohnraum steht. Doch neuerdings ist die Liegenschaft auch ein sichtbares Symbol der dezentralen Energiezukunft. Am 1. Mai wird nämlich der Schalter gedreht, so dass 1200 Photovoltaikmodule an den vier Fassaden und auf dem Dach Strom erzeugen. 95 Prozent des selbst produzierten Stroms werden vor Ort konsumiert; damit ist ein Drittel des Bedarfs für Gebäudebetrieb und Haushalte abgedeckt. Temporäre Überschüsse werden ins öffentliche Stadtnetz eingespeist.
Die Eigenproduktion ist auch ein sozial und ökonomisch ausgleichendes Modell. Die WBG Bümpliz und der städtische Energieversorger Energie Wasser Bern (ewb) haben einen Strompreis vereinbart, der mit dem Normaltarif vergleichbar ist. Die Bewohner haben zudem eine Verbrauchsvereinbarung unterschrieben, die den Mietvertrag ergänzt und den Bezug von selbst produziertem Strom für die nächsten 20 Jahre zu einem fixen Preis garantiert, wie Christoph Deutschle, ewb-Projektleiter Produktionsportfolio, bestätigt.

Die Anordnung der Module musste mit der Berner Stadtbildkommission bereinigt werden.

1200 Photovoltaikelemente bedecken die Fassade.

Solarfassaden als architektonischer Faktor
Wohnhäuser, die sich teilweise oder ganz mit eigener Energie versorgen können, sind keine technischen Exoten mehr. Inzwischen bemühen sich Architekten und Solarfachleute bei einigen solcher Pilotprojekte um eine unauffällige und dezente Gestaltung. An der Stapfen­strasse ist die solare Ummantelung dagegen leicht erkennbar: Die Photovoltaikmodule glänzen schwarz und präsentieren das konventionelle Rasterbild. Ihre Anordnung ist dagegen ein Verhandlungsresultat, das zwischen Genossenschaft und Berner Stadtbildkommission bereinigt werden musste.
Damit die Baubewilligung erteilt werden konnte, wurden sogar wesentliche Änderungen empfohlen. Das Hochhaus ist nur noch auf der Eingangsseite komplett mit PV-Modulen eingedeckt. An den übrigen Stellen wurde der PV-Anteil auf horizontale und vertikale Bänder beschränkt. Das Muster erinnert deshalb an die Metallgitter, die an den originalen Gebäudefassaden ebenfalls aneinandergereiht sind. Genossenschaftspräsident Fritz Roth wundert sich im Nachhinein, wie lange die gestalterische Optimierung gedauert hat. «Die Solarfassaden wurden ein Jahr nach Gesuchseingabe bewilligt. Wir konnten damit erst beginnen, als die Sanierung des Innenlebens längst in Angriff genommen worden war.»

Minergie-P-Werte
Die Photovoltaikanlage auf dem Dach und an den Wänden wird von ewb selbst betrieben. Das Stadtwerk hatte sich bereits um die Installation der Solarfassaden gekümmert und ist weiterhin dafür verantwortlich, dass die Stapfenstrasse 45 jederzeit ausreichend mit Strom versorgt wird. Ergänzend wurde vereinbart, dass ein dezentrales und CO2-armes Heizsystem betrieben wird. Der bisherige Gasbrenner wurde durch ein Blockheizkraftwerk ersetzt, das die Energie für Heizwärme und warmes Wasser liefert und zusätzlich Strom produziert.
Aus der Not eine Tugend zu machen, war für die gesamte Sanierung dieses grossformatigen Wohngebäudes das prägende Prinzip. Ursprünglich waren es Schäden an der internen Wasserversorgung, die es zu beheben galt. Dann entschied der Genossenschaftsvorstand, die sanitäre und haustechnische Erschliessung umfassend instand zu stellen und zu erneuern. Ebenso wurde das Programm mit Massnahmen für die Erdbebensicherheit erweitert. Und weil die Finanzierung aus gemeinnützigen Förderquellen eine energietechnische Sanierung voraussetzt, wurde auch die Gebäudehülle vorbildlich eingepackt. Die neuen Fenster sind dreifach verglast und die Wände derart gut gedämmt, dass der Minergie-P-Standard erreicht werden kann.

Dank neuer Dreifachverglasung (mit integrierter Store) und Wärmedämmung erreicht das Hochhaus Minergie-P-Werte.

Stützen gewährleisten zeitgemässen Erdbebenschutz.

Wohnkomfort verbessert
Doch damit nicht genug: Auch der Komfort ist im 54 Meter hohen Wohnhaus räumlich und technisch so gezielt wie möglich verbessert worden. In den Entrees der Grosswohnungen wurden einzelne Wände verschoben, um Platz für ein zusätzliches WC zu schaffen. Aber auch alle übrigen Wohnungen haben neue sanitäre Einrichtungen und Armaturen erhalten. Zusätzlich sind die Wohnungen mit Komfortlüftungen ausgerüstet. «Davon profitieren alle Bewohner, die zuvor durch den Bahnlärm gestört wurden», ergänzt Genossenschaftspräsident Roth.
Die Planung begann 2012 mit der Prüfung möglicher Sanierungskonzepte und -varianten; zwei Jahre später folgte die Orientierung der Genossenschafter. Ebenfalls im Voraus wurde das Vorgehen mit der kantonalen Förderstelle für gemeinnützigen Wohnungsbau abgesprochen. Man entschied sich dafür, die bereits geräumigen Grundrisse nicht zu verändern. Und weil die Küchen erst acht Jahre zuvor erneuert worden waren, konnten sie belassen werden.

Mindestbelegung angestrebt
Für die Instandsetzung und Sanierung hat die WBG Bümpliz einen Totalunternehmer beauftragt, der bereit war, das Hochhaus im bewohnten Zustand zu sanieren. Trotz frühzeitiger ­Information und guter Vorarbeiten kam es während der Bauphase zu unverhofft häufigen Klagen. Die Arbeiten im Gebäude wurden auf drei bis vier Monate veranschlagt. Mit mobilen Campingtoiletten sowie zentralen WC- und Duschcontainern wurde die Zeit überbrückt, während der die Nasszellen nicht benutzbar waren. Zusätzlich erliess die Genossenschaft den Mietzins für einen Monat. Weil die Abläufe verzögert wurden, erhöhte man die Rückerstattung um einen halben Monatsbetrag. Fritz Roth äussert seinerseits Verständnis für die Beschwerden aus der Bewohnerschaft: «Wie die Handwerker teilweise organisiert waren und gearbeitet haben, hat mich ebenfalls enttäuscht.»
Im Voraus hatte man Zinserhöhungen von 55 Prozent angekündigt, was bis heute gültig ist. Erneuerte 4 ½-Zimmer-Duplexwohnungen mit einer Fläche von 94 Quadratmetern kosten neu 1450 Franken inklusive Nebenkosten. Temporäre Leerstände waren deshalb schnell wieder gefüllt. Tatsächlich zog bis zum Abschluss der Sanierung fast ein Viertel aus der Mieterschaft weg. Der Umzug in eine kleinere Wohnung stand für viele im Vordergrund. «Da wir eine Mindestbelegung anstreben, haben wir mit einzelnen Genossenschaftern selbst das Gespräch gesucht», bestätigt Fritz Roth. Ersatzwohnungen wurden vor allem Familien mit Kindern angeboten. Einige sind in benachbarten, ebenfalls genossenschaftlich organisierten Wohnsiedlungen fündig geworden. Die Wenigsten müssen darum auf ihre privilegierte Aussicht auf die Berner Vorortslandschaft verzichten.

Baudaten

Bauträgerin:
Wohnbaugenossenschaft Bümpliz, Bern
Generalunternehmung:
Swissrenova AG, Münsingen
Contracting PV-Anlage, Heizsystem:
Energie Wasser Bern (ewb)
Umfang:
Hochhaus, 134 Wohnungen, Sanierung innen und aussen
Baukosten:
25 Mio. CHF total
186 000 CHF/Wohnung

Mietzinsbeispiele:
3 ½-Zimmer-Wohnung
alt: 710 CHF plus 105 CHF NK
neu: 995–1075 CHF plus 65 CHF NK* 4 ½-Zimmer-Wohnung
alt: 860 CHF plus 148 CHF NK
neu: 1202–1412 CHF plus 90 CHF NK*
5-Zimmer-Wohnung
alt: 970 CHF plus 181 CHF NK
neu: 1385–1579 CHF plus 110 CHF NK*
*Die NK vermindern sich, da die individuellen Energiekosten dem Mieter künftig direkt von Energie Wasser Bern verrechnet werden.