Studie «Gemeinnütziges Wohnen im Fokus» liefert Zahlen zur Bewohnerschaft der Genossenschaften

Transparenz schaffen

Die Frage, wer in den Genossenschaften wohnen soll, wird viel diskutiert. Seit längerem fehlen gesamtschweizerische Zahlen. Eine kürzlich erschienene Studie des Bundesamts für Wohnungswesen bietet erstmals wieder eine detaillierte Analyse des gemeinnützigen Sektors. Sie zeigt: In Genossenschaften leben vorwiegend Menschen, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind. Auch sonst stellt sie den Genossenschaften ein gutes Zeugnis aus.

Von Lea Gerber | Bild: Archiv WOHNEN, zVg | Dezember 2017

Sind Genossenschaftswohnungen wirklich günstiger als entsprechende Mietwohnungen anderer Anbieter? Leben in gemeinnützigen Wohnungen tatsächlich Menschen, die auf eine günstige Wohnung angewiesen sind? Und wie viel Wohnfläche verbrauchen Genossenschaftsbewohner eigentlich? Diese Fragen konnten bisher nur punktuell beantwortet werden. Die letzte Studie, die sich diesen Themen umfassend widmete, stammt aus dem Jahr 2004. Nun liefert die Forschungsstelle sotomo im Auftrag des Bundesamts für Wohnungswesen erstmals wieder eine detaillierte Analyse des gemeinnützigen Segments.

Preisunterschied noch grösser geworden
Besonders an begehrten zentralen Lagen sind Genossenschaftswohnungen markant günstiger als konventionelle Mietwohnungen. In Schweizer Grossstädten kosten kommerzielle Mietwohnungen pro Quadratmeter im Durchschnitt einen Viertel mehr als Genossenschaftswohnungen. In grossen Agglomerationen und kleinen Kernstädten beträgt die Differenz 15 Prozent. Grund für den Preisunterschied ist die Kostenmiete. Diese zeigt besonders an zentralen Lagen ihre Wirkung: Während Genossenschaften nur die anfallenden Kosten inklusive Rückstellungen verrechnen, können kommerzielle Anbieter an attraktiven Lagen teure Mieten verlangen und hohe Renditen erzielen.
Die Studie zeigt ferner, dass sich die Schere zwischen den übrigen Miet- und den gemeinnützigen Wohnungen seit dem Jahr 2000 weiter geöffnet hat. Auch wenn nur Neubauten mit­einander verglichen werden, sind gemeinnützige Wohnungen kostengünstiger als konventionelle Mietwohnungen. Der Quadratmeterpreis von neuen Mietwohnungen liegt um fast 14 Prozent über jenem von neuen Genossenschaftswohnungen. Im Jahr 2000 war der entsprechende Preisunterschied noch deutlich kleiner.

Zwischen Miete und Eigentum
Die Bewohnerschaft der Genossenschaften ähnelt in mehrerer Hinsicht derjenigen des selbstbewohnten Eigentums. In beiden Eigentumsformen leben mehr Kinder und mehr ältere Personen als in Mietwohnungen. Anders beim Migrationsprofil: Der Ausländeranteil in Genossenschaften ist zwar geringer als in anderen Mietwohnungen. Die Aufschlüsselung nach Herkunftsländern zeigt jedoch, dass in den Genossenschaften einzig Ausländer aus wohlhabenden Ländern untervertreten sind. Stark übervertreten sind eingebürgerte Schweizerinnen und Schweizer. Insgesamt leben in Genossenschaften gleich viele Menschen mit Migrationshintergrund wie in anderen Mietwohnungen.

Deutlich tieferes Bildungsniveau
In den Genossenschaftswohnungen leben überproportional viele Menschen mit einem tiefen Bildungsniveau. Dies ist insofern erstaunlich, als sich die Genossenschaften in urbanen Zentren konzentrieren, wo das Bildungsniveau allgemein hoch ist. Die der Studie zugrunde liegenden Daten enthalten keine Angaben zur finanziellen Situation der Haushalte. In der Strukturerhebung (siehe Kasten) werden jedoch der ausgeübte Beruf, die Branche, die Firmengrösse sowie die Stellung im Beruf erfragt. Auf Basis dieser Angaben kann ein Berufsstatus berechnet werden, der Rückschlüsse über die Einkommenssituation in den Haushalten erlaubt. Dieser Berufsstatus-Index zeigt, dass in Genossenschaftswohnungen tatsächlich überproportional viele Personen mit geringeren finanziellen Ressourcen leben.

Monatliche Nettomiete pro Quadratmeter Wohnungsfläche nach Siedlungstyp und Eigentumsform.

Ausländische Bewohnerschaft nach Herkunftsregionen.

Berufsstatus nach Eigentumsform.

Gebäudefläche pro Person nach Siedlungstyp und Eigentumsform.

Mittel gegen soziale Verdrängung
An begehrten zentralen Standorten ist das Preisniveau in den letzten Jahren stark gestiegen. Kommen die dort gelegenen markant günstigeren Genossenschaftswohnungen auch wirklich denen zugute, die darauf angewiesen sind und im konventionellen Mietsektor längerfristig verdrängt würden? Um diese Frage zu beantworten, haben die Autoren der Studie in verschiedenen Boomregionen die Entwicklung des Berufsstatus untersucht. Dabei wurde deutlich, dass der Anteil Gutausgebildeter in den Mietwohnungen viel stärker zugenommen hat als in den Genossenschaften. Dies zeigt, dass gemeinnützige Bauträger der Verdrängung schwächerer Bevölkerungsgruppen entgegenwirken.

Kleiner ökologischer Fussabdruck
Die Studie entkräftet ferner ein Argument, das von wirtschaftsliberalen Kreisen gerne ins Feld geführt wird: nämlich, dass die effiziente Nutzung des Bodens über den Preis gesteuert wird. Obwohl Genossenschaftswohnungen günstiger sind als vergleichbare Mietwohnungen, leisten sich ihre Bewohner nicht mehr Wohnraum. Im Gegenteil: Durchschnittlich verbrauchen sie pro Kopf deutlich weniger Fläche als konventionelle Mieter oder Wohneigentümer. Dies beweist, dass die bei Genossenschaften weit verbreiteten Belegungsvorschriften greifen. Betrachtet man den Grundflächenverbrauch eines ganzen Gebäudes pro Person, ist der Flächenverbrauch von Genossenschaftsbewohnern dank der dichteren Bauweise noch tiefer. Dazu kommt, dass die Wohnfläche pro Kopf bei Genossenschaften seit der Jahrhundertwende nur noch geringfügig gewachsen ist, während sie bei den Mietwohnungen und im Eigentum immer noch stark angestiegen ist.

Zur rechten Zeit
Nun ist es also wieder statistisch erhärtet: Gemeinnützige Bauträger wirken dem Preisdruck, der sozialen Entmischung und dem steigenden Flächenverbrauch entgegen und haben somit in vielerlei Hinsicht einen positiven Effekt auf den Wohnungsmarkt. Die Studie kommt zur rechten Zeit: In den nächsten Monaten und Jahren stehen Entscheide zu einem neuen Rahmenkredit für den Fonds de Roulement und zur Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» an. Die guten Noten, die die Studie den Genossenschaften gibt, sind den Anliegen des gemeinnützigen Wohnungsbaus sicher förderlich.


Die Studie «Gemeinnütziges Wohnen im Fokus – Ein Vergleich zu Miete und Eigentum» kann auf den Websites des Bundesamts für Wohnungswesen und von Wohnbaugenossenschaften Schweiz heruntergeladen werden.

Zu den Datengrundlagen

Die wichtigsten Datengrundlagen für die Studie sind die Struktur-erhebungen aus den Jahren 2010 bis 2014, das Personenregister Statpop, die Gebäude- und Wohnungsstatistik sowie die Volkszählung aus dem Jahr 2000. Bei der Strukturerhebung wird ein kleiner Teil der Bevölkerung schriftlich befragt. Die ausgewählten Personen werden gebeten, Angaben zu ihrer Person und zu ihrem Haushalt zu machen. In der neuen Volkszählung seit 2010 wird die Eigentümerschaft von Gebäuden und Wohnungen nicht mehr erhoben. Die gemeinnützigen Wohnungen wurden daher durch ein indirektes Verfahren identifiziert.

Das BWO hat in Zusammenarbeit mit Wohnbaugenossenschaften Schweiz und Wohnen Schweiz eine Datenbank mit den Gebäudeadressen der gemeinnützigen Bauträger erstellt. Diese wurde vom Bundesamt für Statistik mit der Gebäude- und Wohnungsstatistik sowie mit der Strukturerhebung verknüpft. Die Eigentumswohnungen konnten direkt aus den Selbstangaben in der Strukturerhebung gezogen werden. Als Mietwohnungen wurden schliesslich jene gezählt, die weder als gemeinnützige Wohnungen noch als Eigentumswohnungen identifiziert wurden.

Drei Fragen an den Autor Michael Hermann

Michael Hermann studierte Geographie, Volkswirtschaft und Geschichte an der Universität Zürich. Er ist Geschäftsführer der Forschungsstelle sotomo und Mitautor der Studie.

Welches Resultat hat Sie am meisten erstaunt?
Am meisten überrascht hat mich, dass die Preisdifferenz zwischen den Miet- und den Genossenschaftswohnungen über die letzten Jahre noch zugenommen hat. Gerade der Direktvergleich der Neubauwohnungen zeigt eindrücklich, wie die Schere weiter auseinandergeht. Spannend war für mich auch, zu sehen, dass Genossenschafts­wohnungen, obwohl sie günstiger sind, effizienter genutzt werden.

Politiker fordern immer wieder Einkommenslimiten für Genossenschaftswohnungen. Nun zeigt die Studie, dass in Genossenschaften tendenziell Menschen mit geringeren finanziellen Ressourcen leben. Reguliert sich der gemeinnützige Sektor selbst ausreichend?
Es gibt eine Selbstregulierung in Genossenschaften. Wie die Studie zeigt, leben Genossenschaftsbewohner relativ eng. Menschen, die sich mehr Komfort leisten können, suchen sich früher oder später etwas Grösseres. Das Vorurteil, dass in Genossenschaften viele gutausgebildete Teilzeitarbeitende wohnen, die freiwillig auf einen höheren Lohn verzichten, stimmt nicht. Die Quote der Teilzeitarbeitenden ist ähnlich hoch wie im Eigentumsbereich. Gemeinnütziger Wohnungsbau ist ja nicht gleich subventionierter Wohnungsbau. Solange keine Subventionen im Spiel sind, hat auch niemand etwas zur Bewohnerschaft zu sagen. Bei einem erhöhten Subventionsanteil – etwa bei städtischen Wohnungen – soll man die Mieterschaft durchaus besser überprüfen.

Im nächsten Jahr entscheidet das Parlament über einen neuen Rahmenkredit für den Fonds de Roulement. Etwas später wird das Stimmvolk über die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» abstimmen. Welche Bedeutung hat die vorliegende Studie vor diesem Hintergrund?
Das kann ich nicht abschliessend beurteilen. Unser Ziel war, Transparenz herzustellen, eine Diskussions-grundlage zu liefern. Ich selber war erstaunt, wie gut der gemeinnützige Wohnungsbau in allen Dimensionen abschneidet. Das hat mich beeindruckt. Vielleicht beeindruckt es andere ja auch.