Genfer Genossenschaft erprobt ressourcenschonende Wassernutzung

Neue Klo-Kultur

Tag für Tag spülen Herr und Frau Schweizer gut vierzig Liter Trinkwasser die Toilette hinunter. Das Bewusstsein für eine ressourcenschonende Wassernutzung steigt aber nur langsam. Eine Ausnahme bildet die Genfer Coopérative Équilibre, die verschiedene Verfahren in der Praxis erprobt.

Von Thomas Bürgisser | Bilder: Simone Kaspar de Pont | September 2016

Nach dem Toilettengang nicht spülen – das mag in vielen Ohren seltsam klingen. Für die Bewohner der Überbauung Cressy in Confignon bei Genf aber ist dies Alltag. Ihre Hinterlassenschaften landen über ein offenes Rohr mit dreissig Zentimetern Durchmesser vom WC direkt in einem Kompostbehälter im Keller und werden dort von Würmern und Mikroorganismen zu nährstoffreicher Erde verarbeitet. Spülwasser braucht es dafür nicht. Und auch das Abwasser aus Küche und Badezimmer wird in einer Pflanzenkläranlage vor Ort soweit gereinigt, dass es wie Regenwasser bedenkenlos abgeleitet werden kann. Resultat: sechzig Pro- Genfer Genossenschaft erprobt ressourcenschonende Wassernutzung Neue Klo-Kultur zent weniger Trinkwasserverbrauch, eine grüne Umgebung und ein nährstoffreicher Gartenboden.

Vom Kot zur Komposterde

Tatsächlich gehe der Trend allgemein hin zur Selbstversorgung der Haushalte, sagt Marta Kwiatkowski Schenk, Trendforscherin am Gottlieb- Duttweiler-Institut, «angefangen bei Strom von Solaranlagen bis hin zum Urban Gardening ». Da sei der Abwasserkreislauf mit den enthaltenen Nährstoffen ein logischer weiterer Schritt. Ausserdem mache es durchaus Sinn, sich bewusster mit dem Wasserverbrauch auseinanderzusetzen. «Zwar haben wir in der Schweiz gemäss Experten genügend Wasser, so dass es in Privathaushalten auch künftig kaum Probleme geben wird. Doch es kann zu lokalen und saisonalen Knappheiten kommen.» Nachhaltige Wassernutzung ist eines der wichtigsten Anliegen der Coopérative Équi libre. Die Überbauung Cressy war 2010 das erste Projekt dieser Genossenschaft: dreizehn Wohnungen verteilt auf drei Etagen. Dabei spielten auch ökologische Überlegungen eine Rolle, wird Abwasser in Kläranlagen doch auch mit Einsatz von Chemie gereinigt. «Der Planungs- und Installationsaufwand war gross», erzählt Projektleiterin Uli Amos von Équilibre. Denn die Abflussrohre benötigen viel Platz, müssen gerade verlaufen und bei übereinanderliegenden Wohnungen versetzt geführt sein, so dass Urin und Fäkalien aus jeder Wohnung im eigenen Kompost landen. Daraus entnehmen die Bewohner alle ein bis zwei Jahre die Komposterde und bringen sie auf ihren Gartenbeeten aus. Eklig? «Überhaupt nicht», sagt Uli Amos. «Die Beigabe von Sägemehl direkt nach dem Toilettengang sowie ein Luftabzug sorgen dafür, dass keine Gerüche entstehen. Und die Erde ist wirklich komplett kompostiert. » Die Bewohner seien begeistert vom System, bekräftigt sie.

Von aussen betrachtet sehen die Toiletten in der Überbauung Cressy ziemlich normal aus.

Hier wird aber nicht mit Wasser gespült. Vielmehr landen Fäkalien und Urin über ein Rohr direkt in einem Kompostierbehälter im Keller.

Das Innere des WCs kann bei Bedarf zur Reinigung entnommen werden.

Die Komposterde, die aus Fäkalien und Urin gewonnen wird, kommt unter anderem in den Gartenbeeten zum Einsatz.

Spülung mit viel Sparpotential

«Im Wohnbereich könnte Wasser an verschiedenen Stellen ressourcenschonender genutzt werden», erklärt Kai Udert vom Wasserforschungsinstitut Eawag Dübendorf. So könne die Wärme des Abwassers im Haushalt oder später in der Kanalisation zurückgewonnen werden. Auch Regenwasser werde bereits oft für den Garten genutzt und immer mehr auch für Toilettenspülungen. Allgemein kommen beim Thema der nachhaltigen Wassernutzung schnell die Toiletten ins Spiel – ein Bereich, der noch lange nicht fertig erforscht ist. Wie sehr sich die Forschung aber lohnt, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Ein durchschnittlicher Schweizer setzt rund dreissig Prozent seines täglichen Trinkwasserverbrauchs für die Toilettenspülung ein. Das sind 41 Liter Trinkwasser pro Tag, die fast ungenutzt in der Kanalisation verschwinden. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen Toiletten, bei denen mit Wasser gespült wird, und Trockentoiletten, die ohne Wasser auskommen. Bei Letzteren gibt es die Variante mit und ohne Trennung von Urin und Kot. Die Gründe für die Trennung können vielseitig sein, angefangen bei der unterschiedlich aufwendigen Klärung über den höheren Nährstoffgehalt im Urin bis hin zum Spülwasserbedarf. Oft werden zumindest die Fäkalien weiterhin mit Wasser gespült, auch aufgrund der Installationen. «Unsere Lösung kann höchstens für ein dreistöckiges Gebäude realisiert werden, da ansonsten die Fallhöhe zu hoch ist», sagt Uli Amos. Hinzu komme der grosse Platzbedarf der Fallrohre.

Abwasser rückgewinnen

Deshalb hat sich die Coopérative Équilibre bei ihrem zweiten Projekt für Trenntoiletten mit Wasserspülung für Urin und Kot entschieden. So kann man bei der Überbauung Soubeyran, die nächsten Frühling fertig sein soll, sechs Stockwerke realisieren. Durch die Trenntoiletten spare man auch hier Wasser: Bei Urin spülten sie nur mit knapp 200 Millilitern, bei Fäkalien mit 4 Litern. Gleichzeitig ist geplant, über Biofilter und mineralische Filter das gesamte Abwasser aus Bad und Küche wieder zurückzugewinnen und es für die Spülung einzusetzen. Die Rückgewinnung von Grauwasser (Abwasser aus Bad und Küche) ist denn auch der zweite grosse Bereich im Zusammenhang mit nachhaltiger Wassernutzung. «Ökologisch, sinnvoll und praktikabel dafür sind Pflanzenkläranlagen, auch weil man dabei die Nährstoffe über die Pflanzen gleich für die Umgebungsgestaltung nutzt», sagt Andreas Schönborn, Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil. Dabei wird das Abwasser in einen bepflanzten Bodenfilter neben dem Gebäude geleitet, durchsickert den Filterkörper und wird auf natürliche Weise durch Partikel und Mikroorganismen gereinigt. Dafür braucht es aber etwas Umschwung, was die Realisierung in Städten oft schwieriger macht. Als Richtwert schätzt man rund einen bis zwei Quadratmeter Grünfläche pro Bewohner. Das Wasser kann man nach der natürlichen Reinigung versickern lassen oder auffangen und als Spülwasser in der Toilette oder – je nach Reinigungsgrad und Hygienisierung – auch in der Waschmaschine wieder einsetzen.

Der Nachteil dieses Systems: Die Abflussrohre brauchen mit einem 30-Zentimeter-Durchmesser viel Platz.

Ausserdem müssen die Abflussrohre gerade verlaufen und bei übereinanderliegenden Wohnungen versetzt geführt werden.

Für die Reinigung des Abwassers aus Küche und Bad legte man bei der Überbauung Cressy eine Pflanzenkläranlage an.

Das hier gereinigte Wasser wird anschliessend mit dem Regenwasser abgeleitet.

Anschluss obligatorisch

Eine Entlastung für Kläranlagen seien solche Anlagen nur sehr bedingt, sagt Christian Abegglen vom Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute. «Für die Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung in dicht besiedelten Gebieten fällt eine einzelne Siedlung in der Regel nicht ins Gewicht.» Hier müssten viele mitziehen, bis sich das bemerkbar mache. «Bei kleineren, ländlichen Kläranlagen kann das schon eher einen Einfluss haben.» Uli Amos sieht den Vorteil einer eigenen, dezentralen Kläranlage allgemein eher in der Schliessung des internen Kreislaufes und der Nutzung der Nährstoffe direkt vor Ort. «Zwar mussten wir vom Kanton aus bei allen unseren Projekten Notkanalisationsanschlüsse erstellen. Grundsätzlich würden wir aber autonom funktionieren.» Und ZHAW-Dozent Andreas Schönborn verweist hier auf eine mögliche Kosteneinsparung. Zwar bestehe in der Schweiz bisher ein gesetzlicher Anschlusszwang an die Kanalisation. «Deshalb macht es bei der Anlagenbeurteilung diesbezüglich heute auch kaum einen Unterschied, ob das Gebäude in einer Stadt oder weit abgelegen auf dem Land zu stehen kommt», sagt er. Bei Pilotprojekten hätten Behörden aber auch schon die Anschlussgebühren erlassen.

Grünes Wahrzeichen

Tatsächlich verzichtete der Kanton Genf bei der Überbauung Cressy auf die Gebühren von rund 30 000 Franken. «Rein ökonomisch rechnet sich unser System bei den tiefen Wasserpreisen trotzdem nicht», sagt Uli Amos. Für sie zählten aber der ökologische Gedanke und der Wille, mit der Forschung zusammen Neues zu testen. «Als gutes Beispiel vorausgehen, ein grünes Wahrzeichen setzen.» Mit diesen Worten beschreibt auch Nina Schneider von der Genossenschaft Kalkbreite die Motivation, sich mit dieser Thematik näher auseinanderzusetzen. Es geht um die geplante Zollhaus-Überbauung in Zürich. «Wir wollen auch dort einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, wo es finanziell nur wenig einzusparen gibt, aber ein ökologischer Kulturwandel angestossen wird.» Für das Zollhaus Zürich prüft man deshalb neben der Regenwassernutzung auch Trenntoiletten mit hausinterner Aufbereitung von Urin und Fäkalien zu Dünger und Kompost. «Urin besteht neben Wasser fast ausschliesslich aus Stickstoff, Phosphor und Kalium», erklärt Nina Schneider. Solche Düngmittel würden sonst oft in Entwicklungsländern unter menschenunwürdigen Bedingungen gewonnen. «Sammelt man diese Stoffe direkt an der Quelle, lassen sie sich einfacher zurückgewinnen, als wenn sie mit viel Wasser in die Kanalisation geschwemmt und in Kläranlagen herausgefiltert werden müssen.»

Nutzen genau prüfen

Eine von der Genossenschaft Kalkbreite angeregte und begleitete Masterarbeit an der ETH zeigte nun jedoch, dass etablierte Verfahren zur Aufbereitung von Brauchwasser, Urin und Fäkalien trotz erschwinglichen Kosten beim Zollhaus schwer realisierbar sind. Gründe sind die Platzverhältnisse auf dem Baufeld am Zürcher Hauptbahnhof, aber auch ökologische Bedenken aufgrund eines hohen Stromverbrauchs bei der Düngeraufbereitung. Bis zur Baueingabe prüft die Genossenschaft Kalkbreite nun energieeffizientere Alternativen, wie etwa eine durch Schwerkraft betriebene Membrananlage zur Grauwasserklärung oder Biofilter für Kot und Urin. «Noch wissen wir aber nicht mit Bestimmtheit, ob unser Vorhaben allgemein, inklusive grauer Energie, ökologisch sinnvoll ist.» Auch weitere Fragen müssten noch geklärt werden, sagt Nina Schneider. Zum Beispiel seien die Bilder: Ralph Thielen Das hier gereinigte Wasser wird anschliessend mit dem Regenwasser abgeleitet. Für die Reinigung des Abwassers aus Küche und Bad legte man bei der Überbauung Cressy eine Pflanzenkläranlage an. 20 WOHNEN 09 SEPTEMBER 2016 BAD Auflagen bezüglich Wasserschutz und Hygiene sehr streng. Hier bestehe bei den Behörden oft grundsätzliches Interesse, ein früher Kontakt sei aber entscheidend, sagt Kai Udert der Eawag. «Auch weil die Anforderungen in allen Kantonen unterschiedlich sind.» Der Genossenschaft Kalkbreite stellt sich ausserdem die Frage, wie viel «Kulturwandel im Klo» man Mietern zumuten kann.

Fäkaleimer selbst leeren?

Vor dieser Frage steht auch die Coopérative Équilibre bei ihrem dritten Projekt «Les Vergers », das bis im Herbst 2017 fertiggestellt sein soll. Während bei den ersten zwei Projekten die Mieter frühzeitig feststanden und sich im Vorfeld gemeinschaftlich für die jeweilige Toilettenlösung entschlossen, ist das bei «Les Vergers » nicht möglich, da noch nicht alle Mieter feststehen. Deshalb biete man hier auch die Option einer normalen Toilette. Eine Umfrage unter zukünftigen Mietern aber habe ergeben, dass über die Hälfte auf ein traditionelles WC verzichten und fast ein weiteres Drittel die Alternativen zumindest testen würden. Die Alternativen sind je nach Gebäude unter anderem eine Trockentrenntoilette, bei der die Fäkalien direkt unter dem WC in einem Eimer aufgefangen, mit Holzschnitzel gegen den Geruch bedeckt und regelmässig von den Bewohnern selbst von Hand im Keller geleert werden. Bei einer anderen Variante findet die Kompostierung sogar direkt unter der Toilette in der Wohnung statt. «Um die Zumutbarkeit zu testen, haben unsere Architekten und einige Genossenschafter so eine Toilette zu Hause ausprobiert. Und das ist wirklich kein Problem», sagt Projektleiterin Uli Amos.

Die Pflanzenkläranlage fügt sich ins grüne Umfeld ein.