Neue Aufzugsnormen für mehr Sicherheit

Standards werden hochgefahren

Stabilere Kabinen, bessere Beleuchtung und höhere Feuerresistenz: Ab September 2017 sorgen strengere Aufzugsnormen für mehr Sicherheit für Fahrgäste und Wartungspersonal. Aufzugseigner tun gut daran, sich frühzeitig mit den neuen Vorschriften auseinanderzusetzen.

Von Helen Weiss | Bilder: Schindler Aufzüge AG | Juni 2016

Die Mühlen der EU mahlen bekanntlich langsam: Über zehn Jahre dauerte es, bis die Fachleute aller EU-Mitgliedsstaaten die neuen Sicherheitsnormen für Aufzüge erstellt hatten. Fast 3000 Einsprachen mussten bearbeitet werden, doch 2014 war es endlich soweit: Das CEN, das europäische Komitee für Normung, verabschiedete mit «EN 81-20» und «EN 81-50» zwei neue Normen für die Konstruktion von Aufzügen und die Prüfung von Aufzugskomponenten. Die seit nunmehr knapp zwei Jahren gültigen Normen ersetzen per 1. September 2017 die bisherigen Vorgaben. Ab diesem Datum dürfen nur noch Fahrstühle gemäss den neuen Normen in Verkehr gebracht werden. Mit den neuen Normen sollen die bereits bestehenden Sicherheitsstandards bei Aufzügen weiter erhöht werden. Zwar ist die Schweiz nicht Mitglied der EU, doch das CEN ist die offizielle Institution der EU für Europäische Normen (EN), an die auch die Schweiz angeschlossen ist. Ziel des CEN ist die Anpassung sowie Übernahme internationaler Normen und damit die Förderung und Harmonisierung tech- Neue Aufzugsnormen für mehr Sicherheit Standards werden hochgefahren nischer Spezifikationen. «Die Normen garantieren für den freien Warenverkehr einheitliche Voraussetzungen innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums», erklärt Gregor Herger, Leiter Rechtsabteilung bei Schindler Aufzüge AG in Ebikon (LU).

Notrufeinrichtungen zwingend

Aufzüge müssen gemäss der schweizerischen Gesetzgebung, insbesondere laut Aufzugsverordnung, dem Stand der Technik entsprechen, um sicher in Verkehr gebracht zu werden. Gregor Herger: «Die technischen Normen werden aufgrund von Weiterentwicklungen in der Industrie und in der Aufzugsbranche laufend angepasst und repräsentieren damit den neusten Stand der Technik bezüglich Sicherheit und Qualität.» Die neuen Normen «EN 81-20/50:2014» erhöhen die Sicherheit der Fahrgäste sowie des Wartungspersonals. Sie beinhalten Vorgaben für die Konstruktion, die technischen Eigenschaften sowie die Prüfung von Aufzügen und einzelnen Komponenten. So dürfen ab September 2017 beispielsweise Notrufeinrichtun- Stabilere Kabinen, bessere Beleuchtung und höhere Feuerresistenz: Ab September 2017 sorgen strengere Aufzugsnormen für mehr Sicherheit für Fahrgäste und Wartungspersonal. Aufzugseigner tun gut daran, sich frühzeitig mit den neuen Vorschriften auseinanderzusetzen. Von Helen Weiss Die neuen Sicherheitsnormen sind ab September 2017 verpflichtend – jedoch nur bei Neu- und Ersatzanlagen. Bilder: Schindler Aufzüge AG WOHNEN 06 JUNI 2016 gen oder Sicherheitsglas in den Aufzugstüren nicht mehr fehlen (siehe Box). «Auch die Stolpergefahr durch das ungenaue Anhalten der Aufzugskabine auf dem Stockwerk ist dank der neuen Normen Vergangenheit», so Gregor Herger.

Nur für Neu- und Ersatzanlagen

Die neuen Vorschriften führen zu einigen Änderungen für die Bauherren. Obwohl die alte Norm noch bis zum 31. August kommenden Jahres gültig ist, sollten neue Aufzüge oder Ersatzanlagen bereits heute nach den neuen Vorgaben geplant werden. Das empfiehlt auch der Verband Schweizerischer Aufzugsunternehmer (VSA). Denn, so Gregor Herger: «Bei Bauverzögerungen über das Stichdatum hinaus entstehen dem Anlageneigentümer sonst erhebliche Zusatzkosten, da nachträglich Anpassungen an die neuen Normen erforderlich werden.» Bereits im Betrieb stehende Aufzüge müssen nun allerdings nicht in aller Eile ersetzt werden. Denn die neuen Normen gelten nur für Neuund Ersatzanlagen; als Ersatzanlage gilt ein Einbau eines neuen Fahrstuhls in einen bestehenden Aufzugsschacht. Wird jedoch an einem bestehenden Aufzug nur die Tür oder die Steuerung ersetzt, ist dies ein Umbau. Dabei muss der umgebaute Teil der Aufzugsanlage gemäss den neuen Normen ausgeführt werden, nicht jedoch der gesamte bestehende Aufzug.

Alte Aufzüge bergen Gefahren. Dank der neuen Normen sind künftig auch Servicefachleute weniger unfallgefährdet.

Kontrolle der Montagebetriebe

Als Hauseigentümerin oder -eigentümer muss man sich bei der Einhaltung der neuen Normen auf das Fachwissen der Aufzugsunternehmen verlassen. Denn die Marktaufsichts-Vollzugsbehörden kontrollieren, ob Aufzugshersteller beziehungsweise Montagebetriebe die neuen Aufzüge oder Ersatzanlagen gemäss der Aufzugsverordnung und den aktuellen technischen Normen in Verkehr gebracht haben. «Es ist deshalb nicht der Hauseigentümer, sondern das Aufzugsunternehmen, das von der Marktaufsichtsbehörde kontrolliert wird», sagt Gregor Herger. Bei Wohnhäusern ist dafür das Eidgenössische Aufzugsinspektorat (EIA) zuständig. Die Hersteller müssen dem EIA die Inbetriebnahme eines neuen Fahrstuhls melden, worauf dieses stichprobenweise Kontrollen durchführt. Mangelhafte Aufzüge müssen nachgebessert und im schlimmsten Fall ausser Betrieb genommen werden. Dem fehlbaren Montagebetrieb drohen Bussen zwischen 20 000 und 40 000 Franken.

Auch Hauseigentümer verantwortlich

Doch auch bei bestehenden Aufzügen haben Hauseigentümerinnen und -eigentümer betreffend Sicherheit gewisse Aspekte zu beachten. «Zwar gibt es kein schweizweites Gesetz punkto Wartungspflicht, bei einem Unfall haftet jedoch der Hauseigentümer», sagt Gregor Herger. Der Gesetzgeber in der Schweiz setzt beim Betrieb von Aufzügen ganz auf die Eigenverantwortung der Liegenschaftsbesitzer. Obwohl keine Wartungspflicht besteht, kann ein Unfall ein unangenehmes Nachspiel haben: Wird bei einem Unfall ein Werkmangel infolge einer unterlassenen Anpassung an die heutigen Standards festgestellt, muss der Aufzugsbesitzer mit einem zivil- und strafrechtlichen Verfahren rechnen. Ab wann sich eine allfällige Modernisierung bei bestehenden Aufzügen lohnt beziehungsweise in welchen Fällen ein Aufzug gleich nach den neuen Normen ersetzt werden sollte, muss individuell beurteilt werden. Ausschlaggebend sind hier vor allem Alter und technischer Zustand. Auf europäischer Ebene haben verschiedene Länder bereits 2004 die so genannte SNEL, die Sicherheitsnorm für bestehende Aufzüge, eingeführt. Die SNEL wurde ebenfalls von der CEN erstellt. Sie hat nichts mit den auf September 2017 eingeführten Sicherheitsnormen zu tun und wurde in der Schweiz auch nicht flächendeckend in Kraft gesetzt. «In der Schweiz liegt die Gesetzeshoheit für bestehende Aufzüge bei den Kantonen », erklärt Gregor Herger. Einige wenige Kantone wurden selbst aktiv, um diese Gesetzeslücke zu schliessen: Genf, Zürich, Glarus und Tessin haben eigene Gesetze zur Sicherheit bestehender Aufzüge erlassen. Ganz unabhängig vom Stand der Gesetzgebung in den einzelnen Kantonen empfiehlt der Verband aber dringend, drei Risiken bei älteren Aufzügen an den heutigen Stand der Technik anzupassen. So sollte in jedem Fall eine Kabinenabschlusstür eingebaut, die genügende Anhaltegenauigkeit der Aufzugskabine auf dem Stockwerk überprüft sowie eine Notrufeinrichtung in jeder Aufzugskabine montiert werden.

Kabinenabschlusstüren sollten auf Empfehlung des VSA auch bei bestehenden Aufzügen eingebaut werden, um das Unfallrisiko zu senken.

Das müssen Bauherren wissen

Die Sicherheitsnormen «EN 81-20/50:2014» bringen einige neue Anforderungen an die Bauplanung mit sich:

  • Das im Aufzugsschacht verwendete Glas muss ein Verbundglas sein.
  • Für die Belüftung des Schachts ist der Bauplaner verantwortlich. Das Aufzugsunternehmen stellt ihm die relevanten Informationen zur Verfügung.
  • Erhöhte Anforderungen an Zugänge und Schutzräume müssen in die Bauplanung mit einbezogen werden.
  • Bei betretbaren Räumen unter dem Aufzugsschacht muss die minimale Bodentragkraft gewährleistet und eine Fangvorrichtung am Gegengewicht vorhanden sein.
  • Höhere Geländer auf dem Kabinendach müssen in der Planung des Schachtkopfs berücksichtigt werden.