VLP-Direktor Lukas Bühlmann zur Umsetzung des revidierten Raumplanungsgesetzes

«Die Frage des preisgünstigen Wohnraums gehört immer dazu»

Vor vier Jahren sagten die Schweizer Stimmberechtigten an der Urne deutlich Ja zum neuen Raumplanungsgesetz. Dieses sorgt für einen haushälterischen Umgang mit dem Boden und lenkt die Siedlungsentwicklung nach innen. Die anspruchsvollen Umsetzungsarbeiten in den Kantonen und Gemeinden sind in vollem Gange. Welche Rolle spielt dabei der gemeinnützige Wohnungsbau? Wohnen hat den Raumplanungsexperten Lukas Bühlmann gefragt.

Interview: Lea Gerber | Bilder: Urs Keller (Ex-Press), zVg | März 2017

Wohnen: Die Kantone sind daran, ihre Richtpläne an die Anforderungen des revidierten Raumplanungsgesetzes anzupassen. Wo stehen sie in diesem Prozess?


Lukas Bühlmann: Alle Kantone arbeiten daran. Die Richtpläne der Kantone Zürich, Basel-Stadt, Genf, Bern und Luzern wurden bereits vom Bundesrat genehmigt. Die Kantone Aargau, Schwyz und St. Gallen haben ihre revidierten Richtpläne zur Prüfung eingereicht. In den restlichen Kantonen sind die Arbeiten unterschiedlich fortgeschritten.

Zur Erinnerung: Welches sind die Hauptziele des revidierten Raumplanungsgesetzes?

Die Revision des Raumplanungsgesetzes geht auf die Landschaftsinitiative der Umweltverbände zurück. Dort ging es darum, den Kulturlandverbrauch einzuschränken und die Zersiedelung zu stoppen. Die Initianten forderten, nicht länger am Siedlungsrand neu einzuzonen, sondern das bestehende Baugebiet besser zu nutzen. Das revidierte Raumplanungsgesetz ist ein indirekter Gegenvorschlag zur Initiative. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass es erhebliche Nutzungsreserven im bestehenden Baugebiet gibt. Eigentlich könnten wir unseren Bodenbedarf mit der besseren Nutzung des bestehenden Baugebiets decken. Mit dem neuen Raumplanungsgesetz will man dazu beitragen, dass diese Potentiale tatsächlich ausgenutzt werden.

Wie muss man sich diese Nutzungsreserven vorstellen?

Ich denke hier an Baulücken, an Industriebrachen oder Brachen der SBB und des Militärs sowie an sogenannte Nachverdichtungen. Letztere werden immer wichtiger. Sanierungsbedürftige Siedlungen aus den 60er- und 70er-Jahren weichen zunehmend Ersatzneubauten, die eine deutlich höhere Nutzung ermöglichen.

Darf man denn in Zukunft gar nicht mehr auf der grünen Wiese bauen?

Es gibt noch Orte, wo das zulässig ist, aber es sind viel weniger als früher. Einzonungen werden die Ausnahme sein – vorher waren sie die Regel. Die rechtlichen Anforderungen an neue Bauzonen sind stark gestiegen. Man muss nachweisen, dass es im bestehenden Baugebiet keine Nutzungsreserven mehr gibt. Die hohen Hürden für Neueinzonungen zeigen sich auch in den neuen kantonalen Richtplänen. Der Kanton Zürich etwa sieht im Richtplan kaum noch Neueinzonungen vor, obwohl er mit einem starken Wachstum rechnen muss. Auch das Bundesgericht wendet die neuen Vorschriften restriktiv an.

Lukas Bühlmann (59) studierte Rechtswissen-schaften an der Universität Bern. Er wirkt seit 2003 als Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung VLP-ASPAN.

Die VLP-ASPAN ist in Raumplanungsfragen die zentrale Informations- und Diskussionsplattform für Kantone, Gemeinden und Private. Der 1943 gegründete nationale Verband setzt sich für eine nachhaltige Entwicklung des Lebensraumes Schweiz ein. Zu den Mitgliedern zählen alle Kantone, gut die Hälfte der Gemeinden sowie Unternehmen aus den Branchen Raumplanung, Immobilien und Architektur.

Wie wird sich das neue Raumplanungsgesetz auf die Siedlungsentwicklung auswirken?

Das Ausufern der Siedlungen wird deutlich abnehmen. Das bestehende Baugebiet wird dichter, die Leute rücken näher zusammen. Das ist aber nichts Neues. Verdichtungen finden in urbanen Gebieten heute schon statt; in den mittleren und kleinen Gemeinden sind sie jedoch noch die Ausnahme.

Verdichten im Bestand heisst nicht selten, dass preisgünstiger Wohnraum teureren Wohnungen weichen muss – etwa weil Ersatzneubauten erstellt werden. Welche Massnahmen müssen ergriffen werden, damit diese Entwicklung abgefedert werden kann?

Eine geeignete Gegenmassnahme ist, dass die öffentliche Hand den preisgünstigen Wohnraum fördert, indem sie gemeinnützigen Bauträgern Land im Baurecht abgibt oder verkauft. Oder dass sie Zonen für preisgünstigen Wohnraum einführt. Es gibt gegenwärtig viele politische Vorstösse und Volksinitiativen zur Förderung des preisgünstigen Wohnungsbaus. Ich denke, sie sind eine direkte Antwort auf diese Entwicklung.

Die hohen Mieten in den Zentren führen dazu, dass ärmere Haushalte in peripherere Regionen ziehen. Diese Entwicklung fördert die Zersiedelung und erfordert immer teurere Infrastrukturausbauten. Was könnte dagegen unternommen werden?

Mit der Revision des Raumplanungsgesetzes und dem Fokus auf die Innenentwicklung geht die Erwartung einher, dass die Infrastrukturkosten gedrosselt werden können und die bestehende Infrastruktur besser genutzt werden kann. Die Gefahr, dass gewisse Bevölkerungsschichten wegen der hohen Boden- und Mietpreise aus den Städten verdrängt und für Arbeit und Freizeit längere Wege in Kauf nehmen müssen, ist jedoch real. Mit preisgünstigen Wohnungen kann man dafür sorgen, dass sie an zentralen Lagen wohnen bleiben können.

Die Wohnfläche pro Kopf nimmt weiterhin zu. Was kann man dagegen tun?

Es gibt immer mehr Menschen, und wir haben immer höhere Raumansprüche. Wenn man den Wohn­raumverbrauch einschränken könnte, hätte man viele Probleme gelöst. Das ist in einer freiheitlichen Gesellschaft jedoch schwierig. Die Baugenossenschaften haben über Belegungsvorschriften einen sympathischen Weg gefunden, um den Wohnflächenkonsum ohne gesetzlichen Zwang einzuschränken.


"Das Gesetz enthält keinen expliziten Förderungsartikel"


Wohnungsbau im revidierten Raumplanungsgesetz?

Das Gesetz enthält keinen expliziten Förderungsartikel. Es gab zwar Vorstösse, die die Aufnahme des preisgünstigen Wohnungsbaus ins Raumplanungsgesetz forderten, aber die Mehrheit des Parlaments lehnte diese ab. Zu den Zielen und Grundsätzen des Raumplanungsgesetzes zählen jedoch eine hochwertige Verdichtung und lebenswerte Quartiere. Zu einer hochwertigen Verdichtung gehört wiederum eine gute Bevölkerungsstruktur. Das heisst, es braucht immer auch zahlbaren Wohnraum für den Mittelstand und für wenig begüterte Haushalte. Man kann die Förderung des preisgünstigen Wohnungsbaus also aus den Zielen und Planungsgrundsätzen des Raumplanungsgesetzes ableiten.

Aber im überarbeiteten Leitfaden Richtplanung steht doch, dass Kantone mit ausgewiesenem Handlungsbedarf «Ziele und Massnahmen zur Sicherstellung eines Wohnraumangebots für alle Bedürfnisse, insbesondere zur Förderung von preisgünstigem, familienfreundlichem und altersgerechtem Wohnungsbau» festlegen müssen.

Ja, das ist richtig. Aber der Leitfaden Richtplanung ist in weiten Teilen nur eine Empfehlung. Viele Anliegen – wie etwa ein preisgünstiges Wohnraumangebot – lassen sich nicht auf eine klare gesetzliche Grundlage abstützen. Der Leitfaden zeigt den Kantonen Wege auf, wie sie die neuen bundesrechtlichen Anforderungen umsetzen können. Der Bund kann aber nicht alles, was im Leitfaden steht, eins zu eins von den Kantonen verlangen.

Die Raumplanung ist traditionell Hoheitsgebiet der Kantone. Wie fest kann der Bund hier überhaupt lenkend eingreifen?

Der Bund hat mit dem neuen Raumplanungsgesetz mehr Möglichkeiten, bei der Siedlungsentwicklung zu intervenieren. Dabei geht es jedoch vor allem um die Dimensionierung von Bauzonen und nicht um das, was innerhalb dieser Bauzonen passiert. Dort ist die Autonomie der Kantone immer noch sehr gross.

Wie können die Kantone sicherstellen, dass die Gemeinden die Massnahmen aus dem kantonalen Richtplan wirklich umsetzen?

Richtpläne sind behördenverbindlich, das heisst die Gemeinden müssen bei ihrer kommunalen Planung den Vorgaben aus dem kantonalen Richtplan Rechnung tragen und die geforderten Massnahmen umsetzen. Zum Thema Schaffung von preisgünstigem Wohnraum äussern sich die Kantone jedoch zum Teil gar nicht, oder ihre Vorgaben sind sehr offen und wenig konkret.

Genau. Der Kanton Luzern etwa fordert in seinem Richtplan von den Gemeinden nur, dass sie eine Wohnraumstrategie erarbeiten, die mögliche Massnahmen zur Bereitstellung von genügend preisgünstigem und bedürfnisgerechtem Wohnraum enthält. Es fällt auf, dass der kantonale Richtplan eine relativ hohe Flughöhe hat. Auf welcher Ebene sollten Massnahmen für preisgünstigen Wohnraum verankert werden?

Primär auf kommunaler Ebene. Klar, der Kanton kann über den Richtplan steuernd einwirken. Der Kanton Zug macht das sehr stark. Er schreibt seinen Gemeinden relativ viel vor, zeigt Verdichtungsgebiete auf und gewichtet den preisgünstigen Wohnraum hoch. Der Kanton Zug ist jedoch wegen seiner Grösse und der sich fast über das ganze Kantonsgebiet erstreckenden Wohnungsnot ein Sonderfall.


"Am wichtigsten ist eine aktive Bodenpolitik"


Nicht alle Gemeinden können geeignete Massnahmen zur Förderung von preisgünstigem Wohnraum einführen. Im Kanton Zürich musste das Stimmvolk zuerst einer Ergänzung des Planungs- und Baugesetzes zustimmen, bevor die Gemeinden überhaupt Zonen für preisgünstigen Wohnungsbau einführen konnten.

Das stimmt. Aber der Kanton Zürich ist hier eher die Ausnahme. Das Züricher Planungs- und Baugesetz kennt eine abschliessende Liste von möglichen Nutzungszonen, aus denen die Gemeinden wählen können. Neben ihm kennen nur wenige Kantone ein solches System; Zug und St. Gallen gehören dazu. Die meisten Kantone überlassen es ihren Gemeinden, die Zonen zu definieren.

Welche anderen raumplanerischen Massnahmen eignen sich, um ein preisgünstiges Wohnraumangebot sicherzustellen?

Am wichtigsten ist meiner Meinung nach eine aktive Bodenpolitik. Die Gemeinden sollten schauen, dass sie zu eigenem Land kommen. Das heisst nicht, dass sie dann auch selber bauen müssen, aber sie können gute Lösungen herbeiführen, zum Beispiel über den Verkauf von Land an einen gemeinnützigen Wohnbauträger oder mit der Abgabe dieses Bodens im Baurecht. Ich finde solche Lösungen oft besser als Zonen für preisgünstigen Wohnraum.

Weshalb?

Wenn nicht gemeinnützige Bauträger, sondern private Eigentümer preisgünstigen Wohnraum erstellen, ist der administrative Aufwand zur langfristigen Sicherstellung der Preisgünstigkeit viel grösser.

Und wie kommen die Gemeinden zum nötigen Geld für den Kauf von Bauland?

Sie können zum Beispiel die Erträge aus dem Mehrwertausgleich nutzen, um Land zu kaufen. Zudem sind die Hypothekarzinsen zurzeit sehr tief. Sinnvoll kann es für eine Gemeinde-
exekutive sein, sich vom Souverän einen Rahmenkredit für den Liegenschaftserwerb geben zu lassen, damit man nicht für jedes Kaufgeschäft die Zustimmung des Parlaments oder der Gemeindeversammlung einholen muss. Bei Liegenschaftskäufen muss man ja oft schnell handeln können. Im bernischen Köniz hat das Stimmvolk vor einem Jahr mit einer grossen Mehrheit einen entsprechenden Rahmenkredit in der Höhe von 25 Millionen Franken gutgeheissen.

Welche Massnahmen sind zielführender, solche, die Anreize setzen, oder solche, die Grundeigentümer verpflichten, etwas zu tun?

Die Massnahmen müssen situationsgerecht erfolgen. Bei Sondernutzungs- oder Gestaltungsplänen wird über die Nutzungsart, die Dichte, Aussenraumqualitäten und so weiter verhandelt. Hier gehört die Frage des preisgünstigen Wohnraums immer auch dazu. Es gibt die Möglichkeit, Anteile für preisgünstigen Wohnraum festzulegen. Eine andere Option ist die Gewährung einer höheren Ausnützung, wenn ein Grundeigentümer preisgünstigen Wohnraum erstellt (Nutzungsbonus). Ich persönlich bin kein Anhänger solcher Boni auf Einzelparzellen. Solche Anreizsysteme unterlaufen die Bestrebungen, harmonische Quartierstrukturen zu schaffen. Bei Sondernutzungsplänen, die sich über grosse Areale erstrecken, sind erhöhte Ausnutzungen jedoch sinnvoll.

Abgesehen vom revidierten Raumplanungsgesetz: Welche anderen Möglichkeiten hat der Bund, um in allen Kantonen eine ausreichende Versorgung mit preisgünstigem Wohnraum anzustreben?

Der Bund könnte ein Vorkaufsrecht für Gemeinden zugunsten des gemeinnützigen Wohnungsbaus einführen. Dies würde den boden- und wohnungspolitischen Spielraum der Gemeinden erweitern. Diese Massnahme hat der Bundesrat geprüft, aber verworfen.

Dann gäbe es ja auch noch die Areale des Bundes oder bundesnaher Betriebe wie etwa der SBB oder der Armee.

Die SBB bieten durchaus Hand für die Schaffung von preisgünstigem Wohnraum. Sie sind jedoch auch an den in dieser Frage eher restriktiven Leistungsvertrag mit dem Bund gebunden. In grossen Städten wie Zürich ist der preisgünstige Wohnraum auf Bahnarealen immer ein Thema. Die örtlichen Behörden setzen sich jedoch unterschiedlich stark für preisgünstigen oder gemeinnützigen Wohnraum ein.

Bewohnerinnen und Bewohner von Genossenschaftswohnungen beanspruchen durchschnittlich knapp einen Viertel weniger Wohnfläche als der Schweizer Durchschnitt. Damit leisten sie einen Beitrag zu einem haushälterischen Umgang mit dem Boden. Gibt es noch andere Gründe, weshalb der gemeinnützige Wohnungsbau aus raumplanerischer Sicht gefördert werden sollte?

Nachverdichtungen sind heute ein grosses Thema. Hier haben wir es meist mit vielen kleinen Parzellen und zahlreichen Eigentümern mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Entwicklungsvorstellungen zu tun. Das macht die Sache schwierig. Einfacher ist es bei den Baugenossenschaften. Ihnen gehören oft grosse Areale. Zudem sind sie häufig innovationsfreudig, und sie zeigen, dass man Erneuerungen sozialverträglich umsetzen kann, etwa indem Sanierungen etappiert und den Bewohnerinnen und Bewohnern Wohnungen in der angestammten Umgebung zur Verfügung gestellt werden. Städte, die einen grossen Teil des Wachstums übernehmen müssen, erhalten von Baugenossenschaften oft wertvolle Unterstützung bei den schwierigen Transformationsprozessen.

Der Kanton Zug als Vorreiter

Der Kanton Zug ist der erste Kanton, der im kantonalen Richtplan Grundsätze für die Erstellung von preisgünstigen Wohnungen verankert hat. «Das war im Jahr 2013 ein starkes
politisches Signal vom Kantonsrat», sagt der Zuger Kantonsplaner René Hutter. Seither hat sich einiges getan: Auf dem Areal des alten Kantonsspitals plant der Kanton fast ausschliesslich preisgünstige Wohnungen. Und auf dem kantonseigenen Land in Hünenberg soll rund ein Viertel aller Wohnungen preisgünstig werden. Bei den Gemeinden fällt die Bereitschaft, eigene Grundstücke für den preisgünstigen Wohnungsbau zu verwenden, unterschiedlich aus. Im Rahmen von Bebauungsplänen

können Gemeinden etwa Anteile für preisgünstigen Wohnraum festlegen. Die Prüfung der Sondernutzungspläne obliegt dem Kanton. Hier kann er einen gewissen Hebel ansetzen. «Die Gemeinden müssen sich rechtfertigen, wenn sie keinen preisgünstigen Wohnraum vorsehen», sagt René Hutter. Kanton und Gemeinden können aber nur dann einen Anteil für preisgünstigen Wohnraum festlegen, wenn eine Auf- oder Umzonung eine Mehrnutzung zulässt. Der kantonale Richtplan fordert von den Gemeinden zudem eine aktive Bodenpolitik. «Allein durch die Diskussionen rund um den kantonalen Richtplan sind die Gemeinden sensibilisierter geworden», meint René Hutter.