BEP erneuert Wohnkolonie «Industrie 2» in Zürich

Der Rote Block wächst nach innen

Seit fast hundert Jahren prägt die charismatische Wohnkolonie «Industrie 2» das Quartier am Zürcher Röntgenplatz. Im Rahmen einer Generalsanierung wurde die hufeisenförmige
Siedlung hofseitig um eine neue Gebäudeschicht erweitert. Das Resultat sind gross­zügige Minergiewohnungen mit modernen Grundrissen.

Von Elias Knopf | Bilder: Theodor Stalder | April 2017

Nun steht das schöne Werk fertig da, als eine Zierde des Quartiers und als ein Beweis, was Einigkeit und Solidarität zu leisten imstande sind», freuten sich die Erbauer der Wohnkolonie «Industrie 2» vor fast hundert Jahren. Dass der Baugenossenschaft des eidgenössischen Personals (BEP) mit der unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg am Zürcher Röntgenplatz erstellten Überbauung ein städtebaulicher Wurf gelang, ist auch heute unbestritten. Der hufeisenförmige Gebäudekomplex aus zehn zusammengebauten Häusern an Josef-, Röntgen- und Albertstrasse prägt das Quartier zwischen Langstrasse und Viadukt als unverwechselbares, urbanes Wohngebiet.

Wohnungsspiegel anpassen
Allerdings wird die bauliche Untergliederung der Siedlung von der fast schon kasernenartig anmutenden, über fünf Stockwerke gehenden roten Einheitsfassade mit ihrer symbolträchtigen zentralen Hofeinfahrt – ein breites Tor zum Wohnparadies – bewusst verschleiert. Denn in seiner wehrhaften Geschlossenheit sollte der «Rote Block» die genossenschaftliche Kampfansage untermauern, aller Bauspekulation zum Trotz preisgünstigen Wohnraum für Arbeiterfamilien bereitzustellen. Mit der im Sommer 2015 begonnenen und kurz vor dem Abschluss stehenden Generalsanierung gelang es der BEP, diesen Anspruch auf zeitgemässe Weise zu bekräftigen.
Zum einen galt es, die Bausubstanz des in die Jahre gekommenen Quartierflaggschiffs wieder in Schuss zu bringen, wie Urs Baumann, Mitglied der Baukommission der BEP, erklärt: «Das Gebäude erfüllte die Anforderungen an Aussendämmung und Trittschall nicht mehr; auch die Fenster sowie die Elektro- und Sanitärinstallationen samt Heizkörpern mussten vollumfänglich erneuert werden.» Über diese reine Substanzverbesserung hinaus wollte man die Gelegenheit aber auch nutzen, um tief in die Wohnungsstruktur einzugreifen und grosszügigere Grundrisse mit hellen Zimmern zu schaffen, die dem heutigen Wohnbedürfnis entsprechen. «Grundrissanpassungen und Wohnungszusammenlegungen sollen die Zahl der Zweieinhalb- und Viereinhalbzimmerwohnungen deutlich erhöhen. So kann die einseitige Ausrichtung auf Dreizimmerwohnungen korrigiert werden», heisst es im Kreditantrag der Baukommission zuhanden der BEP-Generalversammlung von 2010. Dank dieser Umgestaltung sank die Wohnungszahl von ursprünglich 83 auf heute noch 66; davon sind ein Drittel Familienwohnungen mit viereinhalb Zimmern.

Der Rote Block mit seiner markanten roten Strassenfassade, wie sie sich vom Röntgenplatz aus präsentiert. Hier durfte der fast hundertjährige Bau nicht verändert werden.

Die Siedlung konnte hofseitig mit einer zusätzlichen Gebäudeschicht ergänzt werden.

Strassenfassade ist tabu
Als weitere Wünsche kamen die – inzwischen zu neunzig Prozent umgesetzte – Lifterschliessung der Überbauung sowie die schwellenfreie Zugänglichkeit der Wohn- und Aussenbereiche für Kinderwagen, Rollatoren und Rollstühle hinzu. «Bei alledem mussten wir die Auflagen des Denkmalschutzes im Auge behalten. Aufgrund der positiven Erfahrung bei der Renovation einer ähnlichen denkmalgeschützten Siedlung beschlossen wir daher, erneut mit dem Zürcher Architekten Rolf Schaffner zusammenzuarbeiten», erinnert sich Urs Baumann. Rolf Schaffner entwickelte für die Sanierung ein wegweisendes Konzept, das die charismatische rote Strassenfassade im originalen Zustand beliess – bloss innenseitig kam eine dünne Aerogel-Dämmschicht hinzu –, während im U-förmigen Innenhof der Spielraum für konstruktive Veränderungen voll ausgeschöpft wurde.
Zuvor hatte die Stadt Zürich eingewilligt, die architektonisch eher unspektakuläre Hoffassade nur noch beschränkt und das alte Innenhofgebäude gar nicht mehr unter Denkmalschutz zu stellen. Gegen diese Teilentlassung aus dem Inventar der kulturhistorischen Schutzobjekte rekurrierte jedoch die Zürcher Vereinigung für Heimatschutz, sodass erst der abschliessende Entscheid des Bundesgerichts 2014 den Weg für die geplante Neugestaltung freimachte (siehe Kasten).

Neuausrichtung hin zum Hof
Nun wurde das unattraktive Hofgebäude mit seinen wenig ansprechenden Wohnungen abgerissen. «Dadurch erhielt der ehemals düs­tere Innenhof einen ausladenden, lichtdurchfluteten Charakter. Diese räumliche Weite ­ermöglichte es uns, hofseitig über alle Stockwerke hinweg eine zusätzliche Gebäude­schicht mit Wohn- und Aussenflächen anzubringen», erklärt Urs Baumann. Durch diese Erweiterung kamen bei allen Wohneinheiten ein Esszimmer à neun Quadratmeter sowie ein bis zwei Balkone à je sechs bis neun Quadratmeter hinzu.
War die Wohnsituation vor der Sanierung nach aussen zur Strasse hin ausgerichtet, blickt man heute vom Esstisch über raum­hohe Fenster direkt in den hellen Innenhof. Der Fokus auf diese «Genossenschafts­allmend» soll das Gemeinschaftsgefühl und die soziale Interaktion stärken. Diesem Anliegen trägt auch die Gestaltung des Hofraums Rechnung. Die BEP beschloss, an der Stelle des ehemaligen Innengebäudes eine Multifunktionspergola mit mehreren Aufenthaltsplattformen zu errichten. Diese vom Zürcher Landschaftsarchitekten Raymond Vogel gestaltete, nach allen Seiten offene Gartenbühne aus wetterfestem Holz soll im Lauf der Jahre von Kletterpflanzen überwachsen werden.

Anstelle eines wenig attraktiven Hofgebäudes erstellte man eine Multifunktionspergola mit mehreren Aufenthaltsplattformen. Die Konstruktion aus wetterfestem Holz soll im Lauf der Jahre von Kletterpflanzen überwachsen werden.

Beschwerden abgewiesen
Aktuell steht erst der Rohbau, doch gemäss Urs Baumann wird bereits im Sommer eine attraktive Möblierung – Tische, Bänke und Stühle – für einen vielseitig nutzbaren Aussenraum sorgen. Gleichzeitig dient das Parterre der Pergola als gedeckter Velounterstand und bietet damit eine Alternative zu den etwas umständlichen Velokellern.
Zwei Einsprachen aus der Nachbarschaft wies das Zürcher Baurekursgericht mit der Begründung ab, dass anstelle dieser «Baute sui generis» gemäss Bau- und Zonenordnung auch ein viel massiveres Gebäude hätte errichtet werden können. Auch die von den ­Beschwerdeführern ins Feld geführte Zweckentfremdung durch Voyeure erachtete das Gericht als unwahrscheinlich, da der Zugang zum Innenhof rund um die Uhr mit einem geschlossenen Gittertor geschützt ist. Aus dem gleichen Grund besteht auch keine Gefahr, dass die Pergola an den Wochenenden von johlenden Nachtschwärmern in Beschlag genommen werden könnte.

Komfortlüftung funktioniert einwandfrei
Unter der Gartenbühne befindet sich der Abgang zur Heizzentrale. Herzstück dieser unterirdischen Anlage bildet eine Grundwasser-Wärmepumpe, die vom Elektrizitätswerk der Stadt Zürich seit 2004 im ­Rahmen einer Contracting-Vereinbarung betrieben wird. Das benötigte Grundwasser wird in zehn Metern Tiefe gefasst. Anschliessend gewinnt eine Wasser-Wasser-Wärmepumpe daraus bis zu 500 Kilowatt Wärmeleistung. Damit lässt sich neben dem Bedarf des Roten Blocks auch die Grundlast mehrerer benachbarter Siedlungen decken, die in einem Nahwärmeverbund zusammengeschlossen sind.

Blick in verschiedene Wohnungstypen. Dank Grundrissanpassungen und Zusammenlegungen konnte der einseitige Mix verbessert werden.

An besonders kalten Tagen kann bei Spitzenbedarf kurzfristig ein Ölkessel zugeschaltet werden. Dieser dürfte in Zukunft allerdings kaum noch zum Einsatz kommen, da der Rote Block dank der Sanierung nun über eine gut gedämmte Aussenhülle verfügt und den Minergiestandard erfüllt. Die Monoblöcke für den bei Minergie ­vorgeschriebenen mechanischen Luftaus­tausch sind im Dachstock untergebracht. Bei den Anfang Januar bereits bezogenen Wohnungen an der Albertstrasse funktioniert das System einwandfrei; dank guter Planung sind weder störende Pfeifgeräusche noch eine Verschleppung von Küchengerüchen feststellbar.

Waschküche statt privater Turm
Eher untypisch für Minergiewohnungen ist der Verzicht auf Bodenheizungen. «Wir mussten uns für herkömmliche Radiatoren entscheiden, weil die Wohnungs­decken aus einer Hohlziegelkonstruktion bestehen, auf der eine dünne Zementschicht aufgebracht ist. Diese sogenannten Hourdis könnten einen mehrschichtigen Aufbau mit Bodenheizung nicht tragen.» Doch habe man zwischen den neuen Bodenbelägen aus grauen Wabenfliesen (Gang, Küche, Badezimmer) und aus Eichen­parkett (Wohn-, Ess- und Schlafzimmer) und den alten Hourdisdecken immerhin eine zusätzliche Dämmschicht gegen Trittschall einbringen können.
Dass die sanierten Wohnungen kaum noch an die lauten und beengten Verhältnisse der Zwischenkriegszeit erinnern, ist nicht nur dieser Trittschalldämmung, den neuen Isolier- und Schallschutzfenstern und dem Raumgewinn durch das zusätzliche Esszimmer zu verdanken, sondern auch den modernen, offen gestalteten Küchen mit Umlufthauben und den neuen Badezimmern. Diese komfortablen Nasszellen verfügen nun nicht mehr über Badewannen, sondern sind stattdessen mit schwellenlosen Duschen ausgestattet, die auch von stark gehbehinderten Personen ohne Hilfe benutzt werden können. Auf eine Ausstattung der Badezimmer mit Waschtürmen hat man hingegen verzichtet und bietet drei grosszügige Waschsalons mit Trockenräumen an. Die Vermietung der attraktiven Wohnungen ist bereits in vollem Gang; über mangelnde Nachfrage kann sich die BEP nicht beklagen. Urs Baumann: «Dank unserem genossenschaftlichen Engagement werden im Roten Block nun weitere hundert Jahre lang Familien mit Kindern, Normalverdienende und Pensionierte mit kleiner Rente angemessen wohnen können.»

Baudaten

Bauträgerin:
BEP – Baugenossenschaft des eidgenössischen Personals, Zürich
Architektur:
Rolf Schaffner Architekt, Zürich
Landschaftsarchitektur:
Raymond Vogel Landschaften AG, Zürich
Bauleitung:
MMT AG Bauleiter und Architekten,
Winterthur
Unternehmen (Auswahl):
Piatti+Bürgin Bau AG (Baumeisterarbeiten)
Huber Fenster AG (Fenster Holz/Metall)
Veriset Küchen AG (Küchen)
Schindler Aufzüge AG (Aufzüge)

Heizzentrale:
Elektrizitätswerk der Stadt Zürich
Umfang:
66 Wohnungen, Gesamterneuerung innen und aussen, Hofgestaltung
Baukosten:
28,8 Mio. CHF
436 000 CHF/Wohnung
Mietzinsbeispiele:
3-Zimmer-Wohnung
alt (65 m²): 720 CHF plus 150 CHF NK
neu (71 m²): 1440 CHF plus 185 CHF NK
4-Zimmer-Wohnung
alt (82 m²): 910 CHF plus 195 CHF NK
neu (94 m²): 1900 CHF plus 220 CHF NK

Rechtsstreit verteuert Sanierung

Der vom Architekten Rolf Schaffner für die Zürcher BEP-Siedlung «Roter Block» ausgearbeitete Sanierungsvorschlag sah anstelle des Innenhofgebäudes eine grosszügige Genossenschaftsallmend vor. Das abgebrochene Wohnvolumen sollte allerdings nicht verlorengehen, sondern in Form einer neuen Gebäudeschicht dem Siedlungshufeisen hofseitig wieder zugeschlagen werden. Möglich wurde dieses Konzept, weil die Stadt Zürich 2011 einer Teilentlassung des Gebäudes aus dem Inventar der kulturhistorischen Schutzobjekte zustimmte. Dagegen rekurrierte die Zürcher Vereinigung für Heimatschutz durch alle Instanzen. Das Bundesgericht machte zwar 2014 den Weg für die geplante Neugestaltung frei, doch verzögerte sich der Baubeginn durch den Rechtsstreit um drei Jahre.
«In dieser Zeit hatten wichtige Vorschriften geändert, so dass wir die bereits weit fortgeschrittenen Planungen neu aufgleisen mussten», erklärt Urs Baumann, Mitglied der BEP-Baukommission. Dies führte zu sogenannten Wiederaufstartkosten von 1,6 Millionen Franken. Weitere Mehrkosten gegenüber dem ursprünglichen Baukredit von 24,7 Millionen Franken entstanden durch die Entsorgung des belasteten Aushubs für eine neue Regenwasserversickerung im Innenhof sowie durch die unerwartet aufwändige Stabilisierung der Leitungsdurchbrüche durch die alten Hourdisdecken. Dadurch beliefen sich die Gesamtkosten der Sanierung am Ende auf 28,8 Millionen Franken. Wenigstens habe die Bauverzögerung nicht zu unerwünschten Leerständen geführt, so Urs Baumann: «Wir konnten über das Zürcher Jugendwohnnetz eine Zwischennutzung mit Studierenden organisieren. Auch für die Bewohnerschaft brachte die Verzögerung keine Nachteile, da Ausweichmöglichkeiten in anderen BEP-Siedlungen bereitstanden.»