Funkbasierte Netzwerke eröffnen neue Möglichkeiten

Schlau und sicher

Das Internet der Dinge wächst rasant, aber auf Kosten der Sicherheit. Abhilfe verspricht das Funknetzwerk LoRaWAN. Es arbeitet mit grossen Reichweiten, geringem Energiebedarf und guter Verschlüsselung. Die Technik ist damit auch für Baugenossenschaften interessant, wie etwa das Pionierprojekt Sturzenegg in St. Gallen zeigt.

Von Michael Staub | Bilder: Markus Lamprecht, zVg | Juni 2017

Über zwei wichtige Netzwerke ist man heute jederzeit im Bild: Ein Blick auf das Handy zeigt, wie es um den Mobilfunkempfang steht, und wer sein Tablet oder seinen Laptop öffnet, findet meist ein Dutzend WLAN-Netze im näheren Umkreis. Seit knapp zwei Jahren wird nun in der Schweiz ein drittes Netz aufgebaut, das erst wenige kennen. Es handelt sich um das «Long-Range Wide Area Network» (LoRaWAN, siehe Box). Dieses Netzwerk ist in mancher Hinsicht das Gegenteil der beiden anderen: Es funktioniert über Funk mit «low power»-Geräten, nicht mit Akkufressern. Es besitzt eine grosse Reichweite von etwa drei Kilometern in städtischen Gebieten bis zu rund zehn Kilometern auf dem Land. Und es ist auch bei der Bandbreite äusserst genügsam, übermittelt also nur kleine Datenpakete.
Für Nachrichten von Mensch zu Mensch ist LoRaWAN nicht gedacht. Wohl aber für die Kommunikation zwischen Geräten. Denn eine wachsende Anzahl von Maschinen, Geräten oder ganz einfach «Dingen» ist heute mit einer rudimentären Intelligenz ausgerüstet. Bisher wurden solche Geräte meist nach demselben Muster gesteuert: Das Gerät verbindet sich über das Handynetz (GSM) oder ein WLAN mit einer Cloud, einem Datenspeicher im Internet. Mit einer speziellen App übermittelt man Befehle an die Cloud, die sie an das Gerät zurückgibt. Mit solchen Verfahren können schon heute Heizkessel gesteuert oder Umwälzpumpen befragt werden. Neben grundsätzlichen Fragezeichen zur Sicherheit dieser Systeme gibt es jedoch auch praktische Nachteile: Jeder Hersteller verwendet eigene Software und eigene Lösungen für den Netzzugang. Wenn aber jedes «Ding» einzeln via WLAN-Zugang oder gar GSM-Sender an das Netz gehängt werden muss, wird es teuer und kompliziert.

Genügsamer Neuling
Hier soll LoRaWAN Abhilfe schaffen. Die Netzwerktechnik ist billig, benötigt nur wenig Energie und funktioniert über grosse Distanzen. Das Kernstück von LoRaWAN-Geräten ist ein Chip, der ungefähr zwölf Franken kostet. Schon für wenige Hundert Franken lässt sich ein Sensor bauen, der seine Daten klaglos übermittelt und erst nach einem Jahr einen Batteriewechsel benötigt. Ein wichtiger Akteur für die Verbreitung von LoRaWAN ist «The Things Network» (TTN). Das in Amsterdam gegründete Netzwerk ist mittlerweile in über achtzig Ländern aktiv. Gerade wegen der tiefen Hardwarekosten setzt man auf ein offenes, freiwillig finanziertes Netzwerk. Johan Stokking, Mitgründer und Cheftechniker von TTN, formuliert den Anspruch in einem Satz: «Wir ermöglichen die sichere letzte Meile im Internet der Dinge.»
Eine kommerzielle Variante von LoRaWAN, das Low Power Network (LPN), betreibt die Swisscom. Seit 2015 setzt das Unternehmen Pilotprojekte mit verschiedenen Partnern um. So testet etwa die Migros eine Plattform, die Sitzungsräume aufgrund der effektiven Belegung zuweist und Kühlung sowie Beleuchtung bedarfsgerecht steuert. Und in der Stadt Lenzburg werden mehrere Dutzend Parkplätze via LPN bewirtschaftet. Vorteilhaft sind hier insbesondere die günstigen Sensoren, die mit minimalem baulichem Aufwand montiert werden.

Vielfältige Einsatzgebiete
Bereits heute gibt es zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten für LoRaWAN. Manche Produkte und Projekte befinden sich noch in der Testphase, andere sind bereits erhältlich. Dabei halten sich LoRaWAN-Anwendungen nicht unbedingt an die angestammten Grenzen der Fachgebiete. Je nach Projekt sind Bereiche wie IT, Facility Management, Zutrittskontrolle oder Bewirtschaftung betroffen. Zudem muss nicht jedes Produkt so eingesetzt werden, wie es der Hersteller vorsieht. So ist der kürzlich vorgestellte «Find me»-Tracker der Schweizer Mobiliar ein kleiner Sender, der analog zu GPS-Ortungsgeräten genutzt werden kann. Die Versicherungskunden statten damit etwa teure Boote oder Sportausrüstungen aus. Baugenossenschaften könnten damit beispielsweise Maschinen lokalisieren.
Inspirationen für innovative Genossenschaften liefert auch die Empa. Zusammen mit den Firmen Swisscom und Decentlab baut sie derzeit «CarboSense» auf, ein schweizweites Netzwerk für CO₂-Messungen. Im Endausbau werden 300 günstige Sensoren ihre Daten über das LPN liefern. Verglichen mit dem bisherigen Schweizer Netz, das gerade einmal drei sehr teure Stationen umfasst, werden viel detailliertere ­Aussagen zu einem Bruchteil der Kosten möglich. Künftig könnten auch Genossenschaften die Luftqualität in ihren Siedlungen messen – oder Räume auf unerwünschte Gaskonzentrationen überwachen. Nahe­liegend ist auch die Bewirtschaftung von Parkplätzen, Ladestationen oder Gemeinschaftsräumen. Mit dem bereits erhältlichen Schweizer System «KleverKey» lassen sich Schlosszylinder über LoRaWAN selber steuern. So kann man beispielsweise Handwerkern einen temporären Zugang gewähren. Kurz vor der Markteinführung stehen mit LoRa-WAN ausgerüstete Gas-, Wasser- und Stromzähler verschiedener Hersteller wie GWF oder Aquametro.

Pionierin der Smart City St. Gallen: Siedlung Sturzen­egg der WBG St. Gallen. LoRaWAN wird zur Messung des Energieverbrauchs eingesetzt.

Smart City St. Gallen
Im Grossmassstab in den Einsatz gelangt LoRaWAN derzeit in St. Gallen. Seit 2015 betreiben die St. Galler Stadtwerke (SGSW) ein Pilotnetzwerk mit LoRa für die «Smart City St. Gallen». Im Sommer 2016 wurde der Vollausbau dieses Netzes vom Stadtparlament verabschiedet. Das Rückgrat des Smart Net basiert auf dem Glasfasernetz der SGSW. Die Feinverteilung auf der letzten Meile, etwa zwischen Hausanschluss und Funksensor, übernimmt hingegen LoRaWAN. Damit werden in St. Gallen etwa Parkplätze bewirtschaftet, Unterflurglascontainer auf ihren Füllstand überwacht oder Strassenlampen gesteuert. Ebenso gibt es ein Smart-Metering-Projekt, bei dem Wasser-, Strom- und Gaszähler über LoRaWAN eingebunden sind.
Marco Huwiler, Bereichsleiter Innovation und Geschäftsleitungsmitglied der SGSW, zu den Vorteilen: «Die Verbrauchszähler können einfach und günstig ausgelesen werden. Das ermöglicht den Immobilienbewirtschaftern auch eine einfachere Nebenkostenabrechnung.» Das Potenzial von LoRaWAN für den Gebäudebereich skizziert er wie folgt: «Künftig werden Objekt- und Umweltdaten wichtiger sein, die man heute noch nicht systematisch erfasst und auswertet.» Dazu gehörten zum Beispiel Aussen- und Raumtemperatur, Sonneneinstrahlung, aktuelle CO₂-Konzentratio­nen, Lärmpegel und weitere Umweltbelastungen. Solche Daten sind ebenso wichtig für die Steuerung der Gebäudetechnik wie für die Mieterinnen und Mieter.

Genossenschaft als Pionierin
Ein wichtiges Leuchtturmprojekt für das St. Galler Smart Net ist die Siedlung Sturzenegg der Wohnbaugenossenschaft St. Gallen. Von Juli bis November 2017 werden die drei Häuser mit insgesamt 69 Wohnungen bezogen. Derzeit wird die «WBG-SG-App» entwickelt. Neben heute üblichen Funktionen wie der Vernetzung der Mietparteien untereinander oder einem unkomplizierten Kontakt zur Verwaltung werden in diese App auch Daten einfliessen, die gewissermassen über die letzte Meile des Smart Net fliessen, also LoRaWAN.
«Die neue App wird unsere Mieter untereinander vernetzen und ihnen wichtige Daten liefern. Mit Smart Net wollen wir den Energievebrauch mit modernster Technik messen und verständlich darstellen», sagt Jacques-Michel Conrad, Verwaltungsrat der WBG St. Gallen. Der Anstoss zur Nutzung des Smart Net stammt von den SGSW. Sie sind Contractor für die Energieversorgung und werden unter anderem die Heizzentrale der Siedlung betreiben. Bei Redaktionsschluss waren genaue Ausgestaltung der App sowie technische Parameter noch nicht zu erfahren. Wenn die Siedlung Ende 2017 bezogen wird, darf sich die WBG St. Gallen jedoch stolz «nationale Pionierin» auf die Fahne schreiben.

Was ist LoRaWAN?

Als Long Range (LoRa) werden Funknetzwerke auf der Frequenz 868 Megahertz bezeichnet. Meist werden sie als Wide Area Network (WAN) ausgeführt, daher LoRaWAN. LoRaWAN zeichnen sich durch Reichweiten bis zehn Kilometer, eine gute Tiefendurchdringung und Skalierbarkeit aus. Sensoren werden mit Batterien bestückt, die meist Jahre halten. Der Stromverbrauch im Standby-Modus ist vernachlässigbar. Bereits mit wenigen Sende- und Empfangsstationen, den LoRa-Gateways, kann ein grosses Gebiet abgedeckt werden. Hardware und Software sind äusserst kostengünstig im Vergleich zu GSM- und GPS-Lösungen. Für wenige hundert Franken sind alltagstaugliche und wetterfeste Sensoren erhältlich. Ein Plus ist auch die Sicherheit: LoRa überträgt Daten mit einer «end to end»-Verschlüsselung.

Wie starten?

Eine kommerzielle Variante von LoRaWAN ist das Swisscom Low Power Network (LPN). Es eignet sich für Baugenossenschaften, die eher eine bestehende Infrastruktur nutzen möchten: www.lpn.swisscom.ch. Wer sich aktiv an der Verbreitung von LoRaWAN beteiligen möchte, etwa durch das Aufstellen einer Sende- und Empfangsstation (Gateway), findet Anschluss über örtliche Gruppen von «The Things Network»: www.thethingsnetwork.org/country/switzerland. LoRaWAN-Enthusiasten und -Spezialistinnen trifft man an den für alle Interessierten offenen Apéros von «IoT Zurich»: www.meetup.com/IoT-Zurich. Die Entwicklung des LoRA-Standards liegt in den Händen der «LoRa Alliance»: www.lora-alliance.org.