An der Wasserstrasse in Basel bleibt günstiger Wohnraum erhalten

Wenn die Bewohnerschaft selber Hand anlegt

Genossenschaft statt Abrissbirne: An der Basler Wasserstrasse übertrug die Stadtverwaltung Anfang Jahr acht umstrittene Häuser im Baurecht an die Bewohnerschaft. Diese führt nun eine behutsame Sanierung durch – die meisten Arbeiten erfolgen in Eigenleistung. Auf diese Weise bleiben Baukosten und Mieten tief.

Von Elias Knopf | Bilder: Martin Bichsel | Dezember 2016

Chemieschlote sind rar geworden in Basel. Denn statt der traditionellen Massenfabrikation florieren am Rheinknie heute die hochpreisigen Life Sciences. Durch diesen Strukturwandel hat sich der Stadtkanton zur Region mit der schweizweit höchsten Pro-Kopf-Wertschöpfung gemausert – noch vor Zug, Genf und Zürich. Nun sollen Aufwertungsprojekte auch die ehemaligen Basler Arbeiterquartiere auf Vordermann bringen. Im Stadtteil St. Johann, wo nahe dem Novartis Campus in den letzten Jahren neue Strassenzüge mit teuren Wohnungen hochgezogen wurden, ist die Umgestaltung bereits weit fortgeschritten. Wer mit den steigenden Mieten nicht mithalten könne, falle der Gentrifizierung zum Opfer, lautet die Kritik aus dem Santihans, wie die Alteingesessenen ihr Quartier liebevoll nennen.

Erfolgreicher Widerstand
Wie das Leben hier früher vonstatten ging, lässt sich an der Wasserstrasse 21 bis 39 erfahren. Dort versprüht eine um die Wende zum 20. Jahrhundert entstandene Häuserzeile den Charme einer bescheidenen, aber zweckmässigen Wohnwelt – mit Zimmeröfen, originalen Doppelfenstern, alten Parkettböden und Etagenklos. Im unteren Teil der gut 200 Meter tiefen Sackgasse lädt ein autofreier Park mit altem Baumbestand die Kinder zum Spielen ein. Bis in die Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts wohnten hier Arbeiter des kantonalen Energieversorgers Industrielle Werke Basel (IWB). Als die rund fünfzig Ein- bis Vierzimmerwohnungen den steigenden Komfortansprüchen der IWB-Angestellten nicht mehr genügten, zogen an ihrer Stelle Familien mit kleinem Portemonnaie, Studenten, Künstler, Handwerker sowie Kleinverdiener und Pensionäre mit bescheidener Rente ein. Deren Unmut über die städtische Quartieraufwertung schlug vor sechs Jahren in aktiven Widerstand um, als Abrisspläne für die im öffentlichen Besitz befindlichen Häuser bekannt wurden. In der Folge kam es auch zu mehreren Hausbesetzungen.
«Wir haben uns über den Verein Wasserstrasse stadtweit vernetzt und den Erhalt unserer Häuser erfolgreich zum Politikum gemacht», erinnert sich der gelernte Zimmermann David
Reber, der seit 15 Jahren an der Wasserstrasse lebt und aktuell die Dachsanierungen leitet. 2011 überreichte der Verein der Basler Regierung einen Projektvorschlag, der vorsah, die Liegenschaften den Bewohnenden und weiteren Interessierten als Genossenschaft zu überlassen. Die Pflege der Bausubstanz sollte sich auf erhaltende Massnahmen beschränken; eine Hebung des Standards wurde nicht angestrebt. «Das Projekt ermöglicht, dass langjährige Bewohnerinnen und Bewohner des St. Johann-Quartiers weiterhin in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können», hiess es im Projektbeschrieb.

Weitere Renovationsetappen werden in den nächsten Jahren folgen. Ob die Originalholzfenster nur ausgebessert oder doch ersetzt werden, wird basisdemokratisch entschieden.

Unter Genossenschaftsdach
Unter dem Druck der sympathisierenden Öffentlichkeit vollzog die kantonale Liegenschaftsverwaltung im Jahr darauf eine Kehrtwende und stimmte einer genossenschaftlichen Lösung zu. Anfang 2016 wurde die Häuserzeile schliesslich im Baurecht an die Genossenschaft Gnischter übertragen, die in Basel rund 30 selbstverwaltete Gebäude besitzt. «Seither konnten wir bereits bei zwei Häusern Dach, Mansardengeschoss und Estrich erneuern und die Fassaden ausbessern», freut sich David Reber. Da der Unterhalt während Jahrzehnten sträflich vernachlässigt worden sei, habe es nicht genügt, bloss neue Dachziegel zu verlegen.
«Wir mussten auch viel verrottetes Gebälk ersetzen. Gleichzeitig zogen wir eine Dämmschicht aus Holzwolle ein, was die Energiebilanz spürbar verbessert.» Die Kämmerchen in den Mansardengeschossen erhielten zudem moderne Velux-Hochfenster, die für bessere Lichtverhältnisse sorgen. Die Mansarden sind den Wohnungen zugeteilt und dienen als Abstell- und Bastelräume oder als behelfsmässige Gästezimmer. Im Lauf der kommenden drei Jahre sollen nun auch bei den anderen sechs Häusern die Dächer saniert und die Fassaden ausgebessert werden.

Eigenleistung birgt viele Vorteile
«Einen Grossteil der unqualifizierten Arbeiten erledigt die Bewohnerschaft in Eigenleistung», betont David Reber. Aktuell umfasst das Bauteam der Wasserstrasse knapp ein Dutzend Personen. Damit alles seine Ordnung hat, wurde eigens ein Bauverein gegründet, der die geleisteten Arbeitsstunden erfasst, dem Bauteam einen Lohn bezahlt, AHV-Beiträge entrichtet und für den Abschluss der Unfallversicherung besorgt ist. Die Möglichkeit zur Mitarbeit stehe grundsätzlich allen Bewohnerinnen und Bewohnern offen, meint David Reber. Doch werde ein Engagement für mindestens eine Bausaison erwartet, damit sich der Verwaltungsaufwand für die Anstellung lohne.
Über die Monate hinweg komme es dann zu einem handwerklichen Lerneffekt, der einen effizienten und damit rentablen Einsatz des genossenschaftseigenen Arbeitstrupps ermögliche. Daneben gebe es natürlich auch stundenweises Anpacken. «Wenn beispielsweise Baumaterial angeliefert wird, trommeln wir die Bewohnerschaft zusammen. Aber das ist dann unbezahlte Freiwilligenarbeit», schmunzelt David Reber, der im Eigenleistungsmodell klare Vorteile sieht: «Vor allem identifizieren sich die Bewohnerinnen und Bewohner viel stärker mit ihren Häusern, dem Sanierungsprojekt und der Genossenschaft, wenn sie selbst Hand anlegen.»

Blick auf ein erneuertes Dach.

Mieten bleiben günstig
Zudem verschafft die Mitarbeit den Beteiligten einen willkommenen Zusatzverdienst. Und die Genossenschaft braucht weniger externe Handwerker – was hilft, die Sanierungskosten und damit auch die Wohnungsmieten tief zu halten. Diese wurden auf 11.60 Franken pro Quadratmeter festgelegt, was für eine Zweizimmerwohnung einen Monatszins von rund 400 Franken ergibt. Hinzu kommen noch knapp 100 Franken Nebenkosten für Wasser, Strom, Gas oder – je nach Wohnungsausstattung – Brennholz.
Durch das Zusammenlegen mehrerer kleiner Wohnungen zu Familienwohnungen und WGs ist die Zahl der Wohneinheiten von ursprünglich 52 auf aktuell 42 gesunken. Zwar sind die Genossenschaftsmieten im Durchschnitt zehn Prozent höher als früher. Doch einige der besonders tiefen Altmieten beruhten auf langjährigen, aber dennoch unsicheren Untermietverhältnissen. Untermiete sei nun nicht mehr möglich, freut sich David Reber: «Die Baurechtsvereinbarung verlangt, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner ihren Hauptwohnsitz an der Wasserstrasse haben müssen. So konnten wir alle Untermietsverhältnisse in genossenschaftliche Mietverträge verwandeln.»

Erstmals geheizte Duschen
Wie schon an der Aussenhülle sind auch im Innern der Wohnungen keine tief gehenden Eingriffe geplant. Sowieso werden die meisten Renovationsarbeiten von den Bewohnern selbst erledigt. «Wenn jemand den Parkettboden wieder in Schuss bringen will, gehe ich vorbei und zeige, wie man‘s macht. Falls nötig mieten wir eine Schleifmaschine», meint Zimmermann Reber. Auch für Malerarbeiten steht eine professionelle Beratung zur Verfügung. Eine gelernte Malerin, die ebenfalls an der Wasser­strasse wohnt, hat ein Auge darauf, dass die geeigneten Farbprodukte gewählt werden. Probleme oder gar Unzufriedenheit mit diesem Do-it-yourself-Sanierungskonzept gebe es bisher nicht: «Wer an der Wasserstrasse einzieht, weiss, dass hier keine beheizten Badetuchstangen geboten werden.»
Dass den Bewohnerinnen und Bewohnern die Arbeit in den nächsten Jahren ausgehen könnte, ist wenig wahrscheinlich. Denn sobald alle Dächer und Fassaden fertig sind, steht die Erneuerung der Leitungen für Strom und Wasser an. Auch hier will man sich aufs Nötigste beschränken: «Wir bauen keine Zentralheizungen ein, und auch die Klos bleiben draussen auf der Etage. Aber in alle Wohnungen werden Warmwasserleitungen hochgezogen», verrät David Reber. Auch die etwas unpraktische Duschlösung mit Duschräumen in den Kellern werde beibehalten, doch sollen komfortable Brausen eingebaut werden. Und im Winter wird inskünftig eine Heizung für angenehme Temperaturen in den Duschräumen sorgen.

«Selbstverwaltung ist Lebensqualität»
Unliebsame Altlasten etwa in Form von Asbest sind an der Wasserstrasse zum Glück kein grösseres Problem. Als Knacknuss erwiesen sich einzig die Kellerdecken, die auf halb durchgerosteten Stahlträgern ruhen. «Inzwischen haben wir dafür aber eine Lösung gefunden. Wir können den Austausch der Träger sogar mit unserem eigenen Bauteam bewältigen», betont David Reber. Unklar ist zurzeit vor allem, wie es mit den alten Doppelfenstern weitergehen soll. «Am liebsten würden wir diese stilvollen und original erhaltenen Fenster behutsam ausbessern. Energetisch wäre es allerdings deutlich besser, überall moderne Holzfenster mit Doppelverglasung einzubauen.» Diese Frage werde man wohl an mehreren Versammlungen besprechen müssen, meint David Reber. Die Möglichkeit, solche Angelegenheiten basisdemokratisch zu entscheiden, sei ein wichtiger Teil der Lebensqualität an der Wasserstrasse. «Wir funktionieren als Selbstverwaltung. Die Genossenschaft Gnischter lässt der Bewohnerschaft freie Hand und prüft bloss, ob unsere Beschlüsse finanzierbar sind.»