WBG Rüegg im Zürcher Kreis 5 setzt auf sanfte Sanierung

Ein stolzes Gründerzeithaus

Wohneigentum mitten im lebendigen Zürcher Kreis 5? Eine junge Genossenschaft konnte vom Wohlwollen des ehemaligen Besitzers profitieren. Bereits hat sie damit begonnen, die 120-jährige Immobilie sanft zu sanieren – mit viel Verständnis für bauliche Details und ursprüngliches Erscheinungsbild.

Von Paul Knüsel | Bilder: Martin Bichsel | Dezember 2016

Die Waschküche hat einen legendären Ruf: Für die einen ist der gemeinsam genutzte Raum ein gefürchteter Konfliktherd, für die anderen ein positiver Ort, an dem man aus der
anonymen Nachbarschaft hinaustritt und soziale Kontakte pflegt. Und dann gibt es noch eine dritte Kategorie, die für die Bewohnerinnen und Bewohner an der Neugasse 33 im Zürcher Stadtkreis 5 zum grossen Glücksfall geworden ist. Zwei langjährige Mieter trafen im Keller nämlich zufällig den Besitzer an; bald sprach man über die Zukunft des Wohnhauses und der Nachbarschaft.

Vom Mieter zum Eigentümer
Seither sind drei Jahre vergangen: Die Mieterinnen und Mieter von damals sind jetzt gemeinsame Besitzer, nur wenige Gehminuten von Hauptbahnhof, Limmatplatz oder Langstrasse entfernt. Gemeinsam haben sie eine Wohnbaugenossenschaft gegründet und Teile der Immobilie aufgefrischt und saniert. Noch mehr als die attraktive Lage freut die neun Junggenossenschafter, dass ihr gemütlicher und preisgünstiger Wohnraum erhalten geblieben ist.
Als Dankeschön für den fairen Immobilienhandel nennt sich die Wohnbaugenossenschaft genau so wie die ehemalige Besitzerfamilie: Rüegg. Letztere spendierte ihrerseits eine Plakette mit Schlüssel, zur Erinnerung an die einvernehmliche Handänderung im Oktober vor einem Jahr. Die zwei Rüegg-Brüder sind selbst hier aufgewachsen und haben die Liegenschaft an der Neugasse geerbt. «Ihnen lag besonders am Herzen, dass wir im Haus wohnen bleiben konnten», erinnert sich Iva Sedlakova, nun Genossenschaftspräsidentin, an das erfreuliche und wohlwollende Waschküchengespräch.

Blick von der Hofseite mit originalgetreu restauriertem Dach.

Gemeinschaftsbad erhalten
Das fünfstöckige Haus wurde Ende des 19. Jahrhunderts erstellt; nur wenige Jahre nach der Eingemeindung von Aussersihl in die Stadt Zürich. Damals war der Kreis 5 noch ein Flickenteppich aus kleinen Arbeiterhäusern, Lagerstätten und grünen Wiesen. Auf diesem Bauplatz jedoch lancierte Bauherr Stephan à Porta seine Idee, den wachsenden Industriestandort Zürich mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen. Sein beeindruckendes soziales Erbe umfasst über tausend Wohnungen, die inzwischen von der Stephan-à-Porta-Stiftung bewirtschaftet werden. Das Haus an der Neugasse 33 gehört aber nicht mehr dazu; der damalige Bauhandwerker Rüegg erwarb es bereits vor acht Jahrzehnten.
Bis heute sind die wesentlichen Merkmale dieser Arbeiterhäuser erkennbar geblieben: knarrende Treppen, robuste Steinböden und gemütlicher Parkett, zudem kammerartige Grundrisse, bescheidene Wohnflächen und überraschende Raumhöhen. Und ebenfalls Bestand hat die vor mehreren Generationen übliche gemeinsame Nasszellenorganisation: In der vierten Etage befindet sich ein Badezimmer, das alle Bewohner benutzen dürfen. Die meisten haben sich aber eine zusätzliche Duschzelle in ihre kompakten Dreizimmerwohnungen eingebaut.

Strassenbild erhalten
Das ist auch nach der ersten, kürzlich abgeschlossenen Sanierungsetappe nicht anders geworden. «Das Haus soll seinen Charakter bewahren», erklärt Iva Sedlakova den Geist der jungen Wohnbaugenossenschaft. Dennoch wurde abgemacht, das Domizil sukzessive zu erneuern, sobald genug Geld dafür vorhanden ist. Bereits trägt die Hausfassade eine helle Ockerfarbe, die gleichsam den Stolz der neuen Besitzer nach aussen trägt; an den Dachflanken glänzt das frische Kupfer. Und an schönen Tagen ist der Vorplatz, den das beliebte Café Noir im Erdgeschoss nutzen darf, ebenso rege besetzt wie vor und während des Umbaus. Die baulichen Eingriffe zielen darauf ab, das fast 120-jährige Gebäude Schritt für Schritt schonend und sachgerecht zu sanieren. Das Objekt selbst ist nicht geschützt; trotzdem stand für den beauftragten Architekten Jörg Müller bei den meisten Interventionen der Erhalt des ursprünglichen Charakters im Vordergrund. Das historische und für diesen Standort typische zusammenhängende Strassenbild blieb dadurch wohltuend gewahrt.

Im Rahmen der Dachsanierung frischte man auch die Gemeinschaftsterrasse auf. 

Das typische Strassenbild blieb erhalten.

Finanzieller Kraftakt
Wie man Altbauten zeitgemäss erneuern soll, ist Gegenstand wahrer Energiedebatten und füllt in jeder Fachbibliothek viele Regale. Die Wärmeverluste verhindert man primär durch das Abdichten der Gebäudehülle. Und der energetische Fussabdruck lässt sich zusätzlich eindämmen, wenn erneuerbare Energieträger zum Einsatz kommen. Was in der Literatur oft fehlt, sind Hinweise darauf, wie viel die gut gemeinten Pauschalmassnahmen kosten. Die bisherigen Gaskleinöfen durch eine Zentralheizung zu ersetzen, lag deshalb nicht drin. Für die Wohnbaugenossenschaft Rüegg war der grösste Kraftakt nämlich, das Geld für den Liegenschaftskauf, «über zwei Millionen Franken», aufzutreiben.
Mit dem Überschuss wurde der Umfang der nachfolgenden Erneuerung definiert: Bei den möglichen und vorgeschlagenen Eingriffen galt es, das Wesentliche und Zwingende vom Wünschenswerten, aber Verzichtbaren zu trennen. Die Prioritätenliste wurde aus dem umfassenden Beratungskatalog des Umwelt- und Gesundheitsamts der Stadt Zürich abgeleitet. Der gezielten Verbesserung von baulichen und energetischen Mängeln am Haus Neugasse 33 galt das Hauptaugenmerk. Dach und Keller wurden als wichtigste Bauteile ausgewählt, um das vorerst knappe Geld zur Erneuerung auszugeben.

Problematischer Altanstrich
Vorgängig wurden verschiedene Eingriffsvarianten bauphysikalisch analysiert. Schliesslich zog es die Genossenschaft vor, nicht einfach den Estrichboden, sondern das Dach selbst zu dämmen. Dazu wurde das Unterdach neu aufgebaut und die Hohlräume zwischen den Sparren mit Zelluloseflocken ausgeblasen. Daher wirkt der Estrich neu als thermische Pufferzone. Darüber wurde die bestehende Gemeinschaftsterrasse aufgefrischt. Zudem entschied sich die Genossenschaft dafür, die Seitendächer mit Biberschwanzziegeln einzudecken. Sonst blieb die originale Dachkonstruktion dank der guten Substanz sämtlicher Balken und Sparren erhalten.
Auch an den Fassaden fand eine Kombination aus Instandhaltungs- und Sanierungseingriffen statt. Das schmale Budget hätte wohl keine zusätzliche Aussendämmung erlaubt. «Aus gestalterischen und bauphysikalischen Gründen wäre dies auch kaum sinnvoll gewesen», ergänzt Architekt Jörg Müller. Ein Problem stellten jedoch die zuletzt aufgetragenen Dispersionsschichten dar. Weil ihr Kunststoffanteil eine luftdichte Barriere bildet, musste die Oberfläche mit einer Spezialwalze perforiert werden. Nur so wird sichergestellt, dass der frische Mineralanstrich nicht reisst. Die Farbwahl an der Fassade wirkt diskret. Die blassblaue Umrandung der Kunststeinfassungen unter den Fenstern verrät, wie gross das Interesse der Bewohnerschaft selbst an kleinen Baudetails gewesen ist.

Genossenschaftliche Fördermittel
Nicht nur die Diskussionen um die baulichen Details verliefen konstruktiv, auch die Finanzierung wurde in vielen gemeinsamen Besprechungen thematisiert. Dank kompetenter Beratung von Bekannten und vom Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz gelang es schliesslich, mehrere Quellen anzuzapfen. Der Solidaritätsfonds des Verbands stellte ein Darlehen zur Verfügung; der Fonds de Roulement bewilligte zusätzliche Mittel aus Bundesgeldern, unter der Bedingung, dass das Haus energetisch verbessert wird. Und die Emissionszentrale für gemeinnützigen Wohnungsbau hat ihrerseits Gelder reserviert, falls die erste Sanierungsetappe abgeschlossen ist. Vorerst sind Dach und Fassade erneuert worden. Fenster und Kellerdecke sollen in den kommenden vier Jahren folgen. Bis dann ist die Genossenschaft daran, ihr finanzielles Polster zu vergrössern. Die Mieten wurden bereits nach dem Kauf um fast die Hälfte erhöht; eine Dreizimmerwohnung kostet knapp tausend Franken pro Monat.
Mit den Banken über ein Hypothekar­geschäft zu verhandeln, erwies sich als zeitaufreibender und komplizierter als gedacht. «Anfänglich wurde unser Konzept, den Ausbaustandard einfach zu halten und vorerst auf Zentralheizung zu verzichten, kaum verstanden», sagt Iva Sedlakova. Eine umfassende Sanierung wäre vielerorts sogar Bedingung gewesen, um zusätzliches Kapital zu erhalten. Am Schluss konnte die Genossenschaft jedoch auswählen. Denn diejenigen Bankberater, die sich das Haus persönlich anschauten, begriffen, worum es den Bewohnern wirklich geht: «Wir lieben unser Haus; es soll möglichst bleiben, wie es ist.»