Isos: Ende der Baublockade in Sicht?

Die Direktantwendung des «Bundesinventars der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung» (Isos) blockiert zahlreiche Bauprojekte von Wohnbaugenossenschaften. Nun könnten kantonale Anpassungen und ein runder Tisch vielleicht bald Abhilfe schaffen.

Von Steven Goldbach | Bilder: Maaaars Architektur, zVg, 2025/03

Im Juni letzten Jahres schlug die Stadt Zürich Alarm. Die zunehmende Anzahl von Fällen, in denen das Isos direkt angewendet wird, führe zu Planungs- und Rechtsunsicherheit und es drohe eine Baublockade. Unter den betroffenen Projekten sind auch zahlreiche grössere Bauvor­haben von Wohnbaugenossenschaf­ten. Dazu zählen etwa die «Siedlung Drei­spitz» der Asig Wohngenossenschaft, wo 900 Wohnungen gebaut werden sollen, oder das Ersatzneubauprojekt «Im Drü­egg» der Baugenossenschaft Glat­tal Zürich (BGZ) mit mehr als 200 Wohnungen. Die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohn­raum wird so ausgerechnet in Zeiten der Wohnungsnot ausgebremst.

Heutige Überbauung am Schwamendinger Dreieck

Was hat es mit der «Direktanwendung» auf sich?
Das Isos definiert als zentrales Instrument für den Ortsbildschutz Gebiete, in denen eine sorgfältige Interessensabwägung vorgenommen werden muss. Im Normalfall geschieht dies im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens durch die Gemeinde. Die beteiligten Akteure und deren Zuständigkeiten ändern sich allerdings, wenn es zur sogenannten Direktanwendung kommt. Das ist dann der Fall, wenn ein inventarisiertes Gebiet zusätzlich eine Bundesaufgabe betrifft. Dazu können beispielsweise der Grundwasserschutz, Photovoltaikanlagen, Zivilschutzräume oder Mobilfunkantennen zählen.
Involviert ist dann der Kanton oder sogar die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) in Bern. Die Direktanwendung führt dazu, dass es nach Einreichen des Baugesuchs zu einer Neubeurteilung des Vorhabens kommen kann. Eine erneute Prüfung soll zeigen, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzziele des Isos ausgeschlossen werden kann. Vorgaben aus Bau- und Zonenordnungen, Richtplänen oder Gestaltungsplänen können im Zuge dieser Neubeurteilung übersteuert werden.
Dass sich die Problematik in der Stadt Zürich zuspitzt, hat mehrere Gründe: Hier sind 75 Prozent der Fläche im Isos in­ventarisiert, aber auch grosse Teile davon durch Bundesaufgaben betroffen. Zugleich beziehen sich immer mehr Rekurse gegen Bauvorhaben auf das Isos. Bereits ist absehbar, dass sich die Problematik auch andernorts akzentuieren wird.

Planungs- und Rechtsunsicherheit führt zu Verzögerungen und Blockaden
Ein grundsätzliches Problem besteht darin, dass nicht abschliessend definiert ist, welche konkreten Bundesaufgaben eine Direktanwendung auslösen. Sie ergeben sich stattdessen aus der Rechtsprechung und sind im Einzelfall zu prüfen.
Das aber führt zu einer hohen Rechts- und Planungsunsicherheit, die für die betroffenen Baugenossenschaften zum Problem wird. Erschwerend hinzu kommt schliesslich der späte Zeitpunkt des Entscheids, ob die Schutzziele des Isos beeinträchtigt sind oder nicht. Die Folge sind unabsehbare Verzögerungen und Mehr­kosten. Bei grösseren Bauvorhaben kann eine Blockade oder gar Verhinderung der Projekte den Fortbestand von Baugenossenschaften gefährden.

Das BGZ-Projekt umfasst auch Brücken über einen Graben zur Erschliessung der Parzelle (links, grün markiert) und Schutzräume (unten, braun). Damit betrifft es Bundesaufgaben und unterliegt der Isos-Direktanwendung.

Runder Tisch soll Blockade lösen
Der Druck auf die Politik wächst. Denn angesichts der Wohnungskrise, aber auch mit Blick auf die raumplanerisch erwünschte Entwicklung nach innen ist es erforderlich, dass die Planungs- und Rechts­sicherheit im Zusammenhang mit Isos wieder hergestellt wird.
Anfang des Jahres kündigte das Bundesamt für Kultur (BAK) einen runden Tisch zum Isos an, der im Mai und Juni mit öffentlichen Akteuren und betroffenen Verbänden durchgeführt wurde. Das Ziel: die Optimierung des bestehenden Instrumentes. Teilgenommen hat auch der Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz; Resultate lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor. In einer Stellungnahme hatte aber der Verband schon früh gefordert, dass die Verfahren so angepasst werden, dass eine frühere Rechtssicherheit erreicht wird: «Es soll bereits beim Vorliegen einer Machbarkeitsstudie oder eines Resultates eines Konkurrenzverfahrens rechtssicher festgestellt werden können, ob eine Beeinträchtigung der Schutzziele des Isos ausgeschlossen werden kann oder nicht.» Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass zu diesem Zeitpunkt der bereits geleistete finanzielle Aufwand noch vertretbar ist.

Staatsebenen sollen besser zusammenspielen
Wenn es um konkrete Lösungen geht, ist zum einen das Zusammenspiel zwischen den Staatsebenen von Bedeutung. Im Kanton Zürich, wo die Situation angesichts der schnell anwachsenden Zahl von Isos-Ver­fahren besonders akut ist, sollen die Bewil­ligungsverfahren vereinfacht und damit beschleunigt werden, indem die bisherige Zuständigkeit des Kantons für die Isos-Prü­fung bei der Direktanwendung an die Gemeinden delegiert wer­­den kann. Die Änderung wurde Anfang Juni im Kantonsrat beschlossen.

Bundesaufgaben müssen geklärt und präzisiert werden
Auf nationaler Ebene rücken jene Bundesaufgaben in den Fokus, die eine Direktanwendung des Isos auslösen. So ist es denkbar, die Direktanwendung auf je­ne Bundesaufgaben zu beschränken, die das Erscheinungsbild des betreffenden Objektes und das geschützte Ortsbild tatsächlich sichtbar beeinflussen. Für Pho­tovoltaikanlagen könnte eine neue Regelung etabliert werden, dass nur noch bei Bestandes-, nicht aber bei Neubauten die Isos-Direktanwendung ausgelöst würde.
Bleibt die Frage nach dem Zeithorizont, in dem sich allfällige Änderungen herbeiführen lassen: Gesetzliche Änderungen sorgen für Klarheit, die Umsetzung braucht aber in der Regel mehrere Jahre. Angesichts der Notwendigkeit einer raschen Lösung sind Anpassungen auf Verordnungsstufe daher wahrscheinlicher. Bis Ende Juni sollen die Ergebnisse des runden Tisches auf Bundesebene präsentiert werden. Der Verband wird den Druck aufrechterhalten, dass den Worten rasch Taten folgen.

Projekt «Im Drüegg»

Mit dem Projekt «Im Drüegg» will die Baugenossenschaft Glat­tal Zürich (BGZ) ihre Sied­lung im Schwamendinger Dreieck in Zürich ersetzen. Die Gebäude aus den Jahren 1947 bis 1956 sind modernisierungsbedürftig: die Grundrisse sind klein, die Bausubstanz ist veraltet, der Energieverbrauch ist hoch und es fehlen Lifte. Die geplanten Neubauten erhöhen die Wohnungszahl von 140 auf 215 und umfassen ein Pflegeheim ­mit 52 Plätzen, 20 betreute Wohnungen, 24 Alterswohnungen, Gewerbe und öffentliche Nutzungen, darunter die neue BGZ-Geschäftsstelle und eine Kita. Trotz hoher Verdichtung setzt das Projekt auf hochwertige Freiräume, Lärmschutz und eine ortsbildgerechte Gestaltung. Es schafft bezahlbaren und hochwertigen Wohnraum für künftig doppelt so viele Bewohner:innen wie heute. In Zusammenarbeit mit der Stadt Zürich wurde ein Masterplan für die Entwicklung des Gebiets erstellt, der die städtebaulichen Rahmenbedingungen festlegt und die Gartenstadt berücksichtigt.

«Es herrscht erheblicher Druck – bei fehlender Planungssicherheit»

BGZ-Präsident Thomas Lohmann erklärt, was die Isos-Direktanwendung für das Projekt «Im Drüegg» und die Genossenschaft bedeutet.

Wohnen: Seit wann laufen die ­Planungen für das Projekt?

Die Planungen begannen mit einem Master­plan im Jahr 2012, gefolgt 2015 von einer Machbarkeitsstudie und einem Architekturwettbewerb 2018 in Zusammenarbeit mit der Stadt Zürich, der 2019 ent­schieden wurde.

In welcher Phase wurde die Genossenschaft mit der Isos-Direktanwendung konfrontiert?

Kurz nach der Jurierung forderte das Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich (AWEL) die Offenlegung eines eingedolten Bachs, was zuvor nie ein Thema gewesen war. Das führte zu einem Wasserbauprojekt und aufwändiger behördli­cher Koordination, die drei Jahre dauerte. Nach Abschluss des Wasserbauprojekts kam im Sommer 2024 die nächste Herausforderung: Das Amt für Hochbauten der Stadt Zürich wies auf die Isos-Problematik hin – kurz vor geplanter Kreditfreigabe und Einreichung des Baugesuchs.

Warum ist das Projekt von der Isos-Direktanwendung ­betroffen?

Der Ostteil der Parzelle liegt in einem Gebiet mit dem Isos-«Erhal­tungsziel B». Das geplante Projekt weicht jedoch vom bestehenden Zustand ab: Es ist dichter gebaut, die Gebäudeanordnung wird verändert, es sind mehr Geschosse vorgesehen und auf Schrägdächer wird zugunsten von PV-Gründächern verzichtet. Zudem beinhaltet das Projekt zwei Bundesaufgaben: einerseits die Schutzräume und anderseits die Brücken über den Schürgi­graben zur Erschliessung der Parzelle.

Was bedeutet die Isos-bedingte ­Situation konkret für das Projekt?

Das Projekt liegt nicht mehr im Aufgabenbereich der Stadt Zürich. Stattdessen ist nun der Bund dafür zuständig. Dies hat dazu geführt, dass sich der Planungsprozess erheblich verlängert hat und die Planungskosten gestiegen sind. Wir muss­ten die Kreditfreigabe durch die Generalversammlung und weitere Planungsschritte verschieben. Damit verzögerte sich auch das Baugesuch. Es besteht das Risiko, dass das Projekt als nicht mit dem Isos vereinbar beurteilt und keine Baubewilligung erteilt wird. Obschon sowohl der Wettbewerb als auch alle weiteren Planungsschritte mit der Stadt Zürich (Amt für Städtebau) abgesprochen wurden. Für uns bedeutet das eine grosse Planungs- und Rechtsunsicherheit.

Zu den neuen Mietparteien zählt auch ein Pflegeheim. Was sind die Auswirkungen für diese Einrichtung?

Es droht eine kritische Fristüberschreitung: Der Mietvertrag für das bestehende Pflegeheim läuft spätestens im September 2029 aus. Um den Neubau rechtzeitig fertigzustellen, müsste der Bau bis spätestens Anfang 2027 starten. Ob das machbar ist, ist aufgrund der Unsicherheiten aktuell nicht absehbar.