
Building Information Modeling (BIM) könnte Haustechnikplanung revolutionieren
Digitale Zwillinge
Auch bei Genossenschaftsbauten werden die Sanitärinstallationen meist noch auf Papier entworfen. Bessere Übersicht und zusätzlichen Nutzen verspricht das Building Information Modeling (BIM). Es soll die Planung vereinfachen, Konflikte auf der Baustelle entschärfen und den Betrieb des Gebäudes vereinfachen.
Von Michael Staub | Bilder: Siemens, Methabau | September 2019
Der Ende 2018 eröffnete «Siemens Campus Zug» umfasst ein Produktionsgebäude sowie ein Bürogebäude mit 1000 Arbeitsplätzen. Die Neubauten mit einem Investitionsvolumen von 250 Millionen Franken dienen dem Unternehmen nicht nur als Standort, sondern auch als Referenzprojekte. «Wir haben das gesamte Projekt mittels Building Information Modeling (BIM) geplant und umgesetzt. Die Gebäude existieren somit nicht nur physisch, sondern auch als ‹digitaler Zwilling›, als 3D-Modell mit zahlreichen weiteren Informationen», sagt Christoph Leitgeb. Er ist der zuständige Projektleiter bei der Siemens Schweiz AG. Das BIM-Modell enthält detaillierte Informationen über alle Gewerke und soll damit einen «effizienten, kostenoptimierten und vorausschauenden Unterhalt» ermöglichen.
Günstigerer Unterhalt
In der Schweiz ist BIM seit Jahren ein Thema. Die Baubranche, die immer noch von langen Innovationszyklen, kleinteiligen Strukturen und grossem Koordinationsaufwand geprägt ist, verspricht sich davon einen Modernisierungsschub und merkbare Effizienzgewinne. Bei der klassischen Projektabwicklung werden Sanitär-, Heizungs-, Lüftungs- und Elektroarbeiten häufig von verschiedenen Unternehmen geplant und ausgeführt. Beim Siemens Campus hingegen wurden die Leitungsführungen dank der digitalen Planung optimiert. «Die Streckenlänge konnten wir genau einplanen und damit Kollisionen mit anderen Gewerken vermeiden», erklärt Christoph Leitgeb. Bei konventioneller Planung hätte man die Kollisionen erst auf der Baustelle entdeckt, was bekanntlich Mehrkosten und Verspätungen verursacht.
Über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes betrachtet, macht die Erstellung nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten aus. Viel höher sind die Aufwendungen für den Betrieb. Auch hier soll BIM Vorteile bringen, wie Christoph Leitgeb ausführt: «Erstens wissen wir dank dem digitalen Zwilling eindeutig, welche Anlagen sich wo befinden. Zweitens können wir Echtzeitdaten des Gebäudebetriebs auswerten und sehen so frühzeitig, wo sich Probleme ankünden.» Statt zu warten, bis Defekte und Fehlermeldungen auftreten, können die Systeme schon früher geprüft oder repariert werden. Dieser präventive Unterhalt ermöglicht es, die nötigen Arbeiten früh einzuleiten und damit Kosten zu senken. Ein weiterer Vorteil: Im BIM-Modell können zu jeder Anlage die wichtigen Dokumente hinterlegt werden. «So sind etwa die notwendigen Informationen bei Umwälzpumpen, Brandmeldern oder Wärmepumpen mit wenigen Klicks verfügbar», berichtet Christoph Leitgeb.

Siemens setzte bei seinem Campus in Zug mit tausend Arbeitsplätzen ganz auf Building Information Modeling (BIM). Dadurch liess sich nicht nur die Leitungsplanung optimieren, auch Fehler und Defekte werden nun frühzeitig erkannt.

Konflikte vermeiden
Eignet sich BIM nur für hoch technologisierte und entsprechend teure Neubauten wie den Siemens Campus? Das Gegenteil ist der Fall. In Rümlang wurde 2017/2018 das «B & B Airport Hotel» erstellt. Das sechsgeschossige Gebäude umfasst 170 Zimmer und wurde von A bis Z mit Hilfe von BIM geplant und gebaut. Dies gilt auch für die insgesamt 18 Steigzonen. In den vorgefertigten, 18 Meter langen Modulen sind unter anderem Vorlauf und Rücklauf für Kühlung, Wärme und Frischwasserstationen untergebracht, ebenso Leitungen für Schmutzwasser, Zu- und Abluft sowie die Elektrozuleitungen. Auf der Baustelle beanspruchte der Einbau einer Steigzone mittels Kran ungefähr 15 Minuten. Gegenüber einer konventionellen Installation war der Zeitgewinn also beträchtlich. Zudem konnte man zahlreiche Probleme vermeiden. Michael Scheiwiller, zuständiger Projektleiter und Mitinhaber bei Methabau, sagt: «Es gab keine Schnittstellen und damit auch keine Schnittstellenprobleme. Bei den Installationen musste nicht improvisiert werden, denn sämtliche Details waren konstruiert und definiert. So war jede Wand- und Deckenaussparung klar, und wir mussten keine Durchbrüche mit Spitzen oder Kernbohrungen vornehmen.»
Die effiziente Abwicklung wurde dadurch begünstigt, dass die Methabau gewissermassen alle Berufsgattungen im eigenen Haus beschäftigt: Vom Architekten, Konstrukteur und Fachplaner bis zum Brandschutzplaner sind alle Kompetenzen innerhalb der Firma verfügbar. Der zeitraubende Austausch von Daten und Informationen mit Drittfirmen entfiel dadurch. Die Planung wurde mit der höchsten Detailstufe durchgeführt (Level of Detail 500 = LOD 500). Wenn man sich für BIM entscheide, müsse man dies auch komplett durchziehen, meint Michael Scheiwiller dazu. Das Potenzial von BIM für die Haustechnikplanung betrachtet er als sehr gross: «Konstruktion und Praxis fliessen viel früher ineinander. Mit der vorgängig kompletten BIM-Konstruktion können Kollisionen und Probleme bereits vor der Bauausführung gelöst werden. Ich glaube, dass man in Zukunft fast nicht mehr an BIM vorbeikommen wird.»
Unterschiedliches Verständnis
Das Interesse an BIM ist gross, vorzeigbare Projekte sind derzeit aber noch etwas dünn gesät. Dies mag auch an einem gewissen digitalen Nachholbedarf der Bau- und damit der Sanitärbranche liegen. Thomas Grünig ist Technischer Vorstand Sanitär beim Netzwerk «Die Planer» (früher SWKI). Er weist auf ein häufiges Missverständnis hin: «Heute spricht man gerne über BIM und Digitalisierung, meint im Prinzip aber die 3D-Planung.» Zwar vereinfache die Arbeit mit solchen 3D-Modellen die Planung und Ausführung auf der Baustelle. Beim «richtigen» BIM liege der Akzent jedoch auf dem «I», also der Information: «Bei einem guten BIM-Modell sehe ich nicht nur die Umwälzpumpe, sondern kann auch nachschauen, wie sie angeschlossen wird und was sie kostet», sagt Thomas Grünig.
Das langfristige Potenzial eines BIM-Modells, also eines «digitalen Zwillings» des Gebäudes, sieht Thomas Grünig beim Unterhalt. Was beim «Siemens Campus» bereits funktioniert, könnte auch in Genossenschaftssiedlungen den Unterhalt vereinfachen und idealerweise die Kosten senken. Ob ein BIM-Modell hingegen über die ganze Lebensdauer eines Gebäudes regelmässig aktualisiert und von Fachleuten verwaltet werde, sei offen: «Viele Verwaltungen sind vor allem an Grundrissen, Raumaufteilung und Fläche interessiert. Die Gebäudetechnikpläne sind oft weniger spannend und werden nicht aktualisiert. Doch wenn es schon Probleme mit Papierplänen gibt, wie soll es dann mit einem digitalen Modell funktionieren?»

Das «B & B Airport Hotel» in Rümlang wurde von A bis Z mit Hilfe von BIM geplant und gebaut. Die 18 Steigzonen kamen als 18 Meter lange Module vorgefertigt auf die Baustelle und waren innert 15 Minuten eingebaut.

Potenzial ist vorhanden
Wie der Einwand zeigt, muss BIM nicht nur bei der Planung und dem Bau, sondern auch beim jahrzehntelangen Betrieb eines Gebäudes klug eingesetzt werden. Wenn die technischen und organisatorischen Voraussetzungen stimmen, sind die Perspektiven aber durchaus interessant. Viele Baugenossenschaften setzen heute auf flexible Grundrisse. So werden zum Beispiel einzelne Zimmer nur mit Leichtbauwänden abgetrennt, die rasch entfernt werden könnten, oder einzelne Zimmer sind bereits für eine Umnutzung als zweites Bad vorbereitet.
Damit solche Umnutzungen auch noch in 15 bis 20 Jahren funktionieren, braucht es eine kluge Anordnung der sanitären Erschliessung, also der Steigzonen mit Wasser- und Abwasserleitungen. Dafür sei BIM hilfreich, meint Matthias Kuhn. Er ist Leitender Experte Digitale Planung bei der Basler & Hofmann AG. «Denkbar sind zum Beispiel Baukastensysteme, deren Module bei einer Umnutzung ausgewechselt werden können», erklärt er. Entsprechende Projekte im Ausland könnten aber nur mässig überzeugen. Mehr Potenzial biete die Kombination fester Installationen mit flexiblen Grundrissen: «Mit einem geringen BIM-Detaillierungsgrad kann man zum Beispiel verschiedene Musterwohnungen konfigurieren und prüfen. So können viele Kombinationen von Grundrissen und Steigzonenanordnungen analysiert werden, um eine optimale, möglichst flexible Konfiguration zu finden.» Der Initialaufwand für die BIM-Koordination sei vorhanden, mache sich aber später bezahlt, meint Matthias Kuhn: «Das Projekt ist qualitativ besser, und der grosse Vorteil wird sich zeigen, wenn die Modelle auch in der Ausführung und in der Bewirtschaftung genutzt werden.»
Umständliche Geburt
Seit einigen Jahren beschäftigt sich die Schweizer Baubranche intensiv mit Building Information Modeling (BIM). BIM bezeichnet das digitale Abbild eines Bauwerks, oft wird vom «digitalen Zwilling» gesprochen. Mit Hilfe von spezieller Software und Computermodellen werden sämtliche wichtigen Daten eines Bauwerks digital modelliert und können auch geometrisch beziehungsweise grafisch dargestellt werden (zum Beispiel 3D-Modelle aller relevanten Leitungen und Rohre in einem Gebäude). Das Versprechen von BIM ist gross: Eine sorgfältige, koordinierte Planung der verschiedenen Gewerke soll Probleme oder Konflikte bereits vor der Ausführung auf der Baustelle erkennbar machen. Mit dem «digitalen Zwilling» sind zudem viel genauere Daten verfügbar, was spätere Umbauten, Erweiterungen oder Sanierungen vereinfacht.
Jedoch plagen diesen Zwilling öfter Geburtswehen, weil die Koordination der verschiedenen Datenformate, Softwareprogramme und Projektbeteiligten häufig sehr aufwendig ist. Trotz zahlreichen Kongressen, Seminaren und Weiterbildungen zu BIM fehlt es derzeit noch am Grundlegenden, nämlich einem gemeinsamen Verständnis der Methode. Bei der 2018 durchgeführten SVIT-Umfrage «BIM in der Schweizer Immobilienwirtschaft – eine Situationsanalyse» zeigte sich, dass von 349 befragten Bauherrenvertretern nur ein Drittel eine marktübliche BIM-Definition liefern konnte. Ebenso stellte sich heraus, dass keiner der zahlreichen Verbände als federführend wahrgenommen wird.
Ressourcen für Bauträger
Der Verband Schweizer BIM-Softwarelieferanten vernetzt Schweizer Akteure und fördert offene BIM-Prozesse, die unabhängig von der eingesetzten Software funktionieren:
www.openbim.ch
«Bauen digital Schweiz» vereint Institutionen, Verbände und Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette und engagiert sich auch für BIM-Themen:
www.bauen-digital.ch
Einen guten BIM-Einstieg und -Überblick wird die Swissbau 2020 bieten. Der «iRoom» ermöglicht es Besucherinnen und Besuchern, das digitale Planen, Bauen, Nutzen und Betreiben zu erleben: www.swissbau.ch