Coopérative i6 überzeugt mit energetischer Minergiesanierung eines denkmalgeschützten Hauses in Lausanne

Gefördert und gefordert

Die Coopérative i6 hat sich mitten in Lausanne in einem Arbeiterhaus aus dem 19. Jahrhundert ihren Traum vom klimagerechten Wohnen erfüllt. Der Spagat zwischen energetischer Minergiesanierung und Denkmalschutz stellte einige Anforderungen.

Von Simone Hofer (i.A. von BFE Das Gebäudeprogramm) | Bilder: zVg | Oktober 2021

Für die Stadt Lausanne war es ein Versuchsballon, für eine junge Genossenschaft der Startschuss zur Erfüllung ihres Traums: 2011 beschloss der Stadtrat, das baufällige, aber geschichtsträchtige Eckhaus, das den Eingang zum charmanten Vallon-Quartier markiert, im Baurecht öffentlich auszuschreiben. Den Zuschlag sollte erhalten, wer die beste Idee präsentierte für eine ökologisch, finanziell und sozial nachhaltige Nutzung, die auch den Auflagen des Denkmalschutzes genügte. Denn das 1887 errichtete Gebäude ist ein wichtiger his­torischer Zeuge – die Bauherrschaft musste garantieren, dass der ursprüngliche Charakter des Gebäudes als Dreh- und Angelpunkt im ehemaligen Arbeiter- und Industrieviertel erhalten blieb.
Aus den zahlreich eingegangenen Vorprojekten ragte dasjenige der «Coopérative i6» heraus. Diese wurde gegründet von sechs befreundeten Parteien, die – jede für sich – seit längerem auf der Suche nach bezahlbarem Wohn­raum in Lausanne waren und die Vision vom genossenschaftlichen, klimafreundlichen und urbanen Wohnen teilten. Die Mitglieder, darunter auch Architekten, erarbeiteten gemeinsam ein Vorprojekt. Bewertet wurden die Kriterien Energieeffizienz, Erhaltung der bauhistorischen Be­deu­tung, nachhaltige Finanzierung sowie soziale Aspekte. Das oberste Ziel der Stadt war nicht die Renditemaximierung, vielmehr sollte die künftige Nutzung in erster Linie zum Charakter des quirligen Quartiers passen, das durch Verkehrsberu­higungsmassnahmen und Be­grünung gerade eine Aufwertung erfuhr.

Langer Weg bis zur Baubewilligung
Die Coopérative i6 reichte ihr Projekt ein. Die Mitglieder erinnern sich mit Freude an den Moment, als sie vom Sieg ihrer Eingabe erfuhren: «Das war wirklich ein sehr emotionaler Moment. Kein anderes Projekt konnte alle fünf gestellten Anforderungen der Stadt so gut erfüllen wie das unsrige.» Die Genossenschaftsphilosophie etwa ermöglicht es jungen Familien, aber auch älteren Personen inmitten der teuren Stadt Lausanne erschwinglich zu wohnen. Als grosser Vorteil erwies sich zudem, dass die Genossenschaft mit dem Architekten Olivier Rochat auf einen erfahrenen Sanierer historischer Bausubstanz vertrauen konnte; er war an der Sanierung von Gebäuden im Dorfkern der Waadtl­änder Gemeinde Prangins beteiligt, die 2021 mit dem Wakkerpreis des Schweizer Denk­malschutzes ausgezeichnet wurde.
Die Baupläne sahen sechs Wohneinheiten, eine gewerbliche Nutzung des Erdgeschosses sowie den Ausbau des Dachstocks und des Kellers vor. Damit konnte der Raum optimal genutzt werden. Ein früherer Dachbrand hatte das historische Arbeiterhaus zusätzlich in Mitleidenschaft gezogen. Das erwies sich nun für die Genossenschaft sogar als Vorteil, weil es den Ausbau des Dachstockes erlaubte. Da er nach dem Brand saniert werden musste, war er nicht mehr im Originalzustand und deshalb auch nicht mehr als schützenswert klassifiziert. Die Genossenschafter hatten im Vorprojekt aufgezeigt, dass es möglich ist, die Minergie­anforderungen (Standard Renovation) zu erfüllen und gleichzeitig dem Denkmalschutz Rechnung zu tragen. Ihr Projekt verstand es, nicht bloss das äussere Erscheinungsbild des Gebäudes zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen, sondern die Geschichte des Hauses weiterzuschreiben.

Die Fassade des historischen Gebäudes wurde in den ­Originalzustand zurückversetzt. Im Inneren bietet es heute modernen Wohnkomfort.

Knacknuss Fassade
Die Liegenschaft, die an ein historisches Speichergebäude anschliesst, ist in der «Kategorie 3» der schützenswerten Objekte des Kantons Waadt aufgeführt – was sich als Knacknuss erwies. Den Kategorien 1 und 2 sind die wichtigsten historischen Denkmäler zugeordnet; hier hat der Denkmalschutz Vorrang. Umgekehrt wird ab Kategorie 4 die Energiefrage höher gewichtet. Dazwischen sind die Bauherren auf eine gewisse Kompromissbereitschaft angewiesen. Rochat erläutert: «Weder die Energiefachstelle noch die Denkmalpflege bewilligten die Pläne für die Fassadensanierung.» Für die Energiefachstelle war die drei bis vier Zentimeter dünne Schicht wärmeisolierender Kalkverputz zu wenig Däm­mung, für die Denkmalpflege bereits zu viel Veränderung der Fassadendekoration. Für eine Baubewilligung brauchte es aber die Zustimmung beider Ämter, ebenso, um die Fördergelder zu erhalten, ohne die der Umbau nicht finanzierbar gewesen wäre. Das Projekt drohte zu scheitern.
Es kam zum Glück anders. «Wir konnten aufzeigen, dass wir die für den Minergiestandard erforderliche Energieeffizienz auch erreichen konnten, indem wir Dach, Fenster, Kellerboden und das Erdgeschoss innerhalb der Mauern mit einer zusätzlichen Dämmschicht ausstatteten», erklärt Rochat. Zudem wurden dreifach verglaste Fenster sowie eine kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung eingebaut und die Radiatoren ersetzt. Beheizt wurde die Liegenschaft bereits vor dem Umbau mit Fernwärme. Auch die Denkmalschutzbehörde hiess nach mehreren Interventionen die Pläne der Genossenschaft gut, die Fassade strassenseitig in den Originalzustand zurückzuversetzen, die Rückseite jedoch mit Balkonen für mehr Wohnkomfort zu ergänzen. Der Umbau dauerte knapp ein Jahr.

Neues Stadtleben
Auf der Strassenseite und im Treppenhaus verströmt das Haus den Geist der alten Tage. Das markante Treppenhaus bildet weiterhin den Mittelpunkt des Gebäudes, auch wenn nun alle Wohnungen heutigen Komfortstandards entsprechen und man das Wasser nicht mehr auf dem Flur holen muss. Auf der Rückseite hat hingegen fröhliches urbanes Leben Einzug gehalten, mit üppig bepflanzten Balkonen, die aussenseitig angehängt wurden, so dass keine Wärmebrücken entstehen, sowie mit einem hübschen Innenhof. Den Lukarnen sieht man von aussen nicht an, dass sie punkto Lärm- und Feuchtigkeitsschutz, Wärmedämmung und Statik das Resultat modernster Ingenieurskunst sind. «Das Wohnklima ist ausgezeichnet, auch bei Sommerhitze und nun gerade aktuell auch im Homeoffice», zieht der Präsident der Genossenschaft, Nicolas Lemmin, eine positive Bilanz – auch wenn der Weg dorthin viel Ausdauer abverlangte.

Förderprogramme energetische Sanierung

Das Gebäudeprogramm ist ein wichtiger Pfeiler der Schweizer Klima- und Energiepolitik. Es basiert auf Art. 34 des CO2-Gesetzes. Der Fördertopf wird gespeist aus der vom Bund erhobenen CO2-Lenkungsabgabe auf fossilen Brennstoffen sowie über kantonale Kredite. Gefördert werden bauliche Massnahmen, die Energieverbrauch und CO2-Ausstoss von Liegenschaften verbessern. Dazu zählen die Dämmung der Gebäudehülle, der Ersatz fossiler oder elektrischer Heizsysteme durch solche mit erneuerbaren Energien, der Anschluss an ein Wärmenetz sowie umfassende energetische Sanierungen und Neubauten im Minergie-P-Standard. Die Kantone legen individuell fest, welche Massnahmen sie zu welchen Bedingungen fördern. Details: www.dasgebäudeprogramm.ch.

Sonderprogramm bis 2023: Zinslose Darlehen aus dem FdR. Mit einem Sonderprogramm schafft der Bund Anreize für gemeinnützige Bauträger, mehr als dreissig Jahre alte Liegenschaften umfassend energetisch zu sanieren. Für das von 2021 bis 2023 ausgelegte Programm werden aus dem Fonds de Roulement (FdR) während der ersten zehn Jahre zinslose Darlehen gewährt. Es gelten die gleichen Bedingungen wie für ordentliche FdR-Darlehen sowie zusätzliche Anforderungen. Details: www.wbg-schweiz.ch