Stiftung Wohnen für kinderreiche Familien: Pilotprojekt spannt erfolgreich Laien ein

Auf Sparkurs dank Energielotsen

Wo sind im Haushalt die heimlichen Stromfresser? Wie lässt sich Wasser sparen? Wie heizt man am effektivsten? In einer Zürcher Wohnsiedlung vermittelten Energiesparlotsinnen und -lotsen dieses Wissen an ihre Nachbarn. Und erreichten mit dem Projekt mehr als nur eine Senkung des Energieverbrauchs.

Von Ben Kron | Bilder: aarcom | Juni 2016

Mehr als siebzig Prozent der Gebäude in der Schweiz sind Altbauten. Ihre energetische Sanierung ist ein Schlüssel zur Umsetzung der Energiewende und ihrer Sparziele. Doch oft sinkt der Verbrach bei renovierten Mehrfamilienhäusern nicht wie erhofft. In einer Studie hat das Bundesamt für Energie ermittelt, woran dies liegt: «Die grossen Abweichungen der Planungswerte sind unter anderem auf das Verhalten der Gebäudenutzer zurückzuführen.» Anders gesagt: Wer über die Vorgänge in seiner Wohnung Bescheid weiss und seinen Alltag etwas anpasst, kann damit schon Energie und Geld sparen. Auf diesem Gedanken basiert das Projekt «Energiesparlotsinnen und -lotsen», das letztes Jahr in der Wohnsiedlung Friesenberg der Zürcher Stiftung Wohnungen für kinderreiche Familien realisiert wurde. Entwickelt wurde es von der Firma econcept, die es in Zusammenarbeit mit dem Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) und der Stiftung umgesetzt hat. Econcept ist ein unabhängiges Beratungsunternehmen, das Konzepte für eine nachhaltige, zukunftsfähige Gesellschaft erarbeitet. «Auch wir von der Stiftung wollen die Vorgaben der 2000-Watt-Gesellschaft erfüllen, wie dies die Stadt Zürich bei all ihren Neubauten und Sanierungen tut», erklärt Sylvia Keller, die Geschäftsführerin der Stiftung.

Aus Laien werden Lotsen

Der Energieverbrauch in den Wohnungen sollte also gesenkt werden, indem Energiesparlotsinnen und -lotsen ihren Mitbewohnern Tipps für ein sparsameres Verhalten geben, samt ein paar stromsparenden Hilfsmitteln wie LEDLeuchten oder Standby-Schaltern. Als Versuchsobjekt wurde die Siedlung Friesenberg gewählt (siehe Box Seite 18). Sylvia Keller fragte einige der Mieter an, ob sie als Lotsen mitmachen würden. «Wir haben fast nur langjährige Mietverhältnisse, deshalb kennen wir uns alle. So konnte ich geeignete Leute aussuchen, um die verschiedenen Kulturkreise und Sprachen der Siedlung abzudecken. Die Lotsinnen und Lotsen müssen auch gute Deutschkenntnisse haben, da die Schulung auf Deutsch erfolgt.» Alle zehn angefragten Frauen und Männer erklärten sich bereit, beim Projekt mitzuwirken, und erhielten vom EWZ eine Schulung. Der Zürcher Stromversorger begleitete das Vorhaben zudem mit Fachleuten und stellte die abgegebenen stromsparenden Hilfsmittel zur Verfügung. Einer der Lotsen ist Daniel Udovicic. Der 43-Jährige lebt mit seiner Frau und drei Kindern seit 13 Jahren in der Siedlung am Fusse des Üetlibergs. «Als gelernter Radio- und TV-Elektriker ist für mich Stromsparen schon lange ein Thema», sagt Daniel Udovicic, der bei einem grossen Kommunikationsunternehmen als Netzwerkspezialist arbeitet. So finden sich in der Wohnung der Familie ausschliesslich LEDLampen. «Und das Kinderzimmer habe ich an eine zentrale Steckdose angehängt, die ich vom Strom nehmen kann. Sonst lassen die den ganzen Tag das Licht im Zimmer brennen.»

Daniel Udovicic lebt in der Siedlung Friesenberg der Stiftung Wohnungen für kinderreiche Familien. Seine Erfahrungen als Energiesparlotse sind sehr positiv.

Fehlendes Wissen

Dieses mangelnde Bewusstsein für den Stromverbrauch erlebte Daniel Udovicic bei seinen Beratungen als Hauptproblem. «Bei einer Familie sah ich im Kinderzimmer eine Stromleiste mit fünf eingesteckten Ladegeräten, an denen kein Handy oder so etwas angeschlossen war.» Die Mieter glaubten, dass die Ladegeräte deshalb keinen Strom verbrauchen würden. «Dank dem Stromzähler, den wir Lotsen zur Verfügung gestellt bekamen, konnte ich sie aber rasch vom Gegenteil überzeugen.» Mehr noch: Er rechnete den Leuten vor, dass allein diese Netzteile pro Jahr Energiekosten von 25 Franken verursachen. «Der Mann hat daraufhin die Stromleiste sofort ausgesteckt.» Auch Kaffeeautomaten, die den ganzen Tag lang das Wasser aufheizen, sind solche heimlichen Stromfresser. Neben Strom waren auch der Wasserverbrauch und das möglichst effektive Heizen und Lüften ein Thema. Und zu den Beratungen konnte der Energiesparlotse in jeder Wohnung mehrere LED-Leuchten, einen Wasserkocher, eine Stromschiene und Standby- Schalter abgeben. «Da bei den Leuten das Geld manchmal nicht für eher teure Anschaffungen wie LED-Lampen reicht, war dies wichtig.» Ein wertvolles Gerät, um Energieverbräuche sichtbar zu machen, war auch der «Amphiro1»: An die Dusche angeschlossen, zeigt das kleine Messgerät, wie viel Wasser und Energie man gerade verbraucht. Und das nicht nur mit Zahlen: Ein Eisbär, der auf einer Eisscholle steht, visualisiert den Grad der Verschwendung; schmilzt das Eis unter den Pfoten des Bären, duscht man eindeutig zu lange oder zu heiss. Daniel Udovicic zieht ein sehr positives Fazit. «Schon beim ersten Kontakt stellte ich erstaunt fest, dass die Leute dem Thema Energiesparen gegenüber sehr offen waren. Ich habe gut zwanzig Familien kontaktiert und nur zwei von ihnen wollten keine Beratung.» Die anderen waren mit Interesse dabei und haben durch das Coaching viel lernen können. Seine Kollegen haben ähnlich positive Erfahrungen gemacht. «Die Leute waren sehr nett, sogar die Kinder haben grosses Interesse gezeigt und mitgemacht», berichtet etwa Skender Makolli, der die Energiesparinstruktion in albanischer Muttersprache weitergab.

4,7 Prozent gespart

Am Ende des Projekts schauten die Fachleute nicht nur die reinen Verbrauchswerte an, sondern führten mit den Energiesparlotsen und ihren Klienten ausführliche Gespräche, bei denen auch Anregungen aufgenommen wurden. Zum Beispiel, dass beim Energiesparen auch das Verhalten in den gemeinschaftlich genutzten Räumen nicht vergessen werden sollte. Insgesamt wurde ein Stromspareffekt von 4,7 Prozent gemessen. Zudem sammelte man wertvolle Erfahrungen, wie solche Projekte in Zukunft erfolgreich umgesetzt werden können. So bezeichnet der Schlussbericht von econcept die kostenlose Abgabe von Energiesparartikeln als wichtiges Element. Wobei man aber aufpassen müsse, dass vor lauter Gratisartikel der Inhalt der Beratung nicht untergehe: «Die Abgabe der Artikel kann auch zu einer Erwartungshaltung führen.» Entscheidend für den Erfolg sei zudem eine begleitende Kommunikation auch von Seiten des Vermieters oder der Verwaltung, um die Teilnahme der Mieter zu fördern. Ausserdem benötigt das besondere Projekt eine motivierte Trägerschaft, wie man sie in der Stiftung und den ausgewählten Lotsen fand. Die Geschäftsführerin Sylvia Keller zeigt sich denn auch nicht nur mit den gemessenen 4,7 Prozent Stromeinsparung zufrieden. «Es war für mich ein grossartiges Projekt, dessen positive Wirkung sich nicht nur in Zahlen messen lässt.» Da die Wohnungen der Siedlung bereits in energetisch genügendem Zustand sind und zum Beispiel Kühlschränke der Energieklasse A++ besitzen, sei der mögliche Spareffekt am Friesenberg sowieso begrenzt. «Aber die Lotsinnen und Lotsen haben tolle Arbeit geleistet und durchaus hartnäckig bei den Mietern nachgefragt, damit der Beratungsbesuch stattfinden konnte. Von total 206 Wohnungen haben 198 beim Projekt mitgemacht, das spricht für sich.»

Zum Erfolg des Projekts hat beigetragen, dass passende Gratisartikel abgegeben wurden.

Ein Wermutstropfen bleibt

Eine Fortsetzung des Projekts ist im Moment allerdings nicht vorgesehen. Der Arbeitsaufwand für Sylvia Keller war sehr hoch, da sie auch Spender für das Budget finden musste. Die Materialkosten allein beliefen sich auf knapp 14 000 Franken. Das Projekt liesse sich aber auf andere Wohnsiedlungen übertragen, zeigt sie sich überzeugt. Auch bei econcept ist man mit dem Ergebnis zufrieden und würde gerne weitere solche Vorhaben realisieren. Dafür gibt es durchaus Argumente: Immerhin können den genannten Materialkosten Energieeinsparungen von 50 000 Franken gegenübergestellt werden, auf die gesamte Nutzungsdauer der abgegebenen Geräte gerechnet. Das Energiesparlotsenprojekt im Zürcher Friesenberg hat jedenfalls einen nachhaltigen Effekt, wie Daniel Udovicic erzählt: «Es kommt bis heute vor, dass einer der besuchten Mieter anruft und mich um Rat fragt.» Und auch aufs Zusammenleben wirkte sich die Aktion positiv aus. «Auch wenn ich schon sehr lange in der Siedlung wohne, habe ich erst jetzt Kontakt zu einigen anderen Bewohnern bekommen. Wir alle in der Siedlung kennen uns jetzt ein bisschen besser.»