So professionalisieren sich Wohnbaugenossenschaften

Wandel als Chance

Viele kleinere und mittelgrosse Wohnbaugenossenschaften haben noch Strukturen aus der Gründerzeit und setzen auf das Milizsystem. Früher oder später kommen sie aber nicht darum herum, sich der Zeit anzupassen und ihre Organisation zu professionalisieren. Mögliche Wege zeigen Beispiele aus Basel und Zürich.

Von Jürg Zulliger | Bilder: zVg | Februar 2017

Rasante Entwicklungen gehören heute zum Alltag. Auch gemeinnützige Wohnbauträger müssen sich mit dem Wandel auseinandersetzen. Wie aber können sie sich so professionalisieren, dass tragfähige Strukturen entstehen und motivierte Mitarbeitende mit an Bord sind? Anschauungsmaterial dazu liefern beispielsweise die Mieter-Baugenossenschaft Basel (MBG) und die Baugenossenschaft des Bundespersonals Basel (BBB), die gemeinsame Schritte zur Professionalisierung unternehmen. Bei der BBB war der Auslöser die Personalrekrutierung, erinnert sich Präsident Konrad Würsten: «Bei uns wurde der Druck, etwas zu ändern, über die Jahre immer stärker, weil es immer schwieriger wurde, geeignete und qualifizierte Personen für den Vorstand zu finden.» Die Genossenschaft richtete sich ursprünglich an das Personal von Bundesbetrieben wie Post, SBB oder Zoll. Früher war es üblich, dass Vorstandsmitglieder aus diesen Berufen stammten und oft Schichtarbeit leisteten. «So hatte man tagsüber Zeit, sich Aufgaben in der Genossenschaft zu widmen», sagt Konrad Würsten.

BBB: eigene Geschäftsstelle
Tempi passati. Für die Vermietung hat sich die BBB längst Interessenten ausserhalb von Bundesbetrieben geöffnet, und im Kreis der Genossenschaftsmitglieder fehlen oft die Voraussetzungen, sich einem Vorstandsamt zu widmen und dabei auch gleich noch operative Aufgaben zu übernehmen. Deshalb hat die BBB 2013 in Münchenstein eine eigene Geschäftsstelle mit dreihundert Stellenprozenten gegründet. Die Geschäftsführung hat Präsident Konrad Würsten inne, abgedeckt sind ausserdem die Funktionen Vermietung, Rechnungswesen, Finanzen und Bau. Damit wurden wichtige Grundlagen für einen professionellen Betrieb geschaffen – angefangen bei an sich banalen Sachverhalten. So sind etwa erstmals alle wichtigen Dokumente zentral gesammelt und greifbar. Zugleich profitieren die Genossenschaftsmitglieder, weil ihnen für ihre Anliegen eine kompetente Anlaufstelle zur Verfügung steht.

Ein Fall wie viele: Die Basler MBG ist über die Jahrzehnte auf rund 450 Wohnungen angewachsen, durch Bauen (wie an der Rixheimerstrasse, links) oder Kauf (etwa an der Gemperstrasse, rechts). Die Strukturen hinkten dem hinterher. Nach einem Eklat werden diese nun angepasst.

Seit Sommer letzten Jahres wickelt die BBB-Geschäftsstelle ausserdem im Mandat die Geschäfte der MBG ab. Dazu kam es nach einem Eklat: 2015 formierte sich an der Basis der MBG Widerstand – es gab unter anderem Fragen zu hohen Wohnungsleerständen mit entsprechenden Mietzinsausfällen, hohen Nebenkosten und teils happigen Mietzinserhöhungen nach Sanierungen. Zuständig für die Vermietung war zu dieser Zeit eine externe Immobilienverwaltung, für die auch die damalige Präsidentin arbeitete. Bemängelt wurde ausserdem die Art und Weise, wie Anliegen der Genossenschafter behandelt oder eben aus Sicht der Kritikerinnen und Kritiker zu wenig ernst genommen wurden. Eine Gruppe von Genossenschaftern wollte dies an der Generalversammlung 2016 thematisieren und brachte verschiedene Anträge ein. Der Konflikt spitzte sich zu, die Lokalpresse schrieb von «Knatsch» und einer «turbulenten Generalversammlung».

MBG: ein neues Kapitel
Es kam zu einer Kampfwahl zwischen der bisherigen Präsidentin und dem Betriebsökonomen Eric Ohnemus, der über Fachwissen und Erfahrung als Präsident und Vorstandsmitglied anderer Baugenossenschaften verfügt. Schliess­lich wählte die MBG-GV ihn zum Präsidenten sowie sieben neue Mitglieder in den Vorstand, fünf Bisherige konnten bleiben. Weil die Präsidentin kurz vor der GV noch das Verwaltungsmandat bei der externen Bewirtschaftungsfirma gekündigt hatte, brauchte es umgehend Lösungen für Bewirtschaftung und Geschäftsführung. Die neuen Verantwortlichen ent­schieden sich, diese Aufgaben der Geschäftsstelle der BBB zu übertragen. Kontakte bestanden ohnehin, da sich Eric Ohnemus und Konrad Würsten aufgrund ihrer gemeinsamen Tätigkeit im Regionalvorstand von Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz kennen.

Für die BBB in Basel war es zunehmend schwierig, Vorstandskandidaten zu finden. Seit 2013 hat sie eine eigene Geschäftsstelle, um die gegen 500 Wohnungen zu verwalten. Im Bild die Siedlung Birseck.

Eric Ohnemus hat klare Vorstellungen: «Grundsätzlich sollte jeder Eigentümer von Liegenschaften eine professionelle Bewirtschaftung aufbauen. Dazu gehören eine Weiterentwicklung des Bestandes und eine längerfristige Strategie.» Zwar sei es in der Pionierphase der Genossenschaftsbewegung passend gewesen, die operativen Geschäfte in Eigenregie und quasi im Nebenamt wahrzunehmen. Auf die Dauer habe dies aber zur Konsequenz gehabt, dass sich viele Genossenschaften darauf beschränkten, den Bestand zu verwalten und nicht weiterzuentwickeln. Die Folge: «Viele Wohnungen entsprechen nicht mehr den Bedürfnissen des Zielpublikums.» Eine typische Familie aus dem Mittelstand suche heute andere Wohnangebote. Hat es eine Genossenschaft allzu lange versäumt, mit der Zeit zu gehen, landet sie unter Umständen in der «Bestandesfalle»: Die Mieten sind zwar noch günstig, aber es fehlt an Handlungsoptionen und finanziellen Rücklagen, um notwendige Investitionen vorzunehmen. Muss dann die Bausubstanz eines Tages doch erneuert werden, führt dies zu unverhältnismässig hohen Mietzinsanpassungen. «Es gibt also triftige Gründe, warum Genossenschaften professioneller werden müssen – auch diejenigen, die weiterhin im Milizsystem geführt werden», so das Fazit von Eric Ohnemus.

Willkommene Synergieeffekte
Die Zusammenarbeit der beiden Genossenschaften hat sich bewährt. «Die Prozesse sind effizienter und straffer geworden», meint Konrad Würsten. Nun prüfen die BBB und die MBG eine noch engere Zusammenarbeit – zumal beide in der gleichen Region verwurzelt sind und mit jeweils rund 450 Wohnungen eine ähnliche Grösse aufweisen. Wegen etlicher Altlasten werde zwar die operative Tätigkeit für die MBG vorerst «noch einige zusätzliche Ressourcen binden», konstatieren die Präsidenten. Doch letztlich eröffnen sich mit der Zusammenarbeit neue Perspektiven. Synergieeffekte in der Bewirtschaftung, später möglicherweise auch in der Bauabteilung, werden genutzt, und es steht auch die Schaffung einer gemeinsamen Geschäftsstelle im Raum. Damit ist das Terrain für einen Ausbau und eine bessere Dienstleistungsqualität geebnet. Angedacht sind etwa qualifizierte Bestandesanalysen oder mehrjährige Investitionspläne. Eine Fusion ist allerdings kein Thema.
Das Beispiel steht stellvertretend für viele Bauträger, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Dies verdeutlichen Zahlen aus der Region Nordwestschweiz: Von rund 180 Baugenossenschaften führen nur sieben eine eigene professionelle Geschäftsstelle. Viele weisen nicht die kritische Grösse auf, um ihre Leistungen zu erweitern und Knowhow aufzubauen: Rund die Hälfte zählt einen Bestand von weniger als fünfzig Wohnungen. Heute steigen aber nicht nur die Anforderungen der Mitglieder und des Umfeldes, auch die Rahmenbedingungen im Kanton sind zu berücksichtigen. So nutzen viele Genossenschaften Land des Kantons im Baurecht, und der Baurechtsgeber wird eines Tages – bei Erneuerung der Verträge – die Frage stellen, welche konkreten Leistungen und Ziele die Baurechte weiterhin legitimieren.

Die SGE hat ihre Geschäftsstelle aufgestockt. Zur Umorganisation gehören auch Team­bildung und das gemeinsame Erarbeiten von Grundlagendokumenten und Strategie.

SGE: Teambildung und Kommunikation
Auslöser für einen Professionalisierungsschritt waren auch bei der Zürcher Siedlungsgenossenschaft Eigengrund (SGE) Probleme bei der Rekrutierung neuer Vorstandsmitglieder, erzählt Jérôme Gaberell. Früher war er im Vorstand, heute ist er vollamtlicher Geschäftsführer der Genossenschaft mit rund 940 Wohnungen in 16 Siedlungen. So wie in Basel erwies es sich als zunehmend schwierig, fachlich geeignete und strategisch versierte Kandidatinnen und Kandidaten zu finden. Den Verantwortlichen im Vorstand erschien es auch nicht mehr zeitgemäss, in ihrer Funktion zugleich operative Aufgaben wahrzunehmen. Früher sei es durchaus üblich gewesen, dass der Vorstand zum Beispiel Vorstellungsgespräche mit Stellenbewerbern für die Hauswartung oder Verhandlungen mit Darlehensgebern führte. Ein erstes Ziel lautete also: eine Verlagerung der Aufgaben vom Vorstand in die Geschäftsstelle.
In der Folge wurde die Zahl der Beschäftigten auf der Geschäftsstelle um rund einen Drittel erhöht, so dass heute inklusive Hauswarte zwanzig Profis für die SGE arbeiten. Als grossen Fortschritt nennt Jérôme Gaberell etwa, dass sich jetzt zwei geschulte Fachleute voll und ganz der Rolle als Bauherrenvertreter widmen können. Dank der Aufstockung lassen sich nun auch das angestrebte Wachstum und die anstehenden Sanierungen, Neubauten und Akquisitionsprojekte besser bewältigen. Die SGE wird ihren Bestand in den kommenden fünf Jahren auf rund 1150 Wohnungen ausbauen und hat eine systematische Erneuerungsplanung für die nächsten Jahrzehnte erstellt.
Es galt nun aber auch, im stark gewachsenen Team ein gemeinsames Verständnis von Dienstleistungsorientierung gegenüber den Mitgliedern zu verankern. In diesem Prozess hat die Genossenschaft sehr viel in die Teambildung und in die Kommunikation investiert. Mit gutem Grund, wie SGE-Präsident Ronald Steiger ausführt: «Heute ist wohl allgemein bekannt, dass ein solcher Veränderungsprozess nicht einfach wie ein Lichtschalter, quasi auf Knopfdruck, funktionieren kann.» Eine autoritäre Vorgehensweise «von oben herab» ist meist zum Scheitern verurteilt, denn Veränderungsprozesse lösen in der Regel Ängste und Widerstände aus. Diesen muss man adäquat begegnen – durch eine transparente Kommunikation und indem man Betroffene zu Beteiligten macht, wie es das Change-Management empfiehlt (siehe Interview und Box).

Einbezug wichtig
Ein Beispiel: Das neue Managementsystem der SGE, das die Prozesse umschreibt, ist während eines halben Jahres intensiv in Workshops diskutiert und entwickelt worden. Dabei waren sowohl der Vorstand als auch die Mitarbeitenden der Geschäftsstelle aktiv einbezogen. Analog verlief die Ausarbeitung des neuen Geschäftsstellenreglements; hier waren die jeweiligen Teamleiter involviert, und diese wiederum holten Feedbacks ihrer Mitarbeiter ein. Kommunikation sei in einem solchen Vorhaben ein Schlüsselfaktor, so Geschäftsführer Jérôme Gaberell. Was also zuerst als Projekt einer Verlagerung von Aufgaben begonnen hatte, wurde mehr und mehr zu einem eigentlichen Change- Management, das auch die Menschen und die Betriebskultur einbezieht.
Nach der gemeinsamen Erarbeitung der Grundlagendokumente hat die SGE nun vor rund einem Jahr auch die Strategie neu diskutiert und verabschiedet. Stossrichtungen sind unter anderem die Stärkung der Identifikation mit den Siedlungen, Nachhaltigkeit und Wachstum in bestehenden Clustern, also an Standorten, wo es bereits SGE-Siedlungen gibt. Dank Professionalisierung ist die Genossenschaft für die Zukunft gut gerüstet. Oder, wie es Jérôme Gaberell sagt: «Professionalisierung bedeutet letztlich, mit den Möglichkeiten und Chancen einer Genossenschaft verantwortungsvoll umzugehen und die Mittel effizient einzusetzen.»

Grundsätze des Chance-Managements

  • Glaubwürdige Kommunikation ist in Veränderungsprozessen zentral; sie sollte transparent, kontinuierlich, dialogisch und konsistent sein.
  • Leadership: Die Leitung muss Wandel aktiv vorleben und motivierendes, sinnstiftendes und konsequentes Vorbild sein.
  • Betroffene zu Beteiligten machen: Wer Wandel mitgestalten kann, trägt ihn mit und entwickelt Energien statt Widerstände.
  • Struktur, Strategie und Kultur: Sie alle sind von Veränderungen betroffen. Wer nur Strukturen anpasst, scheitert häufig. Konkrete Ziele schaffen Orientierung, Kulturwandel hilft, die Anforderungen neuer Situationen zu meistern.

"Der Faktor Mensch ist zentral"

Was braucht es, um Veränderungen erfolgreich umzusetzen? Tipps vom Change-Experten Volker Kiel. Er ist Dozent am Institut für angewandte Psychologie (IAP) der ZHAW in Zürich und befasst sich vor allem mit Leadership und Change-Management.

Wohnen: Veränderungen werden oft durch Druck von aussen angestossen. Wie sollte man vorgehen?
Volker Kiel: Einen ersten Schritt sehe ich darin, dieses Gefühl, etwas verändern zu wollen oder zu müssen, bewusst wahrzunehmen und zugleich sehr ernst zu nehmen. Dabei ist eine sorgfältige und systematische Analyse wichtig: Was ist die Ist-Situation? Was die Soll-Situation? Welche Veränderungen braucht es dafür? Und welche Probleme und Notwendigkeiten könnten im Zusammenhang damit auftauchen? Man muss sich aber auch mit den Gefahren auseinandersetzen für den Fall, dass an sich notwendige Veränderungen ausbleiben.

Wer ist dafür zuständig in einer Genossenschaft?
Der Vorstand oder ein Steuerungsteam müssen sich die Frage stellen, wer mit der aktuellen Lage tatsächlich ein ernsthaftes Problem hat und wer weniger tangiert ist. Ist nur der Vorstand betroffen? Mitarbeiter? Oder auch Mieter? Um eine differenzierte Ist-Analyse abzuleiten, braucht es die Sicht aus all diesen unterschiedlichen Perspektiven. Daraus kann man gemeinsam eine Vision erarbeiten. Sie zeigt auf, in welche Richtung sich die Organisation entwickeln könnte, um ihren längerfristigen Fortbestand zu sichern.

Wie geht man mit Widerständen um?
Widerstände sind völlig normal. Die einen Personen fühlen sich ihrer Macht beraubt, andere zweifeln an ihren eigenen Fähigkeiten, ihre Aufgabe in einem Veränderungsprozess zu erfüllen. Der Faktor Mensch ist zentral. Das Steuerungsteam in einem solchen Prozess muss diesen Bedenken Raum geben, die Leute müssen sich Gehör verschaffen können. Wichtig ist natürlich eine deutliche und klare Kommunikation. Die Vision über dem Ganzen muss nachvollziehbar sein und eine vernünftige Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft geben. Die Sinnhaftigkeit und der Nutzen der Veränderung müssen erkennbar sein. Die betroffenen Personen sollten verstehen, was die Vision für sie bedeutet und welche Rolle sie darin spielen.

Ein oft gehörter Ratschlag lautet, man solle «Betroffene zu Beteiligten» machen. Welche Rolle spielt Partizipation?
Man kann eine Vision in einem Steuerungsteam entwickeln und dabei möglichst viele relevante Perspektiven aus der gesamten Organisation einbeziehen. Eine noch breiter abgestützte Variante wäre es, die Vision gemeinsam in grösseren Gruppen mit möglichst vielen Mitgliedern der Organisation zu erarbeiten – als Bottom-up-Ansatz. Weil an diesem Prozess viele Menschen beteiligt sind, würden viele Widerstände gar nicht erst aufkommen oder wenigstens relativiert werden. Nach meiner Erfahrung gilt: Je mehr einfach nur informiert wird, umso weniger Veränderung passiert. Information ist noch keine Transformation. Je mehr innerhalb der Organisation ein Dialog stattfindet, umso mehr wird sich auch etwas verändern.