Alterswohnraum als Geschenk für die Stadt

In Stein am Rhein fehlten Alterswohnungen. Um sie zu schaffen, gründete eine Gruppe von Engagierten 2016 eine gemeinnützige Genossenschaft. Neun teils zehrende Jahre später sind 42 Seniorinnen und Senioren ganz in der Nähe von Altstadt und Rheinufer in die Wohnsiedlung «Zur Fridau» eingezogen.

Von Esther Banz | Bilder: Roland Bernath | 2025/04

Als «Kleinod» wird das Städtchen Stein am Rhein auf Tourismusportalen bezeichnet, als «Postkartenstadt» direkt an Untersee und Rhein. Von der Altstadt mit ihren uralten Fachwerkhäusern und den beeindruckenden Fassadenmalereien ist es nicht weit bis zum pittoresken Untertor, und von dort wiederum sind es nur wenige Schritte bis zur Fridau, einer neuen genossenschaftlichen Alterssiedlung. Sie wurde ganz in der Nähe des Rhein-ufers auf einer Wiese erstellt, die der Gemeinde gehört – im Baurecht.
In die zwölf Dreieinhalb- und 18 Zweieinhalbzimmerwohnungen sind seit August letzten Jahres 42 Personen eingezogen, die zu diesem Zeitpunkt mindestens sechzig Jahre alt waren, Alleinstehende und Paare. Sie mussten vorgängig Genossenschaftsmitglied werden, aus Stein am Rhein oder der näheren Umgebung kommen und dem genossenschaftlichen Gedanken nicht abgeneigt sein. «Ungebunden und gemeinsam», lautet das Motto der Genossenschaft Alterswohnungen Stein am Rhein.
In der Schaffhauser Gemeinde kannte man genossenschaftliches Wohnen zuvor noch kaum. Viele ältere Menschen, die hier in der Gegend aufgewachsen sind, leben in Wohneigentum. So ursprünglich auch praktisch alle neuen Bewohnerinnen und Bewohner der Fridau, wie Uschi Knecht erzählt. Das Vorstandsmitglied der Genossenschaft sitzt an einem sonnigen Junitag mit einer Bewohnerin auf einem Mäuerchen, und im hochgeschossenen Grün um sie herum blühen der neu angepflanzte rote Mohn und die lilablauen Kornblumen so intensiv, dass die zwei dreistöckigen Häuser, die ihrerseits die Farben Rot und Grün tragen, beinahe darin verschwinden. Der Farbton der Hausfassaden ist erdiger und dunkler, das Ochsenblutrot teilen sie mit den mittelalterlichen Fachwerkhäusern der Altstadt.

Die Fridau liegt am Fuss eines sanft abfallenden Hangs. Die zwei Gebäude sind in Mischbauweise konstruiert: Der Erschliessungskern wurde als Massivbau in Sichtbeton erstellt. So konnten die Anforderungen an den Brandschutz einfacher erfüllt werden.

Viel Holz für hohe Wohnqualität
Die beiden rechteckigen Gebäude verfügen über drei Obergeschosse und sind über einen Laubengang miteinander verbunden. Sie wurden an einem sanft abfallenden Hang parallel, aber leicht verschoben angeordnet und bilden einen gemeinsamen Hof, wo ein Begegnungsort mit Bocciabahn und Sitzgruppen entstanden ist. Im Sockelgeschoss sind öffentliche Bereiche wie die Spitex Stein am Rhein und ein Gemeinschaftsraum untergebracht. Beide Häuser sind in Holzbauweise errichtet, mit sichtbaren Massivholzdecken aus Brettschichtholz und tragenden Innenwänden in Form von Rahmen-
bau- und Brettsperrholzwänden. Die Aussenwände sind in Rahmenbauweise ausgeführt, für die Aussteifung sorgt ein Betonkern. Dass alle Oberflächen in Sichtbeton oder Holz gehalten sind, verleiht dem Ensemble einen natürlichen Charakter. «Dank viel Holz konnten wir auf wenig Raum eine hohe Wohnqualität schaffen», sagt Knecht. Aber auch die Loggias würden für glückliche Mieterinnen und Mieter sorgen. Sie sind so angeordnet, dass man von jeder auf den Rhein sehen kann. Speziell ist zudem, dass im Treppenhaus alle Wohnungen mit einer eigenen Eingangsnische mit Fenster und Sitzgelegenheit ausgestattet sind. Diese bietet sich zum Verweilen und für einen gemeinsamen Schwatz an. Wer mehr Privatheit wünscht, montiert einen Vorhang.
Die Genossenschaft wollte trotz des begrenzten Budgets nicht nur klug und hochwertig bauen, sondern auch ökologisch. Im Architekturbüro Bernath+
Widmer habe man den richtigen Partner gefunden, so Knecht. Aus Gründen der Nachhaltigkeit, der Behaglichkeit und der Optik hat man sich trotz Mehrkosten für einen Holzbau entschieden, bei dem wo möglich Vollholz eingesetzt wurde. Dies im Wissen darum, dass nicht jedes Holz, das beim Bauen verwendet wird, auch ökologisch nachhaltig ist – etwa dann, wenn es aus weit entfernten Wäldern stammt. Zwar kommt das Holz für den Neubau in Stein am Rhein nun nicht aus der Schweiz, aber direkt von ennet der Grenze. Ausserdem begnügte sich die Genossenschaft nicht damit, mit dem Projekt die Anforderungen der Norm SIA 500 zu erfüllen, sondern strebte das strengere LEA-Zertifikat für hindernisfreies und altersgerechtes Wohnen an. Letztlich erreichte sie ohne zusätzliches Budget nicht das angestrebte Gold-, sondern sogar das Platinlabel, das zusätzliche Ausstattungsmerkmale und bauliche Qualitäten für ein selbstbestimmtes Wohnen bis ins hohe Alter ausweist.

Im Treppenhaus besitzt jede Wohnung eine eigene Eingangsnische mit Sitzgelegenheit. Die Fenster in die Küchen dienen der sozialen Interaktion.

Einsprachen verzögerten das Projekt
Auf das, was man gemeinsam erreicht hat, ist Knecht sehr stolz. Auch die Tatsache, dass die neu gegründete Genossenschaft heute 228 Mitglieder zählt, freut sie. Zumal das Projekt einige Hürden zu überwinden hatte: Der Prozess war langwierig und für die Genossenschaft nicht nur schön.
Dass in Stein am Rhein Wohnungen fehlen, in denen Menschen möglichst lange selbstbestimmt leben können, beschäftigte die Politik in der Kleinstadt spätestens seit dem Jahr 2012. Knecht sass damals im lokalen Parlament: «Der Stadtrat hatte aus Kostengründen ein Projekt für Alterswohnungen fallen lassen. Ein Vor-stoss verlangte aber, dass für ältere Menschen gebaut wird.» Kurz darauf bildete sich eine Spurgruppe, die auf privater Basis ein Konzept für begleitetes Wohnen im Alter ausarbeitete. Sie empfahl die Gründung einer Genossenschaft als optimale Variante.
Die Reaktionen waren positiv, 2016 legte man mit der Genossenschafts-gründung den Grundstein für das Wohnprojekt. Im Jahr darauf stimmte die Bevölkerung dem Baurechtsvertrag zu, und die Genossenschaft konnte bald darauf den Architekturwettbewerb ausschreiben. 2019 erhielt sie die Baubewilligung. Doch der Baubeginn verzögerte sich bis Ende 2022. Tatsächlich war nicht nur die Pandemie verantwortlich für die grossen Verzögerungen, sondern vor allem wiederholte Einsprachen von Hausbesitzern in der Nähe. Sie wollten verhindern, dass auf der Wiese gebaut wird.

Die massive Konstruktion der Loggien und deren Farbgebung suchen den Bezug zu den ortsüblichen Riegelbauten mit ihren ochsenblutrot gestrichenen Fachwerken. Alle Loggien gehen gegen Süden; sie sind so angeordnet, dass der Blick zum Rhein frei bleibt.  

Viel Freiwilligenarbeit nötig
Für den verantwortlichen Architekten Benjamin Widmer und sein Team war der Prozess so aufreibend und belastend, dass er selbst nicht einmal zum Eröffnungsfest ging: «Die Widerstände der Nachbarn waren von einer Heftigkeit, wie ich sie bisher nicht gekannt hatte. Zusätzlich haben uns die kritische Haltung der Baubehörden und der immense Kostendruck an den Anschlag gebracht.» 12 Millionen waren ursprünglich vorgegeben, 14 Millionen hat der Bau infolge der Verzögerungen und des durch die Pandemie bedingten Kostenanstiegs letztlich gekostet. Finanziert hat die Genossenschaft den Bau mit Anteilscheinen, einer Anschubfinanzierung des Verbands Wohnbaugenossenschaften Schweiz, mit Hypotheken und dem Fonds de Roulement.
Auch die Unerfahrenheit der Genossenschaftsverwaltung vereinfachte die Sache nicht. «Das war ein Hosenlupf», sagt Knecht, die seit Beginn im Vorstand ist. Schliesslich hätten die Vorstandsmitglieder nie zuvor ein derartiges Projekt mitverantwortet. Die Vorstandsmitglieder haben das Projekt in Freiwilligenarbeit gestemmt und unterschätzt, was das bedeutet. Knecht: «So ein Projekt braucht einen langen Schnauf. Und viel Widerstandskraft. Man muss sich immer wieder sagen: Nicht resignieren!» Auch Enttäuschungen müsse man immer wieder wegstecken können. «Dass wir ein konkretes Ziel vor Augen hatten, hat geholfen. Und dass wir ein gutes Team sind.»

Grundriss einer Dreieinhalbzimmerwohnung und Blick in eine der Küchen.

Concierge unterstützt Bewohner:innen
Eine Spezialität der Alterssiedlung Fridau ist die Begleitperson, die für die Bewohnenden da ist, sie in ihren Bedürfnissen unterstützt, nicht als Pflegerin, sondern organisierend und koordinierend. Das Büro der «Concierge», wie sie auch genannt wird, befindet sich im Erdgeschoss eines Gebäudes und ist wochentags zu bestimmten Zeiten besetzt. Wer hier wohnt, trägt die Kosten solidarisch mit, der Service ist in den Nebenkosten enthalten.
Mit ihrem Wohnprojekt wollte die Genossenschaft auch der Isolation und Einsamkeit im Alter entgegenwirken. Zu diesem Zweck plante man einen zweiteiligen, grossen Gemeinschaftsraum, dessen Decke inzwischen mit Schalldämpfern versehen und gemütlich eingerichtet ist. «Hier durften Bewohnerinnen und Bewohner Möbeln, die ihnen besonders ans Herz gewachsen sind, einen neuen Platz geben», sagt Knecht, die selbst nicht im Haus wohnt, aber hin und wieder vorbeischaut.
Mehrere elegante Holztische mit gepolsterten Stühlen und eine Bücherwand stehen im Raum. In der Küche ist der Kühlschrank immer gefüllt. Knecht zufolge treffen sich die Bewohnenden hier regelmässig zum Spielen oder an anderen Anlässen und feiern Geburtstage; das Miteinander unter den Bewohner:innen funktioniere sehr gut. Die Concierge habe die Bewohnerinnen und Bewohner anfangs auch beim Organisieren unterstützt.

Baudaten

Bauträgerin
Genossenschaft Alterswohnungen Stein am Rhein

Architektur
Bernath+Widmer Architekten AG, Zürich

Landschaftsarchitektur
Gartenmanufactur AG, Wilchingen

Umfang
2 MFH, 30 Wohnungen mit 2 1/2 und 3 1/2 Zimmern, Gemeinschaftsraum

Baukosten (BKP 1-5)
14 Mio. CHF total
5937 CHF/m2 HNF

Finanzierung
Hypotheken, Darlehen und Beiträge von Raiffeisenbank Schaffhausen, Fonds de Roulement, Solidaritätsfonds, Solinvest, Stadt Stein am Rhein, Stiftungen, Genossenschaftsanteile

Mietzinsbeispiele
2 1/2-Zimmer-Wohnung, 62m2:
1440 - 1560 CHF plus 160 CHF NK
3 1/2-Zimmer-Wohnung, 77m2:
1770 - 1880 CHF plus 190 CHF NK