Mia Vorburger, lic. iur.,
Rechtsdienst
mia.vorburger@wbg-schweiz.ch
Es lohnt sich, den Blick einmal im Jahr auf die Gerichtspraxis zu richten, um die Entwicklungen im Mietrecht zu kennen. Hier ein kurzer Überblick, mit welchen mietrechtlichen Fragen sich die Gerichte im letzten Jahr¹ zu beschäftigen hatten.
Oktober 2021
Zeitliche Beschränkung bei Ausweisungsurteilen
Verlässt eine Mieterin das Mietobjekt trotz rechtskräftiger Kündigung nicht, ist die Vermieterin zur Durchsetzung der Kündigung gezwungen, ein Begehren um Ausweisung einzuleiten. Oft wird der Ausweisungsbefehl befristet, das heisst die Vollstreckbarkeit mittels dieses Befehls ist nur bis zum Ablauf der Frist möglich. Die angesetzten Fristen können ungenutzt ablaufen, weil eine Begründung des Entscheids verlangt wird, das Verfahren an eine höhere Instanz weitergezogen wird oder weil aus welchen Gründen auch immer zugewartet wird.
Das Obergericht Zürich setzte sich mit der Frage der Zulässigkeit der Befristung auseinander. Es erwog, dass für eine solche Befristung der Vollstreckungsanordnung zwar keine gesetzliche Grundlage bestehe, dass eine solche aber im Ermessen des Vollstreckungsrichters liege. Dies mit der Begründung, dass für den Mieter damit Rechtssicherheit geschaffen werde, bis wann er mit dem Vollzug, also der Zwangsausweisung aus der Wohnung, zu rechnen habe. Ausserdem habe die Vermieterin die Möglichkeit, nach Ablauf der Frist eine neue Vollstreckungsanordnung zu erwirken, und erleide damit keinen Rechtsverlust. Trotzdem hielt das Obergericht fest, dass eine Befristung nicht praktikabel sei.
Es empfiehlt sich bereits während des Kündigungsverfahrens, den Blick in Richtung Vollstreckung zu richten. Vorsorglich sollte deshalb möglichst bereits im Vergleich über die Kündigung ein unbefristeter Ausweisungsbefehl mit aufgenommen werden. Verändern sich allerdings die Verhältnisse auf Seiten Mieterschaft (durch Heirat oder Aufnahme einer Untermieterin), umfasst der ursprünglich festgehaltene Ausweisungsbefehl diese weiteren Personen nicht. In dem Fall wäre allenfalls trotzdem ein separates Ausweisungsverfahren notwendig.
Der verlorene Schlüssel
Es stellte sich hier die Frage², ob der Verlust eines Schlüssels die Auferlegung der Kosten für die Zylinder und Schlüssel des ganzen Gebäudes rechtfertigt. Um dies zu beurteilen wurde geprüft, ob durch den Verlust des Schlüssels ein ernst zu nehmendes Sicherheitsrisiko besteht. Das Mietgericht hielt fest, dass dabei nicht das subjektive Sicherheitsgefühl der übrigen Mieter massgeblich sei. Vielmehr sei zu untersuchen, ob objektive Kriterien vorliegen, die diesem Sicherheitsgefühl begegnen konnten. Im konkreten Fall war auf dem Schlüssel nicht erkennbar, zu welchem Gebäude der Schlüssel gehörte. Mit dem verlorenen Schlüssel war zudem nur der Zutritt zu Allgemeinräumen und zu den vermieteten Räumlichkeiten möglich. Zugesprochen wurde schliesslich der Ersatz aller Schlüssel und des Schliesszylinders der vom verlorenen Schlüssel betroffenen Räumlichkeiten. Die Kosten für den Austausch aller Zylinder und Schlüssel im ganzen Gebäude wurden abgewiesen. Zur Erinnerung: Sowohl Schlüssel als auch Schliesszylinder haben nach der paritätischen Lebensdauertabelle einen Zeitwert³. Folglich ist bei der Kostenüberwälzung der bereits abgelaufene Zeitwert in Abzug zu bringen.
Lärm: Grund für Mietzinsreduktion
Das Obergericht des Kantons Zürich⁴ hatte zu beurteilen, ob ein immissionsbedingter Mangel an der Mietsache vorliege, der eine Mietzinsreduktion rechtfertigt. Konkret war beim Einzug der Mieterin eine Bank im Parterre eingemietet. Neu zog eine Bar ins Erdgeschoss ein. Das Obergericht liess das Argument nicht gelten, die Mieterin habe an so zentraler Lage im Laufe der Zeit mit neuen Lärmimmissionen durch Veränderung der Mieterschaft rechnen müssen. Es läge – so das Obergericht – selbst dann ein Mangel an der Mietsache vor, wenn die Mieterin beim Vertragsschluss sichere Kenntnis vom Mieterwechsel und von den damit verbundenen nächtlichen Lärmimmissionen gehabt hätte. Damit erleide die Mieterin einen Schaden, der auszugleichen sei.
Zulässige Nettorendite
Einen vielbeachteten Entscheid⁵ gab es auch zur Erhöhung der zulässigen Nettorendite. Unter der Bestimmung von Art. 269 OR hat das höchste Gericht seine langjährige Praxis angepasst und die zulässige Nettorendite von geltenden 1,75 % (Referenzzinssatz plus 0,5 %) auf neu 3,25 % (Referenzzinssatz plus 2 %) angehoben. Dieser höhere Zuschlag ist solange zulässig, bis der Referenzzinssatz sich auf über 2 % erhöht. Ebenfalls neu darf ein Investor die Teuerung auf dem tatsächlich investierten Eigenkapital aufrechnen. Vorher galt ein unabhängig der tatsächlichen Verhältnisse geltender Teuerungsausgleich auf 40 % Eigenkapital.
Das Bundesgericht hat allerdings nicht explizit klargestellt, ob der erhöhte Zusatz auch für die Berechnung der Bruttorendite angewendet werden kann. Auch bleibt unklar, ob die neue Praxis auch bei wertvermehrenden Investitionen zur Anwendung gelangt. Denn bei wertvermehrenden Investitionen darf der wertvermehrende Anteil zum Referenzzinssatz plus bisher 0,5 % verzinst und der Mietzins um diesen Betrag erhöht werden. Während die Praxisänderung im Hinblick auf die Erhöhung der Nettorendite sowie die Berücksichtigung der Teuerung auf dem tatsächlich investierten Kapital auch für gemeinnützige Genossenschaften Sinn macht, da auch sie auf eine gesunde Rendite angewiesen sind, kann nach meiner Ansicht bei wertvermehrenden Investitionen unter Verweis auf BGE vom 14. September 1992 in:mp 2/93, S. 88 ff., weiterhin mit dem bisherigen Zusatz von plus 0,5 % gerechnet werden.
Kündigungssperrfrist
Die Kündigung einer Vermieterin ist missbräuchlich, wenn sie mit der Mieterschaft in den letzten drei Jahren in einem Schlichtungs- oder Gerichtsverfahren stand und einen Vergleich geschlossen hat (Art. 271a Abs. 1 lit. e OR). Allerdings gibt es einen allgemeinen Grundsatz, dass Rechtsmissbrauch keinen Rechtsschutz verdient (Art. 2 ZGB). Das Mietgericht des Bezirks Zürich⁶ hatte sich mit dieser Problematik von Kündigungsschutz versus Rechtsmissbrauch zu beschäftigen. Als entscheidend erachtete das Mietgericht, dass der Streitgegenstand des Schlichtungsverfahrens eine Bagatelle war. Die Vermieterin habe sich auch stets bemüht, die Mieterin zufriedenzustellen, weshalb trotz Einleitung eines Schlichtungsverfahrens nicht von einem Streit habe ausgegangen werden können. Weiter wurde berücksichtigt, dass die Vermieterin wohl in einem gerichtlichen Verfahren obsiegt hätte. Das Verhalten der Mieterin wurde aus genannten Gründen als rechtsmissbräuchlich bezeichnet. Folglich griff die Sperrfrist nicht und die Kündigung wurde als gültig erachtet.
Nichtigkeit Anfangsmietzins – Verjährung
Bei einer Neuvermietung muss der Anfangsmietzins auf einem amtlichen Formular mitgeteilt werden. Übergibt die Vermieterin kein Formular, handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um einen groben Formfehler. Der Mietzins ist nichtig und wird hernach vom Gericht festgelegt. Entsprechend kann der Mieter eine Rückerstattung der zu viel bezahlten Miete fordern. Allerdings nur insoweit, als nicht bereits die Verjährung eingetreten ist. Das Bundesgericht⁷ hatte die in diesem Verfahren strittige Frage zu beantworten, ab wann die Verjährung für diesen Rückerstattungsanspruch eintritt. Aufgrund der Nichtigkeit kommt nur eine ausservertragliche Grundlage in Frage und der Anspruch beurteilt sich demzufolge nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung. Nach alt Art. 67 OR⁸ betrug die Verjährungsfrist ein Jahr ab Kenntnisnahme (relative Verjährungsfrist) beziehungsweise zehn Jahre (absolute Verjährungsfrist). Es stellt sich daher die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Mieter Kenntnis von seinem Rückforderungsanspruch erlangte. Es gilt die Vermutung, dass der Mieter ohne Übergabe des Formulars seine Rechte nicht kennt. Das Bundesgericht liess aber in diesem Fall allenfalls eine Praxisänderung erkennen, indem es die Frage aufwarf, ob diese Vermutung mehr als 25 Jahre nach Einführung der Formularpflicht noch immer gerechtfertigt sei. Das Bundesgericht nahm das Urteil zum Anlass, festzustellen, dass die Verjährung nicht nach zehn Jahren nach Abschluss des Mietvertrags für alle bis dahin zu viel bezahlten Mietzinse eintritt, sondern für jeden einzelnen Mietzins die Verjährung gesondert zu laufen beginnt. Diesbezüglich bestand bisher Uneinigkeit zwischen verschiedenen Autorinnen und Autoren.