Rubrik: Recht

Merkwürdiges zur Übernahme der SIA-Normen in den Werkvertrag

Werden durch Abrede die Normen des SIA in einen Bauwerkvertrag übernommen, entsteht ein umfassendes Regelwerk. Bauherren tun gut daran, die Bestimmungen im Voraus zu bedenken, um keine unliebsamen Überraschungen zu erleben.

August 2020

Bei Bauwerkverträgen wie General- und Totalunternehmerverträgen werden zur Vertragsergänzung meistens auch allgemeine Vertragsbedingungen wie die SIA-Norm 118 in den Werkvertrag übernommen. Die SIA-Normen gelten gemäss bun­desgerichtlicher Rechtsprechung nicht als regelbildende Übung¹ und sind für die Ver­tragsparteien grundsätzlich nur verbindlich, wenn sie von ihnen durch ausdrückliche Abrede oder konkludent in den Vertrag übernommen wurden.² Durch eine solche Abrede wird aus einem einfachen Werkvertrag ein umfassendes Regelwerk. Zu beachten ist dabei, dass die SIA-Normen nicht wie Gesetze frei zugänglich sind, sondern auf der SIA-Website gekauft werden müssen.³

Besonderheiten der SIA-Norm 118
Die SIA-Norm 118 ist über 70 Seiten stark und weitet das bereits vorhandene Vertragswerk aus. Die SIA-Normen sind zwar ausgewogen, enthalten aber auch Bestimmungen, die für Bauherren durch­aus überraschend sein können, zumal sie von Unternehmern und nicht von Bauherren ausgearbeitet wurden.
Selbstredend können von den Vertragsparteien durch Abreden Änderungen und Ergänzungen der SIA 118 vereinbart werden. Eine solche Individualabrede ist beispielsweise das Verbot, Sub­­unternehmer beizuziehen, oder die Abmachung, dies nur nach schriftlicher Zustimmung des Bauherrn zu tun. In Art. 2 Abs. 2 SIA-Norm 118 wird der Vorrang von Individualvereinbarungen vor den vorformulierten Vertragsbedingungen festgehalten. Individualabreden können insoweit von der SIA-Norm abweichen, als sie die gesetzliche Ordnung vervollständigen und nicht gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen ver­stossen.

Spitzfindige Bestimmungen
Die SIA-Norm 118 enthält verschiedene Bestimmungen, die bei Bauherren zu Überraschungen führen können, wenn sie nicht im Voraus bedacht werden. Beispielsweise ist das Bauprogramm, das der Unternehmer auf Verlangen des Bauherrn vorlegt, nur dann verbindlich, wenn dies die Vertragsurkunde vorsieht.⁴ Ein verbindliches Bauprogramm muss demnach im Vertrag selber aufgeführt werden, um als vereinbart zu gelten.
Weist das Bauwerk einige Mängel auf, könnte ein Bauherr auf die Idee kommen, die Abnahme zu verweigern. Nach Art. 164 Abs. 1 SIA-Norm 118 gilt das Werk einen Monat nach erfolgter Vollendungsanzeige des Unternehmers als abgenommen, falls bis dahin eine gemeinsame Prüfung von Unternehmer und Bauherr unterblieben ist, weil sie von keiner Seite verlangt wurde oder weil die Mitwirkung vom Bauherrn unterlassen wurde. Die Weigerung des Bauherrn, das Werk abzunehmen, ist demnach nicht zielführend. Der Bauherr verfügt aber nach wie vor über seine Mängelrechte. Die Abnahme des Werks ist strikt zu unterscheiden von der Genehmigung der Mängel.

Covid-19 und Baustellen­schliessung
Aufgrund der aktuellen Covid-19-Pandemie stellt sich auch die Frage, wie mit Baustellenschliessungen umzugehen ist, die ein Bauherr verlangt. Zu erinnern ist, dass einige Kantone Baustellen geschlossen haben, während andere sie offen liessen. Der Bundesrat selber hat keine allgemeine Schliessung aller Baustellen verfügt.
Nach Art. 84 der SIA-Norm 118 verfügt der Bauherr über ein Recht zur einseitigen Bestellungsänderung. Dieses Recht umfasst aber im Normalfall nicht die Befugnis, die Bauzeit zu ändern. Ein Recht auf blosse Verzögerung der Werkausführung oder auf andere Änderungen, die ausschliesslich die Ausführungszeit betreffen, ist weder in Art. 84 der Norm noch in einer sonstigen Bestimmung vorgesehen. Der Bauherr kann im Rahmen der einseitigen Bestellungsänderung nicht verlangen, dass der Unternehmer den Arbeitsbeginn oder die Ausführung (zum Beispiel durch vorübergehende Arbeitseinstellung) vertragswidrig hinauszögert.
Ordnet ein Bauherr an, dass eine Baustelle geschlossen wird, obwohl sie unter Einhaltung der Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit betrieben werden könnte, liegt ein Fall des Annahmeverzugs vor. Der Bauherr kommt in Annahmeverzug, wenn er eine von ihm verlangte Mitwirkungshandlung, die für die Herstellung des Werks erforderlich ist (wie den Zutritt zur Baustelle), ungerecht­fertigt unterlässt oder verzögert. Der Bauherr muss dem Unternehmer daraus entstehende Mehraufwendungen entschädigen.⁵ Zudem ist der Unternehmer im Extremfall zur Auflösung des Vertrags berechtigt.⁶

Fazit
Beim Abschluss eines Werkvertrags lohnt es sich, sich vorgängig gewisse plausible Szenarien vorzustellen und diese aus rechtlicher Sicht abklären zu lassen. Der Fokus sollte nicht nur auf dem Preis und der Leistungsbeschreibung liegen, und der Rest der Bestimmungen darf nicht un­ref­lektiert hingenommen werden.

Energiesparcontracting: Änderung der Verordnung zum Mietrecht

Per 1. Juni 2020 ist eine Änderung der Verordnung zum Mietrecht (VMWG) in Kraft getreten. Der neue Artikel 6c VMWG sieht vor, dass die Vermieterschaft die Kosten eines Energiesparcontractings (ESC) unter bestimmten Voraussetzungen als Nebenkosten verrechnen darf.
Für Mietliegenschaften ist das ESC inte­ressant, zumal es dazu beiträgt, dass energetische Massnahmen auch in jenen Fällen umgesetzt werden, in denen die Vermieter kein Interesse daran haben, weil für sie die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben oder ungewiss ist, da sie den Grossteil der Kosten selbst tragen, aber auch die Mieterinnen und Mieter von den Energiekosteneinsparungen profitieren.
Als ESC-Massnahmen gelten nach Art. 6c Abs. 2 VMWG insbesondere die Optimierung des Betriebs von Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen und der Gebäudeautomation sowie der Ersatz von Anlagen, Installationen und Leuchtmitteln. Zudem kann der Vermieter die im Rahmen eines ESC anfallenden Kosten während höchstens zehn Jahren als Nebenkosten in Rechnung stellen; der jährlich in Rechnung gestellte Betrag darf nicht höher sein als die Energiekosten, die der Mieter mit dem ESC während dieses Abrechnungszeitraums einspart.

  1. BGE 117 II 284 E. b)
  2. BGer, 4C.282/2003, 15.12.2003, E. 3.1; 4A_47/2015, 2.7.2015, E. 5.1
  3. www.sia.ch
  4. Vgl. Art. 93 Abs. 2 SIA-Norm 118
  5. Vgl. Art. 94 Abs. 2 SIA-Norm 118
  6. A. a. O.

Thomas Elmiger,

Rechtsdienst

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