Rubrik: Recht

Wenn beim Umbau altes Recht gilt

Bei älteren Bauten gelten oft nicht mehr die gleichen Gesetze wie bei der Erstellung. Die «Besitzstandsgarantie» sorgt dafür, dass auch rechtswidrig gewordene Immobilien weiterbetrieben werden können. Doch wie weit gilt sie bei einer Sanierung oder einem Umbau?

Für nachträglich rechtswidrig gewordene Bauten in der Bauzone gilt die sogenannte Besitzstandsgarantie, die jeweils kantonal geregelt ist1 und in einigen Kantonen als «Bestandesgarantie» bezeichnet wird.2 Die Besitzstandsgarantie ist Ausfluss der Eigentumsgarantie3, die mit der sogenannten Bestandesgarantie die rechtmässige Ausübung des Privat­eigentums des Einzelnen gewährleistet.4 Die Besitzstandsgarantie dient dem Schutz der vom Bauherrn getätigten Investitionen und soll die sinnvolle Weiterverwendung vorhandener Bausubstanz ermöglichen.5 Der Investitionsschutzgedanke führt auch dazu, dass die Besitzstandsgarantie nicht die Nutzung einer Baute oder Anlage als solche, sondern nur die für die Nutzung getätigte Investition schützt.

Bauen ausserhalb der Bauzone
Beim Bauen ausserhalb der Bauzonen gelten im Hinblick auf den Bestandesschutz die im Raumplanungsgesetz6 in Art. 24c und 24d vorgesehenen Anfor­derungen. Diese Garantie kommt bei ­Gebäuden und Anlagen zur Anwendung, die vor der Trennung von Bau- und ­Nichtbauzonen erstellt und später durch Um- oder Auszonung einer Nichtbauzone zugewiesen wurden. Der Umfang der ­Besitzstandsgarantie ausserhalb der Bauzone hängt oft vom Zweck der aktuellen Zone ab. Vorliegend interessiert nur das Bauen innerhalb der Bauzone.

Geltungsbereich
Die Besitzstandsgarantie innerhalb der Bauzone setzt voraus, dass die Baute durch eine Änderung der Vorschriften rechtswidrig geworden ist. Die Rechtswidrigkeit kann in der Verletzung sämtlicher öffentlich-rechtlicher Vorschriften bestehen7, beispielsweise in der Verletzung von Vorschriften bezüglich Gebäudehöhe oder Grenzabstände.
Die Besitzstandsgarantie ermöglicht neben dem Erhalt der Baute auch kleinere Umbauten und mässige Erweiterungen sowie Nutzungsänderungen. Lehre und Rechtsprechung verlangen, dass Umbauten oder bauliche Erweiterungen nicht einer neubauähnlichen Umgestaltung gleichkommen dürfen. Im Falle einer Kollision der Besitzstandsgarantie mit denkmalschützerischen Auflagen muss im Einzelfall untersucht werden, welchen Umfang die Auflagen aufweisen und ob sie Vorrang vor der Besitzstandsgarantie haben.8 Diese schützt grundsätzlich die Nutzung einer Liegenschaft, während der Denkmalschutz die unverfälschte Art eines Gebäudes zum Gegenstand hat.

Unterscheidung Umbau – Neubau
Beim Abbruch mit darauffolgendem Neubau müssen die aktuell geltenden Bauvorschriften zur Anwendung kommen. Bei Sanierung und Umbau hat die Rechtsprechung im Laufe der Jahre verschiedene Kriterien zur Abgrenzung erlaubter baulicher Massnahmen von der nicht mehr erlaubten neubauähnlichen Umgestaltung entwickelt. Die Zulässigkeit von Umbauten entscheidet sich vor allem danach, ob sich das Bestehende oder zumindest wesentliche Teile davon in der inneren Einteilung, Organisation oder Konstruktion des Gebäudes noch erkennen lassen.9 Von einem zulässigen Umbau ist demnach auszugehen, wenn wesentliche Teile der bestehenden Bausubstanz nicht durch eine neue ersetzt werden, die Konstruktion des Gebäudes mit seinen Aussenmauern, den inneren Mauern und der Decken- und Dachkonstruktion mehrheitlich erhalten bleibt und auch die innere Einteilung nicht grundlegend verändert wird.
Die Unterscheidung zwischen einem im Rahmen der Besitzstandsgarantie zulässigen Umbau und einer neubauähnlichen Umgestaltung ist oft schwierig und lässt sich nicht rein quantitativ bestimmen. Ob eine bauliche Erweiterung einer bestehenden Liegenschaft zulässig ist, beurteilt sich aber hauptsächlich nach der Flächen- beziehungsweise Volumenausdehnung im Verhältnis zur bestehenden Baute. Falls beispielsweise die Nutzungsfläche gleich bleibt, die neu angebrachte Isolation des neuen Dachs zu einer Erhöhung desselben um lediglich 32 Zentimeter führt sowie das Gebäudevolumen nur gering zunimmt und die bauliche Massnahme der Werterhaltung dient, wird die Erweiterung als zulässig betrachtet.10
Zudem darf eine Absicht zur Umgehung der Neubauvorschriften nicht erkennbar sein, und die Erhaltung der bestehenden baulichen Investitionen muss im Vordergrund stehen.11 In diesem Sinne wurde die Aufsetzung eines Attikageschosses auf ein bereits drei Vollgeschosse aufweisendes Wohngebäude als mit der Besitzstandsgarantie vereinbar betrachtet.12

Fazit
Die Besitzstandsgarantie bewirkt, dass dem Eigentümer die Beibehaltung des bestehenden Gebäudes praktisch immer als mögliche Alternative zur bauordnungsgemässen Nutzung seiner Liegenschaft offengehalten wird. Wenn eine Baute im bestehenden Umfang aufgrund des geltenden Rechts gar nicht mehr erstellt werden kann, kann sich der Eigentümer auf die Besitzstandsgarantie berufen und die Liegenschaft im zulässigen Rahmen umbauen oder sogar erweitern.

  1. Vgl. beispielsweise für den Kanton Zürich § 357 des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Zürich (PBG; LS 700.1) bzw. für den Kanton Bern Art. 3 des Baugesetzes (BauG; BSG 721.0)
  2. Vgl. beispielsweise Art. 77bis des Gesetzes über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht des Kantons St. Gallen (BauG; GS 731.1) sowie § 72 des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Zug (PBG; BGS 721.11)
  3. Vgl. Art. 26 der Bundesverfassung (BV; SR 101)
  4. Vgl. BGE 1C_330/2012 vom 22. April 2013 E. 6.
  5. Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 26. März 2008 (VB.2007.00280) E. 2.2.
  6.  Bundesgesetz über die Raumplanung (RPG; SR 700)
  7. Vgl. Konrad Willi, Die Besitzstandsgarantie für vorschriftswidrige Bauten und Anlagen innerhalb der Bauzonen, Diss. Zürich 2003, S. 25 f.
  8. Vgl. beispielsweise BGE 115 Ia 370 ff.
  9. Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 12. Oktober 2016 (VB.2016.00215) E. 3.3; Urteil des Verwaltungsgerichts Zürich vom 24.10.2013 (VB.2013.00467) E. 4.1.
  10. Urteil des Verwaltungsgerichts Zug vom 21. Juli 2011 E. 3. bzw. BGE 1C_396/2011 vom 28. März 2012 E. 5.4.
  11. Urteil der Baurekurskommission Zürich vom 19. Juni 2007 (BRKE II Nr. 0130/2007) E. 5.1 und 5.2.
  12. A.a.O.

Thomas Elmiger,

Rechtsdienst

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