Aus zwei mach vier
224 statt 188 Wohnungen, hohe Energieautarkie, aufgewertete Aussenräume: Die sanft sanierte Siedlung «Im Rheinacker» des Kantons Basel-Stadt zeigt, wie pragmatische Innenverdichtung Mehrwerte schafft. Die Aufstockung in bewohntem Zustand forderte den Mieter:innen einiges ab, sicherte aber günstigen Wohnraum.
Von Liza Papazoglou | Bilder: Barbara Bühler, Lost Architektur, IBS, Wohnen | 2025/06
Im Osten Basels, am Rand des Hirschbrunnen-Quartiers, franst die Stadt langsam aus. Hier, nahe an der Grenze zu Deutschland, zwischen Rhein, den Hochhäusern der Pharmafirmen und Sportanlagen, erstellte der Kanton Basel-Stadt Anfang der 1960er-Jahre die Überbauung «Im Rheinacker». Ihre 188 günstigen Wohnungen nahmen früher vor allem zuziehende Arbeiterinnen und Arbeiter auf. Elf Gebäude reihen sich als drei- und vierstöckige Häuserzeilen locker neben- und hintereinander, dazwischen gibt es ausladende Grünflächen, alte Bäume, ruhige Quartierstrassen.
Der Rheinacker ist eine dieser typischen Nachkriegssiedlungen, unaufgeregt, nüchtern, solide. Wer heute hindurchschlendert, entdeckt aber auch Zeugnisse einer behutsamen Erneuerung. Alle Dächer sind bepackt mit Photovoltaikanlagen. Das kräftige Rot, Gelb und Blau der neu eingefassten Hauseingänge verleiht den Blocks Identität. Ein Echo der Farben findet sich im dezent pigmentierten Verputz an den frisch gedämmten Fassaden. Bunte Wiesen und einheimische Sträucher, einladende Spiel- und Aufenthaltsbereiche, neue Wege und grosszügige Velounterstände haben das frühere Abstandsgrün abgelöst.
Markante Treppen- und Lifttürme erschliessen die Zusatzgeschosse.
Zwei Zusatzgeschosse, 36 neue Wohnungen
Die einschneidendste Neuerung aber zeigt sich im hintersten Arealspickel. Hier stehen drei modern anmutende Gebäudezeilen mit Flachdächern und auffälligen freistehenden Erschliessungstürmen, die sich selbstbewusst in den übrigen Bestand einfügen. Ihren frischen Auftritt verdanken sie einer Aufstockung: Die ursprünglich zweigeschossigen Gebäude wurden auf vier Stockwerke erhöht. Insgesamt 36 neue Wohnungen mit zweieinhalb bis viereinhalb Zimmern sind so entstanden.
«Oft lohnt sich eine einfache Aufstockung mit ein bis zwei Wohnungen nicht. Mit den zwei Zusatzgeschossen aber konnten wir bei den betroffenen Häusern das Wohnungsangebot effizient verdoppeln. Damit haben wir die Ausnützungsreserve des Areals praktisch ausgeschöpft», erklärt Karl Sowa. Er ist Portfoliomanager bei Immobilien Basel-Stadt und hat das Projekt seit Beginn begleitet.
Sozialverträglich verdichten
Die Sanierung und Erweiterung der Siedlung, die zwischen Mai 2022 und Mai 2024 in Etappen erfolgte, fand im Rahmen des «Wohnbauprogramms 1000+» statt. Der Kanton Basel-Stadt will damit in Eigeninvestition bis 2035 über tausend neue preisgünstige Wohnungen schaffen. Dies soll vor allem über sozialverträgliche Verdichtungen im eigenen Bestand und mit Neubauten erfolgen. Ebenfalls angestrebt sind ökologisch vorbildliche Projekte.
In der Überbauung Rheinacker ist die Bausubstanz grundsätzlich gut, und die Wohnungen sind zwar sehr kompakt, aber vernünftig geschnitten. Vor einigen Jahren wurden sie bereits mit neuen Küchen und Badezimmern sowie Fenstern ausgestattet. Deshalb hat der Kanton entschieden, die Häuser primär energetisch zu ertüchtigen. Die Grundrisse der bestehenden Wohnungen wurden dabei nicht angetastet. Alle Bewohner:innen konnten auf Wunsch und mit einer Mietzinsreduktion während der Bauarbeiten in ihren Wohnungen bleiben. Fast alle Mietparteien nahmen diese Möglichkeit wahr. Sowa: «Wir haben viele Menschen, die schon Jahrzehnte im Rheinacker leben. Sie sind hier verwurzelt und auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen.»
Die bestehenden Gebäude wurden neu gedämmt und erhielten grössere Balkone sowie kräftig bunte Eingänge.
Gut gedämmt und fast energieautark
Alle Gebäudehüllen wurden aussen mit Mineralwolle gedämmt. Auch die Dächer wurden erneuert und gut isoliert. Gemäss Sowa konnte der Heizwärmeverbrauch der Siedlung um etwa vierzig Prozent gesenkt werden. Wegen der guten Dämmung wurden Lüftungen nötig. «Seit dem Einbau der dichteren Fenster kam es bereits zu gehäuftem Auftreten von Schimmel. Eine nachträgliche Hausdämmung verschärft dieses Problem noch», erklärt er. Im Rheinacker sorgen nun einfache kontrollierte Lüftungen für die Feuchteabfuhr: Frischluft strömt über Öffnungen in die Wohnräume, die verbrauchte Luft wird über das Bad abgesaugt. Für den Einbau der Leitungen konnten die alten Kaminschächte genutzt werden.
Die Energieversorgung im Rheinacker ist heute klimaneutral und energieautark. Als Ersatz für die Gasheizung war ursprünglich Fernwärme vorgesehen. Da ein entsprechendes Contracting aber nicht zustande kam, wurden stattdessen zwei Grundwasserbrunnen gegraben und Wärmepumpen installiert. Diese liefern nun Wärme für Heizung und Warmwasser und werden mit Strom von den neuen Photovoltaikanlagen betrieben. Die PV-Anlage mit einer Leistung von 560 Kilowatt-Peak (kWp) deckt überdies auch den Grossteil vom Bedarf der Bewohner:innen, die den Solarstrom über Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) beziehen. Die Siedlung ist nach dem Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) Silber zertifiziert.
Für die Aufstockung mussten das Dach und der oberste Teil des Treppenhauses entfernt werden.
Neue Erschliessungstürme
Anspruchsvoll gestalteten sich die Aufstockungen der drei Gebäude. Die Arbeiten beanspruchten pro Hauszeile rund zwölf Monate. Die Umbauphase war vor allem für die unmittelbar betroffenen Mietparteien im zweiten Geschoss strapaziös. Sie mussten nicht nur mit Lärm und Staub, sondern zeitweise auch mit Nutzungseinschränkungen leben – insbesondere, als die Satteldächer samt Estrichabteilen abgetragen und der oberste Teil der Treppenhäuser weggesägt wurden. Auf den so vorbereiteten Flächen mit einer Zwischendecke wurden die beiden Zusatzgeschosse in Elementbauweise mit vorgefertigten Holzelementen erstellt.
Knifflig war auch die Frage der Erschliessung in den aufgestockten Gebäuden. Die alten Häuser hatten versetzte Stockwerke und keine Lifte. Eine Treppenhauserweiterung mit Lifteinbau über alle Geschosse kam Sowa zufolge aber aus Kosten-Nutzen-Überlegungen nicht infrage: «Sie hätte unverhältnismässig tiefe und teure Eingriffe verlangt und zudem Wohnraum vernichtet.»
Zwei Zugangsvarianten lösen nun das Problem. Das bestehende Treppenhaus erschliesst weiterhin die alten Wohnungen; es wurde in seiner Struktur belassen, erhielt aber zur Erdbebenertüchtigung verstärkte Rahmungen im Eingangsbereich. In die neuen oberen Geschosse hingegen gelangt man über freistehende Treppen- und Lifttürme, die mit luftigen kleinen Brücken hindernisfrei auf die Laubengänge der beiden Attikageschosse führen. Runde Fenster verleihen den Türmen einen besonderen Charakter und gewähren während der Liftfahrt Ausblicke in die Siedlung.
Die neuen Attikawohnungen sind sehr kompakt geschnitten, aber offen und hell.
Kompakte, offene Grundrisse
Weil mit der Aufstockung zwei getrennte Wohnzonen pro Gebäude entstanden sind, haben die oberen Geschosse eigene Waschküchen erhalten. Die neuen, durchgesteckten Wohnungen sind im Unterschied zu den kleinkammrigen Bestandsgrundrissen offen und fliessend organisiert und dank Schiebetüren flexibel nutzbar. Knapp geschnitten sind aber auch sie: Die Viereinhalbzimmerwohnungen etwa sind nicht einmal achtzig Quadratmeter gross. Luftig wirken sie dennoch, dank einer klugen Raumaufteilung ohne Verkehrsflächen, dafür mit raumhohen Fenstern versehen, die viel Licht hereinlassen. Im obersten, zurückversetzten Stockwerk sind die Wohnungen noch kompakter. Entschädigt wird man auf dieser Etage mit einer eigenen Terrasse. Alle anderen Wohnungen der Siedlung wurden mit vergrösserten Balkonen aufgewertet. Nicht zuletzt konnte in einem aufgestockten Gebäude das Angebot an Wohnplätzen der Stiftung «Leben in Vielfalt» (LIV) für Menschen mit einer Beeinträchtigung verdoppelt werden.
Die Vermietung der neuen Attikawohnungen im Rheinacker erfolgt gemäss «Mietvertrag Plus». Die Bewohner:innen müssen dabei Vorgaben zur Belegung erfüllen und unterliegen Einkommenslimiten. Sie profitieren dafür von Nettomietzinsen, die zwanzig Prozent unter den Marktmieten liegen. Für eine Viereinhalbzimmerwohnung mit 78 Quadratmetern bezahlen sie so 1550 Franken netto im Monat. Beim Bestand wurden die Mieten nach der Sanierung für Dreizimmerwohnungen in ungekündigtem Mietverhältnis um 80 bis 190 Franken pro Monat erhöht.
Gelungenes Projekt
Mit dem Resultat ist Sowa zufrieden - auch wenn beim Bau nicht immer alles rund lief und viele Auflagen zu erfüllen waren. So musste etwa für die 36 neuen Wohnungen ein eigener Schutzraum unter einer Grünfläche erstellt werden. Und Baupannen wie Löcher, die beim Zusammenfügen der Geschossebenen in der Decke der Mieter:innen darunter entstanden, sorgten zwischenzeitlich für rote Köpfe. Auch gab es wetterbedingte Verzögerungen.
Rückblickend unterschätzt, sagt der Portfoliomanager, habe man die Kommunikation mit der Mieterschaft. Sie spiele bei einem Aufstockungsprojekt im bewohnten Zustand eine besonders wichtige Rolle. «Es gab zwar Informationsangebote. Aber wir hätten noch intensiver kommunizieren und die Mieterbetreuung hätte mehr direkt vor Ort ansprechbar sein müssen.» Zudem würde man bei einer nächsten Aufstockung versuchen, für Bewohner:innen der unmittelbar darunterliegenden Wohnungen Ausweichangebote zu schaffen. «Solche Umbauten sind immer belastend. Ausschlaggebend ist aber letztlich, dass viele Menschen in ihren Wohnungen bleiben konnten und für 36 Mietparteien bezahlbarer Wohnraum entstanden ist.»
Baudaten
Bauherrin
Immobilien Basel Stadt, vertreten durch Städtebau&Architektur
Architektur, Generalplanung
Lost Architekten GmbH, Basel
Landschaftsarchitektur
Beglinger + Bryan Landschaftsarchitektur GmbH, Zürich
Unternehmen (Auswahl)
Ernst Frey AG (Steildächer)
Husner AG (Holzbau, Holzfassade)
Kaufmann Schreinerei AG (Kücheneinrichtungen)
Tecton-Fladag AG (Flachdächer)
Umfang
- Sanierung 11 MFH mit 188 Wohnungen: Aussendämmung, Dämmung Dächer, Lüftungseinbau, PV-Anlagen, Wärmepumpen mit Grundwasserbrunnen, Balkonerweiterungen, Sonnenschutz
- Aufstockung 3 MFH um zwei Geschosse in Holzelementbau, total 36 Wohnungen, Treppen- und Lifttürme, Schutzraum
- Aussenraumaufwertung
Baukosten
Immobilien Basel-Stadt veröffentlich grundsätzlich keine Baukosten
Mietzinsbeispiele
4 ½-Zimmer-Wohnung, 79 m²:
vorher: 1305 CHF + 270 CHF NK
saniert: 1625 CHF + 270 CHF NK
4 ½-Zimmer-Wohnung neu, 79,4 m²:
1530 CHF + 350 CHF NK