Siedlungsgenossenschaft Eigengrund saniert 1960er-Jahre-Siedlung

Vom dunklen Estrich zur hellen Dachwohnung

Bei der Erneuerung der Siedlung Giessächer in Geroldswil (ZH) hat die Siedlungsgenossenschaft Eigengrund die gewünschte Verdichtung durch einen Ausbau des Dachstocks erreicht. Die Wohnungen erhielten neue Küchen und Bäder, die Dächer eine Photovoltaikanlage und die Bewohnenden mehr Räume für die gemeinschaftliche Nutzung.

Von Remo Bürgi, Faktor Jornalisten | Bilder: Roger Cornuz, Roger Frei | 2024/03

Das Wohnquartier Fahrweid, ein Ortsteil des zürcherischen Geroldswil, liegt an einer ehemaligen Flussschleife der Limmat. Durch die Kanalisierung des Gewässers im 19. Jahrhundert entstand dort eine Auenlandschaft, die heute geschützt ist und eine artenreiche Flora und Fauna aufweist. Die Wohnüberbauung Giessächer der Siedlungsgenossenschaft Eigengrund (SGE) schliesst direkt an dieses wertvolle Naherholungsgebiet an. Das Ensemble aus den frühen 1960er-Jahren besteht aus zwei dreigeschossigen und einem viergeschossigen Gebäude. Die meisten der rund sechzig Wohnungen verfügen über drei, einige über zwei, vier oder fünf Zimmer. Viele der Bewohnenden leben seit Jahren oder Jahrzehnten in der Siedlung, die Fluktuation ist daher tief.

Sichtbare Zeitschichten: Bereits 1985 gab es eine Sanierung. Dabei wurden hinterlüftete Fassaden angebracht, deren Platten Asbest enthalten. Ihr Ersatz wäre zu teuer geworden, sie wurden deshalb nur gereinigt. Neu haben nun alle drei Gebäude Betonanbauten für Lifte erhalten.

Fit für die nächsten dreissig Jahre
Im Erneuerungsplan der SGE war eine Sanierung der Bauten für 2020 vorgesehen. «Um den genauen Bedarf zu ermitteln, analysierten wir den baulichen Zustand und befragten die Bewohnenden», erklärt SGE-Projektleiter Roger Cornuz. «Die meistgenannten Wünsche waren der Einbau eines Lifts sowie die Erneuerung von Bad und Küche, insbesondere die Installation eines Geschirrspülers.» Für die SGE selbst stand im Vordergrund, die Bauten für die nächsten dreissig Jahre instand zu setzen, den Wohnwert wiederherzustellen respektive wenn möglich zu verbessern und die günstigen Mieten zu erhalten. Zudem sollten die Wohnungen künftig auch für ältere Menschen und für solche mit eingeschränkter Mobilität besser zugänglich sein. Ferner prüfte die Genossenschaft eine Verdichtung, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Im Fokus standen dabei die Estriche im ungenutzten Dachgeschoss der drei Gebäude.
All diese Anforderungen und Wünsche wurden in einer Machbarkeitsstudie geprüft. Auf dieser Basis hat die SGE eine Projektdefinition erstellt und ein konkretes Sanierungsprojekt entwickelt. Zur besseren Zugänglichkeit erhielten alle drei Häuser einen Anbau aus Beton für neue Lifte. Dieser erschliesst wie das bestehende Treppenhaus die aussenliegenden Laubengänge, über die der Zugang zu den Wohnungen erfolgt. Der Boden der Laubengänge wurde leicht angehoben, damit die Bewohnenden ihre Wohnungen schwellenfrei betreten können. Alle Küchen und Bäder wurden modernisiert, wobei auch sämtliche Leitungen und vertikalen Stränge ersetzt wurden. In den Zweizimmerwohnungen hat man anstelle der Badewannen bodenebene Duschen eingebaut, ansonsten veränderten sich die Grundrisse nicht. Die Küchen erhielten neue, energieeffi­ziente Geräte, namentlich einen Induktionsherd, einen Geschirrspüler und einen Kühl­schrank mit separatem Tiefkühler.

Korridor und Wohnung im ausgebauten Dachgeschoss.

Beispiel eines Badezimmers. In den Kleinwohnungen hat man Wannen durch Duschen ersetzt.

Mehr Wohnraum und neue PV-Anlagen
Zur Verdichtung wandelte man die Estriche so weit wie möglich in Wohnraum um. Die neun neuen Dachwohnungen erhalten dank je einer grossen Lukarne viel Tageslicht. Im Dachgeschoss wurde zudem eine Gästewohnung eingerichtet. Auch den Aussenraum hat die SGE aufgewertet. Die bestehenden Grünanlagen neben und zwischen den Gebäuden wurden instandgesetzt und Bepflanzungen ergänzt, zudem konnte ein weiterer Spielplatz für ältere Kinder realisiert werden. Die Aussenbeleuchtung ist mit dem Umstieg auf LED deutlich energieeffizienter geworden. Und: Dank einer neu errichteten Ruderalfläche, einem kahlen Rohboden, wird die Biodiversität gefördert, weil sich hier spezielle Pflanzen ansiedeln können.
Die Wärmeversorgung der Siedlung erfolgt bereits seit 2018 über das lokale Fernwärmenetz und ist damit klimaneutral. Im Rahmen der Sanierung liess die Genossenschaft die Dächer mit Photovoltaikmodulen ausstatten, sodass die Gebäude mit eigenem Solarstrom versorgt werden können. Zudem hat sie die Parkplätze für die Elektromobilität vorbereitet: Bei Bedarf lassen sich die Ladestationen rasch in­stallieren, weil die Zuleitungen schon gezogen sind.

Rochadewohnungen verfügbar
Das Sanierungsprojekt startete im März 2020 mit der Installation der Gerüste. Wegen der Coronapandemie entschied sich die SGE, den Baubeginn zu stoppen, denn zu diesem Zeitpunkt war nicht klar, ob eine sichere Umsiedlung sowie ein gefahrloser Bauablauf möglich wären. Erst im Sommer konnten die Arbeiten fortgesetzt werden. Die Gebäude wurden bis Ende 2021 in Etappen erneuert. Anschliessend folgten bis Juni 2022 die Umgebungsarbeiten.
Zwar mussten die Wohnungen für die umfassende Erneuerung geräumt werden, die Bewohnerinnen und Bewohner erhielten jedoch alle das Angebot, während der Sanierung eine Rochadewohnung in der Siedlung zu beziehen. Die Genossenschaft unterstützte sie mit der Organisation der Umzugshilfe und der Möglichkeit, Mobiliar vor Ort in einem Container zwischenzulagern. Damit sie vor Ort Ausweichwohnungen anbieten konnte, hatte die SGE in den zwei Jahren davor freiwerdende Wohnungen nur noch befristet vermietet.
Viele Mietende machten vom Angebot der Genossenschaft Gebrauch. Die Rückkehr in ihre sanierten Wohnungen kam für einige etwas früh, meint Cornuz rückblickend. «Teilweise mussten noch Mängel behoben werden, was für die Bewohnerinnen und Bewohner umständlich war.» Man nehme daraus die Erkenntnis mit, für die Mängelbehebung mehr Zeit einzuplanen.

Um die nötige Raumhöhe zu erreichen, wurden in den neu geschaffenen Dachwohnungen grosszügige Lukarnen eingebaut. Sie bilden das Wohnzimmer.

Erneuert wurde gemäss SNBS. In den Küchen gibt es nun Lehmputzdecken und energieeffiziente Geräte.

Lichtdurchflutet dank Lukarne
Seit der ersten Sanierung 1985 sorgen hinterlüftete Fassaden für eine bessere energetische Bilanz der Mehrfamilienhäuser. Allerdings enthalten die damals eingesetzten Fassadenplatten Asbest. Sie wurden deshalb sorgfältig gereinigt – ein Ersatz wäre unverhältnismässig teuer gewesen. Auch im Verputz auf der Seite der Laubengänge stellten die Fachleute Asbest fest, auf den angedachten neuen Dämmputz musste man daher verzichten. Energetische Verbesserungen liessen sich durch neue Fenster auf der Balkonseite, durch die Dämmung der Kellerdecke und die neue Dämmung beim Dachausbau erreichen.
Zu den besonderen Herausforderungen des Projekts zählte die vorschriftsgemässe Planung und Gestaltung der neuen Dachwohnungen. Das Planungs- und Baugesetz gibt vor, dass mindestens fünfzig Prozent der Wohnfläche eine Raumhöhe von mindestens 240 Zentimetern erreichen müssen. Die bestehenden Estrichräume waren aber eher niedrig, sodass es nicht ganz einfach war, diese Vorgabe zu erfüllen. Als Lösung wurden in jedes Dachgeschoss drei grosszügige Lukarnen eingebaut. Diese bilden das Wohnzimmer der neuen Wohnungen, erfüllen die Anforderungen an die Mindesthöhe und lassen viel Tageslicht herein. Allerdings konnte jeweils nicht die komplette Dachgeschossfläche in Wohnraum umgewandelt werden. Ein Teil wird deshalb weiterhin als Estrich genutzt.

Mehr Platz für die Gemeinschaft
Die Siedlung Giessächer bietet seit der Sanierung zusätzliche gemeinschaftlich genutzte Räume. Neu hinzugekommen ist etwa das Gästezimmer in einem der Dachgeschosse, das die Bewohnenden günstig für ihre Besucherinnen oder Besucher reservieren können. Die gesamte Innenausstattung des Zimmers übernahmen die Bewohnenden über eine kleine Arbeitsgruppe selbst. Das Gästezimmer wird gemäss Cornuz sehr geschätzt und ist bisher auch sehr gut ausgelastet – ein echter Gewinn für die Siedlung also.
Um den Veloverkehr zu fördern, stehen nicht nur neue Abstellplätze bereit, sondern auch eine Reparaturstation. Sie bietet alle Werkzeuge, um einfache Arbeiten am Fahrrad selbst vorzunehmen. Ein Bewohner mit einschlägiger Erfahrung koordiniert die Nutzung der Reparaturstation und steht bei Fragen unterstützend zur Seite. Im Aussenraum gibt es nebst den erneuerten Spielplätzen und grosszügigen Grünflächen neu auch einen Mietergarten für die Bewohnerinnen und Bewohner mit grünem Daumen. Die SGE stellt die Gartengeräte sowie eine Sitzbank zur Verfügung, darüber hinaus organisieren sich die Nutzenden selbst.

Spielflächen wurden erneuert, die grosszügigen Grünflächen mit neuen Mietergärten ergänzt.

Nachhaltig gebaut mit SNBS
Als Leitfaden für die Erneuerung nutzte die SGE – wie für alle ihre Siedlungen – den Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS), nach dem die Siedlung Giessächer dann auch zertifiziert wurde. Der SNBS umfasst verschiedene Anforderungen aus den Bereichen Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. «Das Wissen, wie man nachhaltig baut, mussten sich die beteiligten Planenden und Unternehmen zuerst aneignen», erklärt Cornuz. «Wir unterstützten dies, indem wir Nachhaltigkeitsfachleute beizogen und diese auch zur Schulung der Beteiligten einsetzten.» Konkret ausgewirkt hat sich das gemäss dem Projektleiter etwa bei der bewussten Auswahl und Verwendung von SNBS-tauglichen Materialien und Produkten. So kamen zum Beispiel Bodenbeläge aus Linoleum, Lehmputzdecken in Küchen oder Dämmungen aus Holzfaserplatten zum Einsatz.
Knapp zwei Jahre nach der Erneuerung sind die SGE-Verantwortlichen zufrieden mit dem Sanierungsprojekt. Zwar gab es aufgrund der Coronapandemie einige Herausforderungen zu bewältigen, gerade auch wegen Arbeitsverzögerungen, Lieferschwierigkeiten und gestiegenen Materialkosten. Dennoch konnten die Mietpreise, die bei der SGE als Kostenmiete festgesetzt werden, auf einem ähnlichen Niveau wie vor der Sanierung gehalten werden. Dies gelang dank der vorgängig erarbeiteten klaren Projektdefinition sowie der daraus resultierenden massvollen Eingriffstiefe bei Wohnungen und Fassade. Auch der Fokus auf die wesentlichen Punkte wie Wohnwertsteigerung, Verdichtung und nachhaltiges Bauen trugen dazu bei. So bietet die Siedlung Giessächer heute modernen Wohnraum zu bezahlbaren Preisen.

Baudaten

Bauträgerin
Siedlungsgenossenschaft Eigengrund, Zürich
Architektur
Diethelm & Spillmann Architekten, ­Zürich (Arge mit Bauleitung)
Landschaftsarchitektur
Haag Landschaftsarchitektur, Zürich
Bauleitung
Befair Partners AG, Zürich (Arge mit ­Architekten)
Unternehmen (Auswahl)
Pfenninger Bau AG (Baumeister)
Fenster Nauer AG (Fenster)
Griesser AG (Sonnenschutz)
Wietlisbach AG (Küchen)

Umfang
3 MFH mit 66 Wohnungen (12 × 2, 37 × 3, 14 × 4, 3 × 5 Zimmer), 9 davon neu durch Ausbau Dachstock, 1 neues Gästezimmer
Baukosten
15,4 Mio. CHF
Mietzinsbeispiele
2-Zimmer-Wohnung, 52 m²:
alt: 710 CHF plus 136 CHF NK
neu: 860 CHF plus 136 CHF NK
4-Zimmer-Wohnung, 76m²:
alt: 920 CHF plus 192 CHF NK
neu: 1150 CHF plus 192 CHF NK
neue 3-Zimmer-Dachwohnung, 82 m²:
1140 CHF plus 192 CHF NK
Mietzinserhöhung: ca. 23 Prozent