Interview mit der Psychologin Jessica Schnelle

«Es geht um den gesellschaftlichen Zusammenhalt»

Generationendialog ist nicht nur beim Wohnen ein Thema. Ob Erzählcafé, Medienprojekt, Spielen oder Handykurs: Es gibt immer mehr Projekte, die Alt und Jung zusammenbringen wollen. Jessica Schnelle von der Generationenakademie über Gründe, Erfolgsfaktoren und aktuelle Trends.

Interview und Foto: Liza Papazoglou

Wohnenextra: In den letzten Jahren wurden immer mehr Generationenprojekte lanciert, von Gemeinden, aber auch Privatpersonen und Vereinen. Weshalb liegt das Thema so im Trend?
Jessica Schnelle: Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Einzelinitiativen werden häufig von Frauen ab fünfzig getragen. Bei ihnen ist das Generationenthema etwas ganz Genuines, das sie aus ihrer Lebenswelt kennen. Sie wurden so sozialisiert und schauen ja auch in der Familie füreinander, über die Generationen hinweg. Auf gesellschaftlicher Ebene ist die demografische Entwicklung der wichtigste Treiber. Wer sich damit auseinandersetzt, dass der Anteil an älteren und hochbetagten Menschen in der Bevölkerung stetig steigt, ist früher oder später zwingend mit der Generationenfrage konfrontiert. Denn die damit verbundenen Herausforderun‑
gen – etwa, wie der Pflegebedarf künftig abgedeckt werden soll – sind innerhalb einer Altersgruppe nicht zu lösen. Dann hilft sicher auch das positive Image, denn letztlich geht es bei Generationenprojekten ja darum, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Das ist, besonders auf lokaler Ebene, ein
grosses Thema in der Politik. Und schliesslich entsprechen sie als partizipative Formate auch einem allgemeinen Trend, unter Einbezug vieler Beteiligter Ideen zu entwickeln.

Was sind überhaupt Generationenprojekte? Bei genauem Hinsehen entpuppen sich viele Angebote mit diesem Etikett als eigentliche Alters­projekte. Müssten nicht auch junge Leute beteiligt sein?
Das ist ein verbreitetes Missverständnis. Generationenprojekte richten sich nicht zwingend immer an Hochbetagte und ganz Junge. Es reicht schon, wenn zwei Genera­tionen im mittleren Alterssegment involviert sind – wie beispielsweise bei Wohnsiedlungen für Leute ab fünfzig. Wichtig ist, dass solche Initiativen Menschen aus verschiedenen Lebenswelten, die sich sonst nicht begegnen würden, zusammenbringen.

Wie bewegt man Junge zum Mitmachen?
Jugendliche beteiligen sich – wie alle anderen auch – dann, wenn sie einen Nutzen davon haben. Sei es, indem sie eigene Kompetenzen einbringen und Anerkennung erfahren, sei es, indem sie ein Taschengeld verdienen. Deshalb funktionieren etwa die diversen Angebote, wo Junge Senioren Handys oder Tablets erklären, meistens sehr gut. Oder nehmen Sie das Beispiel «GenerAction»: Da beraten pensionierte Fachleute Jugendliche bei der Entwicklung eigener Projekte. Diese profitieren direkt von inhaltlichen Feedbacks, vom Kontaktnetz, von der Hilfe beim Fundraising usw. Auch ganz toll geklappt hat «Generationen und Geschichten», ein Projekt in Suhr (AG), bei dem 15- bis 20-Jährige und Senioren eigene Texte schreiben und diese dann gegenseitig lesen und besprechen. In diesem altersgemischten Setting trauen sich die Jungen etwas, was sie vielleicht unter Gleichaltrigen vermeiden würden, zum Beispiel aus Angst vor einer Blösse. Als positiven Nebeneffekt lernen sie dabei auch viel über ältere Menschen.


"Die demografische Entwicklung ist der wichtigste Treiber"


Welches Projekt gefällt Ihnen persönlich besonders gut?
Sehr beachtlich finde ich «und – das Generationentandem» aus Thun. Gestartet wurde es von einem jungen Mann, der eine Maturaarbeit über Generationendialog verfasst hatte. Daraus entwickelte er dann ein Publikationsprojekt mit Onlinebeiträgen, dem «Generadio» und einer gedruckten Zeitschrift. Bei deren Erstellung arbeiten immer eine junge und eine betagte Person im Team – von der Planung über die Beiträge bis zur Technik. Auch inhaltlich ist das spannend, weil gesellschaftlich brisante Themen wie das bedingungslose Grundeinkommen oder Behinderung und Sexualität aufgegriffen und konsequent aus beiden Optiken beleuchtet werden. Das passiert alles auf freiwilliger Basis, sehr professionell und gut vernetzt. Was das Team in seiner Freizeit auf die Beine stellt, ist wirklich beeindruckend.

Was braucht es, damit Generationenprojekte gelingen?
Man sollte Ideen früh breit abstützen und Gleichgesinnte mit ins Boot holen, denn es braucht meist viel Energie und einen langen Atem. Wir raten immer von Alleingängen ab. Es empfiehlt sich zudem, «klein» zu denken. Lieber das Machbare angehen statt sich an Millionenprojekten wie einem Mehrgenerationenhaus die Zähne ausbeissen. Dann ist Vernetzung ganz wichtig. Auch wenn das in der Euphorie gerne vergessen geht: Man muss das Rad nicht neu erfinden. Oft gibt es ähnliche Projekte und Institutionen, an die man andocken kann – etwa Gemeinschaftszentren, Museen oder Bibliotheken. Gute Begegnungsorte für Jung und Alt sind wichtig, sie müssen aber nicht unbedingt extra geschaffen werden. Die meisten Projekte benötigen zudem ein Mindestmass an Moderation – jemand muss das Ganze managen und zusammenhalten, Treffen organisieren, Leute vernetzen usw.

Und wann scheitern Generationenprojekte?
Wenn sie nicht einem echten Bedürfnis entsprechen. Es ist deshalb sehr wichtig, das Gespräch mit allen Betroffenen zu suchen – und diesen gut zuzuhören. Nimmt man eigene Vorstellungen als Mass aller Dinge, wird es schwierig. So ist etwa ein an sich schönes Singprojekt mit Senioren und Kindern trotz hohem Engagement nicht weitergeführt worden, weil die Organisatoren weder die Bedürfnisse der Kindergärten noch der involvierten Ämter abholten.

In welche Richtung wird sich das Thema weiterentwickeln?
Ich denke, der Generationendialog wird immer breiter stattfinden – in Zivilgesellschaft, Verwaltungen, Kultur, Gesundheitswesen, Politik. Auch in Unternehmen wird er zunehmend zum Thema. Generationengemischtes Wohnen wird noch wichtiger. Gros­ses Potenzial sehe ich zudem bei kleinen Gemeinden, in ländlichen und in Berggebieten. Die meisten bisherigen Generationenprojekte sind stark urban geprägt. In peripheren Gebieten aber zeigt sich der Alterseffekt viel massiver: Familien bleiben aus, Jugendliche ziehen weg. Mit partizipativen Generationenprojekten könnte man gemeinsam überlegen, wie solche Orte für verschiedene Altersgruppen wieder attraktiv werden. Und es liessen sich so auch Hilfsstrukturen unter den Älteren entwickeln.

Generationenakademie

Die Generationenakademie ist das Netzwerk für Generationenprojekte des Migros-Kulturprozents. Sie wurde 2010 ins Leben gerufen und versteht sich als Plattform und Impulsgeberin für Generationenprojekte; angeboten werden Beratungen, Workshops und verschiedene Austauschformate. Das Migros-Kulturprozent ist ein freiwilliges Engagement der Migros für Kultur, Gesellschaft, Bildung, Freizeit und Wirtschaft.
www.generationenakademie.ch, www.migros-kulturprozent.ch
Eine Plattform für Generationenprojekte bietet auch www.intergeneration.ch.