Zu Besuch bei einer Neuner-WG

Nie allein auf dem «Schiff»

Auf der Suche nach Gemeinschaft zogen neun junge Berufstätige in eine komfortable Clusterwohnung im ehemaligen Felix-Platter-Spital. Gemütliche Tischrunden im Wohnzimmer schätzen sie genauso wie Kinoabende im Haus.

Text: Patrizia Legnini | Foto: Dominik Plüss | 2023/03

Wer mit dem Lift in den zweiten Stock des umgebauten Felix-Platter-Spitalgebäudes fährt, steht mit einem Fuss schon fast in der Wohnung, die neun junge Leute zwischen Januar und März bezogen haben. Durch eine Glasfront fällt der Blick auf das Bild eines Schiffes, das diese anlässlich einer Einweihungsparty gemalt und im Eingangsbereich aufgehängt haben. «Nachts auf hoher See» lautete das Motto, die vielen Gäste verteilten sich bis auf die Dachterrasse.
Dass viele Menschen in der Wohnung leben, erkennt man unschwer an den Metallgestellen, die beim Eingang meterbreit nebeneinanderstehen. Hier verstauen die Bewohnerinnen und Bewohner, welche die Clusterwohnung als Verein mieten, ihre Schuhe und Jacken, hier liegen Velohelme neben Rucksäcken und Schals. Im Wohnzimmer strecken sich vor den Wintergärten Monsterapflanzen der hohen Zimmerdecke entgegen. Zur Wohnung gehört auch ein ­riesiger Balkon. Allerdings weht der Wind dort oft so stark, dass er sogar Möbel mitreisst. «Wir haben noch nicht herausgefunden, wie wir die Terrasse einrichten können, ohne dass uns etwas abhandenkommt», sagt Janosch Bätscher.

Eine App für besseren Überblick
Während Kai Wagner am E-Piano noch schnell in die Tasten haut, ohne dass man etwas von ihm hört, nimmt Janosch Bätscher ein Blech mit Gemüse aus dem Backofen und setzt sich damit zu den anderen. Der alte Holztisch in der Stube ist das Herzstück der Wohnung – hier kommen die Bewohnerinnen und Bewohner am häufigsten zusammen. «Manchmal macht man ein paar Portionen mehr, ­sodass andere mitessen können, manchmal kocht man für sich allein», sagt er. Vor allem am Sonntagabend kochen und essen die Bewohnerinnen und Bewohner oft gemeinsam, dann wird das Menü auch sorgfältiger geplant.
Abgesehen davon mögen diese das Zusammen­leben möglichst unkompliziert. So ist zum Beispiel im Kühlschrank alles, was nicht angeschrieben ist, zum Teilen da. Über eine App lassen die Bewohnenden nicht nur die Ämtlipläne rotieren, sondern erstellen auch Einkaufslisten für Lebens- oder Putzmittel, die alle benötigen. Praktisch ist, dass die App auch gleich berechnet, wer den anderen wie viel Geld schuldet.

Fünf Duschen für neun Personen
Oft ziehen junge Leute aus ihren WGs aus, wenn sie ihre Ausbildung beendet haben. Bei den Bewohner:innen der WG im Schiff ist es anders: Sie sind alle zwischen 25 und 38 Jahre alt und stehen voll im Berufsleben. Doch alle ziehen das gemeinschaftliche Wohnen in der WG auch nach ihrer Studienzeit jeder anderen Wohnform vor. «Ich schätze es, dass fast immer jemand da ist», sagt Katharina Blaurock. «Man findet immer jemanden, um Tee zu trinken oder Yoga zu machen.»
Wie alle anderen hat Blaurock schon in verschiedensten WGs gewohnt; in der kleinsten lebten sieben, in der grössten zwölf ­Personen. Auch Livia Fricker und Janosch Bätscher wohnten zuletzt als Paar in einer Hausgemeinschaft. Allerdings kam ihnen das Gemeinschaftliche dort etwas zu kurz. «Hier ist es anders. Wir sind neun Leute. Wenn drei sich mal zurückziehen, sind immer noch sechs da.» Im Sommer sind die Bewohnerinnen und Bewohner zusammen im Rhein schwimmen oder an Konzerte gegangen. Für Dezember ist ein gemeinsames Weekend in den Bergen geplant.
Dass sie es alle sehr gut miteinander haben, führen sie nicht zuletzt auf die «Castings» zurück, über die die Vereinsmitglieder jeweils neue Mitbewohnerinnen und -bewohner ausgewählt haben. «Wir haben speziell nach Personen gesucht, die Erfahrungen mit dieser Wohnform haben», sagt Imma Mäder. «Und das hat eine Weile gedauert.» Gut aufgehoben fühlen sie und die anderen sich aber auch in ihrer 367 Quadratmeter grossen Cluster­wohnung. Diese verfügt nicht nur über neun Schlafzimmer und zwei grosse Wohnzimmer, sondern auch über zwei schöne Küchen und sechs Badezimmer mit fünf Duschen. «Das ist natürlich eine luxuriöse Ausgangslage», sagt Bätscher und lacht. «Den morgendlichen Badstau gibt es dadurch nicht, und auch am Herd hat es immer genug Platz. Das nimmt viel Druck aus dem Zusammenleben.»

Im Haus ist viel los
Mit Livia Fricker teilt Bätscher zwei nebeneinander liegende Zimmer, ein Bad und ein Entrée, das durch eine Tür gleich bei der Küche betreten wird. «Diese Privatheit schätzen wir sehr», sagt Fricker. Pro Monat zahlt das Paar zusammen 1700 Franken Miete – ein Betrag, den es sich während des Studiums nicht ­hätte leisten können. «Aber anderenorts kosten die WG-Zimmer auch so viel.» Dass im Cluster alle Geld verdienen, trägt gemäss Blaurock ebenfalls zur entspannten Atmosphäre bei. «Wir müssen nicht darüber diskutieren, wer eine Flasche Milch gekauft hat und wer nicht.» Schwierigkeiten werden an der monatlichen Sitzung traktandiert, die Sauberkeit in der Küche war auch schon ein Thema. Doch Reibereien sind selten – alle scheinen die Regeln des guten Zusammenwohnens in- und auswendig zu kennen.
Nur die langen Gänge, die hohen Decken und ein paar architektonische Details zeugen heute noch davon, dass im Haus bis vor Kurzem betagte Patienten untergebracht waren. «Von der einstigen Spitalatmosphäre spürt man hier nichts mehr. Das Haus ist ­voller Leben, es läuft so viel», sagt Blaurock. «Gerade das Quartierzentrum im Eingangsbereich wertet das Leben hier sehr auf», sagt Mäder. Dass im Moment viele Angebote entstehen, dass sie selbst Ideen einbringen und sich engagieren sollen, schätzen die WG-­Bewohnenden sehr. Und selbstverständlich werden einige von ihnen darum auch an den Kinoabend gehen, den ein paar Leute im Haus bald organisieren.