Graphis Bau- und Wohngenossenschaft ersetzt Siedlung im Heuwinkel in Allschwil (BL)
Solarfassaden – optimal, nicht maximal
Die Graphis wollte eine nachhaltige Verdichtung, die Standortgemeinde einen hohen Anteil an erneuerbarer Energie. Und der Architekt entwarf markante Neubauten. Mitten in Allschwil lässt sich nun respektable Solararchitektur besichtigen – aber auch bezahlbarer und klimafreundlicher Wohnraum.
Von Paul Knüsel | Bilder: Johannes Marburg, zVg | Juni 2021
Wo ist die Schweiz am sonnenreichsten? Normalerweise führen Orte im Süden wie Locarno oder das Engadin das jährliche Schönwetter-Ranking an. Neuerdings drängt sich aber der Nordwesten nach vorne: Von Januar bis Dezember 2020 wurden in der Agglomeration Basel die drittmeisten Sonnenstunden gezählt. Ob der Klimawandel daran schuld ist, kann man nur vermuten. Dagegen lässt sich bewundern, wie gut die Grenzregion darauf vorbereitet zu sein scheint.
Mitten in Allschwil warten an der Heuwinkel- und der Pappelstrasse zwei markante, im März bezogene Wohnhäuser sehnlichst darauf, möglichst viel Energie aus diesem Sonnenreichtum zu ziehen. Mit grossflächigen Photovoltaikanlagen auf dem Dach und an den Fassaden wird still und abgasfrei Strom produziert. Die Bau- und Wohngenossenschaft Graphis hat hier eines der grössten Vorhaben realisiert, die es derzeit in der Schweizer Solararchitektur zu besichtigen gibt. «Wir haben uns mehrere Mehrfamilienhäuser mit PV-Fassaden angeschaut und für unsere eigene Umsetzung etwas Grosses und Dezentes gewünscht», erklärt der stellvertretende Graphis-Geschäftsführer und Bauchef Michael Tschofen.
Bei der Planung setzte die Graphis nicht auf maximalen Solarertrag, sondern auf eine gute Gestaltung und Funktionalität. Die dunklen Module setzen sich deutlich von den hellen Fensterkolonnen ab.
Ein Zeichen setzen
Am Standort selber wirkt der Wandel zwischen alt und neu überdeutlich. Zuerst der Sprung im Massstab: Hoch und wuchtig prägen beide Genossenschaftsbauten das vorstädtische Heuwinkelquartier mit seiner grünen Struktur und den traditionellen Wohnhäusern mit Giebeldach und Putz an den Wänden. Drei ebensolche, knapp 70-jährige Gebäude hat die Genossenschaft durch zwei Mehrfamilienhäuser ersetzt und dabei architektonisch und technisch auf moderne Mittel gesetzt. Die Baukörper haben eine äusserst kompakte Form und ein dunkelblaues Glas an den Fassaden. Die fünf Etagen inklusive Attikageschoss bieten neu Platz für 65 statt der bisherigen 48 Genossenschaftswohnungen.
Der Ersatzneubau beansprucht wenig Grundfläche mehr als seine Vorgänger. Bäume und Sträucher darum herum blieben weitgehend stehen. Zwar haben sich die Mietzinse erhöht. Laut Tschofen bleibe man jedoch zehn Prozent unter dem Quartierniveau. Für eine knapp hundert Quadratmeter grosse Viereinhalbzimmerwohnung werden 2200 Franken netto pro Monat verlangt, zusätzlich 280 Franken Nebenkosten.
Strenge Energievorschriften
Der Standort ist so nicht nur baulich und sozial verdichtet, sondern auch energetisch fast autark: «Die PV-Anlagen am Gebäude produzieren etwa achtzig Prozent des Eigenbedarfs», bestätigt der Graphis-Bauchef. Einen wesentlichen Anstoss dazu gaben die örtlichen Bauregeln: Die Gemeinde Allschwil verlangt, Neubauten mindestens zu fünfzig Prozent mit erneuerbarer Energie zu beheizen. Auf einen derart hohen Anteil wird ausserhalb von Basel noch nirgends gepocht. Aber auch von sich aus ist die gemeinnützige Bauträgerin, die in verschiedenen Städten in der ganzen Deutsch- und Westschweiz über 1200 Wohnungen besitzt, am nachhaltigen Bauen interessiert. «Bislang konzentrierten wir uns auf ökologische und langlebige Materialien», so Tschofen. Das spreche generell für eine hinterlüftete Fassade; am Heuwinkel-Ersatzneubau ist diese nun erstmals solar verkleidet. Ein weiteres Kriterium war die zurückhaltende Gestaltung. Die Verantwortlichen würden sogar häufig gefragt, wo sich denn jetzt die Photovoltaik verstecke, sagt er.
Das Rätsel löst sich erst, wenn man ganz nah an die verglasten Aussenwände tritt: Hinter diesen verbergen sich die PV-Zellen mit silbernen Streifen auf schwarzem Grund. Aber mit jedem Schritt zurück verschwimmt das typische, nicht überall beliebte Design zugunsten einer matten, farbig bedruckten Fassade. Dem Architekten Jakob Steib war sehr daran gelegen, «die Solarmodule nicht plakativ, sondern dezent zu zeigen». Diese ziehen sich jeweils wie dunkle vertikale Bahnen über drei der vier Hauswände und setzen sich deutlich von den hellen Fensterkolonnen ab. Die trennenden Lisenen wurden bis in einen Zentimeterbereich optimiert, um den Schattenwurf auf darunterliegende PV-Module zu verringern.
Die Fassadenfarben finden sich im Innern der luftigen Wohnungen wieder. Die beiden neuen Gebäude umfassen insgesamt 65 Wohnungen, 17 mehr als ihre Vorgängerbauten aus den 1950er-Jahren.
Solarmodule harmonisch integrieren
Dagegen tritt das Solarkleid auf den nach Westen gerichteten Balkonschichten gestalterisch in den Hintergrund. Auch die mineralischen Gebäudesockel mildern die visuelle Wirkung der Solarhülle ab. So gehen zwar wertvolle Kilowattstunden Strom verloren, doch wichtiger ist die Langlebigkeit: Helle Zementplatten schützen die Fassade dort, wo Kinder spielen oder Velos zu parkieren sind. «Unser Anliegen war, die Photovoltaik weder aufzusetzen noch anzuhängen, sondern in die Aussenhülle zu integrieren», erklärt Architekt Steib.
Bemerkenswert daran ist nicht nur das differenzierte Resultat, sondern auch das Vorgehen. Entgegen der Lehrbuchmeinung, die Photovoltaik bereits beim Entwerfen zu berücksichtigen, kam hier die Idee zum solaren Bauen erst im Nachhinein hinzu. Vor sieben Jahren begann die Genossenschaft, den Ersatzneubau zu planen. Nach dem Grundsatzentscheid gegen eine Erneuerung informierte die Verwaltung die Bewohnerinnen und Bewohner vor Ort. In Verhandlungen mit der Standortgemeinde lotete man zudem die Verdichtungsmöglichkeiten aus. Daraus entstand ein Quartierplan mit einem Geben und Nehmen: Die grösseren Häuser halten sich an bestehende Abstände, währenddem der gemeinsame Vorplatz für die Quartierbevölkerung geöffnet wird. Als das Zürcher Architekturbüro von Jakob Steib mit diesem städtebaulichen Dreh den Wettbewerb gewann, trug die gezeichnete Fassade noch dunklen Schiefer. Eine solare Verkleidung ordnete die Genossenschaft aber nachträglich an, um die lokalen Energievorschriften zu erfüllen. «Ohne die Wohnsiedlung in ein Kraftwerk verwandeln zu wollen», sagt PV-Planer Matthias Roos. Trotz anfänglicher Skepsis den Änderungswünschen gegenüber lobt der Architekt im Nachhinein die gestalterischen Freiheiten beim Planen und in der Ausführung. Bei der Umsetzung hilft, dass inländische PV-Hersteller auf vielfältige Farb- und Formatwünsche eingehen und entsprechende Muster liefern können.
Seltene Grossformate
Solares Bauen im Grossformat ist selten. Zwar eignen sich hohe Fassaden bestens für die Stromproduktion, weil sie kaum beschattet werden. Dennoch lässt sich die Zahl der Hochhäuser mit PV-Fassade in der Schweiz an einer Hand abzählen. Und unter den jüngsten Beispielen befinden sich ausschliesslich Bürobauten. Pionierarbeit im Wohnungsbau leistete jedoch die Zürcher Baugenossenschaft Zurlinden, als sie vor knapp zehn Jahren die zwei fünfzig Meter hohen Wohnblocks der Überbauung Sihlweid erneuerte und dafür ein PV-Kleid entwarf. Ein wichtiges Merkmal der damals europaweit beachteten Innovation war, dass die gute Gestaltung der Solarfassaden Vorrang erhielt vor einer Ertragsmaximierung. Der örtliche Eigenbedarf wird denn auch nur zur Hälfte gedeckt.
Auch im Heuwinkel ist die Solararchitektur nicht auf Höchstleistung getrimmt: Die PV-Anlagen an den Fassaden und auf dem Dach liefern so viel Strom, wie die Erdwärmepumpe zum Heizen und für das Warmwasser jährlich liefern muss. Kommt es zu zwischenzeitlichen Produktionslücken, hat die Genossenschaft mit dem lokalen Energieversorger den Bezug von Ökostrom aus dem öffentlichen Netz vereinbart. Was jedoch generell für eine PV-Rundumhülle spricht: «Nach Nord und Ost orientierte Vertikalflächen erzeugen Strom auch bei diffusem Licht; davon gibt es hier mehr als genug», erklärt Roos, Inhaber der Planungsfirma CIPV. Mit dem Resultat, dass die Fassaden gemäss Prognose mehr als doppelt so viel Strom erzeugen wie das knapp vierhundert Quadratmeter grosse Solardach.
Grundrissbeispiel einer 4 1/2-Zimmer-Wohnung mit 107 Quadratmetern.
Schwarze Null bei Amortisation
Bei der technischen Gebäudeausstattung hielt sich die gemeinnützige Bauträgerin zurück: Auf eine Stromspeicherung vor Ort wird ebenso verzichtet wie auf Ladestationen für Elektroautos. «Ein Nachrüsten ist aber einfach möglich», sagt Tschofen. Und auch um einen Zusammenschluss zum Eigenverbrauch zu betreiben, wäre die erforderliche Technik installiert. Doch die Genossenschaft betätigt sich vorerst lieber als Energiehändlerin denn als Selbstversorgerin: Sie verkauft den selbst erzeugten Strom und amortisiert damit die teure Solararchitektur. Auf das Dreieinhalbfache beziffert Roos den Mehraufwand für Material und Montage der Solarfassade im Vergleich zu Schiefer. Dennoch soll der solare Ersatzneubau mitten in Allschwil auch ökonomisch tragbar sein.
Die schwarze Null, die Bauherrschaften üblicherweise im jährlichen Energiesaldo anstreben, will die Graphis in der Finanzbuchhaltung bilanzieren. «Die Rechnung geht auf, wenn wir die nächsten dreissig Jahre eigenen Strom verkaufen können», sagt Tschofen. An den PV-Fassaden sollte es nicht liegen, ihre Lebensdauer ist für mindestens diese Zeitspanne garantiert. Auch für die rund hundert Heuwinkel-Bewohnerinnen und -Bewohner verheisst dies Gutes: Sie selber beziehen Ökostrom – selbst produziert oder aus dem öffentlichen Netz – und bezahlen dafür nicht mehr als für Normalstrom. «Für die Genossenschafter sind die Solarhäuser kostenneutral», bestätigt der Graphis-Bauchef. Auch eine interne Quersubventionierung gebe es nicht. «Dank der nachhaltigen Bauweise haben wir eine bessere Gewähr, dass uns der Unterhalt in den nächsten Jahrzehnten finanziell kaum belasten wird», erklärt Tschofen.
Baudaten
Bauträgerin:
Graphis Bau- und Wohngenossenschaft, Bern
Architektur:
Jakob Steib Architekten AG, Zürich
Baumanagement:
ffbk Architekten AG, Münchenstein
Fassadenplanung:
GFT Fassaden AG, St. Gallen
Bauingenieur:
Schmidt + Partner Bauingenieure AG, Basel
Umfang:
2 MFH, 65 Wohnungen, 3 Einzelzimmer, Gemeinschaftsraum, Gerätehaus, Einstellhalle (45 Parkplätze), Quartierplatz mit Brunnen (20 Besucherparkplätze)
Energie/Photovoltaik:
Zertifizierung nach Minergie-A-Eco und Minergie-P-Eco
PV-Fassade: 2500 m2
(Leistung: 330 kWp; geschätzter Jahresertrag: 150 000 kWh/a)
PV-Dach: 370 m2
(Leistung: 74 kWp; geschätzter Jahresertrag: 70 000 kWh/a)
Baukosten (BKP 1 bis 5):
28,74 Mio. CHF total
davon BKP 2 (Gebäude): 22,91 Mio. CHF
5624 CHF/m2 HNF
Mietzinsbeispiele:
2 ½-Zimmer-Wohnung, ca. 52 m2:
1400 CHF plus 150 CHF NK
4 ½-Zimmer-Wohnung, ca. 100 m2:
2200 CHF plus 280 CHF NK