Soziale Durchmischung ist nur bedingt lenkbar

Zugehörigkeit schaffen

Viele Wohnbaugenossenschaften legen grossen Wert auf eine gute soziale Durchmischung. Wie aber vorgehen, um den gewünschten Mix zu erreichen – und zu halten? Und was tun, damit die unterschiedlichen Bewohnerinnen und Bewohner zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen? Nach möglichen Antworten suchte eine Veranstaltung von Plattform Genossenschaften.

Von Liza Papazoglou | Bild: Bernard und Myrtha Garon | September 2016

Das Thema «Durchmischung und Integration » ist hochaktuell und sollte Interessierte eigentlich in Scharen anlocken. Zumal in Zürich, wo in letzter Zeit vermehrt politische Forderungen laut werden, Baugenossenschaften müssten mehr sozial Schwächere unterbringen. Trotzdem nahm am 26. Mai nur eine überschaubare Zahl von Genossenschaftsvertretern an der öffentlichen Veranstaltung teil. Vielleicht, weil die Forderungen offene Türen einrennen? Schliesslich übernehmen die meisten Baugenossenschaften freiwillig soziale Verantwortung und vermieten selbstverständlich auch Wohnungen an wirtschaftlich oder sozial Schwächere. Trotzdem wären ein breiterer Erfahrungsaustausch und kontroverse Diskussionen wünschenswert gewesen.

Digitales Tool für Erstvermietung

Interessantes war zur Erstvermietungspraxis zu hören, die eine wichtige Rolle für die soziale Durchmischung spielt. Grundsätzlich einig waren sich die Podiumsteilnehmer, dass klare Vermietungskriterien hilfreich sind, die zum Beispiel eine hinsichtlich Alter, Bildung, Einkommen und Herkunft dem Gemeinde- oder Landesdurchschnitt entsprechende Bewohnerstruktur vorsehen. Zu welch aufwändigen Vermietungsverfahren das allerdings führen kann, erläuterten Snezana Blickenstorfer und Sonja Busslinger von der Siedlungsgenossenschaft Sunnige Hof. Vor kurzem haben sie zweihundert Wohnungen im Ersatzneubau Mattenhof in Zürich Schwamendingen vergeben. Alle in Frage kommenden Bewerbungen sind zuerst nach einer detaillierten Prioritätenliste bewertet worden; dann hat das elektronische Vermietungstool mit einer Art Zufallsgenerator, der die angestrebte Bewohnerstruktur mitberücksichtigt, die Mieter ausgesucht; schliesslich fanden Gespräche mit diesen statt. Trotz klarer Priorisierung bisheriger Genossenschafter wurde etwa die Hälfte der Wohnungen an Externe vergeben. Das Resultat ist gemäss Snezana Blickenstorfer überzeugend und punkto Mix optimal. In der Diskussion zeigte sich aber, dass auch ein derart objektiviertes Verfahren versteckte Hürden haben kann; so wurde etwa vermutet, ein Grund für den grossen Anteil nicht brauchbarer Bewerbungen könnten die mangelnden Deutschkenntnisse sein.

Lage entscheidend

Aber auch ganz andere Faktoren spielen eine Rolle. Das zeigte Daniela Wettstein von Kraftwerk1 anhand der kürzlich bezogenen Siedlung Zwicky Süd in Dübendorf. Die Genossenschaft steht dezidiert allen offen und verzichtet beispielsweise auf Unterlagen wie Betreibungs- oder Steuerauszüge. Damit haben auch Menschen eine Chance auf eine Wohnung, die anderswo kaum unterkommen. Bei Zwicky Süd war aber offenbar etwas ganz anderes ausschlaggebend: die Lage (vgl. Wohnen 5/2016). Die Siedlung steht jenseits der Zürcher Stadtgrenze auf Dübendorfer Boden. Eingefleischte Innerstädter wie in ihren ersten beiden Siedlungen konnte die innovative Genossenschaft bisher nur wenige locken – trotz vielseitigem Wohnungsangebot, nachhaltigem Konzept, grossen Freiräumen und neuen Wohnformen. Stattdessen stellte sich eine bunt gemischte Bewohnerschaft quasi von selbst ein: Es bewarben sich viele Menschen aus der Agglomeration, ohne Schweizer Pass oder mit finanziell schwierigem Hintergrund. Und dies, obwohl die Gemeinde keine Wohnungen subventionieren wollte, was zu einer hohen Beanspruchung des genossenschaftseigenen Solidaritätsfonds führte. Was dieser bunte Mix für die Integration bedeutet, muss sich erst noch zeigen. Bei partizipationsunerprobten Leuten brauche es klar mehr Unterstützung durch die Genossenschaft, sagte Daniela Wettstein. Trotzdem laufe schon viel. Dabei habe sich gezeigt, dass die Übergabe von Verantwortung sehr wichtig sei.

Bewährte Rezepte

Die Integrationsfrage beschäftigt auch die Wohngenossenschaft Zimmerfrei. In ihrer ersten Siedlung Stadterle in Basel, die derzeit gebaut wird, sollen zehn Prozent der Wohnungen der Basler Sozialhilfe zur Verfügung gestellt werden. Da die partizipativ ausgerichtete Genossenschaft aus einem Zusammenschluss ähnlich Gesinnter entstanden war und vieles gemeinsam entwickelt wurde, kennen sich die meisten künftigen Mieterinnen und Mieter bereits. In dieses eher akademisch geprägte und gut verdienende Umfeld werden mit den Sozialhilfebezügern Menschen in einer ganz anderen Lebenssituation stossen. Wie man diese Herausforderung genau angehen wolle, sei offen, sagte Lars Uellendahl; der vorgesehene Hausverein werde aber sicher eine wichtige Rolle spielen. Hingewiesen wurde im Übrigen auch auf weitere hinlänglich bekannte Faktoren, die Integration grundsätzlich begünstigen: ein guter Wohnungsmix; vielfältige Begegnungsorte, wo man sich im Alltag trifft und austauschen kann; gemeinsame Aktivitäten wie Gemeinschaftsgärten, Feste, Seniorenkaffees; RZ_anzeige_wohnen.indd 1 20.04.15 10:20 Gremien mit Genossenschaftern; gute Strukturen, die Organisation, Mitwirkungsmöglichkeiten und Gestaltungsfreiräume fördern.

Offene Fragen

Für vertiefende Diskussionen fehlte leider die Zeit. So hätte beispielsweise interessiert, wie man die Durchmischung nicht nur bei der Erstvermietung erreicht, sondern auch längerfristig gewährleisten kann, ohne gewachsene Gemeinschaften zu zerstören. Oder ob es überhaupt in jedem Fall sinnvoll und erwünscht ist, eine möglichst grosse Durchmischung anzustreben. Oder auch, ob bei den heiklen Fragen zum sozialen Gefälle – siehe die Beispiele Kraftwerk1 und Zimmerfrei – ehrlicherweise nicht häufiger vom Neben- statt Miteinander gesprochen werden müsste. Und ob das am Ende wirklich ein Problem wäre.