WBG Heimat ersetzt Siedlung und wird zur Energiezentrale fürs Quartier

See heizt Genossenschaftssiedlung

Umweltfreundlich heizen und kühlen mit Energie aus dem Zugersee: das ist die Vision des Projekts Circulago Zug. Zu den ersten Partnern, die sich daran beteiligen, gehört die Wohnbaugenossenschaft Heimat Zug. Sie stellt ihr Ersatzneubauprojekt Lauriedhofweg für eine der Energiezentralen zur Verfügung, die künftig die Quartiere mit Fernwärme und -kälte beliefern sollen.

Von Liza Papazoglou | Bilder: WWZ | Juni 2018

Die Geschichten gleichen sich: In die Jahre gekommene genossenschaftliche Siedlungen aus den Nachkriegsjahren, die ersetzt statt saniert werden, weil sie aktuellen Ansprüchen nicht mehr genügen und energetisch kaum mit vernünftigem Aufwand aufzuwerten wären. So hat man sich auch bei der Wohnbaugenossenschaft Heimat Zug dazu entschlossen, die erste Bauetappe der Siedlung Lauriedhofweg mit drei Wohngebäuden von 1949/50 durch einen zeitgemässen Neubau zu ersetzen. Dieser soll zudem mit einer Tiefgarage auch den Parkplatzmangel im Quartier entschärfen. Das entsprechende, aus einem Architekturwettbewerb hervorgegangene Siegerprojekt von Darlington Meier Architekten, Zürich, wurde an der GV im Frühjahr 2016 einstimmig angenommen (siehe Box).
So weit, so üblich. Ungewohnte Wege hingegen beschreitet die WBG Heimat in Sachen Energielösung. Die geplante Neubausiedlung mit vierzig Wohnungen gilt als Arealüberbauung; als solche muss sie gemäss städtischer Bauordnung mindestens vierzig Prozent ihres Energiebedarfs für Heizung und Warmwasser mit erneuerbarer Energie decken. Die Baugenossenschaft hat denn auch verschiedene Varianten intensiv geprüft, erinnert sich Vorstands- und Baukommissionsmitglied Guido Arnold: «Erdsonden sind hier nicht möglich. Wir haben unter anderem Solarthermie und Erdgas in Erwägung gezogen. Schliesslich haben wir uns aber mit dem Projekt Circulago für die Lösung entschieden, die uns nach allen Kosten-Nutzen-Abwägungen am meisten überzeugt hat.» Dabei spielten nicht zuletzt auch gutes Timing und geschickte Verhandlungen mit der Energiedienstleisterin und Projektinitiantin WWZ AG eine Rolle.

Ambitioniertes Seewasserprojekt
Mit dem Grossprojekt Circulago will die WWZ AG künftig die Stadt Zug und Baar-Süd mit umweltfreundlicher Energie aus dem Zugersee versorgen. Heizung und Warmwasser werden damit zu mindestens siebzig Prozent, Kälte zur Kühlung zu hundert Prozent aus erneuerbarer Quelle gewonnen. Circulago basiert einerseits auf einer Seewasserzentrale, wo die Energie des Seewassers auf einen geschlossenen Zwischenkreislauf übertragen wird; ihr Bau hat im letzten Sommer begonnen und soll nächstes Jahr abgeschlossen werden. Anderseits sind mehrere Quartierzentralen vorgesehen. Dort erfolgen die für Warmwasser und Heizung erforderliche Temperaturerhöhung sowie die Übergabe an Fernwärme- beziehungsweise Fernkältenetze, die die Quartiere versorgen. Für das Errichten solcher Energiezentralen ist die WWZ AG auf Partner angewiesen. Einer der ersten, die mitmachen, ist nun die WBG Heimat: Auf ihrem Grundstück entsteht die Quartierzentrale Lüssi.
Gleich mehrere Vorteile haben die Baugenossenschaft dazu bewogen, sich am Projekt zu beteiligen. «Wir halten es wirklich für zukunftsweisend», betont Guido Arnold. Dank ihm kann die WBG Heimat künftig nicht nur ihre Neubauten, sondern auch die daran angrenzende zweite Bauetappe der Siedlung Lauriedhofweg aus dem Jahr 1951 mit umweltfreundlichem Warmwasser und Heizwärme versorgen. Beide Siedlungsteile waren bisher an eine gemeinsame Ölheizung angeschlossen. Sehr zupass kommt der WBG Heimat auch, dass sie keine eigenen Heizungsanlagen bauen und unterhalten muss. Als Standortanbieterin für eine Energiezentrale und Ankerkundin der WWZ profitiert sie zudem von günstigen Konditionen.
Finanziert wird die Zentrale Lüssi vollumfänglich von der WWZ, die auch allein verantwortlich ist für Bau, Betrieb und Unterhalt. Die WBG Heimat hat ihr die erforderlichen Rechte mit einem Dienstbarkeitsvertrag auf 60 Jahre eingeräumt. Dafür hat sie von der WWZ eine Einmalentschädigung erhalten, über deren Höhe man Stillschweigen vereinbart hat. Das gilt auch für den einmaligen Netzkostenbeitrag für das Wärmenetz, den die Genossenschaft der WWZ bezahlen muss. Nach Inbetriebnahme der Quartierzentrale läuft dann ein normaler Energieliefervertrag zwischen den beiden Parteien.

Das Projekt Circulago wird von der WWZ AG im Auftrag der Stadt Zug durchgeführt und soll zum Erreichen ihrer 2000-Watt-Ziele beitragen. Genutzt wird die Energie, die im Wasser des Zugersees steckt, zur Wärmeerzeugung und Kühlung. Dazu wird 400 Meter vor dem Ufer in 26 Metern Tiefe das 4 bis 8 Grad warme Seewasser gefasst. Über eine Leitung wird es zur unterirdischen Seewasserzentrale in der Schützenmatt transportiert. Dort wird die Energie des Seewassers mittels Wärmetauscher an ein zweites, separates Leitungsnetz übergeben. Dieses leitet die Energie zu Energiezentralen in den Quartieren weiter. Kälte wird dort wiederum mittels Wärmetauscher direkt an ein separates Fernkältenetz übertragen und zu den Kunden transportiert. Für den Wärmebedarf wird Wasser in den Quartierzentralen mit Wärmepumpen auf 70 Grad erhitzt und dann die Wärme über ein konventionelles Fernwärmenetz zu den angeschlossenen Kunden gebracht, wo sie mit Wärmetauschern an die gebäudeeigenen Systeme abgegeben wird. Zur hohen Energie­effizienz tragen die geschlossenen Kreisläufe mit Wärme beziehungsweise Kälterückgewinnung bei.

Bedarf fast ganzjährig gedeckt
Die vierhundert Quadratmeter grosse Energiezentrale wird im Untergeschoss der geplanten Wohnhäuser eingebaut werden. Sie hat eine Wärmeleistung von 3400 kW und umfasst neben den Leitungs- und Verteilsystemen unter anderem eine Trafostation, eine Wärmepumpe, drei Heizspeicher und zwei mit Erdgas betriebene Gas-Brennwertkessel mit je 1850 kW Wärmeleistung; diese dienen lediglich als Sicherheit und zur Abdeckung von Spitzenlasten im Winter. Während des restlichen Jahres reichen Seewasser und Wärmepumpe, um den Gesamtbedarf abzudecken. Zeitlich lässt sich der Einbau mit den diesen Herbst beginnenden übrigen Bauarbeiten problemlos koordinieren. «Auch planerisch waren keine nennenswerten Anpassungen an unserem Projekt nötig», sagt Guido Arnold. Einzig wegen des Kamins, den die Gaskessel erfordern, mussten zwei Wohnungen leicht abgeändert werden. Die Zusammenarbeit mit allen Parteien sei reibungslos, und dass derselbe Architekt beide Projekte ausführt, vereinfache die Planung.
Läuft alles wie gewünscht, können die künftigen Bewohner ihre neuen Wohnungen im Sommer 2020 beziehen und gleich von der neuen Energielösung profitieren. Bis dann ist gemäss WWZ die Seewasserzentrale in Betrieb und die Wärmeversorgung über die Energiezentrale Lüssi Realität. Bereits steht die WWZ in Verhandlung mit Besitzern von Nachbargrundstücken, die ebenfalls für das Wärmenetz gewonnen werden sollen. Die WWZ setzt zudem auf weitere Neubauten, die in unmittelbarer Nähe geplant sind und der Zentrale viele weitere Seeenergiebezüger bescheren sollen. Denn mit der Genossenschaftssiedlung als einziger Kundin lohnt sich der Betrieb der Zentrale für die WWZ nicht.

Achtzig Prozent weniger CO2
Soll das Projekt Circulago wirklich zum Fliegen kommen, braucht es allerdings noch weitere Energiezentralen. In Frage kommen dafür vor allem grosse Wohnsiedlungen, Bürobauten und Industrieareale. Gemäss WWZ-Geschäftsleitungsmitglied Robert Schürch laufen aktuell Gespräche für fünf mögliche Standorte. Die WWZ strebt mindestens ein Dutzend Quartierzentralen an, verteilt auf die ganze Stadt. Das Projekt ist so ausgelegt, dass im Endausbau 36 MW Leistung erbracht werden könnten, was dem Verbrauch von Warmwasser und Heizwärme von etwa 9000 Haushalten entspricht. Damit würde der CO2-Ausstoss gegenüber heute um 25 000 Tonnen oder achtzig Prozent reduziert.
Ob das gelingt, ist offen. Robert Schürch: «Ein auf sechzig Jahre angelegtes Projekt dieser Grösse hat zwangsweise viele Unbekannten und ist auch vom politischen Willen und den Rahmenbedingungen abhängig.» Über den Erfolg entscheiden wird allerdings auch der Preis. Nicht alle seien bereit, für ökologischen Mehrwert zehn oder zwanzig Prozent mehr zu bezahlen. Je nach Bezugsleistung beläuft sich der Circulago-Wärmepreis aktuell auf etwa 15 bis 17 Rappen pro Kilowattstunde und liegt damit über dem von konventionellen Energiequellen. Im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien könne man aber durchaus mithalten. Konkurrenzfähig sind derweil die Kältepreise, da die Kälte des Seewassers direkt nutzbar ist und nicht wie bei herkömmlichen Kühlsystemen mit hohem Stromeinsatz erst erzeugt werden muss. Der Kühlbedarf dürfte infolge der Klimaerwärmung und wachsender Komfortansprüche künftig deutlich steigen, auch im Wohnbereich. Kommt hinzu, dass für potenzielle Kunden der Umstieg auf Fernwärme und Fernkälte meist einfach möglich ist, da lediglich Wärmetauscher installiert werden müssen, die auch in bestehenden Gebäuden leicht Platz finden. Grund zum Optimismus für die WWZ also.
Robert Schürch glaubt, dass die Energiegewinnung aus Seewasser ein riesiges Potenzial hat und eine immer wichtigere Rolle bei der Abkehr von fossilen Energieträgern übernehmen wird. Darauf deuten auch Projekte in anderen Städten hin (siehe Box). Zuversichtlich stimmt auch ein anderer Befund: Selbst bei maximaler Umsetzung von Circulago verändert sich die Seewassertemperatur insgesamt gerade mal im Promillebereich. Und laut einer
Eawag-Studie von 2014 könnten nur schon die grösseren Schweizer Seen Energie im Umfang der Leistung von 60 Atomkraftwerken liefern, ohne dass dies einen nennenswerten Einfluss auf Wassertemperatur oder Ökosysteme hätte. Es gibt in der Tat also noch Spielraum.

Projekte auch in anderen Städten

Die Nutzung von See- und teils auch Flusswasser als Energiequelle ist nicht neu. Bis jetzt wird sie aber eher im kleinen Massstab praktiziert, so zum Beispiel in St. Moritz, wo seit 2006 ein Hotel und ein Schulhaus versorgt werden. Das könnte sich künftig ändern. Potenziale liegen vor allem in grossen Neubauarealen sowie dicht bebauten (städtischen) Gebieten, an Bedeutung dürfte neben verdichteten Wohn- und gemischten Arealen auch die Direktnutzung der Kälte gewinnen.
2005 startete in Genf das Projekt «Genève Lac Nations». Mit Wasser des Genfersees werden diverse und laufend mehr Gebäude des Uno-Komplexes sowie von weiteren internationalen Organisationen geheizt und gekühlt. 1500 Tonnen Heizöl sollen pro Jahr eingespart werden. Ab 2020 wird voraussichtlich auch das entstehende Ecoquartier Jonction mit 300 Wohnungen, Hotel und weiteren Nutzungen erneuerbare Seeenergie beziehen. 2015 wurde am Genfersee zudem in La Tour-de-Peilz eine Wärmepumpe in Betrieb genommen, die aus Genferseewasser Wärme für 3000 Haushalte produzieren kann. Die Stadt Luzern

verfügt seit 30 Jahren über eine Seeenergiezentrale am Inseliquai, die umliegende Institutionen – darunter Bahnhof, KKL und Gewerbeschule – mit Wärme und Kälte versorgt. Sie wird saniert und soll bald ein bedeutend grösseres Gebiet abdecken. Ausserdem erschliesst ewl energie wasser luzern mit einer zweiten Zentrale auch Horw und Kriens. Sie soll im Herbst 2020 ihren Betrieb aufnehmen und bis zu 5000 Haushalte versorgen, darunter zwei neue grosse 2000-Watt-Wohnareale. In der Stadt Zürich bestehen in Nähe des Seebeckens vier Energieverbunde, der erste davon seit 2003, und ein Wärmeverbund mit Seewassernutzung. Das ewz versorgt damit Wohn-, Büro- und Dienstleistungsgebäude, Schulen, Banken und Hotels. Abgedeckt werden können so zwischen 85 und 100 Prozent des Gesamtwärmebedarfs, je nach Gebäude wird auch Kälte geliefert. Die Verbunde wachsen stetig und werden ausgebaut. Der jüngste Vorstoss wurde im April von Politikern der Kantone St. Gallen und Thurgau lanciert; sie verlangen, der Bodensee solle zur Gewinnung von Energie genutzt werden.

Neubau Lauriedhofweg

Die drei Altbauten der ersten Bauetappe Lauriedhofweg mit heute 36 kleinen Wohnungen weichen zwei Ost-West-orientierten Zeilenbauten und einer Nord-Süd-orientierten Kopfzeile mit je vier Geschossen. Beim 20,5-Millionen-Neubauprojekt entstehen 40 zeitgemässe und barrierefreie Wohnungen sowie eine Tiefgarage. Der Mix aus 8 Wohnungen mit zweieinhalb, 17 Wohnungen mit dreieinhalb und 15 Wohnungen mit viereinhalb Zimmern soll für eine gute Durchmischung der Bewohnerschaft sorgen. Zudem schaffen flexible Grundrisse und ein einfach abtrennbares Wohnzimmer vielfältige Nutzungsmöglichkeiten für verschiedene Wohn- und Lebensformen. Eine vorgelagerte, leicht geknickte Lauben­schicht erschliesst die Gebäude; sie enthält auch private Aussenräume und ermöglicht Begegnungen. Auf der gegenüberliegenden Seite verfügen die Wohnungen zusätzlich über Loggien. Ähnlich wie in der bestehenden Siedlung sind grosszügige Aussenräume mit hoher Aufenthaltsqualität vorgesehen.
Die Gebäude werden in Hybridbauweise erstellt; Treppenhaus und tragende Konstruktionen bestehen aus Recyclingbeton, Zwischenwände aus Backstein, die hinterlüftete Fassade ist eine Holzkastenkonstruktion.
Der Standard Minergie-P wird erreicht, aber nicht zertifiziert. Die Bauarbeiten sollen diesen Herbst beginnen und im Frühsommer 2020 abgeschlossen sein. Das Projekt ist der erste Ersatzbau der 1948 für das Bundespersonal gegründeten WBG Heimat. In ihren übrigen drei Bauetappen in Zug und Steinhausen besitzt sie insgesamt weitere 123 Wohnungen.