Baugenossenschaften wappnen sich für die Elektromobilität

Laden und laden lassen

Damit sich Elektrofahrzeuge rascher verbreiten, braucht es genügend Ladestationen. Die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) hat deshalb in ihrer neusten Siedlung jeden zweiten Parkplatz entsprechend vorbereitet. Andere Genossenschaften warten noch zu, rechnen aber ebenfalls mit der «Mobilitätswende».

Von Michael Staub | Bilder: Zaptec, Alfen | September 2018

Mit dem Ersatzneubau ihrer Siedlung Toblerstrasse hat die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) mitten am Zürichberg bezahlbaren Wohnraum geschaffen. Gleichzeitig hat man die bisher grösste Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge installiert. 43 der insgesamt 95 Parkplätze in der Einstellhalle sind für Elektrofahrzeug-Ladestationen vorbereitet. Drei Stationen stehen bereits in Betrieb, 20 weitere Parkplätze sind mit einer Grundplatte ausgerüstet. Auf diese kann innerhalb einer Stunde die Ladestation montiert werden. Das Engagement für die Elektromobilität entspringt dem ABZ-Ökologiekonzept. Dieses legt einen Schwerpunkt auf autoarmes Wohnen und die Förderung von nichtfossilen Fahrzeugen.

Zu Selbstkosten
«Die monatliche Gebühr für eine Ladestation beträgt 25 Franken, zudem stellen wir jährlich den bezogenen Strom in Rechnung», sagt Reto Seiler, Projektleiter Energie und Ökologie bei der ABZ. Die Amortisationszeit betrage ungefähr 20 Jahre. «Am Ende ist es ein Nullsummenspiel. Wir verdienen nichts, legen aber auch nichts drauf und können die umweltgerechte Mobilität fördern», erklärt Reto Seiler.
Das gewählte System, «Zapcharger Pro» aus Norwegen, überzeugte die Verantwortlichen wegen des integrierten Lademanagements. Auch bei 10, 20 oder 50 Fahrzeugen wird die elektrische Last sinnvoll verteilt. Zudem ist die Dimensionierung der Anlage relativ bescheiden. «Wir kommen mit 63 Ampere aus, andere Hersteller hantieren mit Hunderten von Ampere. Das wird rasch unwirtschaftlich und ist vermutlich überambi­tioniert», berichtet Reto Seiler.

Für die Zukunft gewappnet
Bei verschiedenen Baugenossenschaften stösst die Lösung der ABZ auf Interesse. «Wir sind gespannt auf die Erfahrungen unserer Kollegen. Falls sich das System bewährt, werden wir es zu einem späteren Zeitpunkt gerne übernehmen», sagt Peter Hurter, Leiter Bau und Entwicklung der Wohngenossenschaft ASIG. Bei den Garagenplätzen von Neubauten legt man bei der ASIG seit einigen Jahren spezielle Leerrohre für die spätere Verkabelung der Ladestationen ein. So etwa bei der 2015 bezogenen Siedlung Tägelmoos in Winterthur oder dem jüngsten ASIG-Projekt, der Siedlung Am Glattbogen in Zürich Schwamendingen. «Bis jetzt erhalten wir noch wenige Anfragen aus der Mieterschaft. Deshalb wollen wir nicht vorpreschen, aber gut vorbereitet sein. Eine spätere Installation von Ladestationen soll problemlos möglich sein», erläutert Peter Hurter. Für die Mobilitätswende vorbereitet zu sein, gehöre zur ASIG-Immobilienstrategie.
Vorbereitungen trifft auch die Baugenossenschaft Glattal Zürich (BGZ). «Wir erstellen bei unseren Neubauprojekten genügend Leerrohre und Leitungstrassen», sagt Kurt Williner,
Leiter Bau und Unterhalt. Zudem dimensioniere man die elektrischen Hausanschlüsse genügend gross und lege auch die Hauptverteilung so aus, dass später genügend Fahrzeuge gleichzeitig geladen werden könnten. Konkrete Pläne für das Einrichten von Ladestationen gibt es derzeit noch nicht, auch wegen der relativ schwachen Nachfrage seitens der Mieterschaft. Es sei jedoch wichtig, auf die kommenden Veränderungen gut vorbereitet zu sein, meint Kurt Williner: «Wir haben uns Gedanken gemacht, wie die Mobilität in zehn bis zwanzig Jahren aussieht. Diese Frage ist entscheidender als die Anzahl Parkplätze oder Ladestationen.»

Bei den meisten Baugenossenschaften noch Zukunftsmusik: Zehnerladestation für Elektroautos (hier in einer Wohnsiedlung in den Niederlanden).

Langsame Konsensfindung
Bisher gibt es für interessierte Bauherrschaften kaum verlässliche Leitlinien, die den Bau von Ladestationen regeln. Ein grosses Problem ist die Kompatibilität, denn derzeit existieren zahlreiche verschiedene Steckersysteme für Elektrofahrzeuge. Neben dem sogenannten Mennekes-Stecker (Typ 2) gibt es beispielsweise den CHAdeMO-Stecker. Auch beim Schnellladen hat sich noch kein einheitliches System durchgesetzt, hier gibt es unter anderem das «Combined Charging System (CCS)» oder den «Supercharger»-Standard, mit dem ausschliesslich Teslas aufgeladen werden. Deshalb ist längst nicht jede Ladestation für jedes Fahrzeug geeignet. Der Wirrwarr bei den Abrechnungsmodellen (Gratisstrom bei manchen Säulen, im Fahrzeugpreis inbegriffene Ladeleistungen bei Tesla, Prepaid- oder Kreditkartenzahlung) sorgt für weitere Verwirrung.
Der aktuelle «Steckerkrieg» der Hersteller hält viele Bauherrschaften von Investitionen in Ladestationen ab, denn zwei oder gar drei parallele Infrastrukturen aufzubauen, ist ausgesprochen unwirtschaftlich. Trotzdem sind sich die meisten Akteure einig, dass mehr Ladesta­tio­nen auch zu mehr Elektrofahrzeugen auf der Strasse führen würden. Seit 2014 gibt es eine Evaluationshilfe des Verbandes Schweizer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Nun zeichnet sich eine weitere Handreichung ab: Das SIA-Merkblatt 2060 «Infrastruktur E-Mobilität in Gebäuden» soll 2020 erscheinen. Zusammen mit den Praxiserfahrungen einzelner Baugenossenschaften dürfte es also schon bald gute Anhaltspunkte geben.

Die Schnellen und die Langsamen

Die Batterien von Elektrofahrzeugen werden typischerweise auf zwei Arten aufgeladen:

  • Die neusten Schnellladestationen, die auch auf Schweizer Autobahnrast­stätten zu finden sind, besitzen eine Leistung von 350 Kilowatt. Das «Tanken» von 300 Kilometern Reichweite dauert damit ungefähr 30 Minuten. Weitere Standorte sind Verkehrsknotenpunkte, Einkaufszentren oder andere Orte mit hohen Frequenzen.
  • Normale Ladestationen laden die Batterien mit ungefähr 10 bis 20 Kilowatt Leistung. Das «Tanken» dauert entsprechend länger, oft 6 bis 8 Stunden. Solche Ladestationen werden typischerweise in Wohn- oder Gewerbegebäuden installiert, sei es für das Laden über Nacht oder während der Arbeit.

Weitere Info
Die VSE-Evaluationshilfe «Ladestationen für Elektromobilität» gibt nützliche Hinweise für die Wahl einer geeigneten Lösung. 

Fatale Abhängigkeit vom Ausland

Mit der Förderung der Elektromobilität können Baugenossenschaften einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Denn die fossile Mobilität verschlingt enorme Ressourcen. Im Jahr 2016 entfielen auf den Verkehr insgesamt rund 36 Prozent des schweizerischen Endenergieverbrauchs. Weit über 95 Prozent davon werden mit fossilen Treibstoffen (Benzin, Diesel, Kerosin) bewältigt, welche aus dem Ausland importiert werden. Allein für den Verkehrssektor beliefen sich die entsprechenden Ausgaben für Treibstoffe 2016 auf ungefähr 9,3 Milliarden Franken.