Solarthermie wird oft unterschätzt

Sonnenwärme besser nutzen

Für Baugenossenschaften bietet die Solarthermie interessante Möglichkeiten zur Warmwassererzeugung und zur Regeneration von Erdspeichern. Trotzdem fristet die Technologie bisher ein Mauerblümchendasein. Mit der sukzessiven Erneuerung der kantonalen Energiegesetze könnte sich dies ändern.

Von Michael Staub | Bilder: Tilman Rösler, Fanzun AG | Oktober 2018

Bei vielen Baugenossenschaften gehören Photovoltaikanlagen zum guten Ton. Tiefe Modulpreise, problemlose Technik und ästhetische Fortschritte machen die Solarstromkraftwerke attraktiv. Mit dem neuen Energie­gesetz, das Eigenverbrauchsgemeinschaften för­dert, ist der Strom vom eigenen Dach nochmals wirtschaftlicher geworden. Solar ist Trumpf – jedenfalls solange es um Strom geht. Denn die kleine Schwester der PV, die Solar­thermie, scheint derzeit nicht vom Fleck zu kommen. Das ökologische Potenzial der Technik ist beachtlich, doch die Nachfrage lässt zu wünschen übrig: Nach einer regelrechten Boomphase von 2005 bis 2012 brachen die Verkäufe in den letzten Jahren deutlich ein. Während 2012 noch über 140 000 Quadratmeter Kollektoren verkauft wurden, waren es 2016 gerade einmal 60 000 Quadratmeter. Inzwischen scheint die Talsohle durchschritten zu sein, denn laut vorläufigen Zahlen geht es 2018 wieder aufwärts.
Weshalb die lange Stagnation? Wieland Hintz, Fachspezialist Erneuerbare Energien beim Bundesamt für Energie (BFE), sieht vier Gründe. Erstens grabe der Erfolg der Photovoltaik der Solarwärme das Wasser ab: «Die Förderung durch den Bund mittels Einmalvergütung und der Eigenverbrauch haben die Kombination von PV und Wärmepumpe sehr attraktiv
gemacht. Deshalb wird in vielen Fällen gar keine Solarwärmeanlage mehr erwogen.» Zweitens seien die Preise von Solarthermie­systemen in der Schweiz vergleichsweise hoch. Drittens sei die unterschiedliche Förderung der Solarwärme durch die Kantone ein Problem. Und viertens leide die Technik an ihrer Komplexität: «Solarwärme ist nicht ‹plug and play› wie die Photovoltaik», sagt Wieland Hintz. «Die Anlagen benötigen eine genauere Überwachung, und die Überproduktion ist gerade im Sommer oft ein Problem. Zudem braucht es den hydraulischen Abgleich mit dem Heizsystem.» Deshalb beurteilt er Handling und Betrieb einer Anlage deutlich aufwendiger als bei der PV.

Hälfte des Warmwasserbedarfs decken
David Stickelberger, Geschäftsleiter des Branchenverbands Swissolar, stützt die Diagnose. Die Preise für PV-Module seien in den Keller gefallen. Inzwischen seien auch Solarthermiekollektoren etwas günstiger geworden, die tieferen Preise würden jedoch kaum an die Endkunden weitergegeben. «Zudem ist die Photovoltaik medial viel stärker präsent, und die Solarwärmeförderung durch die Kantone ist sehr uneinheitlich und sprunghaft.» Vor rund zwanzig Jahren gehörten Baugenossenschaften, insbesondere in der Stadt Zürich, noch zu den Solarthermiepionieren. Die langjährige Förderung von PV-Anlagen mit der inzwischen abgeschafften kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) führte laut David Stickelberger aber dazu, dass Solarstromanlagen oftmals attraktiver waren.
Trotzdem macht sich Swissolar für die Solarwärme stark. «Insbesondere bei Mehrfamilienhäusern mit Öl-, Gas- oder Holzheizung ist Solarthermie für die Brauchwasservorerwärmung weiterhin eine sehr interessante Option», sagt David Stickelberger. Eine richtig dimensionierte Anlage könne vierzig bis fünfzig Prozent des Energiebedarfs für das Warmwasser abdecken: «Wenn man eine solche Anlage mit anderen Massnahmen zur CO2-Reduktion vergleicht, etwa einer Erneuerung der Gebäudehülle, schneidet die Solarwärme sehr gut ab.» Wirtschaftlich interessant sei auch der Einsatz von Solarwärme zur Regeneration von Erdsonden. Damit in Zukunft mehr Solarwärmeanlagen verbaut werden, müssen sich laut David Stickelberger zwei Dinge ändern: «Wir brauchen mehr Solarwärmefachleute mit solidem hydraulischem Fachwissen. Zudem sind die Preise für Heizöl und Erdgas trotz der CO2-Abgabe immer noch viel zu tief. Es fehlt deshalb an Anreizen, fossile Heizungen zu ersetzen.»

Bei der Siedlung Monolith in Scuol (GR) wird Solarwärme zur Regeneration des Erdspeichers eingesetzt. Durch verschiedene Anlagen wird getestet, welche Kombination von PV und Solarwärme die Nase vorn hat.

Strom und Wärme
Die latente Rivalität zwischen Photovoltaik und Solarthermie ist schon länger vorhanden. Vor allem ist sie aber Strömungen unterworfen. «Vor ungefähr zehn Jahren behauptete ein Experte, der Solarstrom werde die Solarwärme völlig verdrängen», erinnert sich Christoph Bernet, Geschäftsführer der Gemeinnützigen Bau- und Siedlungsgenossenschaft Lägern (Lägern Wohnen). Eine Prognose, die inzwischen überholt ist. Denn als der Vorstand von Lägern Wohnen vor kurzem einen Energieberater konsultierte, riet dieser zur Solarwärme anstelle der Photovoltaik. In der 2017 bezogenen Siedlung Gartenstrasse mit 19 Wohnungen wurde diese Empfehlung bereits umgesetzt. Solarwärmekollektoren dienen hier zur Unterstützung der Warmwasseraufbereitung. «Die ursprünglich geplante Fernwärmeanbindung kam leider nicht zustande, wir heizen mit Gas. Dank der Anlage kann wenigstens das Warmwasser mit Sonnenkraft aufbereitet werden», sagt Christoph Bernet.
Neben den reinen Solarwärmekollektoren, die seit über dreissig Jahren bekannt sind, existieren heute auch Hybridkollektoren. Diese Module kombinieren Photovoltaik und Solarthermie, produzieren also gleichzeitig Strom und Wärme. Zu den genossenschaftlichen Pionieren in diesem Bereich gehört die Wohnbaugenossenschaft Oberfeld in Ostermundigen (BE). Ihre gleichnamige Siedlung ist Minergie-P-zertifiziert, umfasst 100 Wohneinheiten und wurde 2014 fertiggestellt. Auf den Dächern ist eine Solaranlage mit einer Gesamtfläche von 1360 Quadratmetern installiert. Hinter den PV-Panels befinden sich mit Wasser gefüllte Kühlrohre. Die überschüssige Wärme wird im Sommer einem Erdspeicher zugeführt. Im Winter kann sie dem Speicher durch die Wärmepumpen wieder entzogen werden. Der ohnehin tiefe Strom- und Heizwärmebedarf der Siedlung kann so zu fünfzig bis sechzig Prozent abgedeckt werden.

Gute Überwachung notwendig
Die Siedlung Oberfeld wurde vom BFE gefördert. Dieses unterstützt auch aktuelle Projekte, zum Beispiel die Siedlung «Monolith» in Scuol (GR), die bis 2020 fertiggestellt wird. Sie umfasst neun Mehrfamilien- und sechs Einfamilienhäuser, die im Minergie-A- beziehungsweise im Minergie-P-Standard gebaut werden. Ein Augenmerk liegt auf der sorgsamen Regeneration des Erdspeichers. Denn je mehr Erdsonden in einem Gebiet eingesetzt werden, desto grösser ist die Gefahr, dem Erdreich langfristig zu viel Wärme zu entziehen. Wie kann dies vermieden werden – und welche Kombination von PV und Solarwärme hat die Nase vorn? Um diese Fragen zu beantworten, wurden drei Mehrfamilienhäuser mit verschiedenen Systemen ausgerüstet: das erste nur mit PV-Modulen, das zweite mit Hybridkollektoren und das dritte mit separaten Kollektoren für PV und Solarthermie.
Keines der drei Systeme könne pauschal als «Gewinner» bezeichnet werden, sagt Carlo Vassella, Geschäftsführer der Vassella Energie GmbH. Gemeinsam mit dem Institut für Solartechnik (SPF) der Hochschule Rapperswil betreut er das Monitoring der Anlagen. «Es geht um die individuelle Betrachtung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses», meint er, «denn je nach Gebäude ist das eine oder das andere System besser geeignet.» Die Daten aus dem zweiten Betriebsjahr werden zurzeit ausgewertet und die Ergebnisse im Herbst 2018 vorgestellt. Carlo Vassella betont die Wichtigkeit einer genauen und mehrjährigen Kontrolle: «Ob eine Solarthermieanlage korrekt funktioniert, können nur Fachleute beurteilen. Deshalb braucht es regelmässige Checks via Fernüberwachung.» Insbesondere in den ersten Betriebsjahren sei ein gewisser Aufwand notwendig. «Letztlich nützen die Kollektoren die Sonnenwärme aber sehr effizient aus», sagt der Experte, «und wenn das System eingespielt ist, kann die Grundüberwachung durchaus vom Hauswart gemacht werden.»
Für differenzierte Solarwärmesysteme plädiert auch Wieland Hintz vom BFE: «Wir brauchen die jeweils beste Lösung für das einzelne Objekt. Je nach Situation kann dies PV oder Solarthermie oder beides sein.» Für die Solarwärme gebe es mit der Ergänzung fossiler Heizungen, der Warmwasseraufbereitung in Mehr­familienhäusern sowie der Erdson­den­regeneration gute Nischen: «Hier braucht es keine Lösungen ab Stange, sondern passende Angebote. Die Solarbranche ist gefragt, kann sich aber auch neue Märkte erschliessen.»

Bringen Energiegesetze den Aufbruch?

Schweizer Solarstromanlagen sind attraktiv. Im Gegensatz dazu stagniert die Solarthermie. Die Modulpreise sind in den letzten Jahren kaum gesunken, fossile Energieträger sind nach wie vor billig, zudem gibt es für Solarwärme vergleichsweise wenig Subventionen. Der Grund: Laut Bundesverfassung ist der Bund für den Strom zuständig. Geht es hingegen um den Energiebezug von Gebäuden, sind primär die Kantone am Zug. Sie kümmern sich damit auch um die Solarwärmeförderung. Für entsprechende Nachrüstungen gibt es viel Raum nach oben, wie Erhebungen des Bundes in der «Analyse des schweizerischen Energieverbrauchs 2000–2016 nach Verwendungszwecken» zeigen: 2016 betrug der Anteil der fossilen Heizungen (Erdöl und Erdgas) gut 66 Prozent. Zwei Drittel der Wohnungen 

werden also mit nicht erneuerbaren Energieträgern beheizt. Wärmepumpen bringen es auf gut 15 Prozent, die Kategorie «Solar» hingegen nur auf 0,4 Prozent. Nun könnte langsam Bewegung in den Solarthermiemarkt kommen. Nach und nach setzen die Kantone nämlich die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn) um. Beim erneuten Einbau einer fossil betriebenen Heizung in Bestandesgebäuden schreiben die aktuellen MuKEn (Ausgabe 2014) vor, dass mindestens zehn Prozent der benötigten Heiz­wärme mit erneuerbaren Energien gewonnen werden. In der Praxis kommen dafür faktisch nur Solarthermiekollektoren in Betracht. Gut möglich also, dass mit der etappenweisen Revision der kantonalen Energiegesetze die Nachfrage nach Solarwärme steigt.