Architektursoziologin Joëlle Zimmerli weiss, was Planer besser machen könnten

«Es wird oft dort Verdichtet, wo es am wenigsten Sinn macht»

Wie Akzeptanz für Veränderung schaffen? Das auf Stadt- und Raumentwicklung spezialisierte Büro Zimraum hat zum dritten Mal untersucht, welche Erwartungen Bewohner aus der Stadt Zürich ans Wohnen allgemein und an die Verdichtung haben. Neben einigen Erkenntnissen über Genossenschaften hat Studienverfasserin Joëlle Zimmerli auch Tipps für Planer, die besser auf Bedürfnisse hören sollten.

Interview: Liza Papazoglou | März 2016

Wohnen: Das Thema «bauliche Dichte» wird landauf, landab seit Jahren ausführlich diskutiert. Weshalb also Ihre Studie zur «Akzeptanz städtischer Dichte»?

Joëlle Zimmerli: Weil ich festgestellt habe, dass trotz aller Fachdiskussionen wichtige Grundlagen zum Thema fehlen. Es geht kaum je darum, was eigentlich die Bevölkerung erwartet von Verdichtung, welche Befürchtungen und Sorgen sie hat. Da klafft eine grosse Forschungslücke. Diese möchte ich füllen, um bessere Planungsgrundlagen zu erhalten. Die Diskussionen drehen sich immer nur um Architektur und Städtebau, um planerische Rahmenbedingungen und Zonenpläne. Dabei stimmen die Zonenordnungen aus den 1960er-Jahren nicht mehr mit der heutigen Realität überein: Es hat genau dort am meisten Spielraum für Verdichtung, wo die Leute diese nicht wollen. Und dort, wo Verdichtung am besten akzeptiert wird, hat man oft gar keine Reserven mehr.

Nämlich?

Betrachtet man die Städte, gibt es die meistenReserven am Rand, in den durchgrüntenWohnquartieren; landesweit gesehen verfügenvor allem die schlecht erschlossenen Gemeindenüber Reserven. Genau dort aber machtVerdichtung gesellschaftlich, wirtschaftlichund mobilitätstechnisch gesehen am wenigstenSinn. Für die Siedlungsentwicklung nachinnen ist es enorm wichtig, dass man nicht einfach«Lücken» auffüllt und dort, wo es geradegeht, verdichtet. Vielmehr sollte man sich gutüberlegen, was wohin passt.

In Ihrer Studie beleuchten Sie vor allem die Stadt Zürich. Was lässt sich da zur Verdichtung feststellen?

Es gibt einen Faktor, der für sich genommen sehr vieles erklärt – auch zur Akzeptanz. Es geht darum, wie stark man seine eigene städtische Identität einschätzt, also ob man sich als «urbaner Innenstädter» fühlt oder nicht. Weder Alter noch Einkommen, sondern die städtische Identität entscheidet, wie man wohnen möchte und welches Verhältnis zur Stadt man hat. Die Studie zeigt, dass «Innerstädter» generell viel offener sind; sie haben eine hohe Akzeptanz gegenüber Veränderungen, baulicher Dichte, Hochhäusern und sozialer Durchmischung. Wer nicht so eine städtische Identität hat, bevorzugt grüne Quartiere und hat andere Bedürfnisse. Nur ein Viertel der Leute, die in der Stadt wohnen, suchen das Städtische auch im Wohnumfeld; über vierzig Prozent aber fühlen sich wohl im unaufgeregten Wohnquartier.

Sie definieren vier Wohnpräferenzen: «urbane» oder «Innerstädter», die an durchmischten, innerstädtischen Wohnlagen wohnen; «Dörfler», die sich in grün und dörflich geprägten Lagen eher am Rand und in einem homogenen Umfeld wohlfühlen; Pendler, die gut ans S-Bahn-Netz angeschlossen sind; «Verankerte», die nur in ihrem aktuellen Wohnquartier leben möchten und die in der ganzen Stadt vorkommen. Zu welcher Gruppe zählen Genossenschafter?

Sie bevorzugen überdurchschnittlich die grün geprägten Wohnzonen, sind also vom Typ her oft «Dörfler». Das hat wohl unter anderem historische Gründe und auch damit zu tun, dass viele Familien in Genossenschaften leben. Dann gibt es auch viele «Verankerte», die nur in ihrem aktuellen Wohnumfeld wohnen möchten. Damit entsprechen Genossenschafter mehrheitlich einem konservativen, bewahrenden Profil. Sie sind denn auch skeptischer als andere Befragte gegenüber dem Bevölkerungswachstum. Die vielbeachteten innovativen Projekte in Zürich sind also kaum repräsentativ für die Mehrheit der Genossenschaften. Das sollte man berücksichtigen, wenn man verdichten möchte. Viele Menschen in grünen Randquartieren empfinden sich nicht als eingefleischte Städter. Es gilt, ganz verschiedenen Bedürfnissen gerecht zu werden und jede Situation differenziert anschauen.

Was bedeutet das nun, wenn man locker bebaute Quartiere verdichten möchte, wo Genossenschafter leben, die wie Dörfler ticken und entsprechende Werte hochhalten?

In grünen oder Randzonen sollte man Massstabsprünge möglichst vermeiden. Sonst setzt man die Akzeptanz aufs Spiel. Wenn es vom Umfeld her passt, kann man aber durchaus aufstocken und höher bauen. In der Studie habe ich gefragt, welche Form der Verdichtung man vorzieht. Genossenschafter haben viel deutlicher als alle anderen gewünscht, dass man auf der gleichen Grundfläche in die Höhe bauen soll. Das ist für sie solange akzeptabel, als grosszügiger Aussenraum erhalten wird. Aktuell wird beispielsweise bei einem Projekt beim Letzigrund genau das realisiert: Dort werden dreistöckige durch siebenstöckige Bauten ersetzt, wobei der Fussabdruck des alten Gebäudes erhalten bleibt. In dieser Situation ist das sicher eine kluge Lösung. In einem innerstädtischen Gebiet kann es angehen, auch deutlich höhere Gebäude zu bauen oder in die Breite zu verdichten.

Joëlle Zimmerli (35) ist seit 2011 Inhaberin des sozialwissenschaftlichen Planungsbüros Zimraum Raum + Gesellschaft in Zürich.

In Ihrer Studie stellen Sie aber auch fest, dass die Mehrheit der Genossenschafter zwar Bauen in die Höhe in Ordnung findet, aber Gebäude ab zehn Stockwerken deutlich ablehnt. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Offenbar sind Hochhäuser eine emotionale Sache, mit der man viele Bilder verbindet. Früher assoziierte man in der Schweiz mit Hochhäusern Gebäude, in denen die Armen wohnen. Heute gelten Hochhäuser im Gegenteil als Orte der Reichen. Mit beidem identifizieren sich Genossenschafter nicht. Sie scheinen das bodenbezogene Wohnen mehr zu schätzen; vielleicht ist das auch eine Prägung durch die Gartenstädte. In diesem Verständnis passen Hochhäuser in Innenstädte und in die Nähe von Bahnhöfen, sonst aber nirgends so richtig hin.

Das bedeutet, dass man in vielen Fällen auf die maximale Verdichtung verzichten sollte.

Ja. Gerade in locker bebauten Gebieten muss man nicht ans Maximum gehen. Hier ist übrigens der Vergleich mit den von mir erstmals untersuchten Landgemeinden Niederglatt, Oberhasli und Niederhasli interessant. In den letzten Jahren sind viele kleine Gemeinden im Kanton unglaublich gewachsen, viel dynamischer noch als Zürich. Trotzdem gibt es dort grosse Vorbehalte gegen Verdichtung – aber andere: sie betreffen vor allem die Zuwanderung von Ausländern und Ortsfremden. Da fragt es sich schon, ob solche Gemeinden wirklich der Ort sind, wo man am meisten verdichten muss. Auch wenn man theoretisch ganze Wiesen zubauen könnte, macht es keinen Sinn, einfach prinzipiell die Reserven auszuschöpfen. Man sollte Rücksicht auf die Befindlichkeiten nehmen.


Genossenschafter sind vom Typ her oft «Dörfler».


Bei der Frage danach, was Wohnsiedlungen leisten sollten, haben Sie herausgefunden, dass die Nachfrage nach Arbeitsräumen gering ist. Gerade aktuelle Genossenschaftsprojekte sehen aber vermehrt solche Angebote vor. Müsste man umdenken?

Die Nachfrage wird in der Tat überschätzt. Die Studie zeigt, dass für viele der Arbeitsweg wichtig ist; ist er auch noch so kurz – er schafft willkommene Distanz zwischen Zuhause und Arbeit. Ansonsten decken die Leute den Bedarf an Arbeitsraum im privaten Wohnraum ab. Für gemeinsame Arbeitsräume im Wohnhaus interessieren sich einzig Junge und Leute mit wenig Geld oder Platz. Man muss daher entweder mit entsprechenden Konzepten arbeiten, die den privaten Wohnraum bewusst zugunsten gemeinsamer Räume verknappen, oder schlicht weniger solcher Räume planen. Das gleiche gilt übrigens für Gemeinschafts- und Bastelräume.

Sie schlagen auch dort mehr Zurückhaltung vor?

Ja. Das ergibt sich klar aus meiner Studie, aber auch aus Projekten, die ich begleite. Man sollte weniger solcher Räume anbieten – dafür wirklich attraktive, die Nutzen stiften, zum Beispiel als Treffpunkt. Oder aber man öffnet sie fürs Quartier, was eine bessere Auslastung und mehr Durchlässigkeit schafft.

Interessant ist auch, dass Genossenschafter zwar angeben, Gästezimmer, Gemeinschaftsund Bastelräume ihrer Siedlung zu nutzen. Dennoch greifen sie häufiger auf professionelle Angebote etwa von Quartierzentren oder Restaurants zurück. Überschätzen Genossenschaften die eigenen Einrichtungen?

Man könnte das so sehen. Oder vielleicht schätzen Genossenschafter auch einfach die Wahlmöglichkeit durch das vielfältige, attraktive Angebot in der Stadt. Sie nutzen es jedenfalls rege.

Sie ziehen den Schluss, dass die Überlagerung aller Tätigkeiten in einer Siedlung nicht den Bedürfnissen der Städter entspricht.

Ja, weil man in Städten sowieso viele Möglichkeiten auf kleinem Raum hat. Da muss man wirklich nicht alles in der eigenen Siedlung anbieten. Man sollte auch nicht unterschätzen, dass Gemeinschaftlichkeit nicht nur erwünscht ist, sondern auch Grenzen hat. Viele wünschen sich zwar eine gute Nachbarschaft, wollen aber auch eine gewisse Distanz und nicht ihre ganze Freizeit mit Nachbarn verbringen. Es ist wichtig, eine gute Balance zu halten. Man sollte verschiedene Bedürfnisse abdecken, auch die nach Ruhe und Rückzugsmöglichkeiten, die zum Beispiel für viele ältere Menschen wichtig sind. Auf Siedlungsebene heisst das, unterschiedliche Wohntypen zu schaffen, mit «introvertierten » und «extrovertierten» Einheiten.

Sie haben erstmals auch untersucht, wie gemischte Nutzungen – Wohnen, Gewerbe und Büros – die Wohnqualität im Haus beeinflussen. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede: Während «Städter» den Einfluss positiv oder unwichtig finden, sind ein Drittel der «Dörfler» und «Verankerten» skeptisch. Weshalb ist das so?

Wenn es vielfältige öffentliche Nutzungen, die ein anonymes Publikum anziehen, in einer Siedlung gibt, kann das Unsicherheit nach sich ziehen. Vielen ist es unwohl, wenn plötzlich Leute im Haus sind, die sie nicht kennen. Ein solches Setting passt nicht zu den Wohnqualitäten, die «Dörfler» und «Verankerte» schätzen, zum Beispiel eine homogene Wohnnutzung oder Erdgeschosswohnungen mit Gartenanstoss. Sie werden durch gemischte Nutzungen infrage gestellt. Deshalb kann man, wenn man in grünen Quartieren mehr Belebung anstrebt, nicht einfach innerstädtische durchmischte Konzepte übernehmen. Büros wiederum, wo man die Leute kennt und höchstens Kundenbesuche zu erwarten sind, lassen sich sehr gut in «dörfliche» Wohnsiedlungen integrieren. Sie werden akzeptiert.

Die Umfrage haben Sie im letzten Sommer in Zürich durchgeführt. Sind die Resultate auf andere Städte übertragbar?

Ich denke schon. Städtische Qualitäten etwa dürften überall ähnlich definiert werden. Zum Beispiel, dass man kurze Wege schätzt oder sich öffentliche Räume aneignen kann. Ähnlich dürfte auch die Akzeptanz städtischer Dichte je nach Wohntyp sein. Die Aussagen, die man für Quartiere einer bestimmten Prägung machen kann, gelten sicher auch andernorts. Ob die Verhältnisse allerdings überall gleich sind, kann ich nicht beurteilen.


Planer müssen genau hinschauen, was die Leute wollen.


Und inwiefern lassen sich die Befunde auf andere Siedlungsräume übertragen?

Die Unterschiede zwischen Agglomeration und Stadt sind doch recht gross. Städter sind in jeder Hinsicht mobiler und offener, auch gegenüber Veränderungen. Dies zeigt zum Beispiel die Bereitschaft, umzuziehen. Sie ist bei jungen Städtern extrem, bei älteren immer noch ziemlich hoch und beträgt im Schnitt 62 Prozent. In Bülach und den ländlichen Gemeinden liegt sie demgegenüber nur bei 45 bis 48 Prozent. Oder die Einstellung zur Verdichtung: Grundsätzlich lehnen sie in der Stadt Zürich 33 Prozent ab. In Bülach sind es 51, in Niederglatt 60 Prozent. Diese unterschiedliche Veränderungsbereitschaft ist signifikant. Wenn die Skepsis so viel grösser ist, muss Verdichtung umso behutsamer angegangen werden.

Was raten Sie den Planern?

Viele Gebiete werden nach Vorstellungen entwickelt, die dort nicht hinpassen. Planer wissen oft nicht, was die Leute wollen, sondern orientieren sich nach ihren eigenen Vorstellungen und Überzeugungen. Ein guter Planer aber kann Abstand nehmen und überlegt sich, was an einem spezifischen Ort sinnvoll ist. Ist es besser, in die Breite oder in die Höhe zu bauen? Sollen Brachen zugebaut werden? Was schätzen die Leute am bestehenden Quartier? Auf dem sollte man aufbauen. Das gilt natürlich auch für die Agglomeration. Es gibt Architekten, die sie um jeden Preis «verstädtern» wollen und finden, man solle auch in der Agglo Blockrandbebauungen erstellen, weil diese Räume gut definieren und das «Chaos» beseitigen. Aber die Leute in der Agglo schätzen vielleicht die undefinierten Zwischenräume. Mit der geschlossenen Bauweise macht man das kaputt. Das finde ich problematisch. Planer müssen umdenken und genau hinschauen, was die Leute wollen.

Wie machen sie das am besten? Man kann kaum für jedes Projekt eine Umfrage durchführen.

Am einfachsten gestaltet man schon Testplanungsprozesse anders. Lädt man dazu Menschen ein, die im Quartier leben und es gut kennen, kann man schnell und effizient wichtige Einschätzungen abholen und erfahren, was die Qualitäten eines Ortes sind. Mit einem solchen Vorgehen erzielt man ganz andere Resultate. Das wird leider noch zu selten gemacht. Stattdessen sitzen die Architekten vor ihrem Reissbrett und planen aufgrund der Bilder in ihren Köpfen. Es liegt in der Verantwortung der Bauherren, diese Prozesse sinnvoller zu gestalten. Gerade Genossenschaften mit partizipativer Erfahrung können solche Instrumente nutzen. Und zwar nicht einfach, damit am Ende an der GV ein Projekt durchkommt, sondern damit es wirklich bedarfsgerecht ist und ins Umfeld passt.