Interview mit Daniel Büchel zum neuen Energiegesetz

«Der Wechsel weg von der Förderung hin zum Markt ist politisch gewollt»

Seit Anfang Jahr ist das neue Energiegesetz in Kraft, das im Mai 2017 vom Stimmvolk angenommen worden war. Was sich damit für Bauherren ändert und wie es in der Energiepolitik weitergeht, erklärt Daniel Büchel, Vizedirektor des Bundesamts für Energie (BFE).

Interview: Liza Papazoglou | Bild: Gerry Nitsch, zVg | Juni 2018

Wohnen: Wir haben bereits vor drei Jahren ein Gespräch geführt über die Energiestrategie 2050 des Bundes und die Einführung der MuKEn 2014. Letztes Jahr nun hat das Stimmvolk das neue Energiegesetz (EnG) angenommen. Seit Januar ist es in Kraft. Wie wichtig ist das neue Gesetz?

Daniel Büchel: Da muss man unterscheiden zwischen dem Gesetz selber und dem, was zwischenzeitlich passiert ist – nämlich, dass eine Abstimmung darüber stattfand. Es ist wichtig, dass es diesen klaren Volksentscheid und die Diskussionen im Vorfeld gab. Das hat viele Leute sensibilisiert, und sie haben gemerkt, dass es nicht nur um Kernenergie, sondern auch um die CO2-Belastung und weitere Zusammenhänge geht – etwa zwischen Energie und Mobilität. Solche Grundsatzentscheide für die Energiepolitik haben wir vielleicht alle zwanzig Jahre. Wir wissen nun, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Stossrichtung gut­heisst.

Wie sieht es inhaltlich aus? Die Kontroversen vor der Abstimmung waren teils heftig. Schaut man sich das EnG aber an, entdeckt man nur wenig Aufsehenerregendes. Einige Änderungen betreffen den Solarbereich. Was sind für Sie da die wichtigsten Neuerungen?

Die erste betrifft den Zusammenschluss zum Eigenverbrauch. Neu können sich auch benachbarte Liegenschaften zu Eigenverbrauchsgemeinschaften zusammenschliessen. Damit lässt sich der Eigenverbrauch vor Ort erhöhen. Zudem ist ab einem Stromverbrauch von mehr als 100 Megawattstunden pro Jahr, was etwa dreissig Wohnungen entspricht, auch der Zugang zum freien Strommarkt offen – man entscheidet also selber, an wen man seinen Strom verkauft und wo man Zusatzstrom bezieht. Das erhöht die Wirtschaftlichkeit. Wir stellen denn auch fest, dass es immer mehr Firmen gibt, die Dienstleistungen rund um den Zusammenschluss zum Eigenverbrauch anbieten. Insgesamt spüren wir eine grosse Dynamik und rechnen mit einer deutlichen Zunahme solcher Zusammenschlüsse. Darauf deuten auch die zahlreichen Anfragen an das Programm EnergieSchweiz und das grosse Interesse am Leitfaden zum Thema hin, den wir im April veröffentlicht haben.

Was ist die zweite wichtige Neuerung im Solarbereich?

Es findet ein eigentlicher Systemwechsel bei der Förderung der Photovoltaikanlagen statt. Die Einmalvergütung (EIV) wird im Sinne von Investitionsbeiträgen zum Hauptfördersystem: Für Anlagen bis zu einer Leistung von 100 Kilowatt gibt es künftig nur noch die EIV, und neu kann man diese auch für grosse Anlagen beantragen. Die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) hingegen ist ein Auslaufmodell. Entsprechende Anträge können nur noch bis 2022 genehmigt werden, und die Warteliste ist jetzt schon lang.

Mit dem neuen EnG wurden die Fördermittel aufgestockt. Allerdings sind die Vergütungsbeiträge im Einzelfall nun geringer und die Bezugsdauer wurde verkürzt. Sind die Bedingungen noch interessant?

Ja, denn es ist – im Gegensatz zur bisherigen KEV – mehr oder weniger gesichert, dass Antragsteller die EIV auch wirklich erhalten. Und sie können im Voraus berechnen, welchen Investitionsbeitrag sie für ihre Anlage erhalten werden. Ausserdem können ja alle Anlagenbesitzer ihren Solarstrom selber verbrauchen. Das kann wirtschaftlich sehr interessant sein, etwa, wenn man Wärmepumpen oder Elektroautos mit Solarstrom versorgt. Oder wenn in einer Wohnliegenschaft auch Gewerberäume oder Büros vorhanden sind, die zu unterschiedlichen Zeiten Strom brauchen. Je nachdem erreicht man so einen Eigenverbrauch von bis zu achtzig Prozent. Zudem sind auch die Anlagekosten nochmals beträchtlich gesunken. Deshalb gehen wir davon aus, dass der Zubau weitergeht.

Daniel Büchel (46) ist seit sieben Jahren Vizedirektor des Bundesamtes für Energie (BFE) und Leiter der Abteilung Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Der studierte Historiker ist zudem Programmleiter des Aktionsprogramms EnergieSchweiz. Zuvor war er persönlicher Mitarbeiter von Bundesrätin Doris Leuthard und von ihrem Vorgänger Joseph Deiss.

Und wie sieht es bei den grossen Anlagen ab 100 Kilowatt Leistung aus? Diese haben künftig die Wahlmöglichkeit zwischen Einmal- und Einspeisevergütung.

Bei grösseren Anlagen können zwar Anträge für die KEV noch bis Ende 2022 gestellt werden, angesichts der bereits bestehenden langen War­telisten gibt es aber real kaum mehr Chancen, dass diese noch erfüllt werden. Wir empfehlen deshalb allen, die eine PV-Anlage planen, sich für die EIV zu entscheiden.

Auf Betreiber grösserer PV-Anlagen kommt eine weitere Neuerung zu. Sie müssen spätestens ab 2020 ihren Strom selber auf dem Markt verkaufen. Was verspricht man sich davon?

Der Direktvermarktungszwang ist ein wichtiges Instrument, damit die Leute marktorientierter produzieren. Der Wechsel weg von der Förderung und hin zum Markt ist politisch gewollt. Bei der bisherigen KEV hat man pro eingespeister Kilowattstunde einen fixen Beitrag erhalten. Das ist mit der Direktvermarktung vorbei. Im Tages- und Jahresverlauf können die Preise beträchtlich schwanken. Wenn Anlagenbesitzer ihren Strom am Markt verkaufen müssen, liegt es in ihrem eigenen Interesse, das dann zu tun, wenn es sich am meisten lohnt. Sie haben zudem grosse Anreize für einen möglichst hohen Eigenstromverbrauch oder bessere Speicherlösungen. Damit ist allen gedient.

Die PV-Förderung wird zeitlich befristet. Nach dem Auslaufen der KEV 2022 ist 2030 dann auch mit der EIV Schluss. Kann so der angestrebte Anteil Solarstrom am Gesamtstrom von heute drei auf zwanzig Prozent im Jahr 2035 wirklich erreicht werden?

Ich denke schon. Die Idee war schon immer, dass die Förderung lediglich helfen soll, neue Technologien marktreif zu machen. Das Ziel war stets, dass PV-Anlagen dereinst selbsttragend sind und ohne staatliche Unterstützung funktionieren. Es gab in der Tat riesige Fortschritte und eine beachtliche Lernkurve. Heute sind wir sehr nahe am gewünschten Punkt, und es gibt bereits Anlagen, die selbsttragend sind.

Welche Rollen spielen andere Energiequellen?

Die neuen erneuerbaren Energien sollen gemäss unseren Prognosen bis 2035 eine Jahresstromproduktion von 24 Terawattstunden liefern – fast zehnmal mehr als heute. Photovoltaik steuert etwa die Hälfte davon bei. Da dürften wir die Ziele erreichen. Die andere Hälfte verteilt sich zu ungefähr gleichen Teilen auf Energie aus Wind, Biomasse und Geothermie. Da wird es schwieriger. Bei der Windenergie herrscht derzeit Stillstand, vor allem wegen Interessenskonflikten mit dem Natur- und Landschaftsschutz sowie Flug­radarsystemen. Hier könnte das EnG Abhilfe schaffen: Neu kommt Anlagen für erneuerbare Energien ein nationales Interesse zu. Damit gelten diese Interessen als gleichwertig gegenüber denjenigen des Natur- und Heimatschutzes. Sie müssen bei der Bewilligung von Wind- und Wasserkraftanlagen gleich gewichtet werden. Ob das dann auch greift, wird sich zeigen.

Mit dem neuen EnG wurde auch das Gebäu­deprogramm fürs Erste aufgestockt, von 300 auf 450 Millionen Franken pro Jahr. Damit werden Sanierungen unterstützt, die Energieverbrauch und CO2-Ausstoss reduzieren. Mit welchen Förderungen können Wohnbaugenossenschaften neu rechnen?

Zuerst eine Präzisierung: Aufgestockt wurde der Maximalbetrag aus der CO2-Teilzweckbindung von 300 auf 450 Millionen Franken pro Jahr. Wie hoch die Mittel sind, die für das Gebäudeprogramm tatsächlich zur Verfügung stehen, hängt von der effektiven CO2-Abgabe ab. Die Förderung in den einzelnen Kantonen variiert je nach Schwerpunkten, die ein Kanton setzt. Die Kantone können entweder wie bisher Förderbeiträge für bestimmte Massnahmen entrichten, also zum Beispiel für Dachsanierungen, Isolationen usw., wobei sie die Wahl zwischen 18 Massnahmen haben. Oder sie können neu Beiträge nach erreichtem Effizienzstandard ausrichten. Wenn man also zum Beispiel ein Gebäude mit der Geak-Einstufung E renoviert, gibt es mehr Geld, wenn man ein B erreicht statt nur ein C. Das ist ein gutes Modell. Es lässt Bauherren Freiheit beim Entscheid, was und wie sie sanieren. Und es dürfte zu kostengünstigen Sanierungen führen, da man die Variante wählt, die mit den tiefsten Kosten die besten Resultate erzielt.


«Die kostendeckende Einspeisevergütung ist ein Auslaufmodell.»


Das Gebäudeprogramm ist allerdings gefährdet. Es wird zu einem guten Teil über die CO2-Abgabe auf Brennstoffe finanziert. Das Parlament berät nun dieses Jahr über die Totalrevision des CO2-Gesetzes. Dabei will man die Zweckbindung der CO2-Abgabe aufheben, was dem Gebäudeprogramm die Finanzierungsgrundlage entziehen würde. Dafür sollen CO2-Grenzwerte für Gebäude eingeführt werden, falls die Emissionen bis 2025 nicht genügend zurückgegangen sind. Was halten Sie von solchen Plänen?

Unter der Voraussetzung, dass die Kantone die Mustervorschriften MuKEn konsequent umsetzen und kontinuierlich verschärfen, wird die Förderung der erneuerbaren Energien im Wärmeenergiebereich ab 2020 weitgehend hinfällig. Die Förderung von energetischen Massnahmen an der Gebäudehülle hingegen ist angesichts des grossen Sanierungsbedarfs nach wie vor opportun, sie soll aber mittelfristig durch Vorschriften abgelöst werden. Vor diesem Hintergrund will der Bundesrat daran festhalten, dass die Teilzweckbindung der CO2-Abgabe auf Ende 2025 befristet wird. Sollte es nötig werden, CO2-Grenzwerte einzuführen, können Eigentümer dann weitgehend selber entscheiden, mit welchen Massnahmen sie dafür sorgen, dass diese auch eingehalten werden.

Im Zusammenhang mit dem EnG wird auch das Steuergesetz angepasst: Ab 2020 gibt es mehr steuerliche Anreize für Sanierungen. Dann können Hausbesitzer nicht mehr nur wie bisher Investitionen in energetische Gebäudesanierungen von den Steuern abziehen, sondern auch Rückbaukosten für einen Ersatzbau. Abzüge sind im Jahr des Anfalls und neu in den zwei folgenden Steuerperioden möglich. Was erwarten Sie davon?

Mit den neuen Steuerabzügen sollen mehr Gesamtsanierungen anstelle von Teilsanierungen – die heute steuerlich attraktiver sind – realisiert werden. Gesamtsanierungen sind energetisch sinnvoller. Allerdings gibt es Hinweise, dass solche steuerlichen Massnahmen auch hohe Mitnahmeeffekte zur Folge haben.

Sanierungswillige erhalten also Geld für Massnahmen, die sie sowieso ergriffen hätten.

Das ist durchaus möglich. Mitnahmeeffekte sind nach Möglichkeit zu minimieren. Sie genau zu beziffern ist schwierig. Wenn der Bauherr jedoch Steuerabzüge bei seiner Planung miteinbezieht und dadurch besser und umfangreicher saniert, ist das positiv.

Gibt es weitere Aspekte des neuen EnG, die für Bauträger bedeutsam sind?

Smart Metering wird mehr oder weniger flächendeckend eingeführt. Das wurde zwar kaum diskutiert, weil es politisch nicht umstritten war, ist aber dennoch wichtig und wird mittelfristig Wirkung entfalten. Smart Metering könnte helfen, das Gesamtstromsystem besser zu steuern und die Netzauslastung zu verbessern und wäre damit gut für die Versorgungssicherheit. Je mehr erneuerbare Energien wir nutzen, umso wichtiger wird das. Einzelkunden werden direkt aber kaum etwas spüren, die Smart Meter werden einfach installiert.

Vor drei Jahren haben Sie gesagt, dass EnergieSchweiz seine Angebote ausbauen will. Was hat sich seitdem getan?

Bei den Geräten haben diverse Energieetiketten, die eine sehr einfache Orientierungshilfe bieten, zu einer verstärkten Sensibilisierung beigetragen. Anspruchsvoller ist der Baubereich, wo es ein Dickicht an Anforderungen und Lösungen gibt. Da verweise ich auf unsere Webseite www.energieschweiz.ch, die mittlerweile sehr viele Informationen, Broschüren, Tipps und Beratungsangebote rund um sämtliche Energiefragen im Gebäudebereich enthält. Sie hilft einem durch Prozesse, führt zu Fachstellen und Fachleuten, hilft bei der Auswahl von Systemen usw. Wir bauen das Angebot laufend aus. Wir haben zum Beispiel einen Weiterbildungskalender aufgeschaltet oder die Website www.sonnendach.ch geschaffen, wo man nachsehen kann, welche Dachflächen seiner Liegenschaften sich für PV-Anlagen eignen.

Das EnG ist ein Instrument, um die Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen – eine atomkraftfreie, CO2-arme, nachhaltige Energiezukunft. Denken Sie, wir erreichen diese?

Ja. Weil ich an die Erfindungskraft der Menschen glaube. Deshalb muss man auch nicht alles über Gesetze regeln. Gerade im Energiebereich gibt es viele tolle Erfindungen, und es wird noch viele weitere geben. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir bis 2050 trotz allen Herausforderungen dort sind, wo wir hinmöchten. Das sind noch 32 Jahre. Stellen Sie sich vor, wo wir vor 32 Jahren, also 1986, standen! Wenn man sieht, was technisch seit damals alles passiert ist, darf man doch sehr optimistisch nach vorne schauen.

Änderungen Energiegesetz 2018

Das neue Energiegesetz (EnG) wurde am 21. Mai 2017 vom Stimmvolk angenommen und ist seit Anfang 2018 in Kraft. Damit verbunden werden weitere Gesetze (zum Beispiel CO2- und Steuergesetz) sowie diverse Verordnungen angepasst. Mit dem EnG werden drei Stossrichtungen verfolgt. Erstens soll die Energieeffizienz bei Gebäuden, bei der Mobilität, in der Industrie und von Geräten erhöht werden. Zweitens soll der Anteil der erneuerbaren Energien durch Fördermassnahmen und bessere rechtliche Rahmenbedingungen ausgebaut werden; Ziel ist eine Verdreifachung von 2020 bis 2035. Und drittens wird der schrittweise Ausstieg aus der Atomenergie anvisiert. Das EnG umfasst Fördermassnahmen im Gebäudebereich, da dort über vierzig Prozent

des Energieverbrauchs und der klimaschädlichen CO2-Emissionen anfallen. Ausserdem enthält es Massnahmen zum Verkehr, bei Wasserkraftwerken und Elektrogeräten.
Das EnG basiert auf der Energiestrategie 2050 des Bundes, die einen Umbau des Schweizer Energiesystems vorsieht – weg von Atomstrom und CO2-intensiven Energiequellen. Die bisherigen Umsetzungsschritte haben vor allem auf eine Erhöhung der Energieeffizienz und der Anteile von neuen erneuerbaren Energien sowie von Wasserkraft am Strommix gezielt.



Weiterführende Informationen:
www.energieschweiz.ch
www.bfe.admin.ch/energiestrategie2050
www.bfe.admin.ch/kev > Faktenblätter