
Baumaterialien für Klima und Umwelt
Kaum ein Thema wird beim Bauen aktuell so intensiv diskutiert wie die Nachhaltigkeit. Mit ihr beginnt deshalb unsere neue Rubrik «Jahresthema». Im ersten Teil stehen Baumaterialien im Fokus.
Von Daniel Krucker | Bilder: Beat Brechbühl, Neustark | 2025/01
Der Gebäudesektor ist gemäss Energieschweiz für einen Drittel der Treibhausgasemissionen in der Schweiz verantwortlich. Dabei spielen die verbauten Materialien eine wesentliche Rolle und sollten umsichtig ausgewählt werden. Allerdings: «Es gibt keine Baumaterialien, die per se schlecht oder gut sind», sagt Enrico Marchesi. Er ist Innovationsmanager beim «Nest» in Dübendorf, einem Forschungs- und Innovationsgebäude der Institute Empa und Eawag, an dem nachhaltige Lösungen im Bauwesen erprobt werden.
Beton: Sünder oder Hoffnungsträger?
Als Klimasünder Nummer eins unter den Baumaterialien gilt Beton. Allein die Herstellung des unverzichtbaren Bindemittels Zement verursacht weltweit sechs bis acht Prozent der menschengemachten CO2-Emmissionen. Auch der ebenso unverzichtbare Sand ist ein Problem. Er wird immer knapper. Fachleute schätzen, dass zehn bis 15 Prozent der heutigen Förderung illegal erfolgen, mit teilweise gravierenden Folgen für die Umwelt. An Alternativen wie zerriebenem Glas, Bruchsteinen oder Plastik wird geforscht.
Laut Schätzungen des Schweizerischen Baumeisterverbands werden in der Schweiz jährlich 16 Millionen Kubikmeter Beton verbaut. Weil die unbestritten energieintensive Herstellung ein Problem darstellt, wird weltweit an der Verbesserung der Klimabilanz von Beton gearbeitet. So experimentiert zum Beispiel das ETH-Spin-off Neustark AG in einem der grössten Recyclingwerke der Schweiz erfolgreich daran, Beton als CO2-Fänger einzusetzen: Bei der sogenannten Karbonatisierung werden rückgebaute Betonkonstruktionen mit klimaschädlichem Kohlendioxid – in diesem Fall aus einer nahen Kläranlage – «gefüttert», und am Ende entsteht daraus ein hochwertiges Betongranulat. Der Karbonbeton soll im Schnitt zehn Kilogramm CO2 pro Tonne Abbruchbeton speichern. Mit dem neuartigen Ma-
terial wurden bereits verschiedene Projekte in der Schweiz und in Deutschland realisiert.
Gemäss Patrick Suppiger, dem Geschäftsführer des Verbandes Betonsuisse, ist der hierzulande verbaute Beton zu nahezu hundert Prozent im Inland hergestellt. Für knapp ein Viertel des benötigten Volumens stünden Recycling-Gesteinskörnungen zur Verfügung; damit kann aktuell die Nachfrage nicht gedeckt werden. Für Marchesi vom Nest ist der vielseitig einsetzbare Baustoff «Segen und Fluch zugleich». Unter den derzeitigen Bedingungen sei das Material auf jeden Fall zurückhaltend einzusetzen. Beton könne aber auch Vorteile bezüglich Nachhaltigkeit haben, zum Beispiel in Bezug auf die Statik. «Ausschlaggebend ist, wie viel CO2 man verbraucht, um einen Würfel aus Beton bzw. Holz herzustellen.» Berücksichtige man in der Gesamtrechnung auch den Transport, könne die Balance beim Holz relativ schnell kippen, wenn dieses zum Beispiel mit «schmutzigen» Lastwagen aus Nordfinnland herangeschafft werde.

Solll künftig als CO2-Fänger dienen: karbonisiertes Recyclingbetonaggregat während eines Produktionsschrittes.
Einheimisches Holz als Lösung?
Die Schweizer Holzindustrie kann aktuell mit ihren Kapazitäten nur rund 30 Prozent des Bedarfs an Holzbauprodukten decken, sagt Michael Meuter vom Branchenverband Lignum. Dabei wäre das Potenzial viel grösser. «Wir ernten im Schweizer Wald jährlich rund 5 Millionen Kubikmeter Holz – das ist nur etwa die Hälfte dessen, was jedes Jahr dazuwächst». Das sei nicht nachhaltig, und zudem mache eine Unternutzung den Wald nicht stärker, sondern schwächer. Holz als Baumaterial hat in der Schweiz insgesamt einen Marktanteil von etwa 16 Prozent, beim Neubau von Mehrfamilienhäusern erreicht es einen Anteil von 9 Prozent. Das sei zwar noch bescheiden, die Tendenz aber klar steigend. Im städtischen Raum sind auch Holzbauwohnsiedlungen mit bis zu 300 Wohnungen keine Einzelfälle mehr.
Auch Meuter betont, dass Nachhaltigkeit immer ganzheitlich gedacht werden muss, und sagt: «Holz muss man möglichst lange Holz bleiben lassen». Er spricht die Kaskadennutzug an: Ein gefällter Baum soll zuerst zu möglichst grossen und hochwertigen Werkstücken verarbeitet, in dieser Form lange genutzt und danach für einen anderen Zweck wiederverwendet werden. Danach sollten die Stücke beispielsweise zu Holzwerkstoffen weiterverarbeitet werden, und erst ganz am Schluss – wenn keine weitere Materialnutzung mehr möglich ist – ist das Holz «bereit» für den Ofen. Dass bei der nachhaltigen Holznutzung reichlich Luft nach oben besteht, zeigt die Recyclingquote: Sie beträgt in der Schweiz nur gerade knapp acht Prozent. Damit sich das ändert, muss laut Meuter noch viel passieren. «Die Verbindungen zwischen einzelnen Stücken müssen reversibel konzipiert werden, und zwingend ist auch der Verzicht auf das Verleimen von Schichten. Das ist hierzulande im Holzbau noch längst nicht Alltag».
Stroh und Lehm
Bereits seit Jahrtausenden werden Stroh und Lehm beim Hausbau verwendet. In unseren Breitenkreisen fast in Vergessenheit geraten, erleben die Low-tech-Materialien seit ein paar Jahren ein kleines Revival. Sie benötigen wenig Energie in der Herstellung, verfügen über einen hohen Isolationswert, sind atmungsaktiv und – nicht unwichtig – kostengünstig. In der Schweiz sorgte 2020 eine moderne Strohballensiedlung in Nänikon (ZH) für Aufmerksamkeit. Weltweit existieren laut Strohballenbaupionier Atelier Schmidt mehr als 10 000 Häuser aus gepressten Strohballen mit Lehmverputz. Trotz hoher Nachhaltigkeit dürften solche Gebäude aber bis auf weiteres ein Nischenphänomen bleiben, hinter den Naturmaterialien steht keine starke Lobby.
Am Ende sind es die Bauherrinnen, die entscheiden, wie gebaut wird, betont Marchesi: «Sie sind es, die die Themen setzen. Sie müssen Nachhaltigkeit schon ganz früh bei der Planung einfordern». Und ganz unabhängig von der Materialthematik gehe es gerade in der Schweiz auch darum, dass Gebäude viel länger leben. «Sie müssen umnutzbar sein, man muss sie ertüchtigen können und bereits bei der Planung sicherstellen, dass möglichst viele Materialien wieder getrennt werden können».