
«Klimagerechtes Bauen bedeutet viel Denkarbeit am Anfang»
Weil unsere Sommer immer heisser werden, brauchen Wohnungen künftig mehr Kühlung. Wird ein Gebäude von Anfang an richtig geplant, spart man sich den Einbau von energiefressenden Klima-anlagen. Gianrico Settembrini von der Hochschule Luzern gibt Handlungsempfehlungen fürs kühle Bauen.
Interview: Daniel Krucker | Bilder: Jaromir Kreiliger, zVg | 2025/04
Wohnen: Grosse Fenster sind beliebt, leiten im Sommer aber viel Wärme in die Wohnungen. Werden wir uns wieder auf dunklere Wohnungen einstellen müssen?
Gianrico Settembrini: Auf keinen Fall. Aber der Wärmeschutz im Sommer wird wichtiger. Es braucht nicht weniger oder kleinere Fenster, aber sie müssen bewusster eingesetzt werden. Auf der Nordseite braucht es weniger Sonnenschutz, darum kann es Sinn machen, dort ein zusätzliches Fenster einzubauen, das im Sommer Licht in die Wohnung bringt, während auf der Südseite die Läden unten sind.
Clevere Beschattungen tragen dazu bei, dass an heissen Tagen nicht gleich alle Storen und Läden geschlossen werden müssen. Wie plane ich eine effektive Fassadenbeschattung?
Die durchdachte Beschattung wird künftig ein unentbehrliches Element beim klimagerechten Bauen sein. Dazu muss erst mal der Sonnenstand genau analysiert und entschieden werden, wo man in den Sommermonaten möglichst keine direkte Sonneneinstrahlung auf Fassade und Fenstern haben will. Als Lösungen bieten sich etwa Vordächer an oder auch bewegliche Systeme oder fixe Beschattungssysteme wie vorgebaute Balkone, die die Laubengangidee aufnehmen. Bei niedrigen Gebäuden machen Bäume Sinn. Sie beschatten im Sommer und lassen im Winter Licht in die Wohnräume.
Auch mit Wind lässt sich die Wohnung kühlen. Allerdings geht das längst nicht überall: Erdgeschosswohnungen haben ein Sicherheitsproblem, andere sind vielleicht lärmbelastet.
Das Nutzen von potenziellen Kühlwinden ist nur ein Puzzleteil, das lange zu wenig berücksichtigt wurde. Unser Gebäudepark ist eigentlich gebaut. Darum lässt sich dieses Element grossmassstäblich eigentlich nur integrieren, wenn neu geplant wird. Dafür ist es dann meiner Meinung nach umso wichtiger.

Gianrico Settembrini ist Architekt und lehrt am Institut für Gebäudetechnik und Energie der Hochschule Luzern. Er leitet die dortige Forschungsgruppe Nachhaltiges Bauen und Erneuern.
Versiegelte Böden heizen Aussenräume auf. Allenthalben ist zu hören, dass es zum Beispiel wegen des Zugangs von Rettungs- und Feuerwehrfahrzeugen nicht anders geht. Welche Lösungen bieten sich an?
Es ist richtig, dass Zugänge gesichert werden müssen. Die Frage ist aber: Wie viel Asphalt ist wirklich nötig? Ich rate deshalb, schon in einer frühen Planungsphase mit der Feuerwehr Kontakt aufzunehmen. Nicht selten erfährt man dann, dass es gar nicht so viel asphaltierte Fläche braucht. Überhaupt sollten alle Aspekte rund ums klimagerechte Bauen schon in der frühen Planungsphase auf den Tisch kommen.
Zum Beispiel?
Einerseits geht es um den Klimaschutz, also um Fragen rund um die Betriebsenergie, was viel mit Herstellung, Mate-rialisierung und Transport zu tun hat. Andererseits um die Klimaadaption, also das Bewusstsein dafür, dass man eine Siedlung für die nächsten hundert Jahre baut. Schliesslich werden wir in zwanzig oder dreissig Jahren ein anderes Klima haben, so wie wir auch vor zwanzig Jahren ein anderes Klima hatten. Klimagerechtes Bauen bedeutet viel Denkarbeit am Anfang. Dafür spart man am Ende Ressourcen und auch Kosten.
Klimagerechtes Bauen verteuert das Bauen also nicht?
Nein. Ich sage sogar, dass eine klimagerechte Planung das Bauen günstiger macht. Vorausgesetzt, man setzt sich früh genug mit diesen Fragen auseinander. Sinnvollerweise schaut man sich alle natürlichen Komponenten an, die ein Gebäude kühlen können, dann soll die bauliche Seite analysiert werden, und am Schluss kommen die technischen Komponenten, also auch Automationen, zum Zug. Wenn man diese Reihenfolge bei der Planung berücksichtigt, kann von teurerem Bauen keine Rede sein. Davon bin ich absolut überzeugt.
Welchen Rat würden Sie Bauherr:innen geben?
Definiert klimagerechtes Bauen als Ziel. Dabei sollen sowohl der Klimaschutz als auch die Klimaadaption benannt werden. Die Fachplanenden sollten wissen, dass heute Klimadaten verfügbar sind, die bis fünfzig Jahre in die Zukunft reichen, genauso wie praktische Anwendungshilfen.
Mietenden nur schon das richtige Lüften im Winter näher zu bringen, ist nicht ganz einfach. Wäre es nicht besser, von Anfang an auf die richtige Gebäudetechnik zu setzen?
Kann man, muss man aber nicht. Zielkonflikte gibt es im klimagerechten Bauen immer. Es ist möglich, auch hier in der Schweiz Gebäude zu erstellen, die ganz ohne Heizung oder Kühlung auskommen. Dafür haben sie viel Masse, was in der Regel wiederum dem Klimaschutz nicht dient. Wichtig ist das Bekenntnis zum klimagerechten Bauen und das Bewusstsein, dass man für Menschen baut. Die Menschen sollen sich in den Gebäuden und im Aussenraum wohl fühlen. Wenn man diese beiden Aspekte ernst nimmt, lässt sich vieles logisch herleiten. Und so entstehen automatisch lebenswerte Orte.