Graue Emissionen als Klimasünder

Lange konzentrierte man sich bei Gebäuden auf einen effizienten Betrieb. Die Klimadebatte hat den Fokus auf die grauen Emissionen gelenkt, die beim Bauen entstehen: Sie schlagen mittlerweile mehr zu Buche als die Betriebsemissionen. Neue Gesetze sollen zur Reduktion beitragen.

Von Daniel Krucker | Bild: zVg | 2025/03

Im Juni 2023 stimmte die Stimmbevölkerung dem Klima- und Innovationsgesetz und damit dem «Netto-Null-Ziel» mit 59,1 Prozent zu. Damit ist gesetzlich verankert, dass die Schweiz ab 2050 nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre ausstossen soll, als durch natürliche und technische Speicher aufgenommen werden. Die Vorgabe ist klar – die Umsetzung umso anspruchsvoller.
Wenn im Gebäudebereich Netto-Null erreicht werden soll, muss der Fokus auf die Erstellung gelegt werden. Der Bau ­eines Gebäudes verursacht nämlich mittlerweile deutlich mehr CO2-Emissionen als die Bereitstellung von Heizenergie und Warmwasser über die gesamte Gebäudelebensdauer von sechzig Jahren. Au­sschlaggebend sind dabei die graue Ener­gie beziehungsweise die grauen Emis­sionen. Als graue Energie bezeichnet man den Energieaufwand, der über den gesamten Lebenszyklus der eingesetzten Materialien aufgewendet werden muss; sie umfasst Rohstoffgewinnung, Verarbeitung, Lagerung, Trans­port, Montage sowie den Recyclingprozess, wenn ein Produkt oder Bau sein Lebensende erreicht hat. Die grauen Treibhausgasemissionen beziehen sich auf das CO2, das bei der Bereitstellung der grauen Energie freigesetzt wird. Diese Emissionen gilt es beim Bauen zu senken.

Gesetze und Normen
Anfang Jahr trat das revidierte Energiegesetz (EnG) in Kraft. Es verpflichtet die Kantone, Grenzwerte für die graue Energie bei Neubauten und bei wesentli­chen Erneuerungen vorzuschreiben. Aktuell ­diskutiert die Konferenz kantonaler Ener­giedirektor:innen (EnDK), die für die Entwicklung der Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MukEn) zuständig ist, Empfehlungen zur Berücksichtigung von grauer Energie. Sollte die EnDK diese im August annehmen, müssen die Kantone entsprechende Gesetze erlassen. Diese könnten in ersten Kantonen frühestens 2028 in Kraft treten.
Bereits einen Schritt weiter ist die im Februar publizierte Norm SIA 390/1 «Klimapfad – Treibhausgasbilanz über den Le­benszyklus von Gebäuden» (siehe Wohnen 2/2025). Sie löst das Merkblatt SIA 2040 «SIA-Effizienzpfad Energie» ab und bietet ein fundiertes Regelwerk zur Bilanzierung aller Treibhausgasemissionen von Gebäuden. Ihre Vorgaben sind etwas ambitionierter, als nach aktuellem Stand die MuKen-Empfehlungen ausfallen dürften, sie sind aber nicht gesetzlich verpflichtend.

Ansätze bei Baugenossenschaften
Vorderhand verpflichten sich Bauträgerinnen somit nur auf freiwilliger Basis, graue Energie in ihren Projekten zu berücksichtigen. Anfragen bei einigen Verbandsmitgliedern zeigen, dass die meisten das Thema zwar hoch gewichten, konkrete Massnahmen aber noch eher die Aus­nahme sind. Die Graphis Bau- und Wohngenossenschaft zum Beispiel lagert bei Bauprojekten Küchengeräte, Armaturen oder Sanitärprodukte ein und verwendet diese wieder, statt neue Produkte anzuschaffen, sagt der stellvertretende Geschäftsführer und Leiter Bauwesen Michael Tschofen. Auch achte die Genossenschaft auf möglichst langlebige Bauteile wie Stahlküchen: «Sie halten nicht nur fast doppelt so lange, ihr Material ist auch wiederwendbar.»
Die Wogeno Zürich hat 2024 bei einem Erneuerungsprojekt eines Mehrfamilienhauses aus den 1950er-Jahren im Architekturwettbewerb bewusst die Vorgabe gemacht, dass der Rohbau inklusive Untergeschoss erhalten werden soll. Vorstandsmitglied Tom Weiss: «Die Wogeno pflegt bezüglich grauer Energie eine Kultur des Erhaltens. Wir renovieren oder ersetzen nicht auf Vorrat, sondern nutzen Bauteile so lange, wie sie halten.»
Die Eisenbahner-Baugenossenschaft beider Basel (EBG) wiederum hat an ihrer letzten Retraite die Reduktion von grauer Energie thematisiert. Gemäss Jan Borner, Leiter Bau und Entwicklung, verankert sie nun den Klimaschutz als integralen Bestandteil in die künftige Bautätigkeit. Bereits entschieden hat sie, ein Projekt mit fünfzig Wohnungen nicht wie ursprünglich geplant aus Beton, sondern aus Holz zu erstellen. Ausserdem will sie ihr Leitbild anpassen und einen «Klimarat» schaffen, in dem auch die Bewohnenden vertreten sind.

Grösste Verursacher
Den Löwenanteil an grauer Energie beziehungsweise grauen Emissionen in der Bilanz eines Gebäudes verursacht das Tragwerk. Weniger bekannt ist, dass mit einem fast gleich hohen Anteil die Gebäudetechnik zu Buche schlägt, wie Gianrico Settembrini von der Hochschule Luzern erklärt. Er leitete das Projekt «Sygren»; Forschende haben dabei Systemkennwerte der grauen Energie von Gebäudetechniksystemen definiert und Optimierungspotenzial in der Planung phasengerecht aufgezeigt. Wichtig sei, dass Planende die grauen Emis­sionen der Gebäudetechnik nicht isoliert betrachteten: «Bei der Evaluation ist immer der Nutzen im Betrieb den Emissionen in der Erstellung gegenüberzustellen», sagt Settem­brini. So verursachen zum Beispiel Erdsonden oder PV-Anlagen zwar relativ hohe CO2-Emissionen, ihr Beitrag an die betriebliche Effizienz sei aber ebenfalls hoch. Settembrini rät Bauträgerinnen, bei jedem Gebäudekonzept die Bedürfnisse der Nutzenden spezifisch abzuwägen und sich bei der Gebäudetechnik auf das zu beschränken, was wirklich nötig sei. Gebäude mit wenig Gebäudetechnik punkten überdies nicht nur bezüglich grauer Energie, als positiver Nebeneffekt reduziert sich auch der Unterhaltsaufwand.

Weniger ist mehr
Es gibt also vieles zu beachten. Das weiss auch der Verein Ecobau, der getragen wird von Bund, Kantonen und Städten und bezweckt, ökologisches und kreislauffähiges Bauen breit zu verankern. Gemäss Ecobau liegt bezüglich grauer Energie in der Planungsphase einer der stärksten Hebel. Ecobau stellt deshalb unter www.ecobau.ch/instrumente kostenlos Leitfäden zur Verfügung und führt regelmässig Webinare zu nachhaltigem Bauen durch. Letztlich gehe es aber um mehr als um technische Ent­scheide, heisst es bei Ecobau: «Wir müssen viel mehr über Zurückhaltung im Konsum von Material und Möglichkeiten nachdenken und hinterfragen, ob überhaupt neu gebaut werden muss.»
Bauen ohne graue Energie: Das tönt nach der Quadratur des Kreises. Perfekte Lösungen wird es nicht geben. Umso wichtiger ist es, eigene Denkmuster zu ändern. Bei jedem Projekt, zum frühestmöglichen Zeitpunkt.

Graue Energie minimieren

Neubauten

  • Tragstruktur und Gebäudetechnik sollten trennbar sein
  • Bauteilflächen reduzieren, Kompaktheit optimieren
  • Aushubvolumen und Bauteile unter Terrain minimieren
  • Schall- und Brandschutz sowie Erdbebensicherheit in einem Bauteil (wie Wohnungstrennwand) zusammenfassen
  • Fensteranteile in Fassaden optimieren, Rahmenanteile minimieren. Reine Metallfenster sind am energieintensivsten.
  • leichte Dämmstoffe verwenden, Dämmstärke optimieren
  • für Innenwände Zement- oder Kalksandsteine statt Backsteine verwenden
  • Gebäudetechnik: Reduktion aufs Notwendige, kurze Leitungen

Umbauten

  • Potenzial zur Erweiterung des bestehenden Gebäudevolumens prüfen
  • langfristige Konzepte richten sich nach der Nutzungsdauer der Bauteile und zerstören keine vorhandenen Werte
  • Umbauten möglichst ohne Eingriffe in die Tragstruktur planen
  • Bauteile und Materialien mit unterschiedlicher Nutzungsdauer sollten einfach trennbar sein
  • heimische Materialien wählen (weniger graue Energie)

Quelle: EnergieSchweiz