Wohnbaugenossenschaft Talgut in Winterthur startet Quartiererneuerung

Der Mensch im Mittelpunkt

Im Rahmen einer Quartiererneuerung hat die WBG Talgut in Winterthur zwei Neubauprojekte fertiggestellt. Während an der Zwingli­strasse Wohnraum für ältere Menschen und Familien entstand, ist am Sportparkweg (siehe Box) unter anderem eine WG psychisch beeinträchtigter Menschen untergebracht. Für die Genossenschaftsverantwortlichen besonders erfreulich:
Die Aussenräume bleiben – wenn auch in anderer Form – erhalten.

Von Elisabeth Moser | Bilder: Atelier 22, Manuela Fischer | November 2018

Schlicht und freundlich wirken die zwei neuen Wohnhäuser an der Zwinglistrasse 14 bis 22. Die 27 Wohn­einheiten mit zweieinhalb bis fünfeinhalb Zimmern eignen sich bestens für ­ältere Menschen und für Familien. «Es ist uns ein grosses Anliegen, dass Lebensqualität vor Profit kommt», erklärt Heinz Hunn, Präsident der Wohnbaugenossenschaft Talgut. Deshalb wurde bei der Planung viel Wert darauf gelegt, dass die einstigen Grünflächen erhalten blieben und zu einem offenen Wohnpark mit Spiel-, Pflanz- und Begegnungszonen umgestaltet würden. Trotzdem war es in der Planungsphase nicht ganz einfach, die langjährigen ­Mieterinnen und Mieter der Altbauten aus dem Jahr 1947 zu überzeugen, dass ihre Häuser Ersatzneubauten weichen mussten. An der Generalversammlung 2015 gaben die Genossenschaftsmitglieder grünes Licht für die Abbruchpläne. Glücklicherweise konnte für alle Miete­r­innen und Mieter eine gute Lösung in der Nähe, teilweise in anderen Liegenschaften der WBG Talgut, gefunden werden.

Quartiererneuerung als Hintergrund
Die Neubauten haben eine lange Vorgeschichte. 2009 führte die Stadt Winterthur zusammen mit vier gemeinnützigen Wohnbauträgern einen Ideenwettbewerb für die Quartiererhaltungs-
zone Talgut im zentrumsnahen Mattenbachquartier durch. Neben der WBG Talgut handelt es sich dabei um die Heim­stätten-Genossenschaft Winterthur (HGW), die Gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Winterthur (GWG) sowie die Aktiengesellschaft für Erstellung billiger Wohnhäuser in Winterthur (GeBW). Hintergrund war der Erneuerungsbedarf der vier Bauträger, der allerdings unterschiedliche Zeithorizonte aufweist. Mit diesem Verfahren sollte in der sensiblen Zone eine gut verträgliche Verdichtung erreicht werden. Der Vorschlag des Zürcher Architekturbüros Šik überzeugte die Jury. ­Daraus ging ein privater Gestaltungsplan hervor, der die künftige Entwicklung regelt. Ein wichtiger Aspekt war die Aufhebung eines Teils der Zwinglistrasse und weiterer Verbindungswege, verbunden mit einer Revi­sion beziehungsweise Aufhebung der Baulinien. Der rechtlich knifflige und aufwändige Prozess hat sich gelohnt, gewann die WBG Talgut doch damit rund 500 Quadratmeter Land.
2016 machte die WBG Talgut an der Zwinglistrasse den Anfang mit der Erneuerung. Wie auch beim Folgeprojekt am Sportparkweg ­betraute man dafür das Siegerbüro des Ideenwettbewerbs. Die beiden Neubauten an der Zwinglistrasse sind im Landi-Stil der 40er-Jahre gehalten, in dem sich die Moderne und das Traditionelle mischen. Die Fassaden lehnen sich an die Architektur des industriellen Arbei­terwohnhauses in Winterthur an. Durch die französischen Fenster sind sie har­monisch gegliedert, und die Wohnungen erhalten viel Tageslicht. Der Bezug zur Umgebung ist sicht- und spürbar. Das entspricht den Talgut-Prinzipien: guter Lebensraum ohne unnötigen Luxus, jedoch zeitgemäss in Sachen Komfort – und das alles zu vernünftigen Mietpreisen.

Blick in eine Wohnküche im Haus Zwinglistrasse 18.

Eigener Strom
Hohe Anforderungen stellte man auch in Bezug auf Bauqualität und Ökologie: Die Aussenwände aus Leichtbacksteinen sind mit Perlit gefüllt und dadurch wärmegedämmt. Um die Anforderungen des SIA-Effizienzpfades Energie zu erfüllen, war zusätzlich ein Wärmedämmputz nötig. Sorge getragen wird ebenfalls zum Stromverbrauch: Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach deckt den Allgemeinbedarf und einen Teil des Mieterverbrauchs. Dabei gewährleistet die Genossenschaft, dass auch dann Elektrizität nach höchsten Umweltanforderungen geliefert wird, wenn die Bewohner nicht die «Gold-Variante» aus der eigenen Anlage wählen.
Bei den 27 Wohnungen wurde Wert auf praktische Details gelegt: Jede Wohnung erhielt einen mindestens 10,5 Quadratmeter grossen Balkon, die Erdgeschoss-wohnungen leicht erhöhte Sitzplätze. Der rollstuhlgängige Lift führt nicht nur zu den Wohnungen, sondern auch direkt zur Waschküche und in den Keller. Ein Einstellplatz für Kinderwagen fehlt genauso wenig wie ein Fahrradunterstand vor dem Haus. Die offenen Küchen sind mit Geräten der besten Energieklasse eingerichtet. In den Badezimmern wurden Lavabos und Toiletten behindertengerecht gebaut, die Duschen sind schwellenlos.

Bunte Mischung erwünscht
Die WBG Talgut erhielt derart viele Anfragen, dass die Vollvermietung ohne Inserierung möglich war. Bei der Vergabe achtete sie auf eine gute soziale Durchmischung; bei den grösseren Wohnungen hatten Familien Vorrang. Ob Katzenfreunde, ältere Alleinstehende, kinderreiche Familien oder berufstätige Paare, alle sollen sich an der Zwinglistrasse wohl fühlen, unabhängig von Herkunft und Lebensweise.
Ein kluger Umgang mit Ressourcen war mithin ein Grund, warum sich Meret Zach und ihre Familie für eine Talgut-Wohnung beworben hatten. «Mir gefällt das coole Konzept und eine möglichst natürliche Lebensweise. Ich finde das bunte Gemisch wunderbar, Jung und Alt, berufstätig oder zuhause arbeitend, Menschen unterschiedlicher Herkunft: Das tut allen gut.» Sie hätten sich bewusst für das Leben in einer Genossenschaft entschieden: «Am früheren Wohnort habe ich die zwischenmenschlichen Kontakte vermisst und freue mich nun drauf, mein Mann auch, er ist sich als Südamerikaner intensives Zusammenleben gewohnt.» Als Eltern von zwei Kleinkindern und ÖV-Nutzer schätzen sie es, dass die Zwingli­strasse verkehrsberuhigt und nur als Einbahn befahrbar ist. Maximal zehn Mieter dürfen ein Auto haben, die anderen erhalten einen Mobilitätsbonus in Form von Railchecks.

Gemeinschaft grossgeschrieben
Wer Kontakt sucht, der wird ihn auf dem grosszügigen Wohnpark mit Spielplatz, bei den Baumgruppen oder Gartenbeeten finden. Ebenfalls als Treffpunkt geeignet ist der mit Küche, WC, Tischen und Bänken ausgestattete Pavillon. Gemeinschaft braucht Pflege, sei es mit Eltern-Kind-Aktivitäten oder Jassturnieren. Das passt zur Grundhaltung der WBG Talgut. Natürlich gehe es beim Bauen oft um Technisches. «Doch letztlich wollten wir ein Haus für Menschen bauen», hält Talgut-Präsident Heinz Hunn fest.

Baudaten

Bauträgerin:
Wohnbaugenossenschaft Talgut, ­Winterthur
Architektur:
Architekturbüro Šik AG, Zürich
Landschaftsarchitektur:
w+s Landschaftsarchitekten AG, ­Solothurn
Kostenplanung und Bauleitung:
WT Partner AG, Zürich

Umfang:
27 Wohnungen (6 × 2 ½ Zimmer, 3 × 3 ½ Zimmer, 15 × 4 ½ Zimmer, 3 × 5 ½ Zimmer, Gemeinschaftsraum
Baukosten (BKP 1–5):
15,52 Mio. CHF
6130 CHF/m2 HNF
Mietzinsbeispiele:
3 ½-Zimmer-Wohnungen ab
1700 CHF plus 55 CHF NK akonto
4 ½-Zimmer-Wohnungen ab
1925 CHF plus 65 CHF NK akonto

Neubau Sportparkweg mit Gross-WG

Am Sportparkweg 2–6 hat die WBG Talgut fast zeitgleich (August 2018) einen zweiten Neubau fertiggestellt. Der aparte ­Ergänzungsbau ist auf einem eigenen, bisher leerstehenden Grundstück vor den Häusern an der Hörnlistrasse 28 bis 32 entstanden. Eingemietet hat sich im Haus 4–6 der VESO (Verein für Sozial­psychia­trie Winterthur) mit einer Grosswohnung für ältere Menschen mit psy­chischen Einschränkungen. Die hellen Gemeinschaftsräume vermitteln ein Gefühl von Offenheit, das Treppenhaus ist von beeindruckender Eleganz. Im Erdgeschoss dient den Bewohnern ein ­Werkraum als Tagesstätte. Ebenfalls ebenerdig sind im Hausteil Nr. 4 nun die Büros der Wohnbaugenossenschaft ­Talgut untergebracht. «Unsere wöchent­liche Sprechstunde am Montagabend bleibt wichtig, wir wollen potentielle Interessenten für unsere Wohnungen per­sönlich kennenlernen», bestätigt der Präsident Heinz Hunn. Darüber sind im ­Gebäudeteil 2 fünf 2 ½-Zimmer-Wohnungen und zwei 3 ½-Zimmer-Wohnungen vermietet worden. Das Projekt stammt ebenfalls vom Büro Šik. Die Baukosten ­lagen bei 8,3 Millionen Franken, eine 3 ½-Zimmer-Wohnung kostet ab 1575 Franken plus 65 Franken Nebenkosten akonto pro Monat.