ASIG Wohngenossenschaft erstellt Ersatzneubausiedlung «Oase am Glattbogen»

Gartenstadt in neuem Massstab

Die Erneuerung der Gartenstadt ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Mit der «Oase am Glattbogen» in Zürich Schwamendingen liegt nun eine weitere Lösung vor. Der jüngste Neubau der ASIG Wohngenossenschaft überzeugt durch Massstäblichkeit, sorgfältige Raumgestaltung und geschickte Verwebung mit der Natur.

Von Michael Staub | Bilder: Jörg Vieli, Ralph Feiner | Mai 2019

Wie kann die Gartenstadt verdichtet werden, ohne ihre Qualitäten zu verlieren? Diese Fragestellung beschäftigt viele Baugenossenschaften. Mit ihrem jüngsten Neubau, der «Oase am Glattbogen», liefert die ASIG Wohngenossenschaft eine differenzierte Antwort. Die privaten und halbprivaten Grünflächen, die noch die alten Reihenhäuschen auszeichneten, wurden zu Gunsten von grossen Gemeinschaftsflächen zusammengelegt. Trotzdem ermöglicht die überdachte Verandazone im Erdgeschoss einen sanften Übergang vom Privaten zum Allgemeinen. Einige Mieterinnen und Mieter nutzen diese Fläche nur minimal, andere haben hier ihre über viele Jahre akkumulierten Dekogegenstände platziert. Zwischen Fröschen, Kübelpflanzen, Grills und Wäscheständern entwickelt sich die neue Nachbarschaft.
Die neuen Wohnungen sind in drei grossen, U-förmigen Baukörpern untergebracht. Teilweise grenzen sie direkt an die Altbauten, erschlagen diese aber nicht. Ein Grund dafür ist die sorgfältige Fassadengestaltung. Das Erdgeschoss der Innenhöfe, einzelne Stirnseiten sowie das oberste Geschoss der hofabgewandten Seiten sind mit Klinker gestaltet. Diese Brechung sorgt für eine angenehme Massstäblichkeit. Und statt die Natur zu bändigen oder in kleinen Flächen zu kasernieren, wird sie bewusst einbezogen. In den Innenhöfen stehen junge Linden, Kastanien und Platanen. Das zarte Grün wird im Sommer eine optische Brücke zur nahen Glatt schlagen. Das Flüsschen ist von Eschen, Weiden und Erlen gesäumt. «Uns war wichtig, dass die Natur gleichsam in die Siedlung hineinfliesst», sagt Peter Hurter. Der langjährige Leiter Bau und Entwicklung bei der ASIG wird im Sommer pensioniert und hat das Projekt über 15 Jahre lang eng begleitet.

Die Innenhöfe bieten Begegnungsmöglichkeiten im Aussenraum. Das Bild unten zeigt, wie die Klinkerverkleidungen die Massstäblichkeit brechen. 

Sozialverträgliche Etappierung
Auf dem Gelände standen 12 Mehrfamilienhäuser und 43 Reiheneinfamilienhäuser mit insgesamt 115 Wohneinheiten der 1950/51 erbauten Siedlung «Am Glattbogen». Eine Analyse zeigte schon vor rund 15 Jahren verschiedene Schwachpunkte: Der bestehende Wohnungsmix war einseitig, der Energiestandard schlecht, und durch die oberirdische Parkierung wurden viele Freiflächen von Autos blockiert. Wie bei vielen vergleichbaren Siedlungen bestanden zudem grosse Ausnützungsreserven. Deshalb fiel im Rahmen der ASIG-Strategie «Fit in die Zukunft» der Entscheid für den Ersatzneubau. «Der Siedlungsersatz war zugleich Startschuss für eine grössere Gebietsentwicklung in diesem Perimeter», sagt Peter Hurter. In ganz Schwamendingen besitzt die Genossenschaft rund 1000 Wohnungen, nahe am Glattbogen befindet sich auch die ASIG-Siedlung Dreispitz.
Der frühe Einbezug der Genossenschafterinnen und Genossenschafter ist bei grossen Bauprojekten zentral. Deshalb ging die ASIG den Erneuerungsprozess mit viel Vorlauf an. Der strategische Entscheid für den Rückbau der alten Siedlung am Glattbogen wurde bereits 2004 gefällt und von der Generalversammlung bestätigt. «2012 wurde dann das konkrete Projekt mit überwältigendem Mehr gutgeheissen. Der Grundsatzentscheid zum Rückbau war ja bereits früher gefallen», erläutert Peter Hurter. Zentral für das Gelingen solcher Prozesse seien eine sorgfältige Planung, die transparente Information sowie ausreichend Zeit für Umsiedlungsmöglichkeiten. Deshalb wird die Erneuerung der zweiten Hälfte im Glattbogen, gewissermassen die «Oase 2», auch erst ab 2030 in Angriff genommen. So will die ASIG den Transformationsprozess des Quartiers sozialverträglich und mit genügend Zeit gestalten. Ein
Vorteil, der insbesondere für die Eltern schulpflichtiger Kinder zählt.

Kurze Bauzeit
Durch den langen Vorlauf konnte das Projekt in überschaubarer Zeit abgewickelt werden. 2011 erteilte die ASIG den Studienauftrag, 2014 beantragte sie, die bestehende Zone W2 auf W3 zu ändern. Die Stadt Zürich bewilligte die Aufzonung mit der Auflage, einen Teil der Wohnungen subventioniert anzubieten. Anfang 2016 folgte die Baubewilligung, im Sommer begann der Rückbau. Bereits Ende Februar 2019 konnten die letzten Wohnungen der Siedlung bezogen werden. «Unsere Strategie lautet: lieber gut planen und kurz bauen», sagt Peter Hurter.
Die lange Planungszeit wird in der Architektur spürbar. Denn die Auseinandersetzung mit dem Ort und die fortwährende Verfeinerung des Projekts zeigen sich in vielen Details. So gibt es in den Eingangsbereichen der Häuser zum Beispiel geflieste Bänke als Sitzmöglichkeiten, und die «Kinderwagengarage» ist als separater Raum ausgeführt. Das Grundkonzept der Fassadengestaltung passt sich der komplexen Situation vor Ort mit zahlreichen Varianten an. Ein Beispiel dafür sind die Bullaugen. Im Dachgeschoss tauchen sie als grosse, verglaste Fenster auf, in einigen Loggien hingegen als offene, runde Ausschnitte in den Aussenwänden, die für spannende Ausblicke in die Umgebung sorgen. Zur Wallisellenstrasse exponierte Wohnungen besitzen hingegen keine Balkone, sondern Lärmschutzloggien.

Energetisch top
Die neue «Oase» bietet nun 229 neue Wohnungen. Sie besitzen eine Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung und sind nach Minergie zertifiziert. Der Baustandard erreicht gemäss Peter Hurter sogar das Niveau von Minergie-P, ist allerdings nicht danach zertifiziert: «Wir wollen gute Werte, nicht nur Labels.» Auf den Dächern ist eine PV-Anlage mit einer Gesamtfläche von gut 1150 Quadratmetern montiert. Ihre Jahresproduktion von etwa 210 000 Kilowattstunden entspricht ungefähr dem Verbrauch von 82 Haushaltungen. So viel Strom wie möglich dient dem Eigenverbrauch, der Rest wird in das Netz eingespeist. Die gesamte Abrechnung wird vom Elektrizitätswerk Zürich (EWZ) übernommen.
Innerhalb des Grundstücks wurden sämtliche Werkleitungen (Wasser, Abwasser, Strom) erneuert, zudem besitzen alle Wohnungen einen Anschluss an das städtische Glasfasernetz. Die höhere Ausnützung bedingte auch eine eigene Trafostation für die Siedlung, die in einem speziellen Raum im Untergeschoss untergebracht ist. Bei der Heizwärmeversorgung fiel der Entscheid rasch: Bereits die alte Siedlung war an das städtische Fernwärmenetz angeschlossen. Für die «Oase» wurde ebenfalls ein langfristiger Vertrag mit Fernwärme Zürich abgeschlossen. Pro Gebäude gibt es je eine Unterstation mit grossem Plattentauscher. «So braucht es kein aufwendiges Wärmeverteilnetz für die Siedlung», sagt Peter Hurter.

70 Wohnungstypen stehen zur Wahl.

70 Wohnungstypen
Für eine gute Mobilität der Bewohnerinnen und Bewohner ist gesorgt. Die Bushaltestelle Dreispitz wird von drei Linien bedient und wurde direkt vor den Kopfbau der Siedlung verlegt. Die Tiefgarage bietet 0,6 Garagenplätze pro Wohnung, ebenso sind im Quartier verschiedene Mobility-Standorte vorhanden. Auch für das erwartete Wachstum der Elektromobilität ist die Siedlung vorbereitet. Sämtliche Garagenplätze sind mit Leerrohren erschlossen, damit bei Bedarf rasch Ladekabel eingezogen werden können. Auch das entsprechende Angebot für Bezug und Abrechnen der Ladeleistungen ist bereits evaluiert.
Vielfalt ist auch das Motto beim Wohnungsmix und bei der Bewohnerschaft. Siebzig verschiedene Wohnungstypen sollen möglichst vielen verschiedenen Lebensentwürfen Raum bieten. Für die 25 Prozent der Wohnungen, die subventioniert sind, gelten die üblichen Einkommenslimiten und Belegungsregeln. Die restlichen 75 Prozent werden möglichst breit vergeben. «Gemäss unserem internen Reglement berücksichtigen wir Familien ebenso wie Singles, Alleinerziehende und verschiedene Altersgruppen. Wir wollen niemanden ausschliessen, aber auch nicht speziell bevorzugen», sagt Peter Hurter. Beim Ausländeranteil sowie bei den prozentualen Anteilen der Nationalitäten orientiert sich die ASIG an der Quartierstatistik der Stadt Zürich. So wird in der Siedlung gleichsam die Stadt 1:1 abgebildet.

Grosse Nachfrage
Ein Drittel der Wohnungen wurde auf dem Markt vergeben, zwei Drittel hingegen an bestehende Genossenschafterinnen und Genossenschafter. Der grösste Teil von ihnen wohnte vorher in der Siedlung Dreispitz und nutzte nun die Chance, um in die «Oase» umzuziehen. Die Dreispitz-Siedlung soll gemäss Planung der ASIG in den nächsten 15 bis 20 Jahren etappiert einem Ersatzneubau weichen. Trotzdem steht ihre Bewohnerschaft unter Druck: Seit kurzem wird am Rand der Siedlung die Autobahneinhausung Schwamendingen gebaut, ein ausgesprochen emissionsreiches Bauprojekt. «Wir haben den Leuten offen gesagt, dass sie nicht neben der Baustelle ausharren müssen. Viele wollten deshalb umziehen, wäre es anders gewesen, hätten wir sicher mehr Wohnungen frei vergeben», resümiert Peter Hurter.

Baudaten

Bauträgerin:
ASIG Wohngenossenschaft, Zürich
Architektur:
pool Architekten, Zürich
Aussenräume/Landschaftsarchitektur:
Kuhn Landschaftsarchitekten GmbH, Zürich
Totalunternehmung:
Implenia Schweiz AG, Zürich
Umfang:
229 Wohnungen, 1 Doppelkindergarten,
6 Zusatzzimmer, 1 Gemeinschaftsraum,
Gewerbe, Tiefgarage mit 145 Plätzen

Baukosten (BKP 1–5):
93 Mio. CHF (gemäss prov.
Bau­abrechnung, inkl. Tiefgarage)
ca. 3950 CHF/m2 HNF (gemäss prov. Bauabrechnung, ohne Tiefgarage, aber inklusive Finanzierung und Rückbau)
Mietzinsbeispiele:
1 ½-Zimmer-Wohnung (45 m2, EG):
937 CHF plus 114 CHF NK
4 ½-Zimmer-Wohnung (99 m2, 3. OG):
1565 CHF plus 154 CHF NK (subventioniert)
4 ½-Zimmer-Wohnung (123 m2, EG):
1999 CHF plus 154 CHF NK
5 ½-Zimmer-Wohnung (130 m2, 2. OG):
2023 CHF plus 174 CHF NK

TU: Qualität als primäre Messgrösse

Viele Baugenossenschaften machen mit Totalunternehmen durchzogene Erfahrungen. Nicht so die ASIG. «Unsere Zufriedenheit ist hoch», sagt Peter Hurter. Der erste Grund dafür sei das gewählte Modell. Die Siedlung Glattbogen wurde mit einem Kostendach und offener Abrechnung gebaut, basierend auf einer detaillierten TU-Submission. Bei Unterschreitung des Kostendachs erhält der Unternehmer ein Erfolgshonorar, das allerdings keine falschen Anreize setzt. «Die primäre Messgrösse ist die Qualität», erläutert Peter Hurter.
Als zweiten Grund für die Zufriedenheit nennt der frühere Leiter Bau und Entwicklung die Zusammensetzung des Teams. Nach einer Präqualifikation wurden vier Totalunternehmer zu einer Teampräsentation eingeladen. «Wir haben das schon mehrfach gemacht und wählen jeweils das Team, das uns am meisten überzeugt und bei dem das Bauchgefühl am besten ist. Das bewährt sich», sagt Peter Hurter. Neben einer hohen Bauqualität und termingerechten Übergabe habe man im Glattbogen auch die finanziellen Vorgaben gut eingehalten: Das Kostendach wurde um rund 1,5 Prozent unterschritten, die Nachträge halten sich laut Peter Hurter «absolut im erwarteten Rahmen – aber durch die hohe Transparenz wussten wir auch jederzeit, was passiert.»