Die Siedlungsgenossenschaft Sunnige Hof in Zürich hat ihre Siedlung Mattenhof neu gebaut

Die Gartenstadt wird dichter

Wohnraum, Gewerbe und zahlreiche Zusatzangebote: Mit dem Neubau ihrer Siedlung Mattenhof hat die Siedlungsgenossenschaft Sunnige Hof auch gleich einen Beitrag zur Quartierentwicklung geleistet. Anstelle eines alten Reihenhausquartiers sind 322 Wohnungen in Geschossbauten und 60 Reiheneinfamilienhäuser entstanden – eines der grössten Ersatzprojekte der Schweiz.

Von Michael Staub | Bilder: Johannes Marburg | November 2017

Bereits herrscht reges Leben in der grossen Neubausiedlung. Im Sommer 2017 hat die Siedlungsgenossenschaft Sunnige Hof hier, im Mattenhof in Zürich Schwamendingen, die zweite Bauetappe fertiggestellt. Die zusätzlichen 182 Wohnungen werden nun bezogen. Jogger ziehen ihre Runden, drei Mädchen treten mit ihren Eltern aus der Quartierbäckerei. Einige Meter weiter holt ein junger Mann seine Hemden aus der Wäscherei, während eine Mieterin den Fitnessraum betritt. Das Besondere an diesen Szenen: Die Bäckerei wird von der befreundeten Baugenossenschaft Gewobag betrieben. Die Wäscherei, die Reinigung wie auch der siedlungseigene Fitnessraum gehören dagegen der Siedlungsgenossenschaft Sunnige Hof.

Beitrag zur Quartierentwicklung
Wird die Baugenossenschaft durch diese Angebote also auch noch gleich als Quartierentwicklerin tätig? Man könne bei Projekten dieser Grössenordnung nicht «nur» Wohnungen bauen, sagt Geschäftsführer Markus Hany: «In diesem Gebiet gehören uns rund 800 Wohnungen. Es entspricht einfach unserem Verständnis, dass wir einen Beitrag zum Quartier und seiner Entwicklung leisten.» Ein Teil dieses Beitrags ist nun gebaut, der andere wird in Form umfangreicher Dienstleistungen erbracht (siehe Box).
Die ursprüngliche Siedlung Mattenhof wurde 1946 von der Siedlungsgenossenschaft Sunnige Hof zwischen Schwamendingen und Dübendorf erbaut. Das Ensemble umfasste 134 Reiheneinfamilienhäuser im für das Quartier typischen Gartenstadt-Stil. Die Bausubstanz der Gebäude aus den Kriegsjahren und vor allem der Baugrund zwangen die Genossenschaft zum Handeln, wie Markus Hany erläutert: «Durch den Bau des Bahnhofs Stettbach wurde das ganze Ried entwässert. Als Folge hat sich der Boden abgesenkt, und auf einmal ragten unsere Häuser einen halben Meter aus dem Boden.» 2009 entschied die Siedlungsgenossenschaft deshalb, die Siedlung Mattenhof mit einem umfassenden Neubau in zwei Etappen zu ersetzen.

Ein breites Dienstleistungsangebot erleichtert den Alltag und fördert das Gemeinschaftsleben. Dazu zählen Wäscherei oder Bäckerei ebenso wie Kita oder Ärztezentrum.

Behutsam nachverdichtet
Bei der Nachverdichtung war deshalb Behutsamkeit gefragt. Das siegreiche Projekt von Bachelard Wagner Architekten aus Basel reizt die theoretisch erlaubten Kubaturen nicht maximal aus. Der Neubau nimmt die lineare Ausrichtung der früheren Siedlung auf und kombiniert vier- bis sechsgeschossige Bauten mit Reihenhäusern. Das Tageslicht erhält einen grossen Stellenwert: Alle Wohnungen sind mindestens zweiseitig ausgerichtet, die Bäder werden natürlich belichtet, und die Loggien erweitern die Wohnzimmer gegen aussen. Die Klinkerfassaden werden ihr Erscheinungsbild trotz Bewitterung und Alterung weitgehend beibehalten. Die Grundrisse der ersten Bau­etappe wurden fast unverändert für die zweite Etappe übernommen, wie Markus Hany sagt: «Es gab lediglich zwei Anpassungen. Zwei Einheiten haben wir zu einer 6 ½-Zimmer-Maisonettewohnung zusammengelegt, um auch Raum für Familien mit vielen Kindern zu schaffen. Zudem gibt es neu einige 2-Zimmer-Apartments für Studierende.
Die gesamte Siedlung ist nach Minergie-standard zertifiziert und an das Fernwärmenetz von Energie 360° (früher Fernwärme Zürich) angeschlossen. Beim Bau der ersten Etappe hätte sich eine eigene Photovoltaikanlage noch nicht gerechnet. Seit der KEV-Revision vom Frühling 2017, die den Eigenverbrauch fördert, ist dies der Fall. Auf dem Haus A der ersten Bauetappe sowie auf allen Dachflächen der zweiten Bauetappe wurden deshalb PV-Panels montiert. Die Leistung der Anlage beträgt ungefähr 918 kW(p), der jährliche Stromertrag knapp 117 000 Kilowattstunden. Dies entspricht etwa dem jährlichen Haushaltsstrombezug von 116 Personen. Den grössten Teil der Stromproduktion verbraucht man direkt vor Ort, Überschüsse werden ins Netz eingespeist. Ein Batteriespeicher ist nicht vorgesehen.

Grundriss einer 3 ½- und einer 4 ½-Zimmer-Wohnung.

Umsetzung mit Totalunternehmerin
Das gesamte Bauvolumen der beiden Etappen beträgt 165 Millionen Franken, die mit einem Konsortialkredit finanziert wurden. Für die Umsetzung des Bauprojektes wählte die Genossenschaft nach Durchführung einer Ausschreibung einen Totalunternehmer und legte das Kostendach fest. Durch regelmässige Bauherrensitzungen und Rundgänge auf der Baustelle blieben die Kosten im Rahmen. Die maximale Überschreitung beträgt laut Markus Hany ein bis zwei Prozent der Bausumme. Ein unerwartetes Hindernis bei der Umsetzung des Projektes war die Mattenhofstrasse, die mitten durch das Areal der heutigen Überbauung verlief. Zu dieser Strasse hätte man auch unterirdische Wegabstände einhalten müssen, um beispielsweise eine spätere Erneuerung der Werkleitungen zu ermöglichen. Daran drohte der Bau der Tiefgarage zu scheitern. Dann kam die rettende Idee: Durch einen Landabtausch mit der Stadt Zürich konnte man die Strasse an die Nordkante des Grundstückes verlegen.
Im Frühling 2015, noch während des Baus der ersten Etappe, stellte die Gewerkschaft Unia ein Problem fest. Mehrere Eisenleger, die von einem Subunternehmer beschäftigt wurden, hatten nur einen Teil ihrer Löhne erhalten. Zudem waren die Sozialleistungen nicht eingezahlt worden. «Wir wollen, dass auf unseren Baustellen die Spielregeln eingehalten werden, und haben darum sofort reagiert», berichtet Markus Hany. Die Siedlungsgenossenschaft bezahlte die betroffenen Arbeiter einige Wochen lang direkt, bis das fehlbare Unternehmen seine Pflichten erfüllt hatte. Es wurde durch eine andere Eisenlegerfirma ersetzt. Zudem beauftragte die Genossenschaft die Unia mit der Einführung eines Kontrollsystems. Nach dem Ampelprinzip werden seither alle beschäftigten Unternehmen und Subunternehmen bewertet. «Seither gab es keine grösseren Probleme mehr», erklärt Markus Hany.

Die Wohnungen bestechen nicht zuletzt durch die vielfältigen Ausblicke.

In Stettbach treffen Stadt und Land aufeinander.

Abbild der Gesellschaft
Für den Mattenhof gilt die übliche Belegungsvorschrift (Anzahl Zimmer minus eins = minimale Personenzahl). Eine explizite Einkommensobergrenze gibt es aber wie im Rest der Genossenschaft nicht. «Wir möchten gemäss unserem Leitbild einen guten Mietermix erreichen, ein Abbild der Gesellschaft ohne Extreme», sagt Markus Hany. Seit einem GV-Entscheid im Jahr 1993 bietet die Genossenschaft keine subventionierten Wohnungen mehr an. Für Mieterinnen und Mieter, die etwa durch einen Stellenverlust, einen Todesfall oder eine Scheidung in Not geraten, gibt es einen Solidaritätsfonds. Die Subventionsfrage komme immer wieder auf: «Mit dem Fonds können wir den Leuten selber helfen. Auf Wunsch der Generalversammlung haben wir kürzlich aber nochmals alle laufenden Bauprojekte geprüft. Im Moment erfüllt keines sämtliche der zahlreichen gesetzlichen Vorgaben bezüglich Quadratmeterzahlen, Kosten oder Ausbaustandard.» Eine indirekte Wohnbau­förderung betreibt die Genossenschaft, indem sie 14 Wohnungen an die Stiftung Domicil und drei Wohnungen an das Jugendwohnnetz Zürich vermietet.

Baudaten

Bauträgerin:
Siedlungsgenossenschaft Sunnige Hof, Zürich
Bauherrenvertretung:
Dany Waldner AG, Zürich
Architektur:
Bachelard Wagner Architekten, Basel
Landschaftsarchitektur:
Berchtold Lenzin Landschafts­architekten BSLA, Liestal
Totalunternehmung:
HRS Real Estate AG, Frauenfeld
Unternehmen (Auswahl):
Feldmann AG (E1)/Baltensperger AG (E2) (Baumeister)
Schumacher Ziegelei (Fassaden­bausteine)
Windgate AG (PV-Anlagenbau)
Swisswindows AG (Fenster Holz-Metall)
Alno (Schweiz) AG (Küchen)
Schindler Aufzüge AG (Aufzüge)
GGZ Gartenbau (Gartenarbeiten)

Umfang (Bauetappen 1 + 2):
382 Wohnungen, davon 322 Wohnungen in Geschossbauten, und 60 Reiheneinfamilienhäuser. Städtischer Kindergarten mit Hort, private Kindertagesstätte, Geschäftsstelle der Siedlungsgenossenschaft, Gemeinschaftsraum, Fitnessraum. Zahlreiche Gewerberäume, darunter Wäscherei, Reinigung, Bäckerei, Lebensmittelgeschäft, Ärztezentrum, Gemeinschaftsraum
Baukosten (BKP 1–5):
Total 165 Mio. CHF (inkl. Bauherren­leistungen und Finanzierung)
4020 CHF/m2 HNF (ohne Parkierung)
Mietzinsbeispiele:
2 ½-Zimmer-Wohnung (65,5 m2):
1220 CHF plus 180 CHF NK
3 ½-Zimmer-Wohnung (88,5 m2):
1600 CHF plus 210 CHF NK
4-Zimmer-Wohnung (107 m2):
1820 CHF plus 240 CHF NK
4 ½-Zimmer-Reihenhaus (114,5 m2):
2120 CHF plus 270 CHF NK

Mitreden und mitwirken

Im Lauf der Jahre sind viele Baugenossenschaften vom überschaubaren, «heimeligen» Gebilde zu grossen Playern auf dem Immobilienmarkt herangewachsen. So auch die Siedlungsgenossenschaft Sunnige Hof. Sie besitzt auf dem Platz Zürich knapp 1600 Wohnungen im Gesamtwert von ungefähr 750 Millionen Franken. Die starke Expansion und der damit verbundene Wandel führten zeitweise zu Misstönen. Im Nachgang zur Generalversammlung 2009 äusserten einzelne Genossenschafterinnen und Genossenschafter Kritik: Man habe nur noch Ja oder Nein zum Baukredit für die Siedlung Mattenhof sagen können. «Ein fertiges Projekt vorzustellen, war damals in unserer wie auch anderen Genossenschaften völlig branchenüblich», sagt Geschäftsführer Markus Hany. Man habe jedoch aus den Diskussionen gelernt: «Heute würden wir die GV sicher zweimal über ein Projekt dieser Grösse abstimmen lassen.»
Mit intensiver Kommunikation und Transparenz sollen die Mitglieder nun über pendente Geschäfte informiert bleiben. «Man kann sehr viel machen, aber man muss darüber reden», meint Hany. Seit wenigen Monaten gibt es deshalb einen neuen Mitwirkungsprozess für Neubauprojekte. Die Resonanz ist noch bescheiden: Ein aktuelles Projekt wurde 1400 Genossenschafterinnen und Genossenschaftern brieflich vorgestellt. Nur etwa 35 Personen nahmen jedoch die Gelegenheit wahr, das Vorhaben auf der Geschäftsstelle kennenzulernen und zu diskutieren.

Umfangreiche Dienstleistungen

Die Siedlungsgenossenschaft Sunnige Hof befragte vor einigen Jahren ihre Mieterschaft. Fazit: Viele Genossenschafterinnen und Genossenschafter wünschten sich lebenslanges Wohnen in den Siedlungen. Diesen Wunsch wolle man mit geeigneten Angeboten abdecken, sagt Markus Hany, und zwar für möglichst alle: «Es gibt Angebote, die bei allen Altersgruppen gut ankommen. Die Reinigung schätzen sowohl Singles und Doppelverdienerpaare als auch Familien. Auch die Bäckerei begeistert viele.» Andere Dienstleistungen wie der Coiffeur, der Fitnessraum oder das regelmässige, kostenlose Kaffee-und-Kuchen-Angebot im «Seniorencafé» sprechen spezifische Segmente der Bewohnerschaft an. Während das Ärztezentrum oder die Kita privat geführt werden, sind Wäscherei und Wohnungsreinigung Teil der Geschäftsstelle. «Gewinn machen wir damit nicht», sagt Markus Hany. Einen gewissen Deckungsbeitrag erreicht man durch die monatlichen Beiträge von 45 Franken pro Mietpartei. Die Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Angebote wird von der Siedlungsgenossenschaft evaluiert. Beim Bio-Lebensmittelladen etwa wird man nach drei Jahren Bilanz ziehen.