Legeno baut Mehrgenerationensiedlung auf Wagenareal in Schaffhausen

Gewagtes «Wagi»

Die neu gegründete Genossenschaft Legeno Schaffhausen hat mit «S’Wagi» eine Überbauung erstellt, die für die Region neue Wege geht bezüglich Mobilität, lokaler Wertschöpfung und Effizienzanforderungen. Dass noch nicht alle 25 Wohnungen vermietet sind, beunruhigt das Planungsteam hinter der Genossenschaft nicht.

Von Thomas Bürgisser | Bilder: Argewa, Martin Wicki | 2023/09

Das Wagenareal in Schaffhausen – «s’Wagi» – ist aus mehreren Gründen ein besonderes Genossenschaftsprojekt. Zum einen bieten die beiden Neubauten der Lebensgenossenschaft Schaffhausen (Legeno) 25 Wohnungen für die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Lebensweisen: von der Cluster-Wohnung mit siebeneinhalb Zimmern über Maisonetten und Reihenhäuser bis hin zu Kleinwohnungen. Daneben finden sich ein Gemeinschaftsraum, eine Werkstatt, Gästezimmer und Waschsalons zum Teilen, aber auch Gewerberäume und ein Quartiertreff. Ein Mehr­generationenareal, wie man es in Schaffhausen noch selten antrifft. Zum anderen initiierten weder eine bestehende Baugenossenschaft noch engagierte zukünftige Bewohnende das Projekt, sondern ein Fachplanungsteam, zu dem auch die drei Architekten Roger Eifler, Lukas Somm und Roland Hofer gehören. «Wann hat man schon einmal die Chance, eine solche Arealumnutzung inmitten von Schaffhausen zu realisieren?», erklärt Roland Hofer ihre Motivation.
Das gut erschlossene Wagenareal ist nur wenige Gehminuten von der Schaffhauser Altstadt entfernt. Ab 1898 war hier eine Wagenfabrik beheimatet. Seit 1945 besitzt die Stadt das rund 5000 Quadratmeter grosse Grundstück. Lange wurde eine Umnutzung diskutiert, die Erarbeitung eines Rahmenplans aber erforderte Zeit. 2017 schliesslich schrieb Schaffhausen einen öffentlichen Studienauftrag aus. Der städtischen Wohnraumstrategie folgend sollte das Areal im Baurecht abgegeben werden, ohne Schutzauflagen am bestehenden Gebäude. Gefragt war ein innovatives Konzept für das Mehrgenerationenwohnen, teilnehmen durften gemeinnützige Wohnbauträger in Kooperation mit Architektinnen und Planern. Somm erzählt, das Architektentrio, das sich seit Längerem kannte, sei auf Schaffhauser und auswärtige Genossenschaften zugegangen. «Teilweise hatte man unterschiedliche Vorstellungen, andere wollten zumindest damals noch nicht nach Schaffhausen.» Also gründeten die drei zusammen mit vier weiteren Personen selbst die Legeno.

Es gibt eine grosse Vielfalt an Wohnungen, darunter auch Maisonetten. Allen gemein sind die zurückhaltende Materialisierung mit Anhydrit- oder Kautschukböden sowie Decken aus Holz und Wände mit mineralischer Schlämme.

Näher zur Strasse, grösserer Innenhof
Neben der Legeno bewarben sich eine weitere neugegründete sowie zwei bestehende Genossenschaften aus Schaffhausen für das Wagen­areal. Dass die Legeno den Zuschlag erhielt, führt Hofer unter anderem darauf zurück, dass die Genossenschaft von Beginn an auch ein Soziokulturkonzept hatte, das von einem Gründungsmitglied erarbeitet wurde und das der gesamten Architektur zugrunde liegt. «So gingen wir zum Beispiel ein Wagnis ein, indem wir mit fünf Meter Abstand näher an die stark befahrene Strasse planten, als im Rahmenplan vorgesehen war. Dadurch erhielten wir mehr Platz für den Innenhof als Begegnungszone.» Die Lärmschutzvorschriften erfüllte man stattdessen mit einer Lärmschutzwand. Der unterschrittene Abstand konnte zudem im Quartierplan neu geregelt werden, der nach dem Stu­dien­auftrag sowieso noch erarbeitet werden muss­te. Dieser Quartierplan nahm erneut ein Jahr in Anspruch, gleichzeitig tauschte sich die Legeno bereits so eng mit Verbänden und der Nachbarschaft aus, dass es bei der Baueingabe keine Einsprachen mehr gab.
Im November 2021 begann der Rückbau der alten Fabrik, ab März 2022 startete nach der Altlastensanierung der Neubau. Stehen blieb einzig das Wagi-Haus, das ehemalige Wohnhaus, in dem sich das Architektenteam für zwei Tage pro Woche gleich selbst einrichtete. Wenige Meter dahinter beginnt heute das erste der beiden neuen Gebäude, das in der Länge exakt auf dem Grundriss der ehemaligen Wagenfabrik steht. «Dadurch konnten wir das Fundament weiter nutzen und Kosten sparen», erklärt Architekt Eifler. Auf eine weitere Unterkellerung verzichtete man, ebenso auf eine Tiefgarage. Der Bezug der Wohnungen erfolgte ab August.

Laubengänge verbinden die Wohnungen. Sie sind auf den Innenhof ausgerichtet.

Autofrei und begegnungsfreundlich
Bereits im Studienauftrag wurden «Vorschläge für autoarmes Wohnen» ausdrücklich begrüsst. Die Legeno erarbeitete dazu ein Pilotprojekt für Schaffhausen, in dem sich Mietende verpflichten, auf ein Privatauto zu verzichten. Einzig fünf Besucherparkplätze gibt es, dazu zwei Elektroautos zum öffentlichen Teilen sowie dreissig Veloabstellplätze im Aussen- und neunzig im Innenbereich. Letztere finden sich überdacht hinter der Lärmschutzwand, die sich beim zweiten Neubau bis über die Erdgeschosswohnungen hochzieht. Dadurch erhalten die Wohnungen hier als einzige einen abgeschirmten Aussenbereich. Alle anderen Terrassen orientieren sich gegen den Innenhof und sind gleichzeitig Wohnungseingang. Direkt davor finden sich offene Laubengänge, wodurch halbprivate Begegnungszonen entstehen.
Selbst das Erdgeschoss ist ähnlich aufgebaut mit Terrassen und davorliegenden Durchgängen, die einzig durch Höhenabstufung vom Wagi-Hof getrennt sind. Dieser wiederum ist als öffentlich zugängliche Spiel- und Begegnungszone konzipiert. Auf der einen Hofseite findet sich zudem das Wagi-Haus, in dem unterstützt durch die Stadt ein Quartiertreff betrieben wird. Gewerbeflächen im Wagi-Haus sowie im Neubau ergänzen die Wohnnutzung. Eingemietet sind hier etwa der WWF, die Vogelwarte Sempach und Pro Natura.

Bauen nach SIA Norm 2040
Der Innenhof soll eines Tages ähnlich begrünt sein wie die restliche Umgebung. Dies dient auch der sommerlichen Kühlung und entspricht damit den Vorgaben des SIA-Effizienzpfades Energie. Die entsprechende SIA-Norm 2040 gibt strenge Zielwerte in verschiedenen Bereichen und über den gesamten Gebäudelebenszyklus vor, um Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen zu minimieren. S’Wagi ist die erste Überbauung in Schaffhausen, die nach dem SIA-Effizienzpfad geplant wurde. Sie ist ausgestattet mit 218 Photovoltaikmodulen, einer Pelletheizung für den Winter und einer Luft-Wasser-Wärmepumpe für die Erzeugung des Warmwassers im Sommer.
Zudem erhielt «s’Wagi» auch als erstes Projekt das Label «Schaffhauser Haus». Dieses zeichnet Bauprojekte aus, bei denen mindestens zu achtzig Prozent auf regionale Wertschöpfung gesetzt wird. So wurde für die Neubauten beispielsweise Schaffhauser Holz verwendet. Ursprünglich war sogar geplant, alles mit Holz zu bauen ausser den Treppenhäusern und den Geschossen im Erdreich, für die man von Anfang an auf Recycling-Beton setzte. Als die Holzpreise während der Planungsphase jedoch anstiegen, beschloss man mit Blick auf das Budget, die Geschossdecken als Holz-Beton-Verbundkonstruktion auszuführen, ebenfalls mit Recycling-Beton.

Auch ohne Schutzauflagen hat die Legeno am Wagi-Haus nur das Nötigste saniert – einige der Fachwerkbalken mussten ersetzt werden, da und dort brauchte es einen neuen Anstrich. Im Obergeschoss finden sich neu Büroflächen, im Erdgeschoss der Quartiertreff mit Küche.

Fordernde Finanzierung
Allgemein war die Finanzierung eine Herausforderung. Auch dank des Beziehungsnetzes des Planungsteams kam die Legeno an private, teils unverzinste Darlehen in der Gesamthöhe von 840 000 Franken. Zusätzlich erhielt die Genossenschaft 1,25 Millionen Franken Darlehen aus dem Fonds de Roulement sowie Unterstützung von Stiftungen wie der Age-Stiftung. Nicht zuletzt tragen auch die Bewohnenden zum Eigenkapital bei. Neben den 500 Franken Genossenschaftsanteil müssen sie rund 500 Franken unverzinstes Pflichtkapital pro Quadratmeter Mietfläche einbringen. Dies habe die Vermietung durchaus erschwert, sagt Hofer. So standen im Oktober neben einer Gewerbefläche noch fünf unterschiedlich grosse Wohnungen leer. «Der Wohnungsmarkt in der Region Schaffhausen ist aber auch nicht mit Zürich vergleichbar», relativiert der Legeno-Präsident. Allerdings seien die Kostenmieten sogar rund zehn Prozent über dem Schaffhauser Mietendurchschnitt. Dies, weil man hochwertig gebaut habe und Schaffhausen gleichzeitig über einen hohen Bestand an günstigen, alten Wohnungen verfüge.
Die anfänglichen Leerstände hat die Legeno denn auch einkalkuliert, das Anpassen der Vermietungskriterien ist deshalb kein Thema. Denn diese sind streng, bezüglich Belegungsvorschriften (Anzahl Personen = Anzahl Zimmer minus eins) sowie Engagement und Durchmischung der Mieterschaft. Hier habe die Vermietungskommission sehr gute Arbeit ge­leistet, betont Hofer. So sind per Bezugstermin Anfang August ältere Leute, alleinstehende Jüngere, Alleinerziehende, aber auch viele Familien mit Kleinkindern eingezogen. Vom Planungsteam selbst wohnt niemand auf dem Areal, stattdessen übernehmen nun Schritt für Schritt die neuen Bewohnenden die Selbstverwaltung der Überbauung. Dazu sind verschiedene Arbeitsgruppen vorgesehen: für die Hauswartung, die Werkstatt, den Gemeinschaftsraum sowie die Gärten und die zwei gross­­z­ügigen Dachterrassen. Schon vor dem Einzug und nun auch in den letzten Monaten habe sich diesbezüglich viel getan und die Bewohnenden-App werde rege genutzt. «Alles weitere wird sich in Zukunft zeigen», so Hofer.
Und wie geht es für die Legeno weiter? «Wir haben die Genossenschaft nicht nur für ein Projekt gegründet», betont der Präsident. Aber auch als Arbeitsgemeinschaft sei man nicht abgeneigt, nun andere bei der Planung und Umsetzung von genossenschaftlichen Projekten zu unterstützen.

Baudaten

Bauträgerin
Legeno – Lebensgenossenschaft ­Schaff­hausen
Architektur
Argewa Arbeitsgemeinschaft ­Wagenareal Schaffhausen
Architektur, Psychologie, Soziales
Mirjam Candan, Thayngen
Landschaftsarchitektur
Blum Freiraum Planung, Schaffhausen
Bauleitung
Schumacher Somm Architekten AG, ­Winterthur
Unternehmen (Auswahl)
G. Baumgartner AG (Holz-Metall-Fenster)
Griesser AG (Sonnenschutz aussen)
Herzog Küchen (Küchen)

Kone (Schweiz) AG (Aufzüge)

PMB Bau AG (Baumeisterarbeiten)
Tanner Holzbau & Sägerei AG (Holzbau)
Umfang
2 MFH, 25 Wohnungen mit 1 ½ bis
7 ½ Zimmern, Gemeinschaftsraum, ­Werkstatt, 2 Gästezimmer, Gewerbe­flächen, öffentliches E-Carsharing;
1 Bestandesbau, minimal saniert, mit Quartiertreff, Gewerbefläche
Baukosten (BKP 1-5)
14,3 Mio. CHF total
5692 CHF/m² HNF
Mietzinsbeispiele
2-Zimmer-Wohnung, 44 m²:
930 CHF plus 135 CHF NK
4 ½-Zimmer-Wohnung, 112 m²:
2275 CHF plus 340 CHF NK