Zweite Etappe mit über 200 gemeinnützigen Wohnungen im Holliger ist bezogen

Ein Leuchtturm für Bern

Ein zum Wohnhaus umgebautes Lagergebäude machte 2021 den Anfang. Nun ist auf dem Areal der ehemaligen Kehrichtverbrennungsanlage Warmbächli in Bern ein weiterer Meilenstein erreicht: Vier gemeinnützige Bauträgerinnen haben 2023 ihre Neubauten fertiggestellt. Enstanden ist ein vielfältiges, urbanes und nachhaltiges Quartier, das in der Bundesstadt neue Massstäbe setzt.

Von Liza Papazoglou | Bilder: Wohnen, Daniel Kaufmann, zVg | 2023/09

Das rund 22 000 Quadratmeter grosse ehemalige Industrieareal im Westen Berns ist kaum wiederzuerkennen: Wo auf einem Hang zwischen Wohnquartier, Bahngeleisen und Sportplatz bis 2015 noch eine Kehrichtverbrennungs­anlage ihren Dienst tat, bilden heute fünf Mehrfami­lienhäuser mit je ganz eigenem Charakter ein neues Wohn- und Lebensquartier für eine bunt durchmischte Bewohnerschaft. Verbunden werden sie durch einen langen begrünten Hof; ihn durchfliesst ein als Fliessbiotop gestalteter kleiner Bach. Grosse Volumen prägen das Bild auf dem Holliger, vom eleganten Backsteinbau am Eingang des Geländes bis zum silberglänzenden Gebäude im hinteren Teil, das an die industrielle Vergangenheit des Ortes erinnert.
In die vier 2023 fertiggestellten Neubauten sind etwa 380 Erwachsene und 180 Kinder eingezogen. Ihnen stehen neben zwei Restaurants und einem Laden zahlreiche gemeinschaftlich nutzbare Flächen zur Verfügung. Gemeinschaftsräume, eine Werkstatt und ein Bewegungsraum etwa sind allen Bewohner:innen des Holligers zugänglich. Dachterrassen, Laubengänge, ein Gemeinschaftsgarten und wei­tere Angebote fördern zudem Begegnung und Austausch in den einzelnen Siedlungsteilen. Schul­zimmer, ein Kindergarten, Gewerbe- und Büroräume vervollständigen die Infrastruktur und schaf­fen eine gute Vernetzung ins umliegende Quartier.

Blick vom Turmhaus der NPG zu den Gebäuden von Warmbächli, Fambau und Brünnen-Eichholz (v.l.).


Ganz in gemeinnütziger Hand
Der Holliger ist zu hundert Prozent in gemeinnütziger Hand. Das war nicht von Anfang an so geplant. Die Stadt Bern konnte das Areal 2012 von Energie Wasser Bern (EWB) kaufen, weil diese die Kehrichtverwertungsanlage an einen anderen Standort verlegte. Sie nutzte die Chance, an zentrumsnaher Lage in direkter Nachbarschaft zu Grün- und Erholungsräumen neuen Wohnraum schaffen zu können, und lancierte einen städtebaulichen Ideenwettbewerb. Ein einstufiges Bieterverfahren sollte danach die Übernahme der sechs Baufelder im Baurecht regeln. Die Stadt sah damals noch vor, mindestens die Hälfte der Parzellen an gemeinnützige Bauträger abzugeben.
Der Regionalverband Bern Solothurn von Wohnbaugenossenschaften Schweiz bot 2013 an, das Bewerbungsverfahren unter diesen zu koordinieren, und setzte sich für eine vollständig gemeinnützige Lösung ein. Fünf Genossenschaften und eine gemeinnützige AG bewarben sich gemeinsam um die Baufelder, 2016 erhielten sie von der Stadt schliesslich den Zuschlag für das gesamte Areal. Ein Jahr später schlossen sich die Beteiligten zur Infrastrukturgenossenschaft Holliger (ISGH) zusammen. Diese koordiniert seitdem übergreifende Themen wie den Aussenraum, Allgemeinräume und das Zusammenleben der Siedlungsbewohner:innen. Die Bauträger:innen planten und bebauten ihre Baufelder aber autonom und führten separate Projektwettbewerbe durch.

Kooperation zum Guten
Dank diesem Vorgehen, aber auch bedingt durch die ganz unterschiedlich aufgestellten Bauträgerinnen, ist auf dem Holliger ein vielfältiges Angebot für verschiedene Menschen und Wohnbedürfnisse entstanden. Von der eigens gegründeten selbstverwalteten Genos­sen­schaft Warmbächli, die als einzige ein bestehen­des Gebäude umgenutzt hat, über die gemeinnützige NPG AG für nachhaltiges Bauen bis zur Traditionsgenossenschaft Fambau zogen alle am gleichen Strick. Jürg Sollberger von der ISGH, bis vor Kurzem Präsident des Regionalverbands Bern-Solothurn und treibende Kraft der Entwicklung, freut sich über die Kooperation: «Damit hat man in Bern Neuland betreten. Und es ist eine spannende, gelungene Mischung ent­standen.» Natürlich seien die verschiedenen Kulturen bisweilen auch herausfordernd. Er ist aber überzeugt, dass man gegenseitig viel voneinander gelernt hat und sich die Angebote in sinnvoller Weise ergänzen und ins bestehende Quartier integrieren.

Die Genossenschaft Warmbächli hat 2021 ein Lager- zu einem Wohnhaus umgebaut, ­dieses Jahr wurden vier Neubauten bezogen. Das Projekt der EBG Bern verzögert sich.

Autoarm und nachhaltig
Bei ihren Projekten hatten die Bauträgerinnen verschiedene Vorgaben einzuhalten. Zwingend war etwa das Bauen nach den Prinzipien der 2000-Watt-Gesellschaft und dem SIA-Effizienzpfad Energie. So verfügen nun alle Gebäude über PV-Anlagen, und jede Bauträgerin versorgt ihre Mieter:innen mit Strom über einen hauseigenen Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV). Die Häuser werden mit Fernwärme von EWB versorgt, wobei die bestehende Verteilzentrale im Untergrund genutzt wird. Der Holliger ist zudem autoarm ausgelegt. Er verfügt über eine gemeinsame Einstellhalle, ein Projekt verzichtet sogar ganz auf eigene Parkplätze. Möglich machen dies Mobilitätskonzepte und zahlreiche Veloabstellplätze, aber auch die eigens verlängerte Buslinie 12, die Fahr­gäste in ein paar Minuten direkt zum Bahn­hof Bern bringt.
Städtebaulich gesetzt waren die Volumetrien, die maximale Gebäudehöhe von bis zu sechzig Metern und die überhohen Erdgeschosse. Gewünscht für die sehr dichte Überbauung wurden flexible und vielfältige Wohnangebote, im Übrigen gab es grossen gestalterischen Spielraum, der auch rege genutzt wurde. Ein Wohnanteil von mindestens achtzig Prozent sowie der gemeinsame, stark durchgrünte Hof und ein neuer Stadtplatz als Auftakt zum Areal waren ebenfalls vorgegeben.
Die Bauträgerinnen auf dem Holliger verpflichten sich zur Anwendung von Belegungsvorschriften und zur Kostenmiete; angestrebt wurde dabei ein Unterschreiten der BWO-Kostenlimite um fünf bis zehn Prozent, was teilweise auch erreicht wurde. Gemäss Martin Zulauf von der ISGH beträgt die durchschnittliche Miete zwischen 220 und 230 Franken netto pro Quadratmeter und Jahr, was für Neubauten in Bern günstig sei.

Das letzte Haus
Noch nicht gebaut werden konnte das letzte Gebäude. Auf der sechsten Parzelle im Holliger will die Eisenbahner-Baugenossenschaft Bern ein Holzhybrid-Hochhaus erstellen. Ein Wettbewerb dazu wurde bereits durchgeführt und 2021 ein Projekt ausgewählt. Aus brandschutztechnischen und Kostengründen sind Nachjustierungen nötig. Genehmigt die GV das angepasste Projekt und erfolgen keine Einsprachen, können die Bagger frühestens 2026 auffahren. Bis dahin wird die Brachfläche als zusätzlicher Aussenraum genutzt. Die vier Beispiele lesen Sie in der aktuellen WOHNEN-Ausgabe (2023/09).
www.holliger-bern.ch