
Wohnbaugenossenschaft Gallus ersetzt 1960er-Jahre-Bau in Rapperswil-Jona (SG)
«Pas de deux» am oberen Zürichsee
Zwei fünfeckige Punkthäuser ersetzen in einem Mehrfamilienhausquartier in Rapperswil-Jona einen Gebäuderiegel aus den 1960er- Jahren. Die neue Überbauung der Wohnbaugenossenschaft Gallus überrascht mit ihrem warmen und mediterranen Ausdruck.
Von Daniel Krucker | Bilder: Lukas Murer, Wohnen | 2022/09
In den Ersatzneubau mit 20 Wohnungen ganz in der Nähe des Bahnhofs Jona (SG) hat die Wohnbaugenossenschaft Gallus rund zehn Millionen Franken investiert. Ein unabhängiger Bericht hatte 2015 die Kosten für eine Gesamterneuerung der Bestandesliegenschaft auf die Hälfte geschätzt. Dennoch habe sich der Vorstand für die Radikallösung entschieden, sagt Fredy Holdener, der Präsident: «Der 60er-Jahre-Bau war aus unserer Sicht nicht zu retten. Es fehlte beispielsweise ein Lift, und bei einem Anbau hätten wir sogar Wohnraum opfern müssen.» Nachdem der Grundsatzentscheid gefallen war, führte ein unabhängiges Planungsbüro einen Wettbewerb im anonymen Verfahren durch. Die Zürcher Architekten Igual & Guggenheim gingen mit ihrem Projekt als Gewinner hervor. Die beiden Punkthäuser in Rapperswil-Jona wurden im Frühling 2021 bezogen.
Auf dem trapezförmigen und rund 2500 Quadratmeter grossen Grundstück mitten in einem gewachsenen Wohnviertel bot sich der Genossenschaft die Möglichkeit, die Ausnützungsziffer um zwanzig Prozent zu erhöhen. Der dafür geforderte Gestaltungsplan war rasch unter Dach und Fach, wie der Architekt Sancho Igual sagt. Im Kanton St. Gallen können nämlich Gestaltungspläne neu parallel zum Bewilligungsverfahren vorangetrieben werden, was eine deutliche Zeitersparnis bedeuten kann. Nachdem die Generalversammlung 2017 ihre Zustimmung gegeben hatte, wurde der lange Riegel 2019 abgebrochen, und nach zwei Jahren Bauzeit war er durch zwei fast identische fünfeckige Punkthäuser und einen eingeschossigen Holzpavillon dazwischen ersetzt. Letzterer dient den Bewohnerinnen und Bewohnern als offener Veloabstellraum und als Grillplatz. Die Betonwand dort ziert ein Goldemblem eines tanzenden Paars – die beiden Tanzlegenden Ginger Rogers und Fred Astair hatten Federico Fellini zum Film «Ginger e Fred» inspiriert, der zum Namensgeber der Siedlung wurde.

Die Keramikplatten bei den Hauseingängen sind nicht nur widerstandsfähig, sondern auch ein Gestaltungselement.
Farben beeinflussen Wohlbefinden
Die neue Überbauung überrascht mit ihrem warmen und mediterranen Ausdruck, was vor allem an der Kombination eines mutigen Farbkonzepts mit französischen Fenstern (mit Faltläden aus Aluminium) und zwei unterschiedlichen Fassadenabrieben liegt. Zusammen mit der Spalierbepflanzung des Gebäudesockels ist eine besonders einladende Wohnatmosphäre entstanden. Igual zufolge schafft man mit Farben nicht nur besondere visuelle Effekte. Erwiesenermassen hätten Farben in der Wohnumgebung auch einen positiven Einfluss auf die Befindlichkeit der Menschen. Und auf der Kostenseite hinterlasse auch ein etwas ausgefeilteres Farbkonzept kaum Spuren.
Einige der weiteren gestalterischen Details seien aber nur umsetzbar gewesen, weil die Bauherrin nicht überall gespart habe. So sind zum Beispiel in den Obergeschossen die Fenster mit hellen Betonelementen gefasst, und auf der Fassadenfläche hat der sogenannte Kammputz einen grauen Grundton, der mit feinen hellgrünen Vertikalstreifen zusätzlich strukturiert wurde. Das dunkle Rot mit einem Braunstich im Treppenhaus findet sich – teilweise nuanciert – sowohl aussen an den Faltläden als auch innen bei den Bodenplatten und sogar in der Tiefgarage als Farbstreifen auf den Stützsäulen wieder. Ein schönes Detail ist der Dachrand mit seiner Auskragung und den darauf aufgemalten Punkten. Diese Untersicht ist wie die Decke der Loggien in einem hellen Blau gestrichen.
Im Treppenhaus sind Boden und Türeinfassungen in weissem Kunststein-Terrazzo gehalten. Sie sorgen zusammen mit den Messingtafeln, die die Treppenhausbeleuchtung umfassen, für Chic und Wertigkeit. Der geölte Eichenparkett in den Wohnungen und die dezenten Keramiktöne in den Nasszellen und Küchen runden das stimmige Konzept ab.

Ein warmes Rot dominiert als Grundton im Treppenhaus. Der Küchenboden nimmt eine Nuance davon auf. Für einen edlen Touch in den Wohnräumen sorgt auch ein geölter Eichenparkett.

Kühlende Heizung
Wegen der fünfeckigen Gebäudeform und der daraus resultierenden relativ grossen Fassadenfläche fliesst viel Licht in die Wohnungen, die alle über ein auffallend grosses Entrée mit eingebauter Garderobe verfügen. Zu fast allen Küchen gehört ausserdem ein etwa vier Quadratmeter grosses Reduit. Diese beiden Aspekte waren den Architekten besonders wichtig. «Im Wohnungsbau sucht man oft die kompakte Anordnung, was nicht selten auf Kosten des Entrées geht», sagt Igual dazu. «Wir haben es hier anders gemacht und den praktischen Nutzen in den Vordergrund gestellt.» Mit begehbaren Duschen, Dusch-WC sowie Waschtürmen in den Wohnungen ist der Ausbaustandard insgesamt sehr hoch.
Die Wärmeerzeugung erfolgt mittels Erdsonden-Wärmepumpe, und der Strom wird sowohl von der PV-Anlage auf dem Dach als auch über das Netz bezogen. Die beiden Häuser funktionieren tagsüber autark und benötigen nur nachts Strom vom Elektrizitätswerk. Weil mit immer wärmeren Sommern gerechnet werden muss, operiert die Heizung ausserdem mit einer passiven Kühlung, dem sogenannten «Freecooling». Das bedeutet, dass im Sommer kaltes Heizungswasser durch die Fussbodenheizung fliesst und aus dem Raum Wärme aufnimmt. Diese gibt es dann wieder ins Erdreich ab. Durch das «Rückwärtslaufen» der Wärmepumpe wird die Raumtemperatur im Sommer um zwei bis drei Grad gesenkt. Igual geht davon aus, dass Freecooling-Systeme künftig vermehrt in die Decken eingebaut werden. Aus einfachem Grund: Weil kalte Luft sinkt, ist der Effekt im Sommer noch etwas ausgeprägter. Der Heizungseinbau in die Decke ist auch gar nicht neu; erste Ausführungen stammen aus den 1960er-Jahren.


Im schmucken Holzpavillon zwischen den Häusern parkieren die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Velos. Den Namen «Ginger und Fred» hat die Siedlung von einem Film, den Federico Fellini über zwei Tanzlegenden gedreht hat. Die Hauptdarsteller sind als Figuren beim Grillplatz verewigt

Minikiwis und essbare Taglilien
Im Aussenbereich präsentiert sich die Siedlung besonders grün. Der eingeschossige Gebäudesockel, an dem Rankhilfen montiert sind, trägt ebenfalls dazu bei. Gemäss Iris Tijssen, der verantwortlichen Landschaftsarchitektin, wurden zudem mehrere klassische Obstgehölze gepflanzt, deren Früchte geerntet werden können. Die Bewohnerinnen und Bewohner können sich auch auf Minikiwis und essbare Taglilien in den Staudenbeeten freuen.
Rapperswil-Jona ist ein attraktiver Wohn-standort – die Immobilienpreise sind in den letzten Jahren gestiegen. Laut Genossenschaftspräsident Holdener findet man fast nur noch Wohnungen im oberen Preissegment. Die Stadt mache zwar einiges, um die Situation zu entschärfen, aber das reiche bei Weitem nicht aus. Seit fünf Jahren treffen sich die lokalen Baugenossenschaften darum jeden November mit Vertreterinnen und Vertretern der Stadtbehörden und diskutieren gemeinsam, wo der Schuh drückt. Neben der Stadt, von der die Initiative ausging, ist der Regionalverband Ostschweiz dabei federführend. Dass Wohnprojekte in Rapperswil-Jona mit überschaubaren Risiken verbunden sind, bleibt natürlich auch den Finanzierern nicht verborgen. Geldinstitute seien ihnen bei diesem Projekt fast nachgerannt, sagt Holdener, und auch die Vermietung sei ein Leichtes gewesen. «Einige der neuen Wohnungen wurden von unseren Mitgliedern bezogen. Für die restlichen Einheiten hatten wir achtzig Bewerbungen auf dem Tisch.» Das überrascht wenig, liegen sie gemäss Holdener im Preis doch weit unter dem lokalen Marktniveau.

Weniger ist mehr: Der Spielplatz besteht aus einem grossen und organisch gestalteten Sandplatz. Dank der fünfeckigen Gebäudeform gelangt viel Licht in die Wohnungen.

Kleine und grosse Wohnungen getrennt
Bei der Verteilung der Wohnungen auf die beiden Häuser haben sich die Verantwortlichen dafür entschieden, im Dreispänner sämtliche Kleinwohnungen und im Zweispänner alle Viereinhalb- und Fünfeinhalbzimmerwohnungen zu platzieren. Diese konsequente Trennung von Gross- und Kleinwohnungen hat sich laut Igual nicht nur aus dem Wohnungsprogramm ergeben, sondern sei auch eine bewusste Entscheidung gewesen. In den sogenannten Familienwohnungen gehe es naturgemäss etwas lauter zu und her, was von kinderfreien Haushalten nicht immer freudig aufgenommen werde. Diese Trennung sei aber selbstredend nicht in Stein gemeisselt, ergänzt der Präsident: Selbstverständlich seien auch Kleinfamilien in Dreieinhalbzimmerwohnungen willkommen. Dank der zentralen Erschliessung, dem Pavillon mit Velounterstand, dem überdeckten Grillplatz und dem Spielplatz zwischen den Häusern gibt es in der Überbauung viele Möglichkeiten der Begegnung.
Baudaten
Bauträgerin:
Wohnbaugenossenschaft Gallus, Rapperswil-Jona
Architektur:
Igual & Guggenheim, Zürich
Umfang:
2 MFH, 20 Wohnungen mit 21/2 bis 51/2 Zimmern, 20 Tiefgaragenplätze, Holzpavillon mit Veloabstellplätzen und überdachter Grillstation
Baukosten:
10,5 Mio. CHF total
5200 CHF/m² HNF
Mietzinsbeispiele:
2 ½-Zimmer-Wohnung EG, 62,8m²:
CHF 1125 + CHF 150 NK
3 ½-Zimmer-Wohnung 2. OG, 84,8m²:
CHF 1510 + CHF 170 NK
4 ½-Zimmer-Wohnung, 3. OG, 104,5m²:
CHF 1930 + CHF 200 NK