Thomas Elmiger,
Rechtsdienst
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In den letzten fünfzehn Jahren haben im Kanton Zürich die Diskussionen über die Belästigung durch Fluglärm und damit die Entschädigungsbegehren stetig zugenommen. Strittig ist häufig das Vorliegen eines wirtschaftlichen Schadens beziehungsweise dessen Berechnungsweise. Betroffen sind auch Baugenossenschaften, was in einigen Urteilen seinen Niederschlag gefunden hat.1
Die Zunahme des Fluglärms ist einerseits auf die in den letzten zwanzig Jahren stattfindende Erhöhung der Zahl der Flugbewegungen, andererseits auf die Auseinandersetzung mit Deutschland im Hinblick auf die Ausrichtung der An- und Abflüge beziehungsweise Überflugsrechte zurückzuführen. Von dieser Entwicklung bleiben auch zahlreiche Baugenossenschaften nicht verschont, liegt doch ein beträchtlicher Wohnungsbestand im Einzugsgebiet des Flughafens.
Schallschutzmassnahmen
Unabhängig davon, ob eine Entschädigung wegen Fluglärm geschuldet ist, muss der Lärmverursacher bei Überschreitung bestimmter Grenzwerte Schallschutzmassnahmen zugunsten der Betroffenen ergreifen. Falls sich die Lärmimmissionen durch Massnahmen bei der Quelle, das heisst bei den Flugzeugen selber, nicht unter den gesetzlich vorgesehenen Höchstgrenzwert (sogenannter Alarmwert) herabsetzen lassen, so sind sogenannte passive Schallschutzmassnahmen, das heisst bauliche Schallschutzmassnahmen an den lärmbelasteten Gebäuden selbst, zu treffen.2
Solche Schutzmassnahmen sind beispielsweise der Einbau von Dachziegelklammern zum Schutz vor Randwirbelschleppen grösserer Flugzeuge, Schallschutzfenster mit programmierbaren Fensterschliessmechanismen oder die zusätzliche Schallisolation von Dächern und Mauern.
Vorliegen einer Enteignung
Art. 26 der Bundesverfassung3 wie auch Art. 16 des Enteignungsgesetzes4 des Bundes verlangen, dass Enteignungen sowie Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen, voll entschädigt werden. Die Entschädigungsforderungen infolge von Fluglärm richten sich stets gegen die Flughafenbetreiberin Flughafen Zürich AG, da die Beeinträchtigung von ihr stammt und sie damit als Enteignerin zu betrachten ist.
Unterscheidung Überflug – Fluglärm
Vorweg ist zwischen «gewöhnlichem» Fluglärm und einem eigentlichen Überflug zu unterscheiden. Ein eigentlicher Überflug liegt vor, wenn die Flugzeuge derart tief unmittelbar über ein Grundstück fliegen, dass der dem Grundeigentum zuzurechnende Luftraum verletzt wird.
Das Bundesgericht hat bei landenden Grossraumflugzeugen einen direkten Überflug bejaht, wenn die Wohnliegenschaften in einer Höhe von 125 Metern oder darunter überflogen werden5, während Überflüge in der Höhe von mindestens 400 Metern6 oder vereinzelte Flüge kleinerer Maschinen in der Höhe von etwa 220 beziehungsweise 250 Metern das Grundeigentum nicht verletzen.7 Solche direkten Überflüge können einer Enteignung gleichkommen und sind entschädigungspflichtig.8
Voraussetzungen für eine Entschädigung bei Fluglärm
Wird ein Grundstück nicht direkt überflogen und ist es lediglich vom Fluglärm betroffen, müssen für die Entrichtung einer Entschädigung drei Voraussetzungen erfüllt werden: die Unvorhersehbarkeit des Fluglärms, die Spezialität der Lärmintensität und die Schwere des Schadens. Die Unvorhersehbarkeit des Fluglärms liegt vor, wenn das durch Fluglärm betroffene Grundstück vor dem 1. Januar 19619 überbaut wurde. Die Spezialität der Immissionen ist gegeben, wenn die Immissionsgrenzwerte gemäss Lärmschutzverordnung überschritten sind. Von der Schwere des Schadens wird ausgegangen, wenn der Minderwert der Liegenschaft zehn Prozent deutlich übersteigt. Grundsätzlich bestimmt sich die Minderwertentschädigung nach der Differenzmethode, die darin besteht, vom Verkehrswert der unbelasteten Liegenschaft den Verkehrswert der mit Fluglärm belasteten Liegenschaft abzuziehen.
Anwendbare Schätzungsmethode für die Schadensbemessung
Für die Berechnung des fluglärmbedingten Minderwerts einer selbstbewohnten Liegenschaft wird das sogenannte
MIFLU-Modell10 verwendet. Dieses Modell ist komplex und eignet sich nicht für alle Arten von Liegenschaften. Deshalb wird zum Beispiel bei vermieteten Mehrfamilienhäusern nicht die MIFLU-Methode angewendet, sondern die für die Bewertung von Renditeliegenschaften geltenden Regeln.11
Während sich bei Eigenheimen der Verkehrswert nach dem Interesse der Käufer und den möglichen Marktpreisen bestimmt, die relativ rasch auf äussere Einflüsse wie Lärmbelastungen reagieren, wird sich nach der Lebenserfahrung bei Mietobjekten, die Wohnzwecken dienen, die Ertragslage bei Fluglärm nur langsam verschlechtern, da Mieter nicht sofort, sondern nur allmählich und je nach Angebot nach Ersatzobjekten suchen. Bei Baugenossenschaften stellt sich zudem das Problem, dass diese oftmals nicht Eigentümerinnen der vom Lärm betroffenen Parzellen sind und ihre Mieten auch nicht nach Renditegesichtspunkten, sondern nach der Kostenmiete kalkulieren.
Sonderfall Baugenossenschaft
Weder das MIFLU-Modell noch die bei Mietliegenschaften berechnete Ertragseinbusse eignen sich somit für die Berechnung des Minderwerts, da die Baugenossenschaften einer anderen Sachlage unterliegen. Mit Baugenossenschaften abgeschlossene Baurechtsverträge enthalten regelmässig Bestimmungen, die vorsehen, dass das Baurecht nur an eine Trägerschaft des gemeinnützigen Wohnungsbaus übertragen werden kann, weswegen ein aufgrund freier Handelbarkeit berechneter Verkehrswert nicht ermittelt werden kann.12 Oft wird vereinbart, dass beim Heimfall nur eine reduzierte oder keine Entschädigung für die Gebäude zu entrichten sei, was bei der Minderwertberechnung ebenfalls berücksichtigt wird.13 Zudem wirkt sich auch ein gegenüber dem Marktniveau niedrigerer Baurechtszins entschädigungsmindernd aus.14
Um den Minderwert zu berechnen, wird bei Baurechten der hypothetische Verkehrswert, das heisst der Erlös, der ohne Einschränkungen hinsichtlich der Vermietung, aber unter Berücksichtigung des Fluglärms am Markt erzielt
werden könnte, dem sogenannten
Übertragungswert gegenübergestellt.15 Der Übertragungswert wird mit der Ertragswertmethode, die aufgrund der mittels der Kostenmiete kalkulierten Mietzinseinnahmen berechnet wird, ermittelt.16 Diese Einnahmen werden dann mit einem Kapitalisierungssatz aufgezinst und mit dem hypothetischen Verkehrswert verglichen. Falls der Übertragungswert tiefer ist als der Verkehrswert, hat der Fluglärm keinen wertvermindernden Einfluss, und es ist demnach kein Schaden entstanden.17
Kein Minderwert
Im eingangs erwähnten Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts18 konnte bei der betroffenen Baugenossenschaft kein Schaden festgestellt werden. Dieses Resultat ist auf drei Gründe zurückzuführen: Die Berechnung eines Verkehrswerts für ein Baurecht gestaltet sich bei Baugenossenschaften mangels freier Handelbarkeit des Baurechts sehr schwierig. Wegen des Einbezugs der Kostenmiete in die Berechnung resultierte kein Minderwert, da der Übertragungswert in diesem konkreten Fall tiefer war als der Verkehrswert. Zudem bestätigte das Gericht die Zulässigkeit der Anwendung eines niedrigeren Kapitalisierungszinssatzes, da es als erwiesen angesehen wurde, dass Kapitalgeber bei Institutionen des sozialen Wohnungsbaus von tieferen Risiken ausgingen.19
Fazit
Aus dem eingangs erwähnten Urteil darf nicht geschlossen werden, dass Baugenossenschaften als Baurechtsnehmer kategorisch keinen Anspruch auf Entschädigung wegen Fluglärm haben. Die Berechnung des Minderwerts hat lediglich in diesem konkreten Fall zu diesem Ergebnis geführt. Das letzte Wort ist in dieser Sache noch nicht gesprochen worden, da das Urteil an das Bundesgericht weitergezogen wurde.