Rubrik: Recht

Mängel in der Organisation der Genossenschaft

Gemäss Art. 908 i.V.m. Art. 731b Abs. 1 OR liegt ein Organisationsmangel vor, wenn der Genossenschaft eines der gesetzlich vorgeschriebenen Organe fehlt oder eines dieser Organe nicht rechtmässig zusammengesetzt ist. Gegebenenfalls räumt der Handelsregisterführer der Genossenschaft eine dreissigtägige Frist ein, um die Mängel zu beheben.

Erfasst werden diejenigen Fälle, in denen obligatorische Organe fehlen oder diese nicht korrekt zusammengesetzt sind.1 Obligatorisch sind bei der Genossenschaft drei Organe: die Generalversammlung, der Vorstand und die Revisionsstelle. Unter gewissen Voraussetzungen kann aber auf eine Revisionsstelle verzichtet werden (sogenanntes Opting-out). Die Generalversammlung kann und muss nicht bestellt werden, sie wird lediglich einberufen. Somit treten Organisationsmängel in der Genossenschaft hauptsächlich beim Vorstand und bei der Revisionsstelle auf.2

Mögliche Mängel
Als Mängel im Bereich des Vorstands kommen namentlich in Frage: Unterschreiten des Minimums von drei Vorstandsmitgliedern (Art. 894 Abs. 1 Satz 1 OR), fehlende Mehrheit von Genossenschaftsmitgliedern im Vorstand (Art. 894 Abs. 1 Satz 2 OR), Fehlen einer vertretungsberechtigten Person mit Wohnsitz in der Schweiz (Art. 898 Abs. 2 OR) oder Vorliegen einer anhaltenden Pattsitua­tion beziehungsweise Blockade.
Im Fall des Unterschreitens der Mindestmitgliederzahl der Genossenschaft von sieben Personen (Art. 831 Abs. 1 OR) findet gemäss Art. 831 Abs. 2 OR ebenfalls die Bestimmung von Art. 731b OR (beschränkt) Anwendung, auch wenn dieser Fall kein Organisationsmangel im herkömmlichen Sinn darstellt.3 Vielmehr ist dann die Rechtsform der Genossenschaft als solche gar nicht mehr gegeben. Die Körperschaft existiert nur noch formal im Handelsregister.4

Verletzung von Statuten­bestimmungen
Hingegen liegt keine mangelhafte Organisation vor, wenn ein in den Statuten einer Genossenschaft freiwillig vorgesehenes Organ5 fehlt oder dieses nicht mehr korrekt zusammengesetzt ist.6 Ebenso ist kein Organisationsmangel gegeben, wenn ein obligatorisches Organ nicht statutengemäss bestellt worden ist, solange die gesetzlichen Mindestanforderungen eingehalten sind.7
Das Unterschreiten der statutarischen Mindestzahl an Vorstandsmitgliedern im Rahmen einer Vorstandswahl kann daher nur Gegenstand einer Anfechtungsklage im Sinne von Art. 891 Abs. 1 OR sein, soweit drei Personen, wovon zwei Mitglieder der Genossenschaft zu sein brauchen, in den Vorstand gewählt worden sind. Dasselbe gilt, wenn das Präsidium entgegen statutarischer Bestimmungen nicht bestellt wurde. In solchen Fällen wird der Handelsregisterführer nicht einschreiten.8

Rechtsfolgen
Bemerkt der Handelsregisterführer jedoch, dass die gesetzlichen Mindestanforderungen nicht eingehalten sind, so wird er die Genossenschaft auffordern, innert dreissig Tagen den rechtmässigen Zustand wiederherzustellen (Art. 941a OR, Art. 154 Abs. 1 HRegV). Als gesetzliche Verwirkungsfrist kann die dreissigtägige Frist nicht erstreckt werden.9 Läuft die Frist unbenutzt ab, muss der Handels­registerführer die Sache ans Gericht
überweisen. Das Gericht kann insbesondere:
1. der Gesellschaft unter Androhung ihrer Auflösung eine Frist ansetzen, binnen deren der rechtmässige Zustand wieder herzustellen ist,
2. das fehlende Organ oder einen Sachwalter ernennen,
3. die Gesellschaft auflösen und ihre Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs androhen.10
Ebenfalls klageberechtigt sind die Genossenschaftsmitglieder und Gläubiger. Setzt der Handelsregisterführer zum Beispiel eine Frist an, weil der Vorstand infolge Gesamtrücktritts fehlt, so hat zum einen die Revisionsstelle eine ausserordentliche Generalversammlung einzuberufen (Art. 881 Abs. 1 OR), um Wahlen stattfinden zu lassen. Zum anderen kann aus der Mitte der Genossenschaftsmitglieder heraus das Gericht angerufen werden. Dabei kann der Erlass von vorsorglichen Massnahmen (Art. 261 ff. ZPO) verlangt werden. In Frage kommen Massnahmen wie beispielsweise die Regelung der Geschäftsführung und Vertretungsberechtigung.

  1. BGE 138 III 294 E. 3.1.2 S. 297 f.
  2. Trautmann/von der Crone, Organisationsmängel und Pattsituation in der Aktiengesellschaft, SZW 5/2012, S. 465
  3. Lüthy, Mängel in der Organisation der Gesellschaft: drei neue Bundesgerichtsurteile, GesKR 4/2012, S. 604
  4. BGE 138 III 407 E. 2.5.2 S. 410 f.
  5. z.B. Siedlungsversammlung, Siedlungs­kommission, Beschwerdekommission, Geschäftsprüfungskommission usw.
  6. BSK OR II-Watter/Pamer-Wieser, Art. 731b N 5
  7. Marcel Schönbächler, Die Organisationsklage nach Art. 731b OR, Zürich 2013, S. 69 ff. m.w.H.
  8. vgl. Botschaft zur Revision des Obligationenrechts, BBl 2002 S. 3239 f.
  9. Praxismitteilung EHRA 1/08 Ziff. 19
  10. Das Gericht soll die drastische Massnahme der Auflösung gemäss Ziff. 3 erst anordnen, wenn die milderen Massnahmen gemäss Ziff. 1 und 2 nicht genügen oder erfolglos geblieben sind (BGE 141 III 43 E. 2.6 S. 47 f.).

Martin Bachmann,

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