Rubrik: Recht

Mietzinsreduktionen aufgrund der Energiemangellage?

Müssen Genossenschaften mit Mietzinsherabsetzungsklagen rechnen, wenn die ­Lieferung von Energie (Gas, Öl, Strom) behördlich eingeschränkt wird? Es stellt sich dabei die Frage, ob der Unterbruch von Energielieferungen einen Mangel an der Mietsache im Sinne von Art. 259a OR begründet.

2023/01

Die für die Wintermonate befürchteten Engpässe bei der Lieferung von Gas, Öl und Strom könnten dazu führen, dass ­behördliche Anordnungen getroffen werden. Damit würde es zu Unterbrüchen in der Stromlieferung kommen oder Räume könnten nicht mehr im ­bisherigen Sinne beheizt werden. Werden nun diese Stromunterbrüche oder tiefere maximale Raumtemperaturen als Mangel an der Mietsache qualifiziert, würde dies den Mietenden einen Anspruch auf eine angemessene Mietzinsreduktion verschaffen.

Mietrechtlicher Mangel
Gemäss Art. 256 Abs. 1 OR ist die Vermieterin verpflichtet, die Sache zum vereinbarten Zeitpunkt in einem zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustand zu übergeben und in demselben zu erhalten. Entspricht der tatsächliche nicht dem vertraglich vereinbarten Zustand, liegt ein Mangel vor. Es liegt also ein Mangel vor, wenn der Ist- vom Sollzustand abweicht.¹ In den meisten Fällen wird sich der Mietvertrag nicht zur Stromlieferung oder den maximal zugesicherten Raumtemperaturen äussern, allenfalls wurden solche Vereinbarungen stillschweigend vorausgesetzt. So ergibt sich beispielsweise allein aus der Vereinbarung des Wohngebrauchs «als Wohnung», dass das Mietobjekt ausreichenden Schutz vor Witterungseinflüssen zu bieten hat.
Man könnte nun daraus schliessen, dass Wohnungen, die nicht mehr genügend beheizt oder mit genügend Strom beliefert werden können, eine stillschweigend vereinbarte Eigenschaft fehlt. Ein Verschulden der Vermieterin wäre nicht vorausgesetzt.²

Keine Mietzinsreduktion
In der Rechtsprechung hat sich im Zusammenhang mit Betriebsschliessungen von Geschäftsräumen während der Coronapandemie aufgrund von staatlich angeordneten «Lockdowns» die Auffassung durchgesetzt, ein Mangel des Mietobjektes aufgrund einer staatlichen Anordnung liege nur dann vor, wenn die gesetzgeberisch bewirkte Beschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder Lage des Mietobjekts im Zusammenhang stehe. Andere gesetzgeberische Massnahmen, die den geschäftlichen Erfolg beeinträchtigen könnten, fielen indessen in den Risikobereich der Mieterschaft. Das «Verwendungsrisiko» und damit auch das Risiko einer durch behördliche Anordnungen beeinträchtigten Profitabilität beschlage demgegenüber den Risikobereich des Mieters.³

Stromlieferung ist keine zugesicherte Eigenschaft
Ursache für die Unterbrechung von Energielieferungen wäre folglich die behördliche Anordnung, die nicht den eigentlichen Zustand der Wohnung betrifft.⁴ Die Vermieterin verpflichtet sich, ein Miet­objekt zu überlassen, das über die notwendigen Installationen für eine Stromversorgung verfügt. Die Vereinbarung betreffend den Strombezug schliesst die Mie­terschaft aber mit dem Stromlieferanten ab, wobei sie häufig unter verschiedenen ökologischen Qualitäten mit entsprechenden Preis­unterschieden wählen kann. Es ist also fraglich, ob die Vermieterin mit dem Abschluss des Mietvertrags stillschweigend eine Zusicherung dafür abgibt, dass das Mietobjekt ununterbrochen mit elektrischer Energie versorgt wird.⁵
Nach hier vertretener Auffassung und in Analogie der erwähnten Rechtsprechung handelt es sich bei der Stromlieferung um eine «betriebsbezogene» oder «ge­brauchsbezogene» und nicht um eine «ob­jektbezogene» Einschränkung der Gebrauchstauglichkeit. Die Vermieterin hat damit keine Verantwortung dafür zu übernehmen, dass diese Nutzung aufgrund eines später eingetretenen aus­sergewöhn­lichen Umstands (wegen eines staatlich angeordneten Verbots an die Lieferantin, zu gewissen Zeit keine Energie zu liefern), eingeschränkt wird. Es ist am Mieter, im Hinblick auf behördliche Massnahmen entsprechende Vorkehrungen zu treffen (etwa solarbetriebene Ladegeräte zu beschaffen). Zudem werden mit dem Nettomietzins die Installationen abgegolten, nicht der Stromverbrauch. Wird kein Strom geliefert, muss der Mieter auch keinen solchen berappen.

Ungenügende Raumtemperatur
Wie aber sieht es mit den Raumtemperaturen aus? Legt die staatliche Anordnung maximal Temperaturen fest, so kann sich ein Mieter nicht auf die nach bisheriger Praxis geltenden Richtwerte berufen und bei behördlich tiefer festgesetzten Maximalwerten eine Mietzinsherabsetzung ver­langen.
Ein Mangel könnte allerdings angenommen werden, wenn aufgrund des Stromunterbruchs oder der ausbleibenden Gaslieferung eine Beheizung auf die vorgegebenen Maximalwerte nicht mehr möglich ist. In dieser Situation wird die Beheizung nicht verboten, sondern nur die Lieferung eines bestimmten Rohstoffs, wobei die Vermieterin bei dessen Wahl eigentlich frei wäre. In einem solchen Fall würde wohl ein Anspruch auf Mietzinsherabsetzung erwachsen.

  1. Lachat/Claude Roy, Mietrecht für die Praxis, 9. Aufl., Zürich 2016, S. 200
  2. ZK-Higi/Wildisen, N 9 zu Art. 259d OR
  3. Entscheid des Basler Appellationsgerichts vom 8. August 2022 im Verfahren ZB 222022.6/ZB.2022.7 mit Hinweisen auf das Urteil des Mietgerichts Zürich vom 2. August 2021 im Verfahren MJ210008-L
  4. Aufsatz von Urban Hulliger, Zürich in MRA 3/2022
  5. Aufsatz von Urban Hulliger, Zürich in MRA 3/2022

Mia Vorburger,

Rechtsdienst

mia.vorburger@wbg-schweiz.ch