Rubrik: Recht

Streitpunkt Raumtemperatur

Zwischen Vermieterinnen und Mietern ist oft umstritten, welche Raumtemperatur in Wohnräumen als angemessen zu betrachten ist. Was gilt?

Oktober 2020

Nach Art. 256 OR ist der Vermieter verpflichtet, die Mietsache in einem zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustand zu übergeben und in demselben zu erhalten. Der Mieter einer kalten Wohnung kann nach Art. 259a ff. OR vorgehen und die Behebung des Mangels durch den Vermieter verlangen oder allenfalls eine Mietzinsreduktion verlangen.

Angemessene Raumtemperatur
Strittig ist, ab welcher Temperatur ein Mangel vorliegt. In einem Entscheid aus dem Jahr 1916 sah das Bundesgericht eine Raumtemperatur von 15 °C als ausreichend an.¹ Die Anforderungen an die Raumtemperatur sind aber in den letzten hundert Jahren mit den grösseren Kom­fortansprüchen erheblich gestiegen.
Heutzutage wird eine Durchschnittstemperatur von 20 °C bis 21 °C beziehungsweise zwischen 19 und 20 °C beim Minergiestandard für angemessen gehalten.² Nachts, das heisst zwischen 23 und 7 Uhr, ist ein Absinken der Raumtemperatur zulässig. Es ist unbestritten, dass in den Nachtstunden tiefere Temperaturen herrschen dürfen. Die Raumtemperatur sollte während der Nacht aber nicht unter 15 Grad sinken.³ Falls die vorgenannten Grenzen unterschritten werden, haben Mieterinnen und Mieter einen Anspruch auf Herabsetzung des Mietzinses bis zur Behebung des Mangels. Diese Richtwerte gelten sowohl für Neu- als auch für Altbauten, zumal auch Altbauten trotz gebäudetechnischen Unzulänglichkeiten auf das genannte Temperaturniveau geheizt werden können.

Überhitzte Wohnung
Das Gegenstück zur kühlen Wohnung ist eine überhitzte Wohnung. Ursache einer Überhitzung ist oft die Sonnenbestrahlung einer grossen Fensterfront ohne Schutzvorkehrungen wie Storen oder Aussenvorhänge oder eine in die Jahre gekommene Gebäudeisolation. Die Normaltemperatur für eine Wohnung liegt bei 20 bis 21 Grad beziehungsweise bei 19 bis 20 Grad bei Minergiestandard. Bei einer konstanten Abweichung von 3 bis 5 Grad nach oben, das heisst bei Raumtemperaturen zwischen 23 und 25 Grad, liegt bei einem Neubau ein Mangel vor, der eine Mietzinsreduktion rechtfertigt.⁴ Im Folgenden wird dargelegt, dass bei einer Überhitzung einer Altbauwohnung vom Mieter gewisse Mitwirkungshandlungen erwartet werden können.

Spezialfall Altbau
Bei Altbauwohnungen ist bezüglich angemessener Raumtemperatur eine differenzierte Betrachtung angezeigt. Eine Mietwohnung ist nicht schon deshalb mangelhaft, weil ihre Ausstattung dem Stand der Technik nicht mehr entspricht. Den Vermieter trifft insbesondere keine allgemeine Modernisierungspflicht. Gewisse Unzulänglichkeiten, die Altbauwohnungen im Allgemeinen anhaften, sind demnach hinzunehmen. Was ein Mieter vernünftigerweise vom Mietobjekt an Tauglichkeit erwarten darf, ist nebst dem Gebrauchszweck vor allem abhängig vom Alter des Objekts sowie vom Mietpreis.⁵ Ferner bestimmen die anerkannten Regeln der Technik und die Verkehrsanschauung die vernünftige Erwartung mit. Bezüglich Wärmeisolation kann bei einem Altbau nicht dasselbe erwartet werden wie bei einem Neubau.⁶ Die Mietsache ist mangelhaft, wenn sie nicht oder nicht mehr zum vorausgesetzten Gebrauch taugt, ihr mithin eine vertragliche Eigenschaft fehlt, die den Gebrauchswert beeinträchtigt. Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung, so bestimmt sich der geschuldete Zustand anhand des vorausgesetzten Gebrauchs.⁷ Der Mangel einer gemieteten Sache ist ein relativer Begriff und von den Umständen des einzelnen Falles abhängig.
Bei Altbauwohnungen mit einem im Vergleich zu Objekten in der unmittelbaren Umgebung niedrigeren Mietzins sind demnach die Anforderungen an eine angemessene Raumtemperatur nicht dieselben wie bei einem Neubau. Ein Herabsetzungsanspruch ist bei einer Überhitzung einer Altbauwohnung demnach sehr zurückhaltend anzunehmen. Wenn die Temperatur im Hochsommer an einigen Tagen auf über 30 Grad klettert und die Raumtemperaturen wegen schlechter Isolation auch im Inneren der Wohnung auf über 25 Grad steigen, darf bei einem Altbau vom Mieter erwartet werden, dass er gewisse Vorkehrungen trifft wie die Rollladen, Storen oder Jalousien herunterzulassen oder einen Ventilator anzuschaffen.
Klimaanlagen sind zwar teilweise in neuen Wohnungen im Lüftungssystem eingebaut, ein eigentliches Recht auf eine Klimaanlage besteht aber noch nicht.

Fazit
Von der Norm erheblich abweichende Temperaturschwankungen können zu einer Mietzinssenkung berechtigen. Bei Altbauten sind Abweichungen bei einer Überhitzung bis zu einem gewissen Grad hinzunehmen beziehungsweise sind diese in einem tieferen Mietzins bereits berücksichtigt.

  1. BGE 42 II 349
  2. BGer 4A_577/2016 vom 25. April 2017 E. 3.1.1
  3. Vgl. BGer 4A_108/2019
  4. BGer 4A_581/2016 vom 25. April 2017 E. 3.1
  5. Vgl. BGer 4C.368/2004 vom 25. Januar 2005 E. 4.1 sowie BGer 4C.387/2004 vom 17. März 2005 E. 2.1
  6. Vgl. ZK OR-Higi/Bühlmann, Art. 256 N 33
  7. ZK-Higi/Bühlmann, Art. 256 OR N 27 ff.

Thomas Elmiger,

Rechtsdienst

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