Rubrik: Recht

Traktandierungsrecht der Genossenschafter

Frühlingszeit ist GV-Zeit. Aus aktuellem Anlass beschäftigt sich dieser Beitrag mit dem Recht auf Antragsstellung, das den Genossenschafterinnen und Genossenschaftern zusteht. Wie sind Anträge korrekt zu stellen und zu traktandieren? Ist der Vorstand verpflichtet, jeden Antrag auf die Traktandenliste zu setzen?

2018/05

Das Mitbestimmungsrecht einer Genossenschafterin oder eines Genossenschafters beschränkt sich grundsätzlich auf die Generalversammlung. Mittels Anträgen kann das Genossenschaftsmitglied Einfluss auf die Geschäftstätigkeit und die Entwicklung der Genossenschaft nehmen. Hierbei gilt es zu unterscheiden zwischen Anträgen und Gegenanträgen, die ein Mitglied im Rahmen ordentlich angekündigter Traktanden voraussetzungslos stellen kann, und eigenen Traktanden. Letztere sind Gegenstand der folgenden Ausführungen.

Formelle Voraussetzungen der Traktandierung
Die Traktanden müssen schriftlich, fristgerecht und inhaltlich vollständig beim Vorstand eingehen.1 Nach Gesetz (Art. 882 Abs. 1 OR) ist die ordentliche Generalversammlung in der durch die Statuten vorgesehenen Form, mindestens aber fünf Tage vor dem Versammlungstag, einzuberufen. Weil mit der Einberufung bereits die Traktandenliste bekanntzugeben ist, müssen die Traktanden vorher beim Vorstand eingereicht werden.
Gemäss den Musterstatuten des Verbands beträgt diese Frist sechzig Tage vor der ordentlichen GV,2 weil sich der Vorstand mit dem Gegenstand des Trak­tandums vertraut machen muss. Art. 699 Abs. 3 OR bestimmt sodann, was das Traktandierungsbegehren alles beinhalten muss: Es soll insbesondere den Verhandlungsgegenstand (Traktandum) sowie den konkreten Beschlussantrag enthalten.3 Ein Antrag soll so formuliert sein, dass die Abstimmung darüber mit «Ja» oder «Nein» durchgeführt werden kann.

Materielle Voraussetzungen der Traktandierung
Geht ein Antrag eines Genossenschafters ein, so hat der Vorstand zudem zu prüfen, ob dessen Annahme gültig, nichtig oder lediglich anfechtbar wäre. Die Unterscheidung ist nicht immer ganz einfach. Aus diesem Grund sollten Traktandierungsbegehren nur mit Zurückhaltung abgelehnt werden. Es stellt sich aber die Frage, ob der Vorstand verpflichtet ist, einen Antrag zu traktandieren, obwohl er dessen Annahme als nichtig, beispielsweise gesetzeswidrig, betrachtet.
Das Bundesgericht hat sich zu dieser Frage – ob der Vorstand berechtigt ist, einem Traktandierungsbegehren nicht zu entsprechen – geäussert.4 In diesem Entscheid hatte ein Aktionär eine Statutenänderung traktandiert, die gegen die zwingende Kompetenzordnung im Aktienrecht verstossen hätte (Delegation der Geschäftsführung), weshalb die Verwaltung dem Begehren nicht entsprach und der Aktionär eine Klage einreichte. Das Bundesgericht folgte in diesem Entscheid der überwiegenden Lehrmeinung, wonach der Vorstand die Eintragung eines Gegenstandes auf die Traktandenliste der GV verweigern kann, wenn dessen Inhalt unzweifelhaft nicht in den Kompetenzbereich der GV fällt.
Die Musterstatuten des Verbands5 entsprechen diesem Bundesgerichtsentscheid. Danach kann ein Genossenschaftsmitglied einen Antrag stellen, soweit dieser der Beschlussfassung durch die Generalversammlung untersteht beziehungsweise unter die Kompetenz der Generalversammlung fällt.

Kompetenzen der General­versammlung
Dem Rechtsdienst werden vermehrt Anträge zur Prüfung vorgelegt, für deren Beurteilung nicht die Generalversammlung, sondern der Vorstand zuständig ist. Die meisten Genossenschaften haben in ihren Statuten die Kompetenzen der GV explizit aufgeführt. Ist ein Gegenstand nicht in dieser Liste enthalten, so ist in der Regel der Vorstand zuständig (beispielsweise Einführen eines Grillverbots, Umfunktionieren einer Fussballwiese oder energetische Sanierungen).

Durchsetzung eines Traktandierungsantrages
Ein Genossenschafter, dessen Traktandierungsbegehren nicht entsprochen wurde oder bei dessen Antrag die Zulässigkeit strittig ist, kann anlässlich der GV eine sogenannte Eintretensdebatte beantragen. Dabei wird darüber diskutiert und mit Mehrheitsentscheid entschieden, ob auf den Antrag eingetreten werden soll oder nicht.6 Sollte die Mehrheit die Eintretensdebatte befürworten, könnte trotzdem über den – nicht traktandierten – Antrag abgestimmt werden, wobei ein solcher Beschluss dann anfechtbar wäre.
Weiter steht einem Genossenschafter das Recht7 zu, ein traktandiertes Geschäft gerichtlich durchzusetzen. Dem Begehren wird entsprochen, wenn vor allem die formellen Voraussetzungen gegeben sind. Hält der Richter die Klage des Genossenschafters für berechtigt, so setzt er dem Vorstand eine Frist an, um eine ausserordentliche GV mit bestimmten Traktanden einzuberufen oder den Verhandlungsgegenstand auf die Traktandenliste einer ohnehin einberufenen GV zu setzen.8

Empfohlenes Vorgehen
Sollte ein Traktandierungsbegehren nicht vollständig oder klar formuliert sein, empfehlen wir dem Vorstand, mit dem Genossenschaftsmitglied Rücksprache zu nehmen und es bei Bedarf und unter Wahrung der Objektivität in der sachgemässen Formulierung seines Antrags zu unterstützen.9 Im Gespräch kann der Vorstand gemeinsam mit dem Genossenschafter entscheiden, ob ein Gegenstand schliesslich traktandiert wird oder ob allenfalls andere Wege sinnvoller sind. Als Beispiel könnte der Vorstand vorschlagen, die Statuten generell zu überarbeiten, anstatt viele einzelne Anträge zu Statutenrevisionen zu behandeln.

Befreiung von FinfraG-Pflichten

Das am 1. Januar 2016 in Kraft getretene Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG) regelt unter anderem den Handel mit OTC («Over the Counter»)-Derivaten. Die Bestimmungen des FinfraG gelten nicht nur für Finanzinstitute, sondern betreffen grundsätzlich alle Unternehmen ungeachtet ihrer Revisionsart (ordentliche Revision/eingeschränkte Revision/Opting-out). Das Gesetz und die Ausführungs­bestimmungen in der Finanzmarktinfrastrukturverordnung (FinfraV) sehen für Unternehmen, die sich am Handel mit Derivaten beteiligen, Sorgfaltspflichten vor, deren Einhaltung durch die Revisionsstelle zu prüfen sind. Gemäss den relevanten Bestimmungen unterliegen Geschäftsjahre beginnend am oder nach dem 1. Januar 2017 erstmals den Prüfpflichten nach FinfraG.
Unternehmen können sich jedoch von den Pflichten des FinfraG (einschliesslich Dokumentationsvorschriften) befreien, wenn das oberste Leitungs- oder Verwaltungsorgan schriftlich einen Beschluss fasst, dass keine Derivate im Sinne des FinfraG gehandelt werden (Art. 113 Abs. 2 FinfraV). Die Revisionsstelle hat aufgrund der gesetzlichen Vorgaben das Vorliegen eines solchen Beschlusses zu prüfen (Art. 114 FinfraV).

Empfehlung
Der Verband empfiehlt seinen Mitgliedern, dass der Vorstand an einer nächsten Sitzung den Beschluss fasst, dass das Unternehmen als nicht finanzielle Gegenpartei nicht mit Derivaten handelt und auf eine Dokumentationspflicht nach FinfraV verzichtet, sofern dieser Sachverhalt zutreffend ist. Ein allfälliger Beschluss könnte wie folgt lauten:

«Im Zusammenhang mit dem Finanz­marktinfrastrukturgesetz (FinfraG) beschliesst der Vorstand, dass die Baugenossenschaft XY als nicht finanzielle Gegenpartei nicht mit Derivaten handelt und somit gestützt auf Art. 113 Abs. 2 der Finanzmarktinfrastrukturverordnung (FinfraV) auf die Dokumentationspflichten nach Art. 113 Abs. 1 FinfraV verzichtet.»

  1. Dieter Dubs: Das Traktandierungsbegehren im Aktienrecht, N 43.
  2. Art. 25 Abs. 2 der Musterstatuten für gemeinnützige Wohnbauträger
  3. BSK OR II, Art. 699 N 27
  4. BGE 137 III 503
  5. Art. 25 Abs. 1 lit. l der Musterstatuten für gemeinnützige Wohnbauträger
  6. Wolfgang Ernst: Kleine Abstimmungsfibel, N 80
  7. Art. 699 Abs. 4 OR
  8. Forstmoster/Meier-Hayoz/Nobel: Schweizerisches Aktienrecht, §23 N 32–35
  9. Wolfgang Ernst: Kleine Abstimmungsfibel, N 76

Nicole Schwarz,

Rechtsdienst

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