Rubrik: Recht

Entschädigungsansprüche von Nachbarn bei Bauarbeiten

Baustellen liegen in der Schweiz oft in dicht besiedeltem Gebiet. Entsprechend häufig sind sie Gegenstand von Konflikten mit Nachbarn, etwa in Bezug auf Lärm und andere Immissionen. Bei Bauarbeiten handelt es sich aber um eine grundsätzlich erlaubte ­Tätigkeit, die geduldet werden muss. Wie aber steht es, wenn wegen Lärm auf dem Nachbargrundstück Mietzinsreduktionen gewährt werden müssen?

Art. 684 ZGB verpflichtet jeden Grund­eigentümer, sich bei der Ausübung seines Eigentums aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, Lärm, Erschütterung und dergleichen. Im Falle eines Verstosses gegen diese Unterlassungspflicht ist der verursachende Nachbar grundsätzlich für den daraus entstehenden Schaden nach
Art. 679 ZGB haftbar. Zudem kann der Beeinträchtigte die Beseitigung einer bereits eingetretenen Schädigung verlangen oder auf Unterlassung eines drohenden Schadens klagen.
Bereits vor Jahrzehnten hat das Bundesgericht aber entschieden, dass ein Nachbar derartige Einwirkungen zu dulden hat.¹ Seit dem 1. Januar 2012 ist diese erhöhte Duldungspflicht in Art. 679a ZGB festgeschrieben. Die vorerwähnten Abwehransprüche sind somit bei Bauarbeiten, die von den Behörden bewilligt wurden, nicht gegeben, sofern die damit verbundenen Nachteile für den Nachbarn bloss vorübergehend und trotz zumutbaren Massnahmen nicht vermeidbar sind. Die neue Bestimmung von Art. 679a ZGB sieht in solchen Fällen nur einen Anspruch auf Schadenersatz vor.

Entschädigungsansprüche der Mieter
Vorweg ist festzuhalten, dass die Voraussetzungen für die Entrichtung einer Entschädigung im Falle der Bautätigkeit eines Nachbarn nicht identisch sind mit denjenigen eines Mietzinsherabsetzungsbegehrens. Ein Mieter kann bekanntlich wegen Bauarbeiten in der Nachbarschaft eine Mietzinsreduktion verlangen. Vorausgesetzt wird lediglich, dass das Mietobjekt einen Mangel aufweist, das heisst, dass eine Beeinträchtigung oder Verminderung des vorausgesetzten Gebrauchs des Mietobjekts vorliegt.²
Die Anforderungen an die Entschädigungspflicht des bauenden Nachbarn an den Vermieter, der eine Entschädigung an die Mieter entrichtet hat, sind aber wesentlich strenger. Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass die Entschädigungspflicht des bauenden Nachbarn vom Vorliegen eines Schadens im Rechtssinne, das heisst von einer konkreten Vermögensverminderung und nicht bloss einer Beeinträchtigung, abhängt. Entscheidend ist, dass die Bautätigkeit des Nachbarn zu einem Schaden, also einer unfreiwilligen Vermögenseinbusse, führen muss. Ein Schaden liegt beispielsweise dann vor, wenn den Mietern aufgrund der Bautätigkeit auf dem Nachbargrundstück Mietzinsreduktionen gewährt werden müssen³ oder wenn eine Baustelle während einer längeren Bauzeit den Zugang zu einem Ladengeschäft⁴ verunmöglicht.

Mit Entschädigung zuwarten
Der bei Bautätigkeit eines Nachbarn einschlägig anwendbare Art. 679a ZGB hält zudem fest, dass eine Entschädigung nur unter bestimmten weiteren Voraussetzungen geschuldet ist. Notwendig ist, dass dem Nachbarn bei rechtmässiger Bewirtschaftung des Grundstücks Nachteile zugefügt werden, die übermässig sowie unvermeidlich sind und lediglich
vorübergehenden Charakter haben.⁵
Eine rechtmässige Bewirtschaftung liegt vor, wenn das Bauen im Rahmen der einschlägigen Vorschriften, etwa im Hinblick auf das Lärm- und Umweltschutzrecht, erfolgt. Die Unvermeidbarkeit ist gegeben, wenn zumutbare Vorkehrungen zur Verminderung oder Vermeidung von Lärm und Erschütterungen ergriffen ­werden, diese aber nicht fruchten. Dazu zählen zum Beispiel sogenannte Lärmzeitfenster oder eine lärmschonende ­Arbeitsweise wie Beton schneiden an­statt spitzen. Die Übermässigkeit ist zu bejahen, wenn die Immissionen das ­übliche Mass oder sogar einen in der Gesetz­gebung festgelegten Grenzwert überschreiten.
Ein Anspruch auf Beseitigung und ­Unterlassung bei vorübergehender übermässiger Einwirkung beim Bauen infolge rechtmässiger Bewirtschaftung besteht nicht, sondern nur die Möglichkeit, Schadenersatz zu fordern. Denkbar ist demnach, dass ein Vermieter, der Entschä­digungen wegen Baulärms entrichten musste, versucht, diese vom verursachenden Nachbarn zurückzufordern. Dieser kann dem Vermieter jedoch entgegen­halten, er habe den Mietzins ohne Grund zu stark reduziert, weshalb er ihm nicht den vollen Betrag zurückerstatten werde. Ein vorsichtiger Vermieter wird deshalb mit einer Entschädi­gung zuwarten, bis die betroffenen Mieter ein Schlichtungsverfahren einleiten.

Fazit
Ein Entschädigungsanspruch des Mieters gegenüber dem Vermieter besteht auch bei Bauarbeiten in der Nachbarschaft, und zwar unabhängig vom Verhalten und Verschulden des Vermieters. Ein Anspruch des Vermieters auf Rückgriff gegenüber dem bauenden Nachbarn besteht jedoch aufgrund obiger Ausführungen nur unter eingeschränkten Voraussetzungen.

  1. Vgl. BGE 91 II 100 E. 2.
  2. Vgl. Art. 259d OR
  3. Vgl. BGer 5C.117/2005 vom 16. August 2005 E. 2.
  4. Vgl. BGE 91 II 100 E. 2.
  5. Vgl. BGE 114 II 230 E. 2.

Thomas Elmiger,

Rechtsdienst

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