Rubrik: Recht

Wenn vernachlässigter Fassadenunterhalt zum Nachbarstreit wird

Regelmässiger Fassadenunterhalt dient dem Werterhalt sowie dem guten Aussehen des Gebäudes und ist dem Ansehen des Grundstückseigentümers förderlich. Fassadenunterhalt wird aber in vielen Fällen – insbesondere bei Liegenschaften älteren Baujahrs – vernachlässigt.

Besonders bei geschlossener Bauweise, wo die Baugrundstücke zwischen den seitlichen Grenzen in voller Breite überbaut werden, muss auf die Nachbar­gebäude Rücksicht genommen werden. Aus der Praxis sind Fälle bekannt, in ­denen angrenzende Fassaden erhebliche, augenscheinlich erkennbare Risse aufweisen und undicht sind. Aufgrund dieser Undichtigkeit dringt Wasser in die Fassade ein und schädigt die Nachbar­liegenschaft.

Ursachenabklärung
Bevor eine Würdigung des Falles vorgenommen werden kann, muss die Ursache für die Feuchtigkeit eruiert werden. Oftmals ist die Bausubstanz des eigenen ­Gebäudes ungenügend und stellt die ­Ursache für die Beeinträchtigung dar, ­beispielsweise bei einem schlecht unterhaltenen beziehungsweise undichten Dach. In einem solchen Fall haftet der Grundstückseigentümer aufgrund des Grundsatzes «casum sentit dominus»1 für seinen eigenen Schaden.
Falls aber die Ursache für die Be­einträchtigung vermutungsweise in der Nachbarsliegenschaft liegt, sollte die mutmassliche Ursache durch eine Fachperson bestätigt werden. Aus rechtlicher Sicht ist festzuhalten, dass der durch die undichte Fassade geschaffene Zustand Feuchtigkeitsschäden auf dem nachbar­lichen Grundstück bewirken kann und damit einen Eingriff in das Eigentum ­darstellt.

Abgrenzung Immissionsschutz/­Eigentumsfreiheitsklage
Eine Beseitigung der feuchten Einwirkungen kann entweder mittels einer nachbarrechtlichen Klage gemäss Art.  684 i.V.m. Art. 679 ZGB oder der Eigentumsfreiheitsklage gemäss Art. 641 Abs. 2 ZGB geltend gemacht werden. Erstere Bestimmung geht bei Einwirkungen aus der ­Nutzung des Grundeigentums vor. Nach der Rechtsprechung fallen Eigentums­beeinträchtigungen von Nachbarn nur dann in den Anwendungsbereich von Art. 641 Abs. 2 ZGB, wenn es sich um direkte ­Beeinträchtigungen handelt, das heisst, wenn der Nachbar unmittelbar in die Substanz des klägerischen Grundstücks eingreift.2 Ist die Beeinträchtigung hingegen nur die mittelbare beziehungsweise indirekte Folge davon, dass der Nachbar sein Eigentumsrecht auf seinem eigenen Grundstück ausübt, liegt eine Einwirkung im Sinne von Art. 684 ZGB vor. Die durch den vernachlässigten Unterhalt bewirkte Undichtigkeit und das Versickernlassen von Wasser in der Fassade stellen einen mittelbaren Eingriff in das Eigentum des Nachbarn dar, weswegen Art. 684 ZGB zur Anwendung kommt.
Der Grundstückseigentümer erleidet durch die Unterlassung des Fassadenunterhalts auf dem nachbarlichen Grundstück eine übermässige Einwirkung auf sein Grundstück. Die Beeinträchtigung des Eigentums kann auch in einem Unterlassen des Nachbarn bestehen.3 Der Grundstückseigentümer hat ein wesentliches rechtliches Interesse an der Beseitigung der Störung, zumal die Bausubstanz durch die Feuchtigkeit geschädigt wird und die Schimmelbildung für die Mieter eine Gefahr für die Gesundheit darstellt. Zudem muss der Grundstückseigen­tümer beziehungsweise Vermieter mit Mietzinsreduktionsbegehren rechnen.
Die Einwirkung ist übermässig, da Feuchtigkeit beziehungsweise Wasser über die Dachtraufen beziehungsweise das Kanalisationssystem abzuführen ist und nicht in der Fassade selber verrinnen sollte.4 Die Feuchtigkeit stellt eine übermässige Einwirkung auf das Gebäude dar.5 Zudem darf niemand zum Schaden des Nachbarn den natürlichen Ablauf des Wassers verändern.6 Das vom nach­bar­lichen Gebäude abfliessende Regen­wasser muss vom Grundstückseigen­tümer nur abgenommen werden, wenn ihm daraus kein Schaden entsteht. Da das ablaufende Regenwasser aufgrund der undichten nachbarlichen Fassade ­der Liegenschaft des Grundstückseigen­tümers Schaden zufügt, hat der Nachbar für deren Beseitigung zu sorgen. Der säumige Nachbar kann beispielsweise verpflichtet werden, die undichte Stelle oder die ganze Fassade abzudichten.

Besitzesschutz
Denkbar wäre auch, dass nicht der Grundstückseigentümer, sondern ein Mieter als Besitzer mittels der Besitzesschutzklage gemäss Art. 928 ZGB die ­Beseitigung der Störung verlangt. Das ­Gesetz stellt aber in Art. 929 ZGB in doppelter Hinsicht für die Besitzesschutz­klage zeitliche Grenzen: Zunächst muss der Besitzer beziehungsweise Mieter, sofort nachdem ihm der Eingriff und der Verursacher bekannt geworden sind, die Beseitigung der Störung verlangen.7 Zudem verjährt die Klage ein Jahr nach dem Beginn der Störung.8 Da diese doppelten zeitlichen Einschränkungen erhebliche Hürden darstellen, wird bei Immissionen von Besitzern beziehungsweise Mietern selten Klage auf Beseitigung erhoben.

Fazit
Die Unterlassung des Unterhalts kann im Falle von Immissionen auf ein Nachbargrundstück zur Folge haben, dass ein Grundstückseigentümer zur Nachholung desselben gerichtlich verpflichtet werden kann.

  1. Aus dem Lateinischen übersetzt: «Den Zufall trägt der Eigentümer»
  2. Vgl. BGE 131 III 505 E. 5.1 S. 508 sowie BGer 5A_884/2012 vom 16.05.2013 E. 4.1.
  3. Vgl. Arthur Meier-Hayoz, Berner Kommentar, N 107 zu Art. 641 ZGB
  4. Vgl. Art. 689 ZGB.
  5. Vgl. BGE 111 II 236 E. 4.
  6. Vgl. Art. 689 Abs. 2 ZGB.
  7. Vgl. Art. 929 Abs. 1 ZGB.
  8. Vgl. Art. 929 Abs. 2 ZGB

Thomas Elmiger,

Rechtsdienst

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