Gespräch mit Sabine Wolf, Projektpartnerin des Gartenjahrs 2016

Pärke sollen für alle zugänglich bleiben

Zum zweiten Mal nach 2006 haben sich zahlreiche Organisationen für ein «Gartenjahr» zusammengeschlossen. Im Fokus des Aktionsjahres 2016 stehen der öffentliche Freiraum sowie dessen Sicherung und Schutz. Projektpartnerin und Landschaftsarchitektin Sabine Wolf über die Folgen der Verdichtung für Grünräume.

Interview und Foto: Daniel Krucker | Juli-August 2016

Wohnenextra: Das Gartenjahr 2016 stellt den öffentlichen Raum als Begegnungsort in den Fokus. Mit welchen Zielen ist es gestartet?

Sabine Wolf: Der Zeitpunkt für ein zweites Gartenjahr war ideal: Das erste wurde vor zehn Jahren durchgeführt, und in der jüngeren Vergangenheit fanden mit der Kulturlandinitiative und dem neuen Raumplanungsgesetz gleich zwei wichtige politische Abstimmungen statt, die die Innenverdichtung postulieren. Deshalb ist es besonders wichtig, dass freie Flächen – insbesondere in den Städten – noch stärker geschützt werden. Und weil der öffentliche Raum uns alle etwas angeht, muss das Thema breit und mit möglichst vielen Anspruchsgruppen diskutiert werden. Das soll das Gartenjahr leisten.

Eines der Hauptanliegen ist die qualitätvolle Verdichtung. Was ist damit gemeint?

Für eine hohe Qualität in der Verdichtung sind drei Punkte zentral. Erstens müssen wirklich geeignete Räume für Verdichtung ermittelt werden, die dann auch von Anfang an als integraler Bestandteil des Städtebaus zu planen sind. Zweitens geht es um bedarfsgerechte Planung; dabei ist Partizipation ein grosses Thema. Letztlich ist es die Bevölkerung, die die Räume nutzt und belebt, und das funktioniert meistens nur dann wirklich gut, wenn die aktuellen und/oder künftigen Nutzer in den Prozess miteinbezogen werden. Drittens sollte der öffentliche Raum, und damit auch die Pärke, für alle zugänglich bleiben. Und dies muss auch erkennbar sein: Heute kann ich selbst als Expertin manche Räume nicht mehr «lesen» – sind sie nun öffentlich oder privat oder privatisierte öffentliche Räume? Deutlich zeigen das ein, zwei Negativbeispiele in Zürich West. Für all das braucht es eine sorgfältige Planung. Das ist nicht gratis und franko zu haben. Zudem sind Grünräume dynamische Orte, das heisst, sie entfalten erst im Laufe der Zeit ihre volle Nutzungsqualität. Dazu brauchen sie Pflege und Schutz.


Freie Flächen müssen noch stärker geschützt werden.


Eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung wünscht sich immer noch das Einfamilienhaus im Grünen. In den Städten gibt es Wartelisten für einen Platz in Familiengärten. Woher kommt diese Sehnsucht nach dem eigenen Fleckchen Erde?

In der heutigen Zeit passiert alles schnell, vielen Menschen geht es zu schnell. Es erstaunt mich darum wenig, dass es diesen Wunsch zurück zum menschlichen Massstab gibt. Das Thema Nachhaltigkeit spielt sicher auch eine Rolle und der persönliche Bezug zum Ort. Ganz deutlich zeigt sich das zurzeit an der Zollstrasse in Zürich, wo die Genossenschaft Kalkbreite einen Neubau plant. Bis die Bagger auffahren, gibt es dort einen temporären Garten, der im Quartier extrem gut ankommt. Immer mehr Leute wollen wissen, woher die Lebensmittel stammen. Und natürlich hat der Boom des Gärtnerns auch damit zu tun, dass man nicht mehr muss, sondern kann. Wir stehen nicht mehr unter Druck, Gemüse für den Eigengebrauch zu ziehen – wir können uns diese Freiheit leisten. Daraus entstanden ist beispielsweise die urbane Landwirtschaft, wo sich Leute zusammenschliessen und Lebensmittel lokal und fair produzieren. Im Idealfall helfen sie selber bei Produktion und Verteilung mit. Solche Projekte macht man nicht einfach, weil es gerade schick ist, sondern dort wird ernsthaft über neue Stoffkreisläufe nachgedacht.

Sabine Wolf (43) studierte Stadtplanung. Die Landschaftsarchitektin BSLA promovierte 2011 an der ETH Zürich und ist seit 2010 Chefredaktorin der Schweizer Fachzeitschrift für Landschaftsarchitektur «anthos».

Der Balkon bleibt für die meisten von uns der einzige Ort, wo wir den grünen Daumen trainieren können. Was wächst am besten in Töpfen und Kisten?

Am besten einfach nach Lust und Laune ausprobieren! Es gibt wunderbare Pflanzen, die sehr einfach zu pflegen sind. Auch auf einem Balkon kann Gemüse geerntet werden. Wer Freude am Grün hat, begibt sich auf eine Art Forschungsreise. Spannend finde ich zum Beispiel Bepflanzungen, die gezielt Wildbienen unterstützen. So kann jede und jeder dazu beitragen, die Biodiversität in der Stadt zu erhalten oder zu erhöhen.

Seit Jahrhunderten sind Pärke klassische Erholungsräume in unseren Städten. Was zeichnet einen guten Park aus?

Es gibt nicht den guten Park. Vielmehr ist ein guter Mix wichtig. Einen Park sollte man auch als Zeitzeugen lesen können, der eine bestimmte Epoche markiert. Darum mag ich zum Beispiel den viel kritisierten MFO-Park – eine Art begehbare begrünte Gitterkonstruktion – in Zürich Nord. Daneben braucht es auch Pärke, die sich der Volksparkidee verpflichten, Orte also, die grosse Wiesen bieten, Schatten, Wasser, Spielgeräte. Wichtig für alle Grünanlagen ist, dass sie nicht unsachgemäss kaputt gepflegt werden – oder gar nicht. Als Orte der Erholung sind sie für die Bevölkerung nämlich sehr wichtig. In Zukunft sogar noch mehr, wenn man bedenkt, dass immer mehr Menschen weltweit in Städten leben. Je grösser die Städte, umso wichtiger ist die Sicherung der Freiräume. Bäume werden eine noch viel bedeutendere Rolle einnehmen, weil sie für das lokale Klima sehr wichtig sind. Für die Kühlung der Städte sind auch Kaltluftschneisen ein grosses Thema. Das sind thermische Ströme, denen man innerhalb der Stadt Raum geben muss. Werden diese zugebaut, überhitzen die Städte, und es fehlt an Frischluft.