
«Die Hälfte isst viel Fleisch und Fett»
Kochen mit frischen Lebensmitteln ist gesund. Das wissen wir alle. Trotzdem hat bis zu achtzig Prozent von dem, was auf unserem Teller landet, einen industriellen Prozess hinter sich. Wie es anders und ökologischer geht, erklärt die Ernährungswissenschaftlerin Christine Brombach.
Interview und Foto: Daniel Krucker | August 2025
Wohnenextra: In der Schweiz haben wir 365 Tage im Jahr Zugang zu gesunden Lebensmitteln. Die Auswahl ist riesig, wir leben im Überfluss. Nutzt die Schweizer Bevölkerung dieses Privileg auch?
Christine Brombach: Ich würde sagen, es gibt noch Luft nach oben. Eine Studie im Auftrag des Bundes hat gezeigt, dass ungefähr ein Viertel der Bevölkerung einem sehr gesunden Ernährungsstil folgt. Rund die Hälfte ernährt sich überwiegend «westlich», das heisst mit viel Fleisch und Fett, und ein Viertel isst eher ungesund. Wobei es Unterschiede zwischen den Sprachregionen gibt: In der Deutschschweiz ernähren sich mehr Menschen vegetarisch als in der Romandie und im Tessin. Dafür kocht man im Süden häufiger Hülsenfrüchte. Was ausserdem auffällt: Die Schweizer:innen sind fast Weltmeister beim Konsum von Zucker, über 110 Gramm sind es pro Kopf und Tag. Auch der Fleischkonsum ist mit rund 50 Kilogramm pro Kopf und Jahr hoch. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt weniger als die Hälfte dieser Menge. Unsere Grosseltern und Eltern brachten höchstens ein bis zwei Mal pro Woche Fleisch auf den Tisch. Für eine gesunde und ausgewogene Ernährung ist das auch völlig ausreichend.
Welche Lebensmittel sollten wir öfter in den Einkaufskorb legen?
Gemüse, Hülsenfrüchte, Linsen, Bohnen, Nüsse, Samen, Kerne und Vollkornprodukte. Die liefern von allem, was wir brauchen: Kohlenhydrate, Nahrungsfasern, Proteine, Vitamine, Mineralstoffe und gute Fette.
Gerade bei Vitaminen, Mineralstoffen oder Proteinen greifen viele gerne zu Nahrungsergänzungsmitteln. Das ist doch praktisch, oder?
Wir haben genügend gute Lebensmittel, die alles liefern, was der Körper braucht. Wer sich gesund und ausgewogen ernährt, ist auf diese Produkte, die oft auch recht teuer sind, nicht angewiesen. Nahrungsergänzungsmittel sollten nur in bestimmten Lebenssituationen gegessen werden, etwa wenn Menschen nicht mehr ausreichend essen. Bevor man zu ihnen greift, ist aber in jedem Fall eine medizinische Abklärung wichtig, denn viel einzunehmen hilft nicht zwingend viel.
Auch der Absatz sogenannt funktioneller Lebensmittel steigt. Produkte also, die bestimmte Zusatzstoffe enthalten. Kann man auf diese auch getrost verzichten?
Die einfache Antwort: Die Menschheit hat auch ohne all diese Produkte überlebt. Manche dieser Lebensmittel können aber kurzfristig sinnvoll oder hilfreich sein. Für die Lebensmittelindustrie sind sie ein profitables Umsatzgeschäft. Dass sie derart boomen, hat meiner Meinung nach viel mit Unsicherheiten zu tun. Ich stelle eine Art Entfremdung davon fest, wie Nahrungsmittel hergestellt werden. Viele Menschen treibt um, was gut und richtig für ihre optimale Ernährung ist. Viel wichtiger scheint mir aber die Frage zu sein, was jemand dazu beitragen kann, dass sein Einkaufskorb die Umwelt schont und die Biodiversität dabei erhalten bleibt.
Bis Ende 2025 will der Bund einen neuen Aktionsplan zur Ernährungsstrategie bis 2032 vorlegen. Dieser soll die Ernährungskompetenz weiter stärken, insbesondere aber auch Rahmenbedingungen für eine nachhaltigere, ökologischere Ernährung schaffen. Was sind Ihre Erwartungen?
Will der Bund den Anteil der pflanzlichen Ernährung ernsthaft steigern, muss sich etwas ändern. In der Schweiz nutzen wir heute sechzig Prozent der Ackerfläche für die Produktion von Tierfutter. Soll dieser Anteil sinken, braucht es den politischen Willen dazu und gesetzliche Rahmenbedingungen. Ohne funktioniert es nicht. Nötig ist ein ganzes Massnahmenpaket. Ich denke dabei an Bildung und an Kompensationsmassnahmen, die es ermöglichen, verfügbare Ackerflächen für den Anbau unserer Nahrung zu nutzen und nicht für Tierfutter. Die Agrar- und die Ernährungspolitik müssen zusammengebracht werden, wenn wir der Artenvielfalt mehr Raum geben wollen. Schauen wir mal, was für Vorschläge auf den Tisch kommen.
Kochsendungen sind äusserst beliebt. Man wird gleichzeitig unterhalten und lernt dabei etwas. Trotzdem wendet man hierzulande nur 38 Minuten pro Tag für die Zubereitung einer Mahlzeit auf. Wie kann man die Leute für mehr Musse in der Küche begeistern?
Kochen ist ein Prozess. Kenne ich aber die Grundkocharten, kann ich das wie einen Baukasten nutzen: Weiss ich etwa, wie eine Suppe zubereitet wird, kann ich alle Suppen kochen, und wenn ich eine Pizza machen kann, geht auch eine Wähe. Viele Menschen entdecken beim Kochenlernen, dass es gar nicht so schwer ist, und erleben Erfolg und Freude. Es macht Spass, selbst über Geschmack, Aussehen und Zutaten zu bestimmen. Schlaues Planen ist dabei eine grosse Unterstützung. Es braucht ein bisschen Denkarbeit, wie man diesen Prozess für sich selbst optimieren kann. Man muss vorher überlegen, was man wann macht und ob ein günstiges Zeitfenster für ein etwas aufwändigeres Menu besteht. Mit dieser Strategie schlägt man mehrere Fliegen mit einer Klappe: Man kommt nicht in Stress, weil man jeden Tag noch schnell einkaufen muss, man kauft nur noch das, was man braucht, was Geld spart, und man vermeidet Foodwaste. Aber ja: Das muss man auch umsetzen.
Haben Sie drei Tipps, wie man seiner Gesundheit durch die Ernährung Gutes tun kann?
Erstens «Bunt ist gesund», zweitens «Vielfalt auf dem Teller» und drittens «möglichst selbst zubereitet». Also ran an die Kochtöpfe und einfach mal ausprobieren!
Christine Brombach studierte Ernährungs- und Haushaltswissenschaften in Deutschland und den USA. Sie ist Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil. Ihre aktuellen Schwerpunkte bei Forschung und Lehre liegen im Bereich Consumer Sciences und Ernährungsverhalten.