So belebt «BVE Kids» den Genossenschaftsgedanken bei den Jüngsten

Früh übt sich ...

Kinder sind die Zukunft – auch beim Wohnen. Darum leistet sich die grösste Hamburger Genossenschaft «Bauverein der Elbgemeinden» (BVE) seit sieben Jahren die Kindergenossenschaft «BVE Kids».

Von Esther Banz | Bilder: zVg | August 2021

Sie versammeln sich zur Dämmerung am Eingang eines Friedhofs. Ein Kind erscheint in bodenlanger schwarzer Pellerine mit rotem Kragen, ein anderes hüllt sich in einen violett-schwarzen Umhang. Ende August 2020 ist es, Katrin Freesmeier begrüsst ein gutes Dutzend aufgeregter Kinder, die jüngsten sechs Jahre alt, die älteren bald Teenager. Auch die Eltern dürfen mit, fortan halten nun Kinderhände jene der Erwachsenen fest umklammert: Man ist unterwegs zu Fledermäusen.
Der nächtliche Bildungsausflug zu den fliegenden Säugetieren ist eine von drei Veranstaltungen im letzten Spätsommer, zu denen Freesmeier eingeladen hat. Die Sozialarbeiterin ist zusammen mit einer Kollegin für das Gemeinschaftsleben in der Hamburger Genossenschaft BVE zuständig, die mehr als 22 800 Mitglieder zählt. Während die Kollegin vor allem mit den älteren Bewohnerinnen und Bewohnern arbeitet, sind es bei Freesmeier Familien und Kinder. 2014 war sie denn auch mitbeteiligt an der Gründung der Kindergenossenschaft «BVE Kids», der ersten Initiative dieser Art.

Über tausend Kinder machen mit
Kurz nach ihrer Gründung zählte die «BVE Kids» bereits mehrere hundert Mitglieder, heute sind es über tausend – bis zum 18. Lebensjahr sind alle willkommen, auch Externe. Das Angebot ist vielseitig: Das Herz der «Kindergenossenschaft» bilden zwölf bis sechzehn Veranstaltungen im Jahr. Mal probieren die Kinder neue Trendsportarten aus oder besuchen einen Kletterpark, mal schärfen sie in der Natur ihre Sinne als Forschende, ein anderes Mal bauen sie mit einer Künstlerin zusammen ein ganzes buntes Wohnquartier aus riesigen Kartonschachteln oder nehmen an Graffiti- oder Gesangs- und Tanz-Workshops teil. Auch Wissen zu Energie und Klima wird ihnen kindgerecht vermittelt. Überhaupt nehmen Umwelt- und Naturthemen, der Zugang zu Wissen, auch zu Bewegung, einen grossen Platz ein in der Gestaltung des Angebots. So erhält jedes Kind mit der kostenlosen Mitgliedschaft einen Gutschein fürs Schwimmbad und eine Mitgliedschaft der Hamburger Bücherhallen, wie die Bibliotheken in der norddeutschen Hafenstadt heissen.
Wichtig sind der BVE auch Beteiligungsaktionen, die die Kinder schon früh den Duft des Genossenschaftswesens und der Mitbestimmung, wie sie Genossenschaften eigen ist, schnuppern lässt – siedlungs­bezogen etwa zur Bewertung ihrer Spielplätze, wenn Umgestaltungen anstehen. «Wir führen dann eine Art ‹Spielplatz-TÜV› durch: Die Kinder erhalten positive und negative Bewertungs-Smileys, wir gehen die ganzen Geräte zusammen durch», erzählt Freesmeier. Da trete manchmal Überraschendes zutage: «Einmal wurde die Rutschbahn negativ beurteilt, obwohl sie doch so schön aussieht. Im Gespräch fanden wir dann heraus, dass die Rutsche in der Mittagssonne immer sehr heiss wird und die Kinder sie gar nicht benutzen können.» Man habe das Spielgerät dann einfach an einen anderen Ort gestellt.

Spass darf nicht zu kurz kommen, zum Beispiel mit Konzerten, Basteln oder dem Ausprobieren von Sportarten.

Mitgestalten und Identifikation stärken
Freude hat Peter Finke, der beim BVE für die Mitgliederförderung zuständig ist, insbesondere am Schlittelberg: «Der war auch eine Idee beziehungsweise ein expliziter Wunsch von Kindern.» Man habe erkannt, dass so ein Berg mehrere Funktionen haben kann, zum einen als gestalterisches Element, zum anderen als Schallschutz und schliesslich eben als Rodelberg. «So liessen wir ihn aufschütten.» Und sei noch heute glücklich damit. Die Genossenschaft nehme erst mal alle Ideen der Kinder entgegen, ohne sie zu werten, sagt Finke. «Einzig alles mit Wasser ist tabu. Das ist einfach zu gefährlich.»
Der BVE ist mit seinen über 14 000 begehrten Wohnungen in und um Hamburg und mit vielen Interessierten auf der Warteliste in einer komfortablen Situation. Dennoch macht man sich Gedanken über die Zukunft; mit der Kindergenossenschaft wollen die Verantwortlichen die Bindung zu Familien und künftigen Genossenschafterinnen, Genossenschaftern stärken. Die Kindergenossenschaft sei ganz klar auch ein Identifikationsprojekt: «Es geht darum, ein Verständnis von sich als ‹BVE-Kind› zu erlangen und ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln», sagt Freesmeier. Dazu gehöre, zu verstehen, dass Mitglieder von Wohnbaugenossenschaften mehr sind als Wohnende. Denn genossenschaftliches Wohnen heisst auch Gemeinschaft, Beteiligung, Mitmachen. Finke: «Es bedeutet, ab einem gewissen Alter auch Verantwortung zu übernehmen im Rahmen dieser Beteiligung. Das erfordert Bildung und Bewusstseinsarbeit für den Solidaritätsgedanken.» Politische Bildung betreibe man aber keine, versichert er lachend.

Langfristige Perspektive
Der Bauverein der Elbgemeinschaften ist vor über 120 Jahren in Hamburgs Mittelschicht entstanden, ein Solidarprojekt in einer Zeit prekärer Wohnverhältnisse auch in Norddeutschland. Heute ist die BVE die grösste Genossenschaft der Hansestadt. Man habe einfach einmal angefangen mit BVE Kids. «Das war die richtige Entscheidung», blickt Mitinitiant Finke zufrieden zurück: «Die Kindergenossenschaft ist ein voller Erfolg.» Mit kurzfristigen Zielen brauche ihm aber keiner kommen, «BVE Kids ist langfristig gedacht!» Vonseiten der Geschäftsführung geniesst das Team viele Freiheiten. Und noch hat es längst nicht alle Ideen umgesetzt: «Eine Art Abordnung aus der Kindergenossenschaft hätten wir schon gerne in der Organisation», sagt Finke. Er meint ein gewähltes Gremium, das regelmässig in einen Austausch mit dem Vorstand und Führungskreis des BVE kommt, «damit wir noch besser wissen, welche Wünsche es gibt und was nicht vergessen gehen sollte».
Was die in Grosskolonien lebenden Fledermäuse zum Genossenschaftsmodell sagen würden, bleibt unerforscht. Sicher aber ist: Die Idee der Kindergenossenschaft fällt in Deutschland auf fruchtbaren Boden. Bereits ist in der nordostdeutschen Stadt Neubrandenburg eine weitere entstanden.
www.bve.de/bve-kids